»Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen« - schrieb Johann Wolfgang von Goethe über die sogenannte Kanonade von Valmy im Jahre 1792, in der das revolutionäre Frankreich das preußischösterreichische Invasionsheer zurückschlug. Die aufständischen Bürger hatten gewonnen. Aber Goethe schrieb den berühmten Satz mit 30 Jahren Abstand - direkt in der Situation dachte keiner in weltgeschichtlichen Epochen. Eher versuchte man die eigene Haut aus dem Chaos zu retten.Einer, der auch »dabei gewesen« ist, war Christian Friedrich Laukhard, wie Goethe ein Gelehrter und Autor. Aber er war nicht als Teil der Heerführung unterwegs, gut verpflegt, mit Pferd und Diener, sondern als einfacher Soldat - oft im Freien kampierend, hungernd, frierend, durchnässt, teilweise barfuß. Wer Laukhard liest, lernt den Krieg aus der Sicht des »gemeinen Soldaten« kennen. Man weiß nicht recht, wo man ist, verliert mehr Kameraden durch Hunger und Ruhr als durch den Feind, man befolgt unsinnige Befehle, hat Zweifel am Sinn des Ganzen. Laukhard hat durchaus Sympathien für die Revolution und misstraut der Propaganda. Wer Laukhard liest, lernt etwas über die Eigendynamik des Krieges, wo aus Hunger geplündert wird, Gewalt mehr Gewalt erzeugt und am Ende jeder sich selbst am nächsten ist. Dabei behält Laukhard immer seinen unverwechselbaren Blick, verliert nie seinen mal verschmitzten, mal sarkastischen Humor und seine Fähigkeit zur scharfen Analyse. Und er hat immer im Auge, worauf es in egal welchen Umständen am meisten ankommt: die Menschlichkeit.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Friedrich Christian Laukhard mag hochgebildet gewesen sein, Sohn eines Pfarrers, studierter Theologe, Autor, Freigeist, und großer - ja radikaler Verfechter der Aufklärung, weiß Rezensent Lothar Müller. In seinem nun neu aufgelegten autobiografischen Kriegsbericht jedoch zeigt er sich als einfacher Musketier, sprachgewandt ohne Frage, mit einem scharfen Auge und einer noch schärferen Zunge, aber eben doch einer von Vielen, deren Hauptaufgabe und größtes Elend übrigens mehr in der Selbsterhaltung bestand als im Gefecht - anders als es so oft durch solche dargestellt wird, die eben nicht wirklich dabei waren, weiß der Kritiker. In den lebendigen und detaillierten, oft schockierenden Schilderungen des Elends und der alltäglichen Notwendigkeiten in der preußischen Invasionsarmee, besteht der besondere historische und auch literarische Wert von Laukhards Schrift, so Müller. Mit ihm "habe das Fußvolk ein Sprachrohr" gewonnen. Um zu hören, was aus diesem Rohr tönt jedoch, braucht man starke Nerven, warnt der Rezensent noch vor.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2022Da geben sie ihr Achtgroschen-Leben hin
Auch er war in Valmy: Friedrich Christian Laukhards Bericht von seiner Teilnahme am Ersten Koalitionskrieg als gemeiner Soldat
Den einen wehte der Weltgeist an, den andern der Gestank des Todes. "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen", will Johann Wolfgang von Goethe am Abend des 20. September 1792 nach der sogenannten "Kanonade von Valmy" orakelt haben. Es spricht alles dagegen, dass er den Ausspruch damals tatsächlich getan hat. Es war ja noch gar nicht absehbar, dass die mit 34 000 Mann angreifende preußisch-österreichische Interventionsarmee, die aufgebrochen war, um den "aufständischen Pöbel" zu zerstreuen, die revolutionäre Regierung ab- und Ludwig XVI. wieder als Staatsoberhaupt einzusetzen, und die bei diesem Artilleriegefecht vom eilig aufgestellten, etwa 50 000 Mann starken Heer des revolutionären Frankreichs zurückgeschlagen worden war, ein paar Tage darauf den Rückzug antreten würde. Aber als er seine Erinnerungen an die "Campagne in Frankreich" dreißig Jahre später zu Papier brachte, war "Valmy" bereits geschichtsmächtig geworden - am Tag darauf war der König für abgesetzt erklärt und die Republik ausgerufen worden -, und geschichtsmächtige Augenblicke, "Zeitenwenden", brauchen offenbar wenn schon nicht markige, dann zumindest markante Worte.
Jedenfalls war Goethe dabei - mit Kutsche, Reitpferd und Diener in Begleitung seines Fürsten, des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar, und im Tross des Heerführers, des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel. Dabei war auch Friedrich Christian Laukhard, allerdings nicht hoch zu Ross, sondern als Fußsoldat, als gemeiner preußischer Musketier, und der hatte nach wochenlangem Waten durch knietiefen Schlamm und nach der "Kanonade" - die keine Schlacht war, sondern ein mehrstündiges Sichbeschießen - sicher nicht die Muße, über Epochenbrüche zu sinnieren. Auf französischer Seite soll es ungefähr dreihundert Tote gegeben haben, aufseiten der Koalition knapp zweihundert. Die kalte Nacht darauf, schätzt Laukhard, dürfte "mehr Preußen hingerafft" haben als das Treffen. Die unter freiem Himmel kampierenden Truppen waren durch den kräftezehrenden Anmarsch, durch Nässe, Kälte, Hunger und die grassierende Ruhr schon zuvor praktisch kampfunfähig gewesen.
Auch er in der Champagne also, der "berühmt-berüchtigte Magister Laukhard", der, 1757 in eine gut situierte pfälzische Predigerfamilie geboren, spätestens mit seiner ausschweifenden Gießener Studentenzeit jeglichen gesellschaftlichen Kredit verspielt hatte. Das Theologische Konsistorium charakterisierte ihn 1783 in einem Bericht an den Landgrafen, den dieser auf eine Bewerbung Laukhards um Aufnahme in hessen-darmstädtische Dienste hin angefordert hatte, als "ein höchst unwürdiges Subjekt und als einen Abschaum der Menschheit". Trotz Habilitation war er an der Universität unerwünscht. Zur Unperson erklärt, mit Schulden überhäuft, hatte er Ende 1783 den Entschluss gefasst, sich als Soldat einzuschreiben, und war am 14. Juni 1792 von Halle aus im Thadden'schen Regiment in den Ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich aufgebrochen.
Und auch er zeichnete seine Erlebnisse auf, allerdings nicht dreißig Jahre im Nachhinein, sondern mitten im Getümmel des Feldzugs, und schickte diese fortlaufenden Berichte seinem Hallenser Freund Franz Heinrich Bispink, der sie sammelte und unter dem Titel "Briefe eines preußischen Augenzeugen über den Feldzug des Herzogs von Braunschweig gegen die Neufranken" zum Druck beförderte, anonym und ohne Verlagsangabe. 1796 ließ Laukhard seine Kriegserlebnisse unter Einarbeitung inzwischen erschienener einschlägiger Schriften als "Dritten Teil" seiner Autobiographie "Leben und Schicksale" erscheinen, die er als exemplarische Geschichte einer sozialen Deklassierung anlegte. Er wollte an seiner Person erweisen, "daß man bei sehr guter Anlage und recht gutem Herzen ein kreuzliederlicher Kerl werden und sein ganzes Glück ruinieren kann".
Seine "Kampagne in Frankreich", die nunmehr orthographisch und grammatisch modernisiert und mit knappen Kommentaren erläutert vorliegt, hat nichts an Unmittelbarkeit und Frische verloren und damit auch nichts an Drastik. Laukhard schildert den Krieg aus der Sicht des "gemeinen Soldaten", ungeschminkt und alles andere als heroisch: seine Kameraden, die durchnässt, verdreckt und verlaust aus ihren schlammverkrusteten Zelten kriechen "wie die Säue aus ihren Ställen"; die Todesangst, nicht Todesverachtung in der Schlacht; Tote, die unbestattet liegen gelassen werden; in den Feldlazaretten - "Mordlöcher", in denen Verwundete und Erkrankte "so schlecht verpflegt werden, dass sie ihr Achtgroschen-Leben elender aufgeben müssen, als das elendeste Vieh" - an Ruhr gestorbene und in ihren blutigen Exkrementen liegende Soldaten; Verwundete, die zu Hunderten zurückgelassen werden.
Freigeist, der er ist, macht Laukhard keinen Hehl aus seiner Sympathie für die revolutionären "Neufranken", die, wie er aus zahlreichen Gesprächen auf dem Anmarsch weiß, "durch die Revolution von jeder Seite durchaus gewonnen" haben, die nun, frei von Bedrückung, "ihres Lebens, wie ihrer Arbeit froh" werden, die jetzt "fühlten, dass sie Menschen wären, und nicht mehr Sklaven des Edelmanns und der Priester". Er berichtet "durchaus unpartheyisch" und hält Vorfälle, "welche unserm Militär eben keine Ehre machen", ebenso fest wie die Exzesse der Terreur.
Laukhard war ganz nah dran, er hatte aber auch den Blick fürs "große Ganze", und das schon während des Feldzugs. Ihm war klar: "Den Krieg der Neufränkischen Waffen kann man beendigen, aber nicht den Krieg ihres Systems. Dies hat so viel unversöhnliche Verbündete, als es Despotisch-Bedrückte gibt." Er misstraute der alliierten Propaganda, hasste die (adeligen) Émigrés - "Blutegel", "Gesindel", "Auswurf aller Nationen" -, deren Hetze die kriegerische Intervention erst angezettelt habe, die Arroganz der Armeeführung, die damit rechnete, dass die französischen Freiwilligen scharenweise überlaufen würden, und ungedeckt und unbekümmert um den Nachschub ins Feindesland eindrang und sich vom Gegner ausmanövrieren ließ. Und er benannte illusionslos die Eigendynamik des Kriegs: Gewalt erzeugt Gewalt, Krieg bedeutet Elend, Unglück, Verrohung. Die Exzesse, die auf deutsches Territorium vorstoßende französische Truppen begangen haben, wen könnten die verwundern, war doch der Zug der Interventionsarmee ein einziges Plündern und Brandschatzen gewesen. Man müsse "die von den deutschen, besonders von den östreichischen (...) Truppen begangenen Gräuel vor Augen haben, wenn man von dem Betragen der Franzosen in der Pfalz und anderwärts ein richtiges Urteil fällen" wolle.
Mag das Nachwort ein wenig brachial damalige Verhältnisse auf heutige umlegen - Goethe als "eine Art ,embedded reporter'", Laukhard als "Whistleblower" -, unabweisbar gültig war und ist Laukhards Einsicht: "Wie viel lasterhafte Menschen und wie viel Elende und Unglückliche hat der jetzige Krieg nicht schon gemacht! (...) Die Laster und das Elend, welche der Krieg mit sich bringt, sind freilich Accidenze (Nebensächlichkeiten), wie die Herren Jerusalem, Herder, Iselin und andre große Männer sprechen. Aber es sind doch Accidenze, welche aus dem Wesen des Kriegs selbst fließen, folglich davon unzertrennlich sind." WALTER SCHÜBLER
Christian Friedrich Laukhard: "Meine Kampagne in Frankreich".
Hrsg. und Nachwort von R. Kaiser, W. Hörner, T. Roth und St. Reiserer. Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022. 398 S., geb., 26,- Euro
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Auch er war in Valmy: Friedrich Christian Laukhards Bericht von seiner Teilnahme am Ersten Koalitionskrieg als gemeiner Soldat
Den einen wehte der Weltgeist an, den andern der Gestank des Todes. "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen", will Johann Wolfgang von Goethe am Abend des 20. September 1792 nach der sogenannten "Kanonade von Valmy" orakelt haben. Es spricht alles dagegen, dass er den Ausspruch damals tatsächlich getan hat. Es war ja noch gar nicht absehbar, dass die mit 34 000 Mann angreifende preußisch-österreichische Interventionsarmee, die aufgebrochen war, um den "aufständischen Pöbel" zu zerstreuen, die revolutionäre Regierung ab- und Ludwig XVI. wieder als Staatsoberhaupt einzusetzen, und die bei diesem Artilleriegefecht vom eilig aufgestellten, etwa 50 000 Mann starken Heer des revolutionären Frankreichs zurückgeschlagen worden war, ein paar Tage darauf den Rückzug antreten würde. Aber als er seine Erinnerungen an die "Campagne in Frankreich" dreißig Jahre später zu Papier brachte, war "Valmy" bereits geschichtsmächtig geworden - am Tag darauf war der König für abgesetzt erklärt und die Republik ausgerufen worden -, und geschichtsmächtige Augenblicke, "Zeitenwenden", brauchen offenbar wenn schon nicht markige, dann zumindest markante Worte.
Jedenfalls war Goethe dabei - mit Kutsche, Reitpferd und Diener in Begleitung seines Fürsten, des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar, und im Tross des Heerführers, des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel. Dabei war auch Friedrich Christian Laukhard, allerdings nicht hoch zu Ross, sondern als Fußsoldat, als gemeiner preußischer Musketier, und der hatte nach wochenlangem Waten durch knietiefen Schlamm und nach der "Kanonade" - die keine Schlacht war, sondern ein mehrstündiges Sichbeschießen - sicher nicht die Muße, über Epochenbrüche zu sinnieren. Auf französischer Seite soll es ungefähr dreihundert Tote gegeben haben, aufseiten der Koalition knapp zweihundert. Die kalte Nacht darauf, schätzt Laukhard, dürfte "mehr Preußen hingerafft" haben als das Treffen. Die unter freiem Himmel kampierenden Truppen waren durch den kräftezehrenden Anmarsch, durch Nässe, Kälte, Hunger und die grassierende Ruhr schon zuvor praktisch kampfunfähig gewesen.
Auch er in der Champagne also, der "berühmt-berüchtigte Magister Laukhard", der, 1757 in eine gut situierte pfälzische Predigerfamilie geboren, spätestens mit seiner ausschweifenden Gießener Studentenzeit jeglichen gesellschaftlichen Kredit verspielt hatte. Das Theologische Konsistorium charakterisierte ihn 1783 in einem Bericht an den Landgrafen, den dieser auf eine Bewerbung Laukhards um Aufnahme in hessen-darmstädtische Dienste hin angefordert hatte, als "ein höchst unwürdiges Subjekt und als einen Abschaum der Menschheit". Trotz Habilitation war er an der Universität unerwünscht. Zur Unperson erklärt, mit Schulden überhäuft, hatte er Ende 1783 den Entschluss gefasst, sich als Soldat einzuschreiben, und war am 14. Juni 1792 von Halle aus im Thadden'schen Regiment in den Ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich aufgebrochen.
Und auch er zeichnete seine Erlebnisse auf, allerdings nicht dreißig Jahre im Nachhinein, sondern mitten im Getümmel des Feldzugs, und schickte diese fortlaufenden Berichte seinem Hallenser Freund Franz Heinrich Bispink, der sie sammelte und unter dem Titel "Briefe eines preußischen Augenzeugen über den Feldzug des Herzogs von Braunschweig gegen die Neufranken" zum Druck beförderte, anonym und ohne Verlagsangabe. 1796 ließ Laukhard seine Kriegserlebnisse unter Einarbeitung inzwischen erschienener einschlägiger Schriften als "Dritten Teil" seiner Autobiographie "Leben und Schicksale" erscheinen, die er als exemplarische Geschichte einer sozialen Deklassierung anlegte. Er wollte an seiner Person erweisen, "daß man bei sehr guter Anlage und recht gutem Herzen ein kreuzliederlicher Kerl werden und sein ganzes Glück ruinieren kann".
Seine "Kampagne in Frankreich", die nunmehr orthographisch und grammatisch modernisiert und mit knappen Kommentaren erläutert vorliegt, hat nichts an Unmittelbarkeit und Frische verloren und damit auch nichts an Drastik. Laukhard schildert den Krieg aus der Sicht des "gemeinen Soldaten", ungeschminkt und alles andere als heroisch: seine Kameraden, die durchnässt, verdreckt und verlaust aus ihren schlammverkrusteten Zelten kriechen "wie die Säue aus ihren Ställen"; die Todesangst, nicht Todesverachtung in der Schlacht; Tote, die unbestattet liegen gelassen werden; in den Feldlazaretten - "Mordlöcher", in denen Verwundete und Erkrankte "so schlecht verpflegt werden, dass sie ihr Achtgroschen-Leben elender aufgeben müssen, als das elendeste Vieh" - an Ruhr gestorbene und in ihren blutigen Exkrementen liegende Soldaten; Verwundete, die zu Hunderten zurückgelassen werden.
Freigeist, der er ist, macht Laukhard keinen Hehl aus seiner Sympathie für die revolutionären "Neufranken", die, wie er aus zahlreichen Gesprächen auf dem Anmarsch weiß, "durch die Revolution von jeder Seite durchaus gewonnen" haben, die nun, frei von Bedrückung, "ihres Lebens, wie ihrer Arbeit froh" werden, die jetzt "fühlten, dass sie Menschen wären, und nicht mehr Sklaven des Edelmanns und der Priester". Er berichtet "durchaus unpartheyisch" und hält Vorfälle, "welche unserm Militär eben keine Ehre machen", ebenso fest wie die Exzesse der Terreur.
Laukhard war ganz nah dran, er hatte aber auch den Blick fürs "große Ganze", und das schon während des Feldzugs. Ihm war klar: "Den Krieg der Neufränkischen Waffen kann man beendigen, aber nicht den Krieg ihres Systems. Dies hat so viel unversöhnliche Verbündete, als es Despotisch-Bedrückte gibt." Er misstraute der alliierten Propaganda, hasste die (adeligen) Émigrés - "Blutegel", "Gesindel", "Auswurf aller Nationen" -, deren Hetze die kriegerische Intervention erst angezettelt habe, die Arroganz der Armeeführung, die damit rechnete, dass die französischen Freiwilligen scharenweise überlaufen würden, und ungedeckt und unbekümmert um den Nachschub ins Feindesland eindrang und sich vom Gegner ausmanövrieren ließ. Und er benannte illusionslos die Eigendynamik des Kriegs: Gewalt erzeugt Gewalt, Krieg bedeutet Elend, Unglück, Verrohung. Die Exzesse, die auf deutsches Territorium vorstoßende französische Truppen begangen haben, wen könnten die verwundern, war doch der Zug der Interventionsarmee ein einziges Plündern und Brandschatzen gewesen. Man müsse "die von den deutschen, besonders von den östreichischen (...) Truppen begangenen Gräuel vor Augen haben, wenn man von dem Betragen der Franzosen in der Pfalz und anderwärts ein richtiges Urteil fällen" wolle.
Mag das Nachwort ein wenig brachial damalige Verhältnisse auf heutige umlegen - Goethe als "eine Art ,embedded reporter'", Laukhard als "Whistleblower" -, unabweisbar gültig war und ist Laukhards Einsicht: "Wie viel lasterhafte Menschen und wie viel Elende und Unglückliche hat der jetzige Krieg nicht schon gemacht! (...) Die Laster und das Elend, welche der Krieg mit sich bringt, sind freilich Accidenze (Nebensächlichkeiten), wie die Herren Jerusalem, Herder, Iselin und andre große Männer sprechen. Aber es sind doch Accidenze, welche aus dem Wesen des Kriegs selbst fließen, folglich davon unzertrennlich sind." WALTER SCHÜBLER
Christian Friedrich Laukhard: "Meine Kampagne in Frankreich".
Hrsg. und Nachwort von R. Kaiser, W. Hörner, T. Roth und St. Reiserer. Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022. 398 S., geb., 26,- Euro
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