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2003 stirbt der zwanzigjährige Sohn des Autoren an einer Hirnhautentzündung. Michel Rostain lässt mit der humorvollen Stimme seines toten Sohnes von der väterlichen Trauer erzählen. Es gelingt Rostain, eine literarische Form zu entwickeln, die dem Leser jede Art von Voyeurismus erspart, die Trauer aber glaubwürdig und beeindruckend wiedergibt. 2011 erhielt Rostain dafür den "Goncourt du premier roman".

Produktbeschreibung
2003 stirbt der zwanzigjährige Sohn des Autoren an einer Hirnhautentzündung. Michel Rostain lässt mit der humorvollen Stimme seines toten Sohnes von der väterlichen Trauer erzählen. Es gelingt Rostain, eine literarische Form zu entwickeln, die dem Leser jede Art von Voyeurismus erspart, die Trauer aber glaubwürdig und beeindruckend wiedergibt. 2011 erhielt Rostain dafür den "Goncourt du premier roman".
Autorenporträt
Michel Rostain, geboren 1942 in Mende, ist ein bekannter französischer Opernregisseur. Er lehrte Philosophie und Psychologie und war bis 2008 Intendant des Nationaltheaters in Quimper in der Bretagne.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2012

Ich bin tot, einverstanden, aber trotzdem . . .

Dieser Roman begeisterte Frankreich: Michel Rostain spricht bei einem Treffen in Paris über sein Buch. Es handelt vom Tod seines Sohnes - und von der Kraft des Erzählens.

PARIS, im März

Am elften Tag nach meinem Tod brachte Papa meine Bettdecke in die Reinigung." Das ist mal ein ungewöhnlicher Satz. Er steht auf der zweiten Seite des Romans "Als ich meine Eltern verließ" von Michel Rostain, der soeben auf Deutsch erschienen ist (in der Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann): Das Buch ist aus Sicht eines Toten erzählt. Aus Sicht eines Sohnes, der im Alter von einundzwanzig Jahren innerhalb weniger Stunden an einer Hirnhautentzündung starb. Aus Sicht von Lion Rostain, dem 2003 verstorbenen Sohn des Autors.

Michel Rostain hat dafür im vergangenen Jahr den höchsten französischen Buchpreis bekommen, den Prix Goncourt, für das beste Roman-Debüt. Mit 68 Jahre dürfte er einer der Ältesten gewesen sein, denen das je passiert ist - bis dahin war sein Beruf Opernregisseur. Von 1995 bis 2008 leitete er die Scène Nationale von Quimper in der Bretagne, hat früher Peter Brook assistiert, selbst etwa vierzig Opern inszeniert. Ich treffe ihn in den Räumen seines französischen Verlags im 47. Stock des Tour Montparnasse in Paris - ein freundlicher Mann mit weißgrauen Haaren, der viel lacht und an seiner neuen Rolle des gefragten Schriftstellers Vergnügen zu haben scheint. "Es ist ein wenig paradox", sagt er. "Sie treffen mich mit einem großen Lächeln, weil mich der Erfolg meines Buchs, der für mich vollkommen überraschend kam, sehr stolz und glücklich macht. Dabei erzählt es eine Geschichte, die für mich sehr schwer zu ertragen ist. Es ist bald zehn Jahre her, dass mein Sohn gestorben ist, und es vergehen keine zwei Tage, an denen ich nicht an ihn denke."

Wenn Rostain über sein Buch spricht, wird klar, dass es nicht wirklich ein Roman ist, auch wenn das klein auf dem Titel steht (auf dem französischen Original steht Récit, Erzählung) - hier und da, sagt er, habe er etwas verändert, Zeitspannen gerafft, etwas nachträglich in eine Ordnung gebracht. Doch im Grunde sei alles wahr. Alles - bis eben auf die Erzählperspektive, die ihm mitten in seine Trauer, in sein Selbstmitleid hinein irgendwann in den Sinn gekommen sei. "Plötzlich war da diese kleine literarische Musik in meinem Kopf: Dis, Papa, pourquoi tu pleures? (sag, Papa, warum weinst du?) - er spricht den Satz sehr rhythmisch, beinahe klingt es, als ob er ihn singt - "und von da an konnte ich schreiben. Es war diese literarische Form, die es mir ermöglicht hat, das Buch zu schreiben. Ein Buch, das hoffentlich darüber hinausgeht, nur zu sagen: Seht mich an, seht, wie sehr ich leide."

Tatsächlich ist es die ungewöhnliche Erzählperspektive, die das Buch so besonders macht - und wahrscheinlich auch so besonders rührend. Der Außen-Blick schafft genug Distanz, um dem Leser ein Voyeur-Gefühl zu ersparen, und sorgt hin und wieder auch für eine gewisse Komik. Als sich der trauernde Vater geradezu obsessiv mit den Kurznachrichten auf dem Handy seines toten Sohnes beschäftigt (warum nennt dessen Freundin ihn "Schneckchen"? Warum ausgerechnet dieses Tier?), bemerkt der Ich-Erzähler etwa trocken, das sei ziemlich indiskret - "Papa, ich bin tot, einverstanden, aber trotzdem."

Der Sohn des Autors studierte Philosophie in Rennes. Ein ganz normaler junger Mann, der gern Musik hörte, sich mit Freunden traf und kiffte. Sein Verhältnis zu seinem Vater ist herzlich, wenn er ihm auch nicht immer die Wahrheit erzählt. Dass er wenige Wochen vor seinem Tod gar nicht in Rouen war, wie er gesagt hatte, sondern im Kifferparadies Amsterdam zum Beispiel, gehört zu den Dingen, die sein Vater erst nach Lions Tod herausfinden wird. Er ist gerade übers Wochenende bei seinen Eltern in Quimper, als er plötzlich über Unwohlsein klagt. Es geht ganz schnell. Schweißausbrüche, Herzrasen, Übelkeit. Am nächsten Tag Notarzt. Krankenwagen. Tot.

Bedrückend zu lesen ist die Passage, die beschreibt, was direkt im Anschluss an den Tod des Sohnes im Krankenhaus geschah. Innerhalb kürzester Zeit waren die Eltern, die soeben ihr einziges Kind verloren hatten, von Dienstleistern umringt, die Entscheidungen von ihnen forderten: Erd- oder Feuerbestattung? Würden Sie den Leichnam gerne schminken lassen, 275 Euro, das bekommen Sie bei der Konkurrenz nicht günstiger. Welchen Friedhof hätten Sie denn gern? Darauf angesprochen, zuckt Rostain mit den Achseln. "Wir sind im Umgang mit dem Tod heute einfach nicht mehr geübt", sagt er. "Das Sterben im Krankenhaus hat etwas Unwürdiges, wie auch Bestattungen im Allgemeinen unerträglich sind. Ich glaube nicht an Gott. Aber ich glaube an die Kraft von Ritualen. Uns fehlen heute Rituale, vor allem uns Ungläubigen. Wir müssen wieder Formen erfinden, die wirklich großen Dinge im Leben - Geburt, Erwachsenwerden, Sex, Liebe, Tod - mit anderen zu teilen." Die Beerdigung seines Sohnes muss eine riesige Feier mit Freunden gewesen sein, bei der stundenlang geredet, geweint, gelacht und auf jedes Protokoll gepfiffen wurde.

Wie kam Rostain, der Opernregisseur, der sich selbst als Musiker bezeichnet, auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? "Nach dem Tod meines Sohnes haben mir Hunderte von Menschen ihr Beileid ausgedrückt. Vielleicht waren es tausend - in der Stadt, in der wir damals lebten, bin ich aufgrund meiner Arbeit relativ bekannt. Freunde, Nachbarn, aber auch Unbekannte, alle haben ihr Mitgefühl ausgedrückt, und das war meiner Frau und mir sehr wertvoll. In diesem Moment tiefster Verzweiflung wurde uns klar, dass die Menschen viel besser sind, als man denkt. Vor dem Hintergrund einer Katastrophe kommen sie plötzlich und streicheln dir die Hand. Und sagen: Wenn Sie etwas brauchen, wir sind da. Ich wollte mich bei all diesen Menschen bedanken. Aber wie? Anonyme Dankeskarten sind nicht meine Art. Also habe ich dieses Buch geschrieben. Sieben Jahre später. Um danke zu sagen."

Rostain findet nicht, dass sich der Beruf des Schriftstellers so sehr von dem eines Regisseurs unterscheidet. In beiden Fällen erzähle man Geschichten. Das sei sein Beruf - und im Grunde handelt auch sein Buch von der Notwendigkeit, sich Geschichten zu erzählen. Die Trauer wäre nicht auszuhalten gewesen, sagt Rostain, hätte der Mensch nicht die Gabe, Bedeutungen zu erfinden. Zeichen zu sehen, wo in Wahrheit bestimmt nur der Zufall regierte, dem sich aber mit viel gutem Willen ein tieferer Sinn abtrotzen lässt.

Vor allem im letzten Drittel des Buchs, wenn der erste Schock über den plötzlichen Tod allmählich der Erkenntnis weicht, dass das Leben trotzdem weitergeht, irgendwie, spielen Zeichen - oder Zufälle, die nicht wie solche wirken - eine immer wichtigere Rolle. Total überrumpelt von der Frage, ob sie ihren Sohn begraben oder verbrennen lassen wollen, hatten sich die Eltern damals für Feuerbestattung entschieden. Viel später erzählt ihnen eine Freundin ihres Sohnes, dass er ihr einmal gesagt habe, er möge einmal verbrannt werden. Außerdem habe er sich nur weiße Blumen auf sein Grab gewünscht - und dass seine Asche in Island verstreut werde. Den Eltern muss es da fast wie ein Wunder erscheinen, dass sie tatsächlich nur weiße Blumen auf sein Graben legen ließen. Und dass die Mutter heimlich etwas Asche aus der Urne entnahm, bekommt plötzlich auch einen Sinn: Sie fliegen nach Island, um sie dort zu verstreuen.

Und damit noch nicht genug. Nach langem Herumsuchen lassen sie die Asche schließlich am Fuße eines abgelegenen Vulkans. Kurze Zeit später bricht dieser aus, legt halb Europa lahm und die ganze Welt kennt plötzlich seinen unaussprechlichen Namen: Eyjafjallajökull. "Ich hatte das Buch gerade fertiggeschrieben, als er explodierte. Ich habe das Ende dann noch einmal neu geschrieben. Das war ein außerordentliches Ereignis. Es war schön, all diese Zeichen zu erfinden."

Das Schreiben, sagt Michel Rostain, sei trotz des Themas eine glückliche Erfahrung gewesen. Nicht Verzweiflung habe ihn dabei angeleitet, sondern eine sehr lebendige Energie. Man merkt es dem Buch an. "Als ich meine Eltern verließ" ist eine Hymne auf das Leben und auf Freundschaft, die einen zwar unter Umständen etwas verheult, aber mit einem leuchtenden warmen Gefühl entlässt.

Was hätte sein Sohn wohl dazu gesagt, dass sein Vater inzwischen ein gefeierter Schriftsteller geworden ist? Michel Rostain überlegt kurz. "Er hätte gesagt - ach hör doch auf mit deinem Unsinn. Du gehst mir so was von auf den Wecker."

JOHANNA ADORJÁN

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