Pulp-Movie, Thriller, Komödie: Laura di Rimini ist ein explosives Gemisch. Laura mag keine Kriminalromane. Die Literatur-Studentin will ihre Prüfungen gut hinter sich bringen, sonst nichts. Doch als sie bei ihrer Professorin einen Rucksack vertauscht, wird sie zur Gejagten in einem Kriminalthriller, bei dem sich die Ereignisse überschlagen - im falschen Rucksack stecken immerhin vier Kilo Kokain. Laura rennt, und bald ist ihr halb Bologna auf den Fersen. In einem wilden Spiel aus Zufall und böser Absicht bleibt undurchsichtig, wer die Guten und wer die Gangster sind. Wer steckt hinter der Bande, die mit Mickey-Maus-Masken den Prüfungssaal erstürmt? Wer hat mit hundert Dolchstichen die Professorin ermordet? Kann es sein, dass ein Abhörspezialist sein Herz an die Abgehörte verliert? Die hübsche Laura bringt russische Mafiosi genauso zur Verzweiflung wie korrupte Polizisten. Carlo Lucarelli ist ein Meister der Verwandlung. Schlag auf Schlag wechselt er die Perspektive und fängt seine Leser in Labyrinthen aus Spannung. Laura stolpert durch eine Welt von Schießereien und Autojagden - denen sie nur dank ihrer Eigenwilligkeit entkommt.
Carlo Lucarellis Krimi-Kunst: In seinem neuen Buch blüht das Böse
Längst ist die blaue Blume der Romantik verwelkt. Als ungleich haltbarer haben sich die Blumen des Bösen erwiesen, die eine Schwarze Romantik zum Blühen gebracht hat. Namentlich ihre melodramatische Spezies ließ sich in nahezu alle Gattungskulturen einkreuzen. Ihr evolutiver Triumph war dabei ihre Schwarzweißdramaturgie. In der Regel verkettet sich ein unschuldiges Wesen mit einem verbrecherischen. Vieles läßt sich in diesen Gegensatzzusammenhang eintragen: der nie endende Kampf zwischen Gut und Böse, Ordnung und Chaos, Trieb und Tugend - der Mensch in seinem ganzen Widerspruch. Insbesondere populäre Kunst hat daraus ihren Erfolg gezogen, Romane, Filme, das Kriminalgenre, Groschenhefte, Comics, Fantasy.
Dieses weite Feld bestellt auch einer der erfolgreichsten zeitgenössischen italienischen Autoren. Carlo Lucarelli schreibt schnell, gut, intelligent und unterhaltsam. Das können andere auch. Was seine fünfzehn Romane in zehn Jahren aber unterscheidet (und auszeichnet): Sie sind immer auch in einer zweiten, tieferen Hinsicht lesbar. Das jüngste Beispiel in deutscher Übersetzung heißt "Laura di Rimini". Sie studiert im vierten Semester Literatur in Bologna und besetzt in diesem Gangsterstück die Rolle der Unschuld; groß, brünett (nicht blond!), hübsch, in Jeans, Turnschuhen und Polohemd. Der Part des Guten wird ihr zeitgemäß zugeteilt: unauffällig normal und anständig.
Neben ihr, ebenso selbstverständlich, die perverse Normalität des Verbrechens. Durch einen Zufall verstricken sich die beiden so unterschiedlichen Welten ineinander. Auf einer Abschlußfeier verwechselt Laura ihren Rucksack. Statt mit ihren Habseligkeiten hat sie es jetzt mit vier Kilo reinstem Heroin zu tun. Der regionale Großverbrecher läßt die Unschuld verfolgen, und die Geschichte hat ihr bewegendes Problem: Wie reagiert ein "gutes" Mädchen auf diese Bedrohung durch das Böse? Die Pointe: ganz anders, als zu erwarten war. Gewiß, wie sollte sie keine Todesängste ausgestanden haben, "nachdem man auf sie geschossen hat, nachdem man an ihr herumgeschnippelt, sie verfolgt, gefesselt, gefoltert hat, nachdem sie eine Woche auf einer Raststätte gelebt, sich für einen (impotenten) Psychopathen ausgezogen und wer weiß wie viele Menschen sterben gesehen hat"? Das Wie und Was sollte der Lektüre vorbehalten bleiben.
Das Genre will in aller Regel, daß die "Unschuld" unbeschadet von ihrem Gang durch die Hölle zurückkehrt. Doch wie? Die erste Antwort ist eindeutig und hat ein wenig von der unerträglichen Leichtigkeit der Comic strips. In höchster Not greift stets ein deus ex machina ein, der rettende Zufall. Doch er hat, in zweiter Hinsicht, Methode. Das organisierte Verbrechen, so gibt Lucarelli zu verstehen, gerät in eine tödliche Krise, wenn seine Organisation nicht perfekt funktioniert. Eine solche Störung löst Laura aus. Die Agenten des Kartells verlieren die Ordnung und bringen sich selbst oder gegenseitig um - eine moderne Spielart der schönen, melodramatischen Illusion, daß das Böse sich zuletzt selbst zerstört.
Doch nicht darauf kommt es dem Autor an. Augenzwinkernd gibt er zu verstehen, daß, wer sich kadavergehorsam einer Ratio verschreibt, sich zum Klischee macht. Zum Zeichen dafür läßt er einige seiner Schurken mit burlesken Mickey-Mouse-Masken vorgehen. Andernorts zeigt er ihr wahres Gesicht dahinter: In Wirklichkeit leben sie wie in (Kriminal-)Filmen, die für sie die Wirklichkeit sind. In ihrer Welt geht Fiktion in Realität und Realität in Fiktion über. Mit anderen Worten: Sie können nicht mehr unterscheiden. Mit dem bittersüßen Nebeneffekt, daß auch der Roman über sie selbst wie ein Film geschrieben ist.
Laura aber überlebt - aus demselben Grund, warum ihre Gegner umkommen mußten. Natürlich kannte sie die massenhaften Verabreichungsformen von Kriminalität; die Blockbuster-Videos eines Freundes oder auch den einen oder anderen "Derrick" (!). Aber, so heißt es wiederholt, sie lehnte sie ab. Das war ihre Überlebenschance: Sie spielte die Hauptrolle in einem Thriller, hielt sich aber nicht an seine Dramaturgie. Wie sie reagieren würde, war für das Gegenspiel dadurch unvorhersehbar, so sehr, daß es glauben mußte, sein Film sei gerissen. Dieser Albtraum hat jedoch auch ihre Normalität verändert. Sie konnte zwar immer noch lächeln. Doch ihr Blick wurde, wenn es darauf ankam, "ernst und böse". Das ist Lucarellis Medienkritik durch die dunkle Brille des Verbrechens hindurch. Viel "Gutes" bleibt dabei nicht übrig. So viel immerhin: "Keine Sorge", sagt Laura zum Schluß, "ich komme immer durch." Normal also ist, wem es gelingt, sich die Fiktionen vom Leibe zu halten, die sich als Realität ausgeben.
WINFRIED WEHLE
Carlo Lucarelli: "Laura di Rimini". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Peter Klöss. DuMont Buchverlag, Köln 2004. 106 S., br., 9,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Carlo Lucarelli, der sich längst als "Könner" des Krimigenres erwiesen habe, enttäuscht Johann Maass auch mit diesem Roman nicht. Lucarelli schicke eine unbescholtene Studentin zwischen die Fronten der italienischen und russischen Mafia, "eine amüsante, teils groteske Szenerie", die sich dem Leser wie der Protagonistin erst nach und nach erschließe. In der Form orientiere sich Lucarelli am Kino, durch das fortwährende Hin- und Herschalten zwischen den Erzählinstanzen entsteht eine "teilweise verwirrende, multiperspektivische" Sicht, wie der Rezensent notiert. Die achronologische Anordnung der Szenen bewirkt bei Maass zudem den Eindruck einer "narrativen Beschleunigung", diese "Atemlosigkeit" sei dem Genre aber durchaus angemessen und zuträglich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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