Als Bernd Heinrich 1981 den Ultramarathon über 100 km in Chicago gewann, war der Professor der Biologie selbst überrascht. Seine Zeit 6:38:12 - ein Rekord. Er traf eine Dreiviertelstunde vor dem Zweiten ein, und seitdem sind nur vier Menschen diese Strecke schneller gelaufen als er. Woran das lag? Bernd Heinrich profitierte von seinem Wissen als Naturforscher - und lässt uns in seinem Buch daran teilhaben. In puncto Ausdauer: Wie kommen Zugvögel und Kamele über weite Strecken? Oder Atmung: Was verbindet Hummeln und Hunde? Schnelligkeit: Warum hat sich das Verhältnis von Zwei- und Vierbeinern im Laufe der Evolution verkehrt? Und nicht zuletzt Fitness: Weshalb kann ein Bär nach seinem Winterschlaf loslegen, als hätte es diesen nicht gegeben?
Eine höchst vergnügliche und kenntnisreiche Geschichte des Laufens - und ein ganz und gar ungewöhnliches Trainingsbuch für alle, die Heinrichs Leidenschaft für diesen Sport mit ihm teilen.
Eine höchst vergnügliche und kenntnisreiche Geschichte des Laufens - und ein ganz und gar ungewöhnliches Trainingsbuch für alle, die Heinrichs Leidenschaft für diesen Sport mit ihm teilen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.03.2004Wie die Tiere
Warum beim Laufen die Raupe zum Schmetterling wird
Laufen, die edelste aller Sportarten. Man braucht keine lärmerzeugenden Maschinen, keine Stadien, keine Mannschaft. Ein paar Schuhe, dünne Kleidung und man kann überall loslaufen. Raus aus der Stadt, den Fluss entlang, eine halbe Stunde, dann klappt die Lunge ihre Flügel auf, Atem, Beine, Arme, Herz, alles pulst und kommt ins Lot. Oder, um es in den Worten Bernd Heinrichs zu sagen: „Ich komme nach Hause, fühle mich ruhelos, und während ich noch in die Laufschuhe schlüpfe, habe ich schon das Empfinden, ein neuer Mensch zu werden. Ich fühle mich frei wie eine Raupe, die sich in einen Schmetterling verwandelt.”
Der Amerikaner Bernd Heinrich hat eine emphatische Liebeserklärung an das Laufen verfasst, ein Buch, das zugleich durch die Evolutionsgeschichte des Laufens und die Lebensgeschichte eines Naturwissenschaftlers mäandert und zusammengehalten wird von Heinrichs Bericht über seine Teilnahme am Ultramarathon über 100 Kilometer in Chicago: 1981 war Heinrich 41 Jahre alt. Eigentlich hatte er keine Chance gegen Barney Klecker, den großen, jungen Langstreckenläufer, der erst kurz zuvor die 80 Kilometer in weniger als fünf Stunden gelaufen war. Aber dann hat Heinrich, ein Biologe in der Blütezeit seiner midlife crisis, den Profi um eine Dreiviertelstunde abgehängt – Weltbestzeit dank seinem tierischen Beraterstab. Klecker wusste eben nichts über die Ernährungstricks von Zugvögeln, die Ausdauer von Kamelen, und wie es den Navajo-Indianern möglich war, Rotwild so lange zu hetzen, bis die Tiere zu Tode erschöpft waren.
Heinrich, der mit seinen Eltern in einem Wald bei Hannover aufgewachsen ist, hatte „einen wunderbaren Start ins Leben, weil ich gelernt hatte, was wichtig ist – die Lebenszyklen von Schmetterlingen, das Verhalten einer Jungkrähe und die Lust, auf bloßen Füßen durch warmen Sand hinter Tigerkäfern herzulaufen.” Das klingt nach Pfadfinderromantik – und das Buch wird tatsächlich von einer den Städter manchmal fremd anmutenden naturharmonischen Begeisterung getragen. Aber unter der dünnen Haut des Romantikers liegt der Biologe, der sich seit jenen kindlichen Waldläuferjahren daran gemacht hat, die raffiniertesten Fortbewegungs- und Ausdauertricks der Evolutionsgeschichte zu untersuchen. Kaum hat er beim Knutt, einem arktischen Vogel, die Technik der Hyperphagie untersucht – der Vogel frisst vor seinem Interkontinentalflug so lange, bis er sein Gewicht verdoppelt hat – nimmt Heinrich durch „Carbo-Loading” für die 100 Kilometer zwei Kilogramm zu.
Auch wenn man gerade nicht auf einen Marathon trainiert – durch dieses Buch weht ein so frischer Wind, dass man nach dem Lesen in den Keller geht, die alten Laufschuhe hervorzieht und endlich wieder die Isar runterläuft.
ALEX RÜHLE
BERND HEINRICH: Laufen – Geschichte einer Leidenschaft. List Verlag, München 2003. 352 Seiten, 22 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Warum beim Laufen die Raupe zum Schmetterling wird
Laufen, die edelste aller Sportarten. Man braucht keine lärmerzeugenden Maschinen, keine Stadien, keine Mannschaft. Ein paar Schuhe, dünne Kleidung und man kann überall loslaufen. Raus aus der Stadt, den Fluss entlang, eine halbe Stunde, dann klappt die Lunge ihre Flügel auf, Atem, Beine, Arme, Herz, alles pulst und kommt ins Lot. Oder, um es in den Worten Bernd Heinrichs zu sagen: „Ich komme nach Hause, fühle mich ruhelos, und während ich noch in die Laufschuhe schlüpfe, habe ich schon das Empfinden, ein neuer Mensch zu werden. Ich fühle mich frei wie eine Raupe, die sich in einen Schmetterling verwandelt.”
Der Amerikaner Bernd Heinrich hat eine emphatische Liebeserklärung an das Laufen verfasst, ein Buch, das zugleich durch die Evolutionsgeschichte des Laufens und die Lebensgeschichte eines Naturwissenschaftlers mäandert und zusammengehalten wird von Heinrichs Bericht über seine Teilnahme am Ultramarathon über 100 Kilometer in Chicago: 1981 war Heinrich 41 Jahre alt. Eigentlich hatte er keine Chance gegen Barney Klecker, den großen, jungen Langstreckenläufer, der erst kurz zuvor die 80 Kilometer in weniger als fünf Stunden gelaufen war. Aber dann hat Heinrich, ein Biologe in der Blütezeit seiner midlife crisis, den Profi um eine Dreiviertelstunde abgehängt – Weltbestzeit dank seinem tierischen Beraterstab. Klecker wusste eben nichts über die Ernährungstricks von Zugvögeln, die Ausdauer von Kamelen, und wie es den Navajo-Indianern möglich war, Rotwild so lange zu hetzen, bis die Tiere zu Tode erschöpft waren.
Heinrich, der mit seinen Eltern in einem Wald bei Hannover aufgewachsen ist, hatte „einen wunderbaren Start ins Leben, weil ich gelernt hatte, was wichtig ist – die Lebenszyklen von Schmetterlingen, das Verhalten einer Jungkrähe und die Lust, auf bloßen Füßen durch warmen Sand hinter Tigerkäfern herzulaufen.” Das klingt nach Pfadfinderromantik – und das Buch wird tatsächlich von einer den Städter manchmal fremd anmutenden naturharmonischen Begeisterung getragen. Aber unter der dünnen Haut des Romantikers liegt der Biologe, der sich seit jenen kindlichen Waldläuferjahren daran gemacht hat, die raffiniertesten Fortbewegungs- und Ausdauertricks der Evolutionsgeschichte zu untersuchen. Kaum hat er beim Knutt, einem arktischen Vogel, die Technik der Hyperphagie untersucht – der Vogel frisst vor seinem Interkontinentalflug so lange, bis er sein Gewicht verdoppelt hat – nimmt Heinrich durch „Carbo-Loading” für die 100 Kilometer zwei Kilogramm zu.
Auch wenn man gerade nicht auf einen Marathon trainiert – durch dieses Buch weht ein so frischer Wind, dass man nach dem Lesen in den Keller geht, die alten Laufschuhe hervorzieht und endlich wieder die Isar runterläuft.
ALEX RÜHLE
BERND HEINRICH: Laufen – Geschichte einer Leidenschaft. List Verlag, München 2003. 352 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Alex Rühle ließ sich von Bernd Heinrichs Begeisterung für das Laufen anstecken: Nach der Lektüre von dessen "emphatischer Liebeserklärung" an das Laufen habe es ihm in den Füßen gekribbelt, gesteht der Rezensent. Das Buch des amerikanischen Biologen erzähle vor dem Hintergrund seiner Teilnahme an einem 100-Kilometer-Marathon in Chicago eine Evolutionsgeschichte des Laufens und verrate dabei die "raffiniertesten Fortbewegungs- und Ausdauertricks" der Evolution, wie etwa die "Technik der Hyperphagie", die es einer in der Arktis beheimateten Vogelart gestattet, sich vor ihren Interkontinentalflügen das doppelte ihres normalen Gewichtes anzufressen. Dank solcher Kenntnisse, berichtet Rühle fasziniert, sei Heinrich der Sieg bei dem besagten Marathon gelungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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