Ein Toter am Strand: tragisch, aber im malerischen Sète, dem Venedig Südfrankreichs, kein seltener Unglücksfall. Wahrscheinlich hat es doch nur wieder etwas mit den internen Streitereien der Gitans zu tun, die hier schon seit Jahren am Stadtrand siedeln. Seltsam also, dass extra ein Kommissar aus Montpellier angefordert wird für diesen Fall. Die Behörden vor Ort sind konsterniert und empfangen Kommissar Lazare entsprechend. Sie ahnen nicht, dass Lazare angetreten ist, ein riesiges - und wenn es sein muss, mörderisches - Komplott aus Mauschelei, Korruption und Betrug aufzudecken, das die ganze Region im Würgegriff hat. Was andererseits Lazare nicht ahnt: dass zudem eine offene Rechnung aus Frankreichs jüngerer Vergangenheit darauf wartet, beglichen zu werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2017Hier spricht der Autor
Robert Hültners neuer Ermittler sucht seine Sprache
Wenn ein arrivierter deutscher Autor seine beliebteste Krimi-Reihe einmottet, um fortan Romane zu schreiben, die in Frankreich spielen, schrillen die Alarmglocken. Voller Entsetzen denken wir an Bücher über bretonische Verhältnisse, provenzalische Verwicklungen und die tödliche Camargue. Solche Romane jenseits aller ästhetischen Finesse präsentieren sich als Grenzgänger zwischen den Genres. Wo da genau der Krimi aufhört, um dem Reiseführer und der kulinarischen Fibel Platz zu machen, lässt sich oft kaum bestimmen, das Ergebnis hat dafür in der Regel das Zeug zum Bestseller.
Nun hat Robert Hültner, dessen Inspektor Kajetan siebenmal gegen das Gesocks der Weimarer Republik antreten durfte, einen neuen Ermittler ins Rennen geschickt. Sein Name lautet Narciso Lazare, und sein erster Auftritt trägt den etwas angestaubten Titel "Lazare und der tote Mann am Strand". Schauplatz ist die südfranzösische Küstenregion um den Ort Sète, eine Gegend, die an den Naturburschen in uns appelliert: "So unberührt ihre Berge, Täler und Wälder, so wildromantisch und pittoresk die Schluchten". Zur Beruhigung sei gleich versichert, dass der siebenundsechzigjährige Hültner mit dem spießigen Regionalkrimi so viel zu tun hat wie Jack Reacher mit Miss Marple.
Insgesamt handelt das Buch von drei Geschichten. Ein junger Gitan treibt leblos im Hafenbecken, kein Handy, keine Papiere, keine Blutspuren. Zeitgleich kommt ein Bauer an einem elektrischen Viehzaun zu Tode, während einem anderen sein Haus um die Ohren fliegt. Obendrein hält sich ein deutscher Polizistenmörder in Sète auf, der in die Heimat überführt werden soll. Aus diesen Zutaten webt Hültner einen vertrackten Plot, der uns lange Zeit Rätsel aufgibt, weil wir uns auf die Sicht ahnungsloser Figuren verlassen müssen. Lazare, der aus Montpellier in die Provinz beordert wurde, könnte uns auf die Sprünge helfen, ist aber ein eher zurückhaltender, eigenbrötlerischer Typ.
So sind Geduld und Aufmerksamkeit gefragt, nicht zuletzt auch deshalb, weil die beackerten Fälle das Bewusstsein für die Komplexität gesellschaftlicher Mikrostrukturen schärfen. Hültner lässt die Interessen von fahrendem Volk und Großkonzernen miteinander kollidieren, er taxiert die Spannungen zwischen alteingesessenen Bauern und landwirtschaftlich ambitionierten Aussteigern, er befasst sich mit rechtsradikalen Schwachköpfen und orientierungslosen Flüchtlingen.
Den schwer verdaulichen Inhalt verdichtet der Autor zur Antithese des Frankreich-Krimis aus Deutschland, ohne allerdings, und das ist das große Manko, eine angemessene Sprache dafür zu finden. Die vielen Dialoge wirken wie übersetzt, onkelhafte Sprüche ("Ziemlich neunmalklug, die Kleine") und gewundene Formulierungen ("Montaignac - diesen Namen meine ich bereits einmal gehört zu haben") wechseln sich munter ab und flankieren das Kernproblem: Es reden hier nicht individuelle Charaktere, nein, es redet Robert Hültner.
Das betrifft wohlgemerkt die Form des Gesagten, nicht das Gesagte selbst. "Haltet einfach mal für einen Moment euren Schnabel, ihr Waschweiber", meckert ein Brigadier seine Kollegen an. Hundert Seiten später stellt sich Lazare eine Sekretärin als palaverndes "Waschweib" vor, während ein deutscher Polizist über seinen Kompagnon denkt: "Halt einfach öfter mal deinen Schnabel."
Fast alle Figuren plaudern in Phrasen und pflegen einen unangenehm großzügigen Umgang mit der Interjektion "tja". Laut Erzähler äußern sie sich immer wieder "versöhnlich", wobei der Protagonist dem Versöhnungstrieb am auffälligsten nachgibt. Insofern ist "Lazare und der tote Mann am Strand" nicht nur ein gut konstruierter Roman über die Abgründe der französischen Provinz, sondern auch ein literarisches Dokument der beschränkten Sprachregister und unschönen Wiederholungen.
KAI SPANKE
Robert Hültner: "Lazare und der tote Mann am Strand". Kriminalroman.
btb Verlag, München 2017. 384 S., geb., 20.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Robert Hültners neuer Ermittler sucht seine Sprache
Wenn ein arrivierter deutscher Autor seine beliebteste Krimi-Reihe einmottet, um fortan Romane zu schreiben, die in Frankreich spielen, schrillen die Alarmglocken. Voller Entsetzen denken wir an Bücher über bretonische Verhältnisse, provenzalische Verwicklungen und die tödliche Camargue. Solche Romane jenseits aller ästhetischen Finesse präsentieren sich als Grenzgänger zwischen den Genres. Wo da genau der Krimi aufhört, um dem Reiseführer und der kulinarischen Fibel Platz zu machen, lässt sich oft kaum bestimmen, das Ergebnis hat dafür in der Regel das Zeug zum Bestseller.
Nun hat Robert Hültner, dessen Inspektor Kajetan siebenmal gegen das Gesocks der Weimarer Republik antreten durfte, einen neuen Ermittler ins Rennen geschickt. Sein Name lautet Narciso Lazare, und sein erster Auftritt trägt den etwas angestaubten Titel "Lazare und der tote Mann am Strand". Schauplatz ist die südfranzösische Küstenregion um den Ort Sète, eine Gegend, die an den Naturburschen in uns appelliert: "So unberührt ihre Berge, Täler und Wälder, so wildromantisch und pittoresk die Schluchten". Zur Beruhigung sei gleich versichert, dass der siebenundsechzigjährige Hültner mit dem spießigen Regionalkrimi so viel zu tun hat wie Jack Reacher mit Miss Marple.
Insgesamt handelt das Buch von drei Geschichten. Ein junger Gitan treibt leblos im Hafenbecken, kein Handy, keine Papiere, keine Blutspuren. Zeitgleich kommt ein Bauer an einem elektrischen Viehzaun zu Tode, während einem anderen sein Haus um die Ohren fliegt. Obendrein hält sich ein deutscher Polizistenmörder in Sète auf, der in die Heimat überführt werden soll. Aus diesen Zutaten webt Hültner einen vertrackten Plot, der uns lange Zeit Rätsel aufgibt, weil wir uns auf die Sicht ahnungsloser Figuren verlassen müssen. Lazare, der aus Montpellier in die Provinz beordert wurde, könnte uns auf die Sprünge helfen, ist aber ein eher zurückhaltender, eigenbrötlerischer Typ.
So sind Geduld und Aufmerksamkeit gefragt, nicht zuletzt auch deshalb, weil die beackerten Fälle das Bewusstsein für die Komplexität gesellschaftlicher Mikrostrukturen schärfen. Hültner lässt die Interessen von fahrendem Volk und Großkonzernen miteinander kollidieren, er taxiert die Spannungen zwischen alteingesessenen Bauern und landwirtschaftlich ambitionierten Aussteigern, er befasst sich mit rechtsradikalen Schwachköpfen und orientierungslosen Flüchtlingen.
Den schwer verdaulichen Inhalt verdichtet der Autor zur Antithese des Frankreich-Krimis aus Deutschland, ohne allerdings, und das ist das große Manko, eine angemessene Sprache dafür zu finden. Die vielen Dialoge wirken wie übersetzt, onkelhafte Sprüche ("Ziemlich neunmalklug, die Kleine") und gewundene Formulierungen ("Montaignac - diesen Namen meine ich bereits einmal gehört zu haben") wechseln sich munter ab und flankieren das Kernproblem: Es reden hier nicht individuelle Charaktere, nein, es redet Robert Hültner.
Das betrifft wohlgemerkt die Form des Gesagten, nicht das Gesagte selbst. "Haltet einfach mal für einen Moment euren Schnabel, ihr Waschweiber", meckert ein Brigadier seine Kollegen an. Hundert Seiten später stellt sich Lazare eine Sekretärin als palaverndes "Waschweib" vor, während ein deutscher Polizist über seinen Kompagnon denkt: "Halt einfach öfter mal deinen Schnabel."
Fast alle Figuren plaudern in Phrasen und pflegen einen unangenehm großzügigen Umgang mit der Interjektion "tja". Laut Erzähler äußern sie sich immer wieder "versöhnlich", wobei der Protagonist dem Versöhnungstrieb am auffälligsten nachgibt. Insofern ist "Lazare und der tote Mann am Strand" nicht nur ein gut konstruierter Roman über die Abgründe der französischen Provinz, sondern auch ein literarisches Dokument der beschränkten Sprachregister und unschönen Wiederholungen.
KAI SPANKE
Robert Hültner: "Lazare und der tote Mann am Strand". Kriminalroman.
btb Verlag, München 2017. 384 S., geb., 20.- [Euro].
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»"... ein spannender Politthriller in einer wunderschönen Landschaft (...) wunderschön geschrieben."« Petra Hartlieb, Buchtipps ORF "heute leben"