Thomas Edward Lawrence erlangte Weltruhm unter dem Namen Lawrence von Arabien, nicht zuletzt durch den berühmten Film von David Lean - in der Hauptrolle mit Peter O'Toole. Peter Thorau zeigt den doppelgesichtigen Mann hinter den Mythen und schildert kenntnisreich und spannend die dramatischen Ereignisse des Ersten Weltkriegs im Vorderen Orient.
Lawrence' Buch 'Die sieben Säulen der Weisheit' wurde zu einem Klassiker der Weltliteratur. In dieser faszinierenden autobiographischen Darstellung schildert er die arabische Revolte gegen das Osmanische Reich und seine eigene Rolle darin. Doch schuf er damit zugleich die Voraussetzungen für die zahlreichen Legenden, die in der Folgezeit seine Lebensgeschichte umrankten. Peter Thorau legt nun eine konzise Biographie des Oxford-Absolventen, Archäologen, britischen Offiziers und Anführers der Beduinen vor, die auch auf arabische und türkische Quellen zurückgreift.
Lawrence' Buch 'Die sieben Säulen der Weisheit' wurde zu einem Klassiker der Weltliteratur. In dieser faszinierenden autobiographischen Darstellung schildert er die arabische Revolte gegen das Osmanische Reich und seine eigene Rolle darin. Doch schuf er damit zugleich die Voraussetzungen für die zahlreichen Legenden, die in der Folgezeit seine Lebensgeschichte umrankten. Peter Thorau legt nun eine konzise Biographie des Oxford-Absolventen, Archäologen, britischen Offiziers und Anführers der Beduinen vor, die auch auf arabische und türkische Quellen zurückgreift.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2010In der Wüste
bricht das Ich
Peter Thorau räumt sehr gründlich mit dem Mythos von
Lawrence von Arabien auf Von Stefan Weidner
Mit dem 1888 in Wales geborenen Thomas Edward Lawrence begegnet uns noch heute ein widersprüchlicher, kaum fassbarer Charakter. Der mit dem Hollywoodfilm aus dem Jahr 1962 und seinen großartigen Schauspielern – Peter O’Toole als Lawrence, ferner Alec Guinness, Omar Sharif, Antony Quinn – einer weltweiten Öffentlichkeit bekannt gewordene „Lawrence von Arabien“ war jedoch schon lange vorher ein Produkt der Massenmedien und der kollektiven Phantasie gewesen. Die Janusköpfigkeit von öffentlicher und privater Figur prägt die Auseinandersetzung mit ihm bis in die Gegenwart.
Standen die ersten, noch zu Lebzeiten erschienenen Biographien im Bann der Legenden oder versuchten sich an ihrer oft nicht weniger phantastischen Widerlegung, so schlägt sich die bislang genaueste Darstellung, die von dem Engländer Jeremy Wilson stammt (seit 1999 auch auf deutsch), auf die Seite des Privatmanns. Da Wilsons 700-seitige Biographie an Ausführlichkeit nicht zu überbieten ist, muss sich jeder neue Versuch von dessen Herangehensweise abgrenzen. Peter Thorau, Historiker an der Universität Saarbrücken mit Schwerpunkt auf der Zeit der Kreuzzüge, geht nun davon aus, dass „Lawrence von Arabien“ ein mehr oder weniger bewusstes Produkt von Thomas Edward Lawrence selbst ist. Öffentliche und private Person werden mit einem für den vermeintlichen Helden wenig schmeichelhaften Ergebnis gegeneinander ausgespielt.
Da Lawrence zwar schon zu Lebzeiten zum Mythos wurde, doch sein (wenig aufregendes) Privatleben vor der zudringlichen Presse abschottete, steht Thoraus Ausgangsthese auf wackligen Füßen. In kaum einem Moment seiner späteren Laufbahn fühlte sich Lawrence mit der öffentlichen Darstellung seiner Person identisch. Dies führte unter anderem dazu, dass er, der ein reicher und von den Frauen umschwärmter Mann hätte sein können, ständige Geldsorgen hatte und Zeit seines Lebens zu keiner erotischen Beziehung fähig war. Einer akademischen Karriere als Archäologe im heimischen Oxford zog er die jahrelange Feldforschung unter spartanischen Bedingungen auf einer syrischen Ausgrabungsstätte vor. Die Widerspenstigkeit von Lawrence gegen mediale, aber auch institutionelle Vereinnahmung (leicht hätte er unter Churchill im Kolonialministerium Karriere machen können) lässt sich schwer mit der Vorstellung vereinbaren, dass Lawrence vor allem ein Hochstapler war, der an den eigenen Legenden kräftig mitgestrickt hat, ohne realhistorisch irgendwie bedeutend gewesen zu sein.
Letzteres ist freilich nicht falsch: Von dem, was Lawrence im Ersten Weltkrieg militärisch und politisch im Nahen Osten bewirkt hat, zunächst als britischer Verbindungsoffizier bei der arabischen Rebellenarmee im Kampf gegen die Türken, dann als Berater im Kolonialministerium, ist wenig übrig. Allenfalls dürfte die Existenz des Königreichs Jordanien seiner Initiative mit zu verdanken sein, wobei seine exakte Rolle schwer zu ermessen ist. Wer daher Lawrence immer noch als den Befreier der Araber vom „türkischen Joch“ sieht, wie es die populäre Darstellung seit jeher will, überschätzt seine historische Bedeutung maßlos, wie Thorau richtig feststellt. Doch bereits in jenem Hollywoodfilm von David Lean, der die heroischen Aspekte kräftig ausmalt, erscheint Lawrence als von Zweifeln geprägte Figur – ganz so, wie er sich selbst ungeachtet mancher Übertreibungen in seinem großen Kriegsmemoirenwerk „Die Sieben Säulen der Weisheit“ selbst darstellt.
Seinem Selbstverständnis und kühnsten Wunsch nach war er nämlich vor allem dies: Schriftsteller. Auch Thorau sieht Lawrences größte Leistungen auf schriftstellerischem Gebiet, obwohl er neben seinem Hauptwerk fast nur Briefe hinterlassen hat. Freilich ist die Schriftstellerei von T. E. Lawrence nicht weniger janusköpfig. Er hatte ein Werk mit dem Titel „Die Sieben Säulen der Weisheit“ bereits während seiner Zeit als Archäologe in Syrien geplant. Als das Buch später unter demselben Titel, aber nun mit den Kriegserlebnissen zum Inhalt erschien, galt er bereits als Berühmtheit. Unweigerlich musste daher ein literarisch und stilistisch noch so ambitionierter Erfahrungsbericht an seinem Ruhm mitschreiben und ihn verstärken. Für ihn selbst dürfte es sich anders dargestellt haben: Er wollte den Mythos richtigstellen. Ob von ihm mitverursacht oder nicht, war ihm seine Berühmtheit zu einer unerträglichen Last geworden.
Die Entstehung des Lawrence-Mythos ist ursprünglich ein Teil der offiziellen Propaganda im Ersten Weltkrieg gewesen. Um die amerikanische Öffentlichkeit für die Sache der Alliierten zu gewinnen, schickte das britische Kriegsministerium ein amerikanisches Presseteam zur arabischen Rebellenarmee und ihrem Verbindungsoffizier. Der Journalist Lowell Thomas und sein Fotograf erkannten sofort die mediale Verwertbarkeit von Lawrences Aktionen. Nach dem Krieg konzipierte Thomas mit dem im Nahen Osten geschossenen Bildmaterial einen Vortrag über Lawrence auf dem neuesten Stand der Technik, mit Filmsequenzen und kolorierten Dias.
Über eine Million Menschen, darunter Mitglieder der königlichen Familie und führende Politiker, besuchten innerhalb von vier Monaten die ab September 1919 gehaltenen Vorträge in London. Lawrence ging zu dem Spektakel auf maximale Distanz. Am 10. Januar 1920 berichtet er an seinen Bekannten A. J. Murray: „Sie (die Vorträge) sind so widerwärtig wie nur möglich und erschweren mir das Leben sehr, da ich weder das Geld noch den Wunsch habe, meine Dauerrolle als Hochstapler, als den er mich hinstellt, aufrechtzuerhalten. (. . .) Man wüsste wirklich nicht, wo man mit dem Zurechtrücken anfangen sollte.“
Die Neugier der Presse wurde durch Lawrences Geheimnistuerei über seinen weiteren Werdegang verstärkt. Mit Billigung der Armeeführung trat er 1922 unter falschem Namen als einfacher Fliegersoldat erneut in die Armee ein (im Krieg war er bis zum Oberst befördert worden). Als das Inkognito aufflog, überschlugen sich die Gerüchte. Um die Presse von ihm fernzuhalten, wurde er im Sommer 1928 nach Waziristan nahe der afghanischen Grenze im damaligen Britisch-Indien versetzt. Als dies durchsickerte, war in den Londoner Evening News am 26. September 1928 die absurde Überschrift zu lesen: „Lawrence von Arabien in geheimer Mission. Bekämpft Aktivitäten der Roten in Panjab. Tritt als heiliger Mann auf. Bannt den bösen Blick und heilt Krankheiten.“ Tatsächlich war Lawrence nie in Afghanistan. Vielmehr übersetzte er, um sich ein wenig Geld dazu zu verdienen, auf dem verschlafenen Außenposten Homers „Odyssee“ neu aus dem Altgriechischen – selten dürften Gerüchte so sehr an der Realität vorbeigegangen sein. Als er nach England zurückkehrte, wartete am Hafen bereits ein Pulk von Journalisten auf ihn. Und so zynisch es klingt: Sein früher Tod, ein Motorradunfall im Jahr 1935, setzte seinem mythischen Potential das I-Tüpfelchen auf.
Lawrences Verweigerungshaltung gegenüber den Medien, seine Nicht-Anfälligkeit für die Verlockungen durch Reichtum und gesellschaftliche Stellung hätten das Zeug, auch uns noch für diesen widerspenstigen Helden einzunehmen. Aber Peter Thorau nimmt ihm in seiner neuen Biographie diese Rolle nicht ab. Jede wichtige Aussage von Lawrence, die sich nicht offensichtlich beweisen lässt, hält der Autor für fragwürdig. Skepsis ist gegenüber einer Legende immer angebracht. Aber hier greift sie von der Legende auf den Menschen Lawrence über und wirkt bisweilen kleinlich. Mehrfach weist Thorau darauf hin, dass Lawrence das Arabische nicht ordentlich beherrscht habe, wie es der populären Darstellung nach doch der Fall war. Nun hat Thorau damit recht – Lawrence selbst machte nie einen Hehl daraus –, doch die Legende liegt auch nicht falsch: Lawrence beherrschte zwar das klassische Schriftarabisch nicht, doch die für seine Aufgaben viel wichtigeren Dialekte Syriens und der arabischen Halbinsel sprach er offenbar gut genug.
Im persönlichen Auftreten muss Lawrence lange Zeit eine provokante, das Aufsehen nicht scheuende Persönlichkeit gewesen sein, die leicht wie ein Hochstapler wirkte. Doch seine auf viele Beobachter eitel wirkende Attitüde scheint ihm für den Rest seines Lebens bei den Auspeitschungen ausgetrieben worden zu sein, von denen er in den „Sieben Säulen“ eindrucksvoll berichtet. Auf einer Erkundungstour in der von den Türken beherrschten Stadt Deraa in Syrien war er gefasst worden. Während der Verhörfolter und einer mutmaßlichen Vergewaltigung erfuhr er, wie er schrieb, ein „allmähliches Auseinanderbrechen seines ganzen Ichs“. Die spätere innere Zerrissenheit von Lawrence und seine Scheu gegenüber der Öffentlichkeit wären nach den Vorfällen in Deraa psychologisch leicht zu erklären. Thorau jedoch hält die Ereignisse für nicht beweisbar, zieht sie also nicht weiter in Betracht und bringt sich um die Gelegenheit, seinem widersprüchlichen Helden näherzukommen.
Trägt das Buch mit Recht den Untertitel „Ein Mann und seine Zeit“, so liegen seine Stärken eindeutig auf der Darstellung der historischen Hintergründe. Spannend und nachvollziehbar berichtet Thorau vom Zerfall des Osmanischen Reiches und der Entstehung des Nahen Ostens, wie wir ihn heute kennen. Er stellt dabei klar, dass Lawrence nur einer von vielen Akteuren in einem „Great Game“ war, in dem Deutschland als militärischer Bündnispartner der Osmanen eine entscheidende, heute zu unrecht vergessene Rolle gespielt hat.
Gleich wie man Lawrence einschätzt, zumindest seine Kritik am Imperialismus kann heute noch nachdenklich stimmen. In den „Sieben Säulen“ heißt es nach dem Bericht über die Eroberung von Deraa durch die arabische Rebellenarmee: „Jetzt oder nie war der Augenblick da, den Arabern die Kontrolle zu überlassen, um jene verhängnisvollen ersten Schritte zu verhüten, durch die die pragmatischen Briten in lauterster Absicht den fügsamen Eingeborenen ihre Eigenverantwortung abzunehmen und eine Situation zu schaffen pflegten, die zu beheben es Jahre der Agitation, der aufeinanderfolgenden Reformen und der wiederholten Unruhen kostete.“ Diesen Augenblick haben die Briten damals verpasst. Und so klug wie Lawrence damals schon war, ist der Westen immer noch nicht geworden.
Peter Thorau
Lawrence von Arabien
Ein Mann und seine Zeit. Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2010.
224 Seiten, 19,95 Euro.
War der Archäologe,
Schriftsteller und Kriegsheld
wirklich ein Hochstapler?
So klug, wie er auf die arabische
Welt blickte, ist der Westen
immer noch nicht geworden
Thomas Edward Lawrence (1888-1935), britischer Verbindungsoffizier bei der arabischen Rebellenarmee im Ersten Weltkrieg, wurde als „Lawrence von Arabien“ weltberühmt. Foto: Richard Andrews/OBS
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
bricht das Ich
Peter Thorau räumt sehr gründlich mit dem Mythos von
Lawrence von Arabien auf Von Stefan Weidner
Mit dem 1888 in Wales geborenen Thomas Edward Lawrence begegnet uns noch heute ein widersprüchlicher, kaum fassbarer Charakter. Der mit dem Hollywoodfilm aus dem Jahr 1962 und seinen großartigen Schauspielern – Peter O’Toole als Lawrence, ferner Alec Guinness, Omar Sharif, Antony Quinn – einer weltweiten Öffentlichkeit bekannt gewordene „Lawrence von Arabien“ war jedoch schon lange vorher ein Produkt der Massenmedien und der kollektiven Phantasie gewesen. Die Janusköpfigkeit von öffentlicher und privater Figur prägt die Auseinandersetzung mit ihm bis in die Gegenwart.
Standen die ersten, noch zu Lebzeiten erschienenen Biographien im Bann der Legenden oder versuchten sich an ihrer oft nicht weniger phantastischen Widerlegung, so schlägt sich die bislang genaueste Darstellung, die von dem Engländer Jeremy Wilson stammt (seit 1999 auch auf deutsch), auf die Seite des Privatmanns. Da Wilsons 700-seitige Biographie an Ausführlichkeit nicht zu überbieten ist, muss sich jeder neue Versuch von dessen Herangehensweise abgrenzen. Peter Thorau, Historiker an der Universität Saarbrücken mit Schwerpunkt auf der Zeit der Kreuzzüge, geht nun davon aus, dass „Lawrence von Arabien“ ein mehr oder weniger bewusstes Produkt von Thomas Edward Lawrence selbst ist. Öffentliche und private Person werden mit einem für den vermeintlichen Helden wenig schmeichelhaften Ergebnis gegeneinander ausgespielt.
Da Lawrence zwar schon zu Lebzeiten zum Mythos wurde, doch sein (wenig aufregendes) Privatleben vor der zudringlichen Presse abschottete, steht Thoraus Ausgangsthese auf wackligen Füßen. In kaum einem Moment seiner späteren Laufbahn fühlte sich Lawrence mit der öffentlichen Darstellung seiner Person identisch. Dies führte unter anderem dazu, dass er, der ein reicher und von den Frauen umschwärmter Mann hätte sein können, ständige Geldsorgen hatte und Zeit seines Lebens zu keiner erotischen Beziehung fähig war. Einer akademischen Karriere als Archäologe im heimischen Oxford zog er die jahrelange Feldforschung unter spartanischen Bedingungen auf einer syrischen Ausgrabungsstätte vor. Die Widerspenstigkeit von Lawrence gegen mediale, aber auch institutionelle Vereinnahmung (leicht hätte er unter Churchill im Kolonialministerium Karriere machen können) lässt sich schwer mit der Vorstellung vereinbaren, dass Lawrence vor allem ein Hochstapler war, der an den eigenen Legenden kräftig mitgestrickt hat, ohne realhistorisch irgendwie bedeutend gewesen zu sein.
Letzteres ist freilich nicht falsch: Von dem, was Lawrence im Ersten Weltkrieg militärisch und politisch im Nahen Osten bewirkt hat, zunächst als britischer Verbindungsoffizier bei der arabischen Rebellenarmee im Kampf gegen die Türken, dann als Berater im Kolonialministerium, ist wenig übrig. Allenfalls dürfte die Existenz des Königreichs Jordanien seiner Initiative mit zu verdanken sein, wobei seine exakte Rolle schwer zu ermessen ist. Wer daher Lawrence immer noch als den Befreier der Araber vom „türkischen Joch“ sieht, wie es die populäre Darstellung seit jeher will, überschätzt seine historische Bedeutung maßlos, wie Thorau richtig feststellt. Doch bereits in jenem Hollywoodfilm von David Lean, der die heroischen Aspekte kräftig ausmalt, erscheint Lawrence als von Zweifeln geprägte Figur – ganz so, wie er sich selbst ungeachtet mancher Übertreibungen in seinem großen Kriegsmemoirenwerk „Die Sieben Säulen der Weisheit“ selbst darstellt.
Seinem Selbstverständnis und kühnsten Wunsch nach war er nämlich vor allem dies: Schriftsteller. Auch Thorau sieht Lawrences größte Leistungen auf schriftstellerischem Gebiet, obwohl er neben seinem Hauptwerk fast nur Briefe hinterlassen hat. Freilich ist die Schriftstellerei von T. E. Lawrence nicht weniger janusköpfig. Er hatte ein Werk mit dem Titel „Die Sieben Säulen der Weisheit“ bereits während seiner Zeit als Archäologe in Syrien geplant. Als das Buch später unter demselben Titel, aber nun mit den Kriegserlebnissen zum Inhalt erschien, galt er bereits als Berühmtheit. Unweigerlich musste daher ein literarisch und stilistisch noch so ambitionierter Erfahrungsbericht an seinem Ruhm mitschreiben und ihn verstärken. Für ihn selbst dürfte es sich anders dargestellt haben: Er wollte den Mythos richtigstellen. Ob von ihm mitverursacht oder nicht, war ihm seine Berühmtheit zu einer unerträglichen Last geworden.
Die Entstehung des Lawrence-Mythos ist ursprünglich ein Teil der offiziellen Propaganda im Ersten Weltkrieg gewesen. Um die amerikanische Öffentlichkeit für die Sache der Alliierten zu gewinnen, schickte das britische Kriegsministerium ein amerikanisches Presseteam zur arabischen Rebellenarmee und ihrem Verbindungsoffizier. Der Journalist Lowell Thomas und sein Fotograf erkannten sofort die mediale Verwertbarkeit von Lawrences Aktionen. Nach dem Krieg konzipierte Thomas mit dem im Nahen Osten geschossenen Bildmaterial einen Vortrag über Lawrence auf dem neuesten Stand der Technik, mit Filmsequenzen und kolorierten Dias.
Über eine Million Menschen, darunter Mitglieder der königlichen Familie und führende Politiker, besuchten innerhalb von vier Monaten die ab September 1919 gehaltenen Vorträge in London. Lawrence ging zu dem Spektakel auf maximale Distanz. Am 10. Januar 1920 berichtet er an seinen Bekannten A. J. Murray: „Sie (die Vorträge) sind so widerwärtig wie nur möglich und erschweren mir das Leben sehr, da ich weder das Geld noch den Wunsch habe, meine Dauerrolle als Hochstapler, als den er mich hinstellt, aufrechtzuerhalten. (. . .) Man wüsste wirklich nicht, wo man mit dem Zurechtrücken anfangen sollte.“
Die Neugier der Presse wurde durch Lawrences Geheimnistuerei über seinen weiteren Werdegang verstärkt. Mit Billigung der Armeeführung trat er 1922 unter falschem Namen als einfacher Fliegersoldat erneut in die Armee ein (im Krieg war er bis zum Oberst befördert worden). Als das Inkognito aufflog, überschlugen sich die Gerüchte. Um die Presse von ihm fernzuhalten, wurde er im Sommer 1928 nach Waziristan nahe der afghanischen Grenze im damaligen Britisch-Indien versetzt. Als dies durchsickerte, war in den Londoner Evening News am 26. September 1928 die absurde Überschrift zu lesen: „Lawrence von Arabien in geheimer Mission. Bekämpft Aktivitäten der Roten in Panjab. Tritt als heiliger Mann auf. Bannt den bösen Blick und heilt Krankheiten.“ Tatsächlich war Lawrence nie in Afghanistan. Vielmehr übersetzte er, um sich ein wenig Geld dazu zu verdienen, auf dem verschlafenen Außenposten Homers „Odyssee“ neu aus dem Altgriechischen – selten dürften Gerüchte so sehr an der Realität vorbeigegangen sein. Als er nach England zurückkehrte, wartete am Hafen bereits ein Pulk von Journalisten auf ihn. Und so zynisch es klingt: Sein früher Tod, ein Motorradunfall im Jahr 1935, setzte seinem mythischen Potential das I-Tüpfelchen auf.
Lawrences Verweigerungshaltung gegenüber den Medien, seine Nicht-Anfälligkeit für die Verlockungen durch Reichtum und gesellschaftliche Stellung hätten das Zeug, auch uns noch für diesen widerspenstigen Helden einzunehmen. Aber Peter Thorau nimmt ihm in seiner neuen Biographie diese Rolle nicht ab. Jede wichtige Aussage von Lawrence, die sich nicht offensichtlich beweisen lässt, hält der Autor für fragwürdig. Skepsis ist gegenüber einer Legende immer angebracht. Aber hier greift sie von der Legende auf den Menschen Lawrence über und wirkt bisweilen kleinlich. Mehrfach weist Thorau darauf hin, dass Lawrence das Arabische nicht ordentlich beherrscht habe, wie es der populären Darstellung nach doch der Fall war. Nun hat Thorau damit recht – Lawrence selbst machte nie einen Hehl daraus –, doch die Legende liegt auch nicht falsch: Lawrence beherrschte zwar das klassische Schriftarabisch nicht, doch die für seine Aufgaben viel wichtigeren Dialekte Syriens und der arabischen Halbinsel sprach er offenbar gut genug.
Im persönlichen Auftreten muss Lawrence lange Zeit eine provokante, das Aufsehen nicht scheuende Persönlichkeit gewesen sein, die leicht wie ein Hochstapler wirkte. Doch seine auf viele Beobachter eitel wirkende Attitüde scheint ihm für den Rest seines Lebens bei den Auspeitschungen ausgetrieben worden zu sein, von denen er in den „Sieben Säulen“ eindrucksvoll berichtet. Auf einer Erkundungstour in der von den Türken beherrschten Stadt Deraa in Syrien war er gefasst worden. Während der Verhörfolter und einer mutmaßlichen Vergewaltigung erfuhr er, wie er schrieb, ein „allmähliches Auseinanderbrechen seines ganzen Ichs“. Die spätere innere Zerrissenheit von Lawrence und seine Scheu gegenüber der Öffentlichkeit wären nach den Vorfällen in Deraa psychologisch leicht zu erklären. Thorau jedoch hält die Ereignisse für nicht beweisbar, zieht sie also nicht weiter in Betracht und bringt sich um die Gelegenheit, seinem widersprüchlichen Helden näherzukommen.
Trägt das Buch mit Recht den Untertitel „Ein Mann und seine Zeit“, so liegen seine Stärken eindeutig auf der Darstellung der historischen Hintergründe. Spannend und nachvollziehbar berichtet Thorau vom Zerfall des Osmanischen Reiches und der Entstehung des Nahen Ostens, wie wir ihn heute kennen. Er stellt dabei klar, dass Lawrence nur einer von vielen Akteuren in einem „Great Game“ war, in dem Deutschland als militärischer Bündnispartner der Osmanen eine entscheidende, heute zu unrecht vergessene Rolle gespielt hat.
Gleich wie man Lawrence einschätzt, zumindest seine Kritik am Imperialismus kann heute noch nachdenklich stimmen. In den „Sieben Säulen“ heißt es nach dem Bericht über die Eroberung von Deraa durch die arabische Rebellenarmee: „Jetzt oder nie war der Augenblick da, den Arabern die Kontrolle zu überlassen, um jene verhängnisvollen ersten Schritte zu verhüten, durch die die pragmatischen Briten in lauterster Absicht den fügsamen Eingeborenen ihre Eigenverantwortung abzunehmen und eine Situation zu schaffen pflegten, die zu beheben es Jahre der Agitation, der aufeinanderfolgenden Reformen und der wiederholten Unruhen kostete.“ Diesen Augenblick haben die Briten damals verpasst. Und so klug wie Lawrence damals schon war, ist der Westen immer noch nicht geworden.
Peter Thorau
Lawrence von Arabien
Ein Mann und seine Zeit. Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2010.
224 Seiten, 19,95 Euro.
War der Archäologe,
Schriftsteller und Kriegsheld
wirklich ein Hochstapler?
So klug, wie er auf die arabische
Welt blickte, ist der Westen
immer noch nicht geworden
Thomas Edward Lawrence (1888-1935), britischer Verbindungsoffizier bei der arabischen Rebellenarmee im Ersten Weltkrieg, wurde als „Lawrence von Arabien“ weltberühmt. Foto: Richard Andrews/OBS
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2010Auf den mächtigen Kopfputz kam es an
Eine Figur, die auch Hollywood interessierte: Peter Thorau beschreibt das Leben des Lawrence von Arabien
Die jüngere Forschung zum britischen Imperialismus hat auf die große Bedeutung hingewiesen, die das Idealbild eines zum heroischen Führer berufenen christlichen Gentleman erlangte. In der Realität allerdings bevölkerten höchst ambivalente Figuren das Empire. Trunksucht und exzessive Gewalt charakterisierte zahlreiche Vertreter der imperialen Mächte.
Überdies waren die überseeischen Besitzungen häufig Orte, an denen man mit vergleichsweise geringem Risiko sexuellen Präferenzen nachgehen konnte. In seiner grundlegenden Studie über Kolonialismus und Homosexualität hat der australische Historiker Robert Aldrich vor einigen Jahren dargelegt, dass etwa homosexuelle Neigungen beträchtlichen Einfluss auf die politischen und kulturellen Haltungen vieler Europäer in der kolonialen Welt entfalten konnten.
Zu Aldrichs zentralen Beispielen für homosexuelle imperiale Heroen gehört Thomas Edward Lawrence (1888 bis 1935), im frühen zwanzigsten Jahrhundert einer der schillerndsten Akteure des britischen imperialen Projekts. Der Archäologe, Geheimagent im Dienste seiner Majestät und Schriftsteller agierte während des Ersten Weltkriegs im Osmanischen Reich, das an der Seite Deutschlands in den Krieg eingetreten war. Angesichts dieser Entwicklung erhoffte sich die Londoner Regierung von der Revolutionierung der Araber eine militärische Entlastung im Vorderen Orient. Lawrence kam die Aufgabe zu, die militärische Macht des Gegners an möglichst vielen Stellen zu binden. Wie bedeutend die Rolle von Lawrence in diesem Kontext tatsächlich war und wie sehr ihm der arabische Unabhängigkeitskampf am Herzen lag, ist in der Forschung umstritten. Lawrences eigene Darstellung in seinem nach dem Ersten Weltkrieg erschienenen Bestseller "Die sieben Säulen der Weisheit", zahllose weitere glorifizierende Schriften und nicht zuletzt das Hollywood-Epos "Lawrence of Arabia" (1962) verfestigten jedenfalls ein bis heute verbreitete Bild von ihm als Kopf des arabischen Aufstandes.
In seiner Biographie verweist der in Saarbrücken lehrende Mediävist Peter Thorau, freilich nicht als Erster, viele Episoden aus den "Sieben Säulen" und daran anschließende heroisierende Darstellungen ins Reich der Legende. Er zeichnet Lawrence als höchst widersprüchliche Persönlichkeit: Der Oxford-Absolvent genoss trotz seiner unehelichen Herkunft in Teilen des britischen Establishments beträchtlichen Respekt. Er war ein Puritaner mit offenkundigen Neigungen zu Masochismus, Sadismus und Gewalt. Er war ein Förderer des arabischen Unabhängigkeitskampfes und zugleich ein Agent britischer imperialer Interessen im Nahen Osten. Und er unternahm beträchtliche Anstrengungen, seine Privatsphäre zu schützen, und spielte zeitweise doch mit Verve seine Rolle als öffentliche Person.
In Thoraus chronologisch gegliederter Darstellung nimmt der Erste Weltkrieg mit Abstand den größten Platz ein. Der Autor belegt an vielen Stellen, dass Lawrences Schilderungen in den "Sieben Säulen der Weisheit" als Selbststilisierung von zuweilen hoher literarischer Qualität gelesen werden sollten. Zuweilen geraten die Nachweise über Widersprüchlichkeiten in Lawrences Berichten über bestimmte militärische Aktionen jedoch arg minutiös. In seinen Ausführungen reproduziert Thorau zudem recht unkritisch Stereotype über grausame Araber und undisziplinierte Beduinen, deren Vorstellung von Freiheit vermeintlich darin bestand, "nach Lust und Laune umherstreifen und Beute machen zu können".
Wiederholt verweist Thorau auf den latenten Sadismus seines Protagonisten und konstatiert für einige Beschreibungen aus dessen Feder eine "Mischung aus ungerührter Grausamkeit und kindlicher Begeisterung". Auch auf die Homosexualität von Lawrence geht der Autor ein, sieht jedoch im Gegensatz zu Aldrich und anderen Autoren keine eindeutigen Belege für gleichgeschlechtliche Präferenzen und Praktiken. Ohnehin, schreibt er, sei die in der Forschung breit diskutierte Frage nach der sexuellen Orientierung von Lawrence "für die Beurteilung seiner militärischen Rolle und seiner historischen Bedeutung bestenfalls zweitrangig".
Nach Kriegsende engagierte sich Lawrence erfolglos bei der Pariser Friedenskonferenz für arabische Belange. Während der Beratungen erregte seine Garderobe großes Aufsehen. Winston Churchill geriet darüber ins Schwärmen: "Die Ernsthaftigkeit seines Auftretens, die Klarheit seiner Meinungen, die Weite und der Gehalt seiner Unterhaltung schienen zu einem bemerkenswerten Teil durch seinen mächtigen arabischen Kopfputz und sein Gewand verstärkt zu werden." Und er fügte hinzu: "Er erschien als das, was er war, einer der größten Fürsten, die die Natur hervorgebracht hat." Churchills Charakterisierungen können als Teil der Heroisierung und Mythenbildung über Lawrence gesehen werden, die in dieser Zeit einsetzte, wesentlich gesteuert vom amerikanischen Journalisten Lowell Thomas. Thomas war Lawrence kurz vor Ende des Krieges in Jerusalem begegnet und machte ihn nun, so Thorau, "quasi zu einem frühen Popstar". Er inszenierte eine aufwendige und höchst erfolgreiche Bühnenschau, in der Lawrence als "Fürst von Mekka" und "ungekrönter König Arabiens" präsentiert wurde.
Lawrence hingegen, zum Teil empört, zum Teil geschmeichelt über diese Boulevardisierung, zog sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück und diente zum Teil unter falschem Namen als einfacher Soldat in der britischen Luftwaffe, für einige Zeit auch in Indien. Thoraus Darstellung endet recht abrupt mit dem tödlichen Motorradunfall von Lawrence im Mai 1935. Leider schöpft der Autor das reiche Potential, das die Biographie dieses Protagonisten für eine Kulturgeschichte des Imperialismus bietet, bei weitem nicht aus. Als Einstieg in dessen Lebensgeschichte, auch als Einführung in einen hierzulande eher unbekannten Aspekt des Ersten Weltkriegs, ist das Buch jedoch zu empfehlen.
ANDREAS ECKERT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Figur, die auch Hollywood interessierte: Peter Thorau beschreibt das Leben des Lawrence von Arabien
Die jüngere Forschung zum britischen Imperialismus hat auf die große Bedeutung hingewiesen, die das Idealbild eines zum heroischen Führer berufenen christlichen Gentleman erlangte. In der Realität allerdings bevölkerten höchst ambivalente Figuren das Empire. Trunksucht und exzessive Gewalt charakterisierte zahlreiche Vertreter der imperialen Mächte.
Überdies waren die überseeischen Besitzungen häufig Orte, an denen man mit vergleichsweise geringem Risiko sexuellen Präferenzen nachgehen konnte. In seiner grundlegenden Studie über Kolonialismus und Homosexualität hat der australische Historiker Robert Aldrich vor einigen Jahren dargelegt, dass etwa homosexuelle Neigungen beträchtlichen Einfluss auf die politischen und kulturellen Haltungen vieler Europäer in der kolonialen Welt entfalten konnten.
Zu Aldrichs zentralen Beispielen für homosexuelle imperiale Heroen gehört Thomas Edward Lawrence (1888 bis 1935), im frühen zwanzigsten Jahrhundert einer der schillerndsten Akteure des britischen imperialen Projekts. Der Archäologe, Geheimagent im Dienste seiner Majestät und Schriftsteller agierte während des Ersten Weltkriegs im Osmanischen Reich, das an der Seite Deutschlands in den Krieg eingetreten war. Angesichts dieser Entwicklung erhoffte sich die Londoner Regierung von der Revolutionierung der Araber eine militärische Entlastung im Vorderen Orient. Lawrence kam die Aufgabe zu, die militärische Macht des Gegners an möglichst vielen Stellen zu binden. Wie bedeutend die Rolle von Lawrence in diesem Kontext tatsächlich war und wie sehr ihm der arabische Unabhängigkeitskampf am Herzen lag, ist in der Forschung umstritten. Lawrences eigene Darstellung in seinem nach dem Ersten Weltkrieg erschienenen Bestseller "Die sieben Säulen der Weisheit", zahllose weitere glorifizierende Schriften und nicht zuletzt das Hollywood-Epos "Lawrence of Arabia" (1962) verfestigten jedenfalls ein bis heute verbreitete Bild von ihm als Kopf des arabischen Aufstandes.
In seiner Biographie verweist der in Saarbrücken lehrende Mediävist Peter Thorau, freilich nicht als Erster, viele Episoden aus den "Sieben Säulen" und daran anschließende heroisierende Darstellungen ins Reich der Legende. Er zeichnet Lawrence als höchst widersprüchliche Persönlichkeit: Der Oxford-Absolvent genoss trotz seiner unehelichen Herkunft in Teilen des britischen Establishments beträchtlichen Respekt. Er war ein Puritaner mit offenkundigen Neigungen zu Masochismus, Sadismus und Gewalt. Er war ein Förderer des arabischen Unabhängigkeitskampfes und zugleich ein Agent britischer imperialer Interessen im Nahen Osten. Und er unternahm beträchtliche Anstrengungen, seine Privatsphäre zu schützen, und spielte zeitweise doch mit Verve seine Rolle als öffentliche Person.
In Thoraus chronologisch gegliederter Darstellung nimmt der Erste Weltkrieg mit Abstand den größten Platz ein. Der Autor belegt an vielen Stellen, dass Lawrences Schilderungen in den "Sieben Säulen der Weisheit" als Selbststilisierung von zuweilen hoher literarischer Qualität gelesen werden sollten. Zuweilen geraten die Nachweise über Widersprüchlichkeiten in Lawrences Berichten über bestimmte militärische Aktionen jedoch arg minutiös. In seinen Ausführungen reproduziert Thorau zudem recht unkritisch Stereotype über grausame Araber und undisziplinierte Beduinen, deren Vorstellung von Freiheit vermeintlich darin bestand, "nach Lust und Laune umherstreifen und Beute machen zu können".
Wiederholt verweist Thorau auf den latenten Sadismus seines Protagonisten und konstatiert für einige Beschreibungen aus dessen Feder eine "Mischung aus ungerührter Grausamkeit und kindlicher Begeisterung". Auch auf die Homosexualität von Lawrence geht der Autor ein, sieht jedoch im Gegensatz zu Aldrich und anderen Autoren keine eindeutigen Belege für gleichgeschlechtliche Präferenzen und Praktiken. Ohnehin, schreibt er, sei die in der Forschung breit diskutierte Frage nach der sexuellen Orientierung von Lawrence "für die Beurteilung seiner militärischen Rolle und seiner historischen Bedeutung bestenfalls zweitrangig".
Nach Kriegsende engagierte sich Lawrence erfolglos bei der Pariser Friedenskonferenz für arabische Belange. Während der Beratungen erregte seine Garderobe großes Aufsehen. Winston Churchill geriet darüber ins Schwärmen: "Die Ernsthaftigkeit seines Auftretens, die Klarheit seiner Meinungen, die Weite und der Gehalt seiner Unterhaltung schienen zu einem bemerkenswerten Teil durch seinen mächtigen arabischen Kopfputz und sein Gewand verstärkt zu werden." Und er fügte hinzu: "Er erschien als das, was er war, einer der größten Fürsten, die die Natur hervorgebracht hat." Churchills Charakterisierungen können als Teil der Heroisierung und Mythenbildung über Lawrence gesehen werden, die in dieser Zeit einsetzte, wesentlich gesteuert vom amerikanischen Journalisten Lowell Thomas. Thomas war Lawrence kurz vor Ende des Krieges in Jerusalem begegnet und machte ihn nun, so Thorau, "quasi zu einem frühen Popstar". Er inszenierte eine aufwendige und höchst erfolgreiche Bühnenschau, in der Lawrence als "Fürst von Mekka" und "ungekrönter König Arabiens" präsentiert wurde.
Lawrence hingegen, zum Teil empört, zum Teil geschmeichelt über diese Boulevardisierung, zog sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück und diente zum Teil unter falschem Namen als einfacher Soldat in der britischen Luftwaffe, für einige Zeit auch in Indien. Thoraus Darstellung endet recht abrupt mit dem tödlichen Motorradunfall von Lawrence im Mai 1935. Leider schöpft der Autor das reiche Potential, das die Biographie dieses Protagonisten für eine Kulturgeschichte des Imperialismus bietet, bei weitem nicht aus. Als Einstieg in dessen Lebensgeschichte, auch als Einführung in einen hierzulande eher unbekannten Aspekt des Ersten Weltkriegs, ist das Buch jedoch zu empfehlen.
ANDREAS ECKERT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für Stefan Weidners Geschmack geht Peter Thorau etwas zu gründlich gegen den "Mythos" um den legendären Lawrence von Arabien vor. Der britische Autor Jeremy Wilson hatte sich in seiner Biografie von 1999 in kaum einholbaren Detailfreude vor allem auf die private Person des Thomas Edward Lawrence konzentriert, erklärt der Rezensent. Peter Thorau nun baut seine Lebensbeschreibung auf der These auf, dass sein Protagonist tüchtig an seiner eigenen Legende mitsgetrickt habe, und damit kann er Weidner leider gar nicht überzeugen. Denn der Rezensent argumentiert, dass Lawrence den Medien gegenüber derart zugeknöpft und widerborstig war, dass es für ihn kaum vorstellbar ist, dass er sie für seine Zwecke zu nutzen verstanden hätte. Überhaupt reagiert der Rezensent zunehmend gereizt auf Thoraus immer wache "Skepsis" gegenüber Lawrence, und das greife nicht nur auf die öffentliche Figur, sondern eben auch auf den "Menschen" über, wie er unzufrieden bemerkt. Immerhin kann er Thorau zugute halten, dass er hervorragend und zudem sehr fesselnd in den historischen Kontext einführt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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