Mit ihrem Bestseller "Im Namen der toten Prinzessin" hat Kenize Mourad ihrer Mutter, der türkischen Sultanin, ein unvergeßliches Denkmal gesetzt. Jetzt erzählt sie ihre eigene, nicht minder exotische Lebensgeschichte. Sie schildert was es heißt, sich als Frau in einer starren Traditionen verhafteten Männergesellschaft behaupten zu müssen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.1999Albtraumreise nach Indien
Im Käfig: Kenizé Murads Roman "Der Garten von Baldupur"
In Großbritannien gedeiht seit Jahrzehnten eine Indien-Literatur, die sich aus der Nostalgie gegenüber der ehemaligen Kronkolonie nährt. In ihr empfindet man das exotisch-herrschaftliche Leben in den Palästen der englischen Machthaber und der indischen Fürsten, der "Radschas", nach, als sei es die gute, alte Zeit gewesen. Kenizé Mourad entwirft in ihrem Roman das Gegenbild. Schon der (auto)biografische Rahmen ihres Buches führt aus dem Exotismus heraus: Die französische Journalistin Zahr ist Tochter einer türkischen Prinzessin und eines indischen muslimischen Radscha. Selma, die Mutter, entflieht dem goldenen Käfig des Palastlebens in Nordindien und bringt in Paris ihre Tochter zur Welt; ein Jahr darauf stirbt sie verarmt und einsam.
Für Tochter Zahr beginnt die Reise von einer Adoptivfamilie zur anderen, dann zum Nonneninternat und zur studentischen Wohngemeinschaft. Fortwährend forscht sie nach ihren Eltern, lange ohne eindeutige Antworten zu erhalten. Kenizé Mourads erster Roman "Im Namen der toten Prinzessin" beschreibt, was sie über das Leben der Mutter herausfinden konnte; der vorliegende zweite begibt sich auf die Suche nach dem Vater, wobei sie diese Suche als einen lebenslangen verzweifelten Versuch darstellt, sich selbst und ihre Heimat zu finden.
In drei Teilen entwirft das 600-Seiten-Werk ein Psychogramm von Zahrs einsamer und orientierungsloser Jugend in Frankreich, von ihrem mehrmonatigen, letztlich frustrierenden Aufenthalt bei ihrem Vater im Jahr 1961 und schließlich ihrem Abschied von Indien nach dem Tod des Vaters im Jahr 1992. Als Schülerin wird sie durch Überredung und Tricks davon abgehalten, ihren Vater in Indien zu besuchen, der sie endlich ausfindig gemacht hat. Erst mit zwanzig kann sie sich endlich aufmachen. Der spannendste Teil des Romans beschreibt, wie die linke Studentin der Sorbonne auf das stockkonservative Feudalleben des Königshauses von Badalpur trifft. Sie fühlt sich zwischen dem Wunsch, dem geliebten Vater zu gehorchen, und den Forderungen, die ihr europäisch-demokratisches, von sozialer Verantwortung geprägtes Bewusstsein stellt, hin- und hergerissen. Äußerlich exotisch, stellt sich das Leben hinter den Fassaden als ernüchternd repressiv, langweilig, ja menschenfeindlich heraus. So entsteht das Gegenbild zur British-Radscha-Literatur. Die Tradition beharrt darauf, die Frauen in ihren Gemächern zu isolieren und eine Fassade der "Ehre" gegenüber der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Zahr gibt ihren Kampf um Anpassung jedoch erst auf, als sich ihr der Vater mit inzestuösen Absichten nähert. Schockiert kehrt sie nach Frankreich zurück. Es dauert zwanzig Jahre, bis sie es wagt, den Vater wieder zu besuchen, Besuche, die sich dann jährlich bis zu dessen Tod wiederholen.
Der Roman bewegt den Leser, weil er eine wahre Lebensgeschichte ohne Ausschmückung und Retouche nacherzählt. Kenntnisreich führt die Autorin den Leser in das indische Leben der sechziger Jahre ein; sie lüftet, ohne sensationell zu wirken, den Schleier vor dem muslimischen Adelsleben und skizziert die gesellschaftliche Entwicklung des Landes bis in die frühen neunziger Jahre. Erschrocken beschreibt sie Korruption, Bürokratismus, Heuchelei und Familienfehden. Diese beflissene Echtheit und Kunstlosigkeit entschuldigt jedoch Mourads Neigung nicht, bei der geringsten Gelegenheit zu seitenlangen belehrenden Essays über soziale Probleme und Missstände Indiens auszuholen. Sie geraten zudem oft allzu undifferenziert. Dialoge werden zu Ansprachen, Handlungsszenen zu bloßen Exempeln für allgemeine Ausführungen. Im letzten Teil treibt Mourad diese Unart so weit, dass der biografische Zusammenhang beinahe verloren geht.
In diesem dritten Teil versucht Mourad dem Vater-Tochter-Thema eine neue Dimension abzugewinnen, indem sie den Garten des Palastes zum Symbol von Vaterliebe und Heimat stilisiert. Nach dem Tod des Vaters macht Zahrs Halbbruder ihr den vom Vater geschenkten Garten streitig. Es soll ein Kampf zwischen Frankreich und Indien, Vaterliebe und Schwesternhass, Heimat und Verlorensein, Recht und Korruption sein. Doch reizt die Autorin ihr Thema bis über die Schmerzgrenze psychologischer Selbstzerfleischung aus. Die immer neue, am Ende auch den wohlwollenden Leser ermüdende Bekräftigung ihrer Entrüstung und Betroffenheit verdichtet sich ebenso wenig zu Literatur wie die eingestreuten Indien-Reportagen.
MARTIN KÄMPCHEN
Kenizé Mourad: "Der Garten von Badalpur". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Carina von Enzenberg. Piper Verlag, München 1999. 605 S., geb., 46,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Käfig: Kenizé Murads Roman "Der Garten von Baldupur"
In Großbritannien gedeiht seit Jahrzehnten eine Indien-Literatur, die sich aus der Nostalgie gegenüber der ehemaligen Kronkolonie nährt. In ihr empfindet man das exotisch-herrschaftliche Leben in den Palästen der englischen Machthaber und der indischen Fürsten, der "Radschas", nach, als sei es die gute, alte Zeit gewesen. Kenizé Mourad entwirft in ihrem Roman das Gegenbild. Schon der (auto)biografische Rahmen ihres Buches führt aus dem Exotismus heraus: Die französische Journalistin Zahr ist Tochter einer türkischen Prinzessin und eines indischen muslimischen Radscha. Selma, die Mutter, entflieht dem goldenen Käfig des Palastlebens in Nordindien und bringt in Paris ihre Tochter zur Welt; ein Jahr darauf stirbt sie verarmt und einsam.
Für Tochter Zahr beginnt die Reise von einer Adoptivfamilie zur anderen, dann zum Nonneninternat und zur studentischen Wohngemeinschaft. Fortwährend forscht sie nach ihren Eltern, lange ohne eindeutige Antworten zu erhalten. Kenizé Mourads erster Roman "Im Namen der toten Prinzessin" beschreibt, was sie über das Leben der Mutter herausfinden konnte; der vorliegende zweite begibt sich auf die Suche nach dem Vater, wobei sie diese Suche als einen lebenslangen verzweifelten Versuch darstellt, sich selbst und ihre Heimat zu finden.
In drei Teilen entwirft das 600-Seiten-Werk ein Psychogramm von Zahrs einsamer und orientierungsloser Jugend in Frankreich, von ihrem mehrmonatigen, letztlich frustrierenden Aufenthalt bei ihrem Vater im Jahr 1961 und schließlich ihrem Abschied von Indien nach dem Tod des Vaters im Jahr 1992. Als Schülerin wird sie durch Überredung und Tricks davon abgehalten, ihren Vater in Indien zu besuchen, der sie endlich ausfindig gemacht hat. Erst mit zwanzig kann sie sich endlich aufmachen. Der spannendste Teil des Romans beschreibt, wie die linke Studentin der Sorbonne auf das stockkonservative Feudalleben des Königshauses von Badalpur trifft. Sie fühlt sich zwischen dem Wunsch, dem geliebten Vater zu gehorchen, und den Forderungen, die ihr europäisch-demokratisches, von sozialer Verantwortung geprägtes Bewusstsein stellt, hin- und hergerissen. Äußerlich exotisch, stellt sich das Leben hinter den Fassaden als ernüchternd repressiv, langweilig, ja menschenfeindlich heraus. So entsteht das Gegenbild zur British-Radscha-Literatur. Die Tradition beharrt darauf, die Frauen in ihren Gemächern zu isolieren und eine Fassade der "Ehre" gegenüber der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Zahr gibt ihren Kampf um Anpassung jedoch erst auf, als sich ihr der Vater mit inzestuösen Absichten nähert. Schockiert kehrt sie nach Frankreich zurück. Es dauert zwanzig Jahre, bis sie es wagt, den Vater wieder zu besuchen, Besuche, die sich dann jährlich bis zu dessen Tod wiederholen.
Der Roman bewegt den Leser, weil er eine wahre Lebensgeschichte ohne Ausschmückung und Retouche nacherzählt. Kenntnisreich führt die Autorin den Leser in das indische Leben der sechziger Jahre ein; sie lüftet, ohne sensationell zu wirken, den Schleier vor dem muslimischen Adelsleben und skizziert die gesellschaftliche Entwicklung des Landes bis in die frühen neunziger Jahre. Erschrocken beschreibt sie Korruption, Bürokratismus, Heuchelei und Familienfehden. Diese beflissene Echtheit und Kunstlosigkeit entschuldigt jedoch Mourads Neigung nicht, bei der geringsten Gelegenheit zu seitenlangen belehrenden Essays über soziale Probleme und Missstände Indiens auszuholen. Sie geraten zudem oft allzu undifferenziert. Dialoge werden zu Ansprachen, Handlungsszenen zu bloßen Exempeln für allgemeine Ausführungen. Im letzten Teil treibt Mourad diese Unart so weit, dass der biografische Zusammenhang beinahe verloren geht.
In diesem dritten Teil versucht Mourad dem Vater-Tochter-Thema eine neue Dimension abzugewinnen, indem sie den Garten des Palastes zum Symbol von Vaterliebe und Heimat stilisiert. Nach dem Tod des Vaters macht Zahrs Halbbruder ihr den vom Vater geschenkten Garten streitig. Es soll ein Kampf zwischen Frankreich und Indien, Vaterliebe und Schwesternhass, Heimat und Verlorensein, Recht und Korruption sein. Doch reizt die Autorin ihr Thema bis über die Schmerzgrenze psychologischer Selbstzerfleischung aus. Die immer neue, am Ende auch den wohlwollenden Leser ermüdende Bekräftigung ihrer Entrüstung und Betroffenheit verdichtet sich ebenso wenig zu Literatur wie die eingestreuten Indien-Reportagen.
MARTIN KÄMPCHEN
Kenizé Mourad: "Der Garten von Badalpur". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Carina von Enzenberg. Piper Verlag, München 1999. 605 S., geb., 46,- DM.
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