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"Dick und Doof" spielen in vielen Kindheitserinnerungen als erste Erfahrungen mit Film eine große Rolle - von erwachsenen Cineasten aber sind Stan Laurel und Oliver Hardy im Gegensatz zu Charlie Chaplin oder Buster Keaton nur selten ernst genommen worden. Sven Hanuschek plädiert dafür, das Werk der beiden Komiker aus den USA noch einmal unvoreingenommen zu betrachten: in den vollständigen Filmen, die früher nur selten gezeigt wurden, inzwischen aber auf DVD zugänglich sind. Und plötzlich sieht man mehr als Tortenschlachten und Missgeschicke: eine doppelbödige Welt, in der die Unterschiede…mehr

Produktbeschreibung
"Dick und Doof" spielen in vielen Kindheitserinnerungen als erste Erfahrungen mit Film eine große Rolle - von erwachsenen Cineasten aber sind Stan Laurel und Oliver Hardy im Gegensatz zu Charlie Chaplin oder Buster Keaton nur selten ernst genommen worden. Sven Hanuschek plädiert dafür, das Werk der beiden Komiker aus den USA noch einmal unvoreingenommen zu betrachten: in den vollständigen Filmen, die früher nur selten gezeigt wurden, inzwischen aber auf DVD zugänglich sind. Und plötzlich sieht man mehr als Tortenschlachten und Missgeschicke: eine doppelbödige Welt, in der die Unterschiede zwischen Sein und Schein ins Wanken geraten, großes Kino auf der Höhe seiner Zeit.
Autorenporträt
Sven Hanuschek, geboren 1964, ist Publizist und Professor am Institut für deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zuletzt erschien bei Hanser Elias Canetti (Biographie, 2005), bei Zsolnay Laurel und Hardy (Eine Revision, 2010).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010

Autos kann man auf so viele Weisen zerlegen!

Auffahrt in den Olymp der hohen komischen Kunst: Sven Hanuschek weiß Stan Laurel und Oliver Hardy einen Platz unter den großen Clowns der Moderne zu sichern.

Von Michael Adrian

Dick und Doof - oder Stan und Ollie, wie wir lieber sagen wollen - brechen aus dem Gefängnis aus. Sie schnappen sich Pinsel und Farbeimer zweier Anstreicher im Gefängnishof, wenden ihre Sträflingsklamotten und marschieren in weißer Malerkluft unbehelligt durchs Tor. Dort allerdings läuft in diesem Moment ein Polizist vorbei, der das Paar misstrauisch beäugt. Was machen die beiden, um seinen Argwohn zu zerstreuen? Sie tun, was Maler tun, und streichen zunächst einmal an, was sich in Reichweite befindet: einen Prallstein zu ihren Füßen vor dem Gefängnistor. Um dann, gemächlich verfolgt von dem Gesetzeshüter, der seinen Augen nicht traut, einen Gang durch die Stadt zu unternehmen und alles zu weißen, was sich auf ihrem Weg befindet, Mauern, Geländer, Schaufenster, ein Auto, dessen Motorhaube Stan sogar öffnet, um auch dem Motor zu frischer Farbe zu verhelfen, während Ollie einen Strich auf dem Bürgersteig zieht, als wolle er dem ungläubigen Verfolger signalisieren: Über diese Linie darfst du aber nicht! Das geht so lange gut, bis Stan versehentlich auch den Hintern einer entsetzten Dame anstreicht - nun erst ergreifen sie die Flucht, und der Polizist stürzt hinterher.

Dieser beschwingte Gang durch Culver City, wo Produzent Hal Roach seine Filmstudios hatte, ist eine von vielen Szenen, die dem Münchner Germanisten Sven Hanuschek dazu dienen, die verbreitete Vorstellung von "Dick und Doof" als rein slapstickhafter Vorabendbelustigung für Kinder zu revidieren. "Diese Malerarbeit geht so verspielt, schwungvoll, harmonisch, tänzerisch vor sich, dass große Kunst daraus wird - die Sache selbst ist gar nicht weiter komisch, sehr wohl aber, wie sie ausagiert wird." Gegen diese Feststellung möchte man allenfalls einwenden, dass nach dem eindringlichen und informativen Porträt, welches der Autor von der komischen Kunst Stanley Laurels und Oliver Hardys zeichnet, in deren besten Momenten zwischen einer Sache selbst und ihrem Ausagieren gar nicht mehr zu unterscheiden ist.

Als sich der Brite und der Amerikaner nach mehreren Anläufen 1927 mit der Knastkomödie "The Second Hundred Years", der die geschilderte Sequenz entstammt, endgültig zu jenem paradigmatischen Clownspaar zusammenfinden, haben beide schon eine gute Wegstrecke Komikerlaufbahn hinter sich. Arthur Stanley Jefferson, der sich später Stan Laurel nannte, wurde 1890 in Ulverston in eine Komödianten- und Schauspielerfamilie hineingeboren und erkannte seine Berufung früh. In Music Halls und auf Dorfbühnen lernte er, komisch zu sein, auf ein Publikum zu reagieren und Sketche zu entwickeln. So gehörte etwa die Pantomime eines stürmischen Losrennens, ohne vom Fleck zu kommen, zu dem Handwerkszeug, das er sich in dieser Zeit erarbeitete. Mit einer Wandertheatergruppe ging er auf Tournee in die Vereinigten Staaten, als zweite Besetzung seines Kollegen Charlie Chaplin. Als Chaplin 1913 zum Film ging und seinen kometenhaften Aufstieg begann, verdingte sich Laurel gelegentlich als Chaplin-Imitator, bemühte sich aber vor allem, mit seiner Bühnenpartnerin und Lebensgefährtin Mae Dahlberg eine eigene komische Figur zu entwickeln. Zu unzähligen Vaudeville-Auftritten kamen ab 1917 rund sechzig Filmrollen, bevor er zum ersten Mal zusammen mit Oliver Hardy vor der Kamera stand.

Dieser Norvell Hardy, wie das Südstaatenkind aus Georgia ursprünglich hieß, war von Geburt an ein korpulenter Junge, der sich als Außenseiter empfand und als Witzbold zu produzieren suchte, um Anerkennung zu finden. Seine wichtigste Schule, sagte er einmal, habe darin bestanden, in der Lobby des von seiner Mutter geführten Hotels zu sitzen und die Attitüden der Gäste zu beobachten. Als Kameraassistent kam er auf klassische Weise zum Film, wurde 1914 erstmals besetzt, weil man kurzfristig einen dicken jungen Mann brauchte, und hatte, bevor die enge Zusammenarbeit mit Hardy begann, etwa 270 Filmauftritte absolviert.

Professionalität, Erfahrung und das schiere Können der beiden bilden einen roten Faden in Hanuscheks kenntnisreichem Rundgang durch ihr gemeinsames Werk. Er macht aufmerksam auf das bewegliche Spiel des Dicken, der agil mit dem ganzen Körper zu agieren weiß, den Sinn für Timing und die wache Intelligenz des Dünnen sowie beider "Eleganz in Sackhosen", wenn sie eine Tanzeinlage bieten. Nachdem sich das komische Paar Stan und Ollie herauskristallisiert hat, verleihen Laurel und Hardy ihren Figuren Zug um Zug jenen Charme, der Dick und Doof - respektive El Gordo und El Flaco, Stanlio und Ollio, Helan und Halvan, Crick und Crok, Sisman und Zaif, Gøg und Gokke, Flip und Flap, Dikke und Dunne, Chondros und Highos - weltweit die Herzen zufliegen ließ. Wem stünde nicht Stans greinendes Kindergesicht vor Augen, mit dem er auf eigene Fehlleistungen oder die böse sich vor ihm auftürmende Welt reagiert, und Ollies wie aus der Zeit gefallene Mischung aus von sich selbst überzeugter Bonhomie und beflissen formvollendeter Höflichkeit, mit der er seiner Umgebung jenen Respekt erweisen will, den diese ihm häufig versagt. Oder seine vielsagend resignierten Blicke in die Kamera, mit denen er wortlos Stans Pleiten kommentiert - sie erfolgen nicht nebenbei, schreibt Hanuschek, sondern sind "ausgespielte, ausführliche Höhepunkte der Filme". Manchmal, wie er uns ebenfalls wissen lässt, aber auch schlicht eine Reaktion darauf, dass Laurel die Drehzeit verlängerte und Hardy damit um seine tägliche Partie Golf brachte.

Laurel, zunächst als Regisseur und Autor angeheuert, ist bei vielen ihrer Filme vom ursprünglichen Einfall über das Drehbuch bis zur Regie auf jeder Ebene beteiligt, oft federführend. Die Liebe zum Detail und überhaupt die Liebe, die die beiden in ihre rund hundert gemeinsamen kurzen und langen Filme hineinlegten, ist gewiss einer der Gründe von deren Gelingen. Ein anderer besteht in der Radikalität ihrer komischen Maßnahmen: Die Torte im Gesicht war zu ihrer Zeit bereits so abgegriffen, dass Laurel und Hardy 1927/28 beschlossen, einen endgültigen Tortenwurffilm zu drehen, den nicht mehr vollständig erhaltenen "The Battle of the Century". Viertausend Backwerke wurden hier für eine Eskalationskette verbraucht, bei der sich schließlich eine straßenfüllende Menschenmenge die sahnigen Massen ins Gesicht schleudert.

Keinen geringeren als Stanley Kubrick hat dies zur Nachahmung angeregt. Dessen eigene Megatortenschlacht schaffte es freilich nicht in die Endfassung von "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben". Die Eskalationskette entwickelte sich zu einem Grundprinzip der Komik des Duos, das konsequent dem negativen Potential der Dingwelt nachspürte: In einem weiteren Klassiker, "Two Tars" von 1928, bewirken die beiden in einer Serie sich steigernder Vergeltungsaktionen die Zerstörung einer ganzen Schlange von Automobilen. Auf genussvoll anarchistische Weise einzig an der Frage interessiert, wie man sie denn noch kaputtmachen kann, werden hier die Ford-Ts, Statussymbole des individuellen Wohlstandsversprechens, reihenweise zerlegt.

Aber natürlich ist es vor allem das komische Paar selbst, von dem der Zauber ausgeht, den Hanuschek unter immer neuen thematischen Vorzeichen umkreist. Einerseits sind Stan und Ollie ein Clownsduo klassischen Zuschnitts, mit Fliege und Krawatte, der obligatorischen Melone und weißgeschminkten Gesichtern. (Auf diese Clownsmaske werden sie erst in den späteren Langfilmen verzichten, womit sie auch schlagartig ihr wahres Alter zutage treten lassen.) Aber dann ist da eben auch ihr "speziell freundschaftliches Herr-Knecht-Verhältnis", wie es im Buch heißt. Bei aller drolligen Negativität ihres Kampfs und Krampfs um Anerkennung wirkt das Gehaue und Geschubse zwischen ihnen dabei doch immer wie eine Form von Vergesellschaftung schlechthin, ein Band der Freundschaft, wie sie auch im wirklichen Leben zwischen beiden Komikern bestand.

Von der Welt jedoch prallen Stan und Ollie letztlich immer wieder ab, wie sehr sie sich auch bemühen, ein normales Leben zu führen. Ob die beiden zu Beginn eines Films als Polizist oder Sträfling, Firmenchef oder Arbeitsloser, Fischverkäufer oder Matrose, Boxer oder Butler antreten - mit größter Wahrscheinlichkeit sind sie an seinem Ende wieder auf sich selbst zurückgeworfen, und das heißt häufig, auf die Straße. Hanuschek vergleicht sie mit Hobos, Wanderarbeitern, deren stolze Unabhängigkeit er betont. Fast möchte man meinen, Laurel und Hardy hätten die rastlose Existenz der Wanderbühnenschauspieler über die Serialität der groteskkomischen Kurzfilme, die ihnen immer neue komische Niederlagen auf den immer gleichen Leib schneiderte, in die universelle Metapher ihrer beiden metaphysisch unbehausten Clowns überführt. Für Samuel Beckett jedenfalls wären sie eine Idealbesetzung seines "Warten auf Godot" gewesen.

In konzentrischen Kreisen, die sich zugleich geschickt biographisch voranbewegen, versucht Sven Hanuschek das Moment komischer Kunst bei Laurel und Hardy zu fassen und eine durch lieblose Zusammenschnitte geprägte Rezeption zu korrigieren, die die Komik der beiden vor allem auf den - zweifellos reichlich vorhandenen - Slapstick reduzierte. Der lustige Einfall, seine groteske Durchführung mit perfektem Sinn fürs Timing etwa in Form der berühmten verzögerten Reaktion ("slowburn"), die Verweigerung einer konventionellen Dramaturgie, das ist das eine. In den besten Momenten aber erhebt sich auf dieser Grundlage eine hübsche reine Sinnlosigkeit, ein komisches Nichts, das seinen Anlass hinter sich lässt. Beispielhaft führt es der Autor anhand des "tie-twiddling" aus: Die Geste, mit der Ollie an seiner Krawatte zwirbelt, sobald er mit Frauen oder Autoritätspersonen konfrontiert ist, löst sich in der Wiederholung von ihren Anlässen, wird zu einer komischen Reaktion von höherer Sinnlosigkeit, "die im Unklaren bleibt - reine Form, selbstgenügsame Kunst".

Hanuschek hat sich eine Revision zum Ziel gesetzt, die Stan & Ollie neben Charlie Chaplin und Buster Keaton in den Olymp der großen melancholischen Clowns der ästhetischen Moderne erheben soll. Ob es gelingen kann, das Bild von der "Klamotte" zu übermalen, als die "Dick & Doof" im Gedächtnis geblieben sind, sei dahingestellt. Der Revisionsprozess selbst aber ist ein lehrreiches Vergnügen - und ein eindringliches Plädoyer dafür, die Unterhaltungsprodukte der Filmindustrie mit nicht weniger Achtsamkeit und Sinn fürs Detail zu betrachten, als in sie hineingelegt wurde.

Sven Hanuschek: "Laurel & Hardy". Eine Revision. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010. 219 S., br., Abb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieser Band ist, obwohl der Autor Sven Hanuschek Germanistik-Professor in München ist, keine wissenschaftliche Studie im engeren Sinn, sondern ein Essay. In mehreren Anläufen nähere sich der Verfasser dem Komikerpaar, seinem Leben wie seinem Werk, und stets ist das, was er dabei herausarbeitet, nach Ansicht des Rezensenten Michael Adrian interessant. Der Grundimpetus liegt darin, Laurel & Hardy aus dem Vorurteilskäfig, in den sie als "Dick & Doof" in Deutschland gesteckt wurden, zu befreien. Das heißt auch: zu erklären, warum sie in einem Atemzug mit den Ikonen Charlie Chaplin (mit dem Stan Laurel im übrigen aus England in die USA gelangte) und Buster Keaton genannt zu werden verdienen. Als aus dem Slapstick der Komiker entbundenen Höhepunkt ihrer Kunst begreift Hanuschek dabei jene Momente, in denen etwa in Oliver Hardys Krawattenzwirbeln eine "hübsche reine Sinnlosigkeit" entstehe. Der Rezensent beschränkt sich weitgehend auf die Wiedergabe des Inhalts, hat dieses Buch aber fraglos gerne und mit Gewinn gelesen.

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