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Im Mai 1999 jährt sich zum 150. Mal der Jahrestag der Dresdner Mai-Revolution. Sieben Tage Kampf - vom 3. bis 9. Mai. Die Ablehnung der Reichsverfassung durch den sächsischen König, politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit führten zu einem Aufstand, der von sächsischen und preußischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde. Ein Zeitzeuge: Nicht eine Schlacht, ein Schlachten war's zu nennen. - An den Kämpfen nahmen neben Künstlern, Bergleuten, Bauern, Studenten, Intellektuellen auch der russische Anarchist Bakunin, der Hofkapellmeister Wagner, der Architekt Semper und der Musikdirektor…mehr

Produktbeschreibung
Im Mai 1999 jährt sich zum 150. Mal der Jahrestag der Dresdner Mai-Revolution. Sieben Tage Kampf - vom 3. bis 9. Mai. Die Ablehnung der Reichsverfassung durch den sächsischen König, politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit führten zu einem Aufstand, der von sächsischen und preußischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde. Ein Zeitzeuge: Nicht eine Schlacht, ein Schlachten war's zu nennen. - An den Kämpfen nahmen neben Künstlern, Bergleuten, Bauern, Studenten, Intellektuellen auch der russische Anarchist Bakunin, der Hofkapellmeister Wagner, der Architekt Semper und der Musikdirektor Röckel teil. - Dokumentiert wird bisher unbekanntes Archivmaterial, Drohbriefe der Bergleute gegen Adel und Fabrikbesitzer, Briefe von Soldaten und Barrikadenkämpfern sowie der Kampf der Mädchen und Frauen, die in diesem siebentägigen Kampf ebenfalls zu den Waffen griffen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2000

Im Anfang war die Tat
Barrikadengeflüster: Richard Wagner war Revolutionär, bevor er Antisemit wurde

Seit Hartmut Zelinsky 1976 im Jubiläumsjahr der Bayreuther Festspiele seine vor allem die Wirkungsgeschichte des Wagnerschen Antisemitismus verfolgende Dokumentation "Richard Wagner. Ein deutsches Thema" herausbrachte und damals ein Tabu brach, ist das Thema nicht mehr aus der Diskussion verschwunden. Unter den Autoren, die den Antisemitismus als einen substantiellen Teil des Wagnerschen Werks verstehen, nimmt Paul Lawrence Rose gegenwärtig die wohl radikalste Position ein. Sein 1992 erschienenes Buch "Wagner. Race and Revolution" liegt nunmehr in einer deutschen Übersetzung vor, ergänzt durch kleinere Artikel.

Rose, dessen Arbeit nach ihrem Erscheinen vielfach auf schärfste Kritik gestoßen ist, geht von der These aus, das deutsche revolutionäre Denken des neunzehnten Jahrhunderts setze sich spätestens seit Fichte vom Revolutionsverständnis anderer europäischer Völker dadurch ab, dass in ihm der Gedanke der Revolution mit dem des Antijudaismus beziehungsweise später des Antisemitismus auf das Engste verbunden werde. Darin präge sich eine "spezifisch deutsche Form von Revolution aus, "in der die geheiligte deutsche Rasse der Freiheit einen Weg bahnen sollte".

Von Kant über Fichte, Arndt, die Junghegelianer und die Vertreter des "Jungen Deutschland" zieht Rose die Linie derer aus, die gesellschaftlichen Strukturwandel seiner Meinung nach stets auch mit der Lösung der "Judenfrage" verbunden haben und die unter Revolution eine alle Lebensbereiche umfassende kulturelle Veränderung der deutschen Gesellschaft verstanden. Gegen einen Großteil der Wagner-Literatur, auch gegen das bahnbrechende Buch von Jacob Katz über Wagners Antisemitismus, behauptet Rose, erste Spuren antijüdischer Vorurteile bei Wagner bereits in den frühen vierziger Jahren zu finden, also lange vor dem 1850 erschienenen Pamphlet "Das Judentum in der Musik". Aus dieser Überzeugung heraus, die allerdings von den Fakten her kaum zu halten ist, werden die um 1850 erschienenen großen theoretischen Schriften Wagners, die so genannten Züricher Kunstschriften, interpretiert. Deren anarchistischer Revolutionselan, der Wagners Denken zwingend der revolutionären Linken zuweist, ist für Rose primär durch einen verdeckten Antisemitismus bestimmt und folglich eher dem völkischen als dem radikaldemokratischen Lager zuzuordnen. Konsequenterweise interpretiert Rose auch alle Musikdramen Wagners, von "Rienzi" bis "Parsifal", als antisemitische Tendenzopern, und selbst der "Tristan" entkommt nicht dieser Bewertung, weil es - so Rose - bei der Selbstäußerung vom Egoismus durch Liebe um eine ethische Position geht, "die für das Judentum mit seinem hartnäckig optimistischen Willen zum Leben inakzeptabel sein muss".

Das kommentiert sich eigentlich selbst. Die sicherlich verdienstvolle, wenngleich nicht neue Erinnerung an die antijüdischen Beimischungen im deutschen demokratischen Denken - Beimischungen, die es natürlich auch in anderen europäischen Ländern gab, teilweise, wie etwa bei der französischen Linken, sogar mit sehr viel massiveren Invektiven - führt sich in ihrem obsessiven Bezug auf Wagner am Ende selbst ad absurdum. Denn selbst bei diesem, der gewiss kein genuiner politischer Denker war, ist das Revolutionsverständnis um vieles komplexer, als Rose es darstellt. Wagners antikapitalistische und antimoderne Vorbehalte, die Forderung seiner "negativen Ästhetik" nach radikaler Gesellschafts- und Bewusstseinsveränderung auch für die Deutschen lassen sich nicht auf Antisemitismus reduzieren.

Gegen die These von Rose, wonach Wagner, wann immer er im Zusammenhang mit Politik über die "Judenfrage" schweigt, sie stillschweigend mitdenkt, lässt sich nicht argumentieren. Obsessionen zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie zirkuläre Argumentationen hervorbringen, die nur über ihre Prämissen aufzubrechen sind. Hier allerdings muss man feststellen, dass Rose sich in der deutschen Geschichte nur sehr oberflächlich auskennt, was auch seinen assoziativen Denkstil erklären mag.

In gewisser Weise einen Gegenentwurf stellt die Arbeit von Bernd Kramer dar: ein Buch, das eine Fülle historischer Dokumente und Fakten beibringt, diese häufig auf eine zwar merkwürdig berührende Weise mit anarchistischer Gesellschaftskritik verbindet, insgesamt freilich dem Denken Wagners und seinem Handeln zur Zeit der Dresdner Revolution von 1849 viel besser gerecht wird als Rose. Kramer entwirft ein umfassendes Bild jener Mai-Revolution, die nur sieben Tage dauerte, vom 3. bis zum 9. Mai, bevor sie von sächsischen und preußischen Truppen niedergeschlagen wurde. Unbekanntes Archivmaterial, zeitgenössische Zeitungsberichte, Aufrufe und Briefe von Beteiligten, gelegentlich auch eigene Korrespondenz mit konkurrierenden Interpreten geben ein farbiges Bild des Dresdner Aufstandes, das der Autor mit großer Sympathie zeichnet. Vor allem um Bakunin geht es, den führenden anarchistischen Akteur in Dresden, aber auch um August Röckel, den höfischen Musikdirektor der Dresdner Oper, um Gottfried Semper, den Architekten und Barrikadenbauer - sie alle enge Freunde von Richard Wagner.

Kramer nimmt Wagner in seiner Revolutionsbegeisterung ernst, er verweist zu Recht darauf, dass Wagner damals mit seinem Engagement ganz bewusst seine gesamte Existenz aufs Spiel setzte. Der häufig gegen Wagners revolutionäre Ernsthaftigkeit ins Feld geführte Hinweis, Bakunin habe nach seiner Gefangennahme erklärt, diesen sofort als Phantasten erkannt und nur gelegentlich mit ihm über Politik gesprochen zu haben, ansonsten aber nicht mit ihm verbunden gewesen zu sein, wird von Kramer als Versuch Bakunins bewertet, den Freund und Mitkämpfer vom Vorwurf des Hochverrats zu entlasten. Und in der Tat: Wagner selbst hat sich noch Jahre später, in seiner Autobiographie für Ludwig II., ausführlich zu Bakunin geäußert und ihm seinen Respekt nicht versagt.

Vieles, was Kramer berichtet, ist zumindest in groben Zügen bekannt, aber die Fülle der Details beeindruckt, die gelegentlich verwandte Montagetechnik, mit der historische Zeugnisse untereinander verbunden und wie in filmischen Schnitten hintereinander geschaltet werden, verleiht dem Buch einen literarischen Einschlag. Doch das ist alles andere als ein Nachteil. Geschichte kann spannend sein, vor allem dann, wenn sie mit so viel innerer Beteiligung erzählt wird. Und Wagner erscheint dabei ganz und gar als jener Feuerkopf, den die nachmalige Bayreuther Hagiographie der Wolzogen und Chamberlain völlig verdrängte. Bei Kramer kann Rose lernen, dass die von Wagner um jene Zeit so häufig gebrauchten Zerstörungsmetaphern keine antisemitischen Konnotationen haben, sondern sich konkret auf die Gesellschaft, auf deren politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Institutionen beziehen, wie überhaupt das revolutionäre Vokabular des Komponisten sich dem radikal-demokratischen und linkshegelianischen Diskurs jener Zeit verdankt, für den die damals so genannte "Judenfrage" eher ein Randthema war.

Wer Kramer gelesen hat, wird verstehen, dass Wagner den Anarchismus nicht ablegen konnte wie ein Kostüm. Die intensive Verwobenheit Wagners in die revolutionären Geschehnisse jener Tage, die über ein Jahr gehende Freundschaft mit Bakunin und all jenen revolutionär Gesinnten, mit denen der Komponist dann gemeinsam den Aufstand zu organisieren suchte - das alles macht verständlich, dass Wagner an einigen zentralen Grundüberzeugungen, die er damals gewann, ein Leben lang festhielt.

UDO BERMBACH

Paul Lawrence Rose: "Richard Wagner und der Antisemitismus". Aus dem Englischen von Angelika Beck. Pendo Verlag, Zürich 1999. 364 S., geb., 48,- DM.

Bernd Kramer: "Lasst uns die Schwerter ziehen, damit die Kette bricht . . ." Michael Bakunin, Richard Wagner und andere während der Dresdner Mai-Revolution 1849. Karin Kramer Verlag, Berlin 1999. 255 S., br., 48,- DM.

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