Au lendemain de la seconde guerre mondiale, dans un petit village frontalier d'Alsace Lorrraine, isolé par les montagnes, Brodeck établit de brèves notices sur l'état de la flore, des saisons, un travail sans importance pour son administration. Il ne sait même pas si ses rapports parviennent à destination. Depuis la guerre, les courriers fonctionnent mal. Le maréchal-ferrant du village lui demande de consigner les événements qui ont abouti au dénouement tragique sans ajouter de détails inutiles. Miraculé des camps de concentration, Brodeck s'est appliqué à tout oublier et surtout, il n'a jamais essayé de lever le voile sur l'éventuelle culpabilité des villageois dans les horreurs qui ont touché son entourage.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2009Erlkönig wohnt unter uns
Das Gegenstück zu Jonathan Littells "Die Wohlgesinnten": Der große französische Stimmenvirtuose Philippe Claudel hat sein Triptychon über das zwanzigste Jahrhundert mit einer Romanparabel über die Nachkriegszeit vollendet.
Von Joseph Hanimann
Zwei Dinge seien vorausgeschickt. Erstens: Dieser Roman vom wahrscheinlich interessantesten Autor seiner Generation in der französischen Gegenwartliteratur ist ein wertvolles Gegenstück zu Jonathan Littells Bestseller "Die Wohlgesinnten". Er verhält sich dazu etwa so wie Thomas Bernhards "Heldenplatz" zu "Oberösterreich" von Franz Xaver Kroetz. Zweitens: Er wird seine deutschen Leser ganz anders treffen und verstören, als er es mit dem französischen Publikum tat, das ihm vor zwei Jahren einen großen Erfolg beschied. Kam den Franzosen das Unheimliche in diesem Buch durch die zahlreich eingefügten Originalwörter im Fremdklang eines alemannisch anmutenden Lokaldialekts entgegen, so liegt es dem deutschen Publikum sprachlich beinah allzu vertraut im Ohr. Das liegt nicht an der Übersetzung, sondern an der Natur der Sache. Sie dürfte die Reaktionen von faszinierter Abwehr gegenüber diesem Roman hierzulande noch steigern.
Die Handlung ist mit weniger Sätzen erzählt, als die Titelfigur Brodeck in seinem Bericht dafür braucht. Brodeck lebt in einem nicht klar lokalisierbaren Dorf, vielleicht im Elsass, und verfasst kurze Notizen für eine ferne Behörde über die Flora, das Wetter, den Wasserstand des Flusses Staubi. Als er eines Abends ahnungslos die Dorfschenke betritt, stößt er auf seine in Schweigen gehüllten Dorfmitbewohner mit geballten Fäusten oder der Hand in der Hosentasche, um einen Messerknauf gekrallt. "Ihr habt doch wohl nicht ..." - entfährt es ihm. Doch. Sie haben gerade den "anderen" umgebracht, den vor ein paar Monaten zugelaufenen Fremden. Nun wird Brodeck von den Dorfleuten bedrängt, den Vorfall aufzuschreiben. "Du kennst dich mit den Worten aus", sagen sie ihm, sie selbst verstünden nichts davon - und außerdem habe er eine Schreibmaschine.
Der so Angesprochene kann nicht ablehnen und macht sich widerwillig ans Werk. Parallel zu diesem Bericht schreibt er aber insgeheim noch einen anderen Bericht, den seines Lebens, seines Dorfes, seiner Nachbarn. Die ganze Wirkung dieses Romans liegt in den halblauten, gemurmelten, halb erinnerten, manchmal spekulierenden, auf- und abschwellenden Begleitklängen dieses Doppelberichts, mit zeitlichen Vor- und Rückgriffen, in denen zwei Kriege, Besatzung, Hinrichtungen, Razzien und Verschleppung in Haftlager vorkommen. Souverän und ungeheuerlich blendet der Stimmenvirtuose Philippe Claudel die Episoden in den Romanverlauf ein.
Die Atmosphäre im verhockten Dorf mit den fliehenden Blicken, unschlüssig zwischen Verschwiegenheit, Bedrohung und Gerücht, wirkt beim Lesen von der ersten Seite an bedrückend. Eines Tages waren im Staubwirbel der Wagenkolonnen die "Fratergekeime" gekommen, hatten das Dorf besetzt und dem "großen Reich" eingegliedert. Säubert euer Dorf von Fremden, bevor wir es tun! - hatten sie den Leuten befohlen. Manche, darunter auch Brodeck, waren ins Lager verschleppt worden.
Doch all das ist nun vorbei. Das Normalleben von früher wollte gerade zurückkehren, ein Alltag, in dem Brodeck wie in einem unverhofft heiteren Zeitfenster sein kleines Familienglück mit Frau, Töchterchen und Amme einzurichten suchte - da kam der "andere", der Fremde, über die Bergstraße hoch und mietete sich im Gasthof Schloss ein. Damit geriet alles durcheinander. Nun brütet Brodeck über seinem Bericht und versucht aufzuschreiben, was von allen nur das "Ereignis" genannt wird. Er schreibt in einem Gefühl der Angst: ein Gefühl, das er als Lagerhäftling verloren hatte - die Existenz dort war schon jenseits der Angst. Jetzt sitzt sie ihm wie eine Woche um Woche enger werdende Jacke am Leib. Denn er dringt in den Abgrund des Geschehenen vor und ist immer weniger dazu bereit, es im Sinne der Dorfbewohner zu beschönigen.
In Interviews erklärte Philippe Claudel wiederholt, er habe kein bestimmtes historisches Ereignis und keine bestimmte Region im Kopf gehabt. In Frankreich denke man wegen der von ihm frei erfundenen Namen und Ausdrücke - "Fratergekeime" für die Besatzer, "Der unverwundbare Anlauf" für den Regimentsnamen, "Kazerskwir" für das Häftlingslager - wohl spontan ans Elsass. In Deutschland denke man vielleicht eher an Österreich, doch wären auch Assoziationen zum ehemaligen Jugoslawien möglich.
Fest steht, dass der Roman in Europa spielt und zusammen mit Claudels beiden früheren Romanen eine Art Triptychon zu den historischen Katastrophen des letzten Jahrhunderts ergibt. "Die grauen Seelen" bezog sich auf den Ersten Weltkrieg, "Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung" auf den Vietnam-Krieg und die Folgen. In allen drei Büchern findet die Handlung kurz nach den Kriegsereignissen statt, nie mitten drin.
Aus dieser Verlagerung des Fokus zum peripheren Blick kommt die Spannung von Claudels Erzählkunst. Sie arbeitet mit der Schärfe hinter der Unschärfe. Situationen und Stimmungen werden mit derselben Sorgfalt wie Personen gestaltet. Das lässt verborgene Härten und Schwächen sichtbar werden. Monstren, Opportunisten, Zeugen und Opfer kommen bei diesem Autor immer nur gemischt vor, in einer beklemmenden Schwebe zwischen Gut und Böse.
Der Besatzungsoffizier mit seiner "sanften, fast weiblichen Stimme" oder die "Seelenfresserin", die Frau des Lagerkommandanten, die mit ihrem Kind im Arm sich als Zuschauerin keine Hinrichtung entgehen lässt, wirken nicht unheimlicher als der behäbige Bürgermeister Orschwir mit seiner Schweinezucht, als Brodecks Nachbar Göbbler mit seinem schrägen Blick oder als die übrigen Dorfleute in ihrem rechtschaffen wortkargen Normalitätseifer nach dem Krieg. Nachher ist bei Philippe Claudel immer auch vorher, aber ohne jede Mahngebärde, dass das Ungeheuerliche zurückkehren kann.
Stärker als alle offene oder unterschwellige Mahnung sind die Bilder, die dieser Autor in die Verschwiegenheit des Dorfes streut. Dass aufs neue ein "Fremder" verschwindet, ist nicht zu befürchten, sondern schon passiert. Das löst archetypische Assoziationen aus. In seiner Erinnerung an die Befreiung des Haftlagers sieht Brodeck die "Seelenfresserin" von den Tausenden wieder zu Menschen gewordenen Skeletten mitgerissen und zertrampelt werden, ganz ohne Hass, denn sie haben deren Anwesenheit wohl gar nicht bemerkt. "Ob man wegen hartnäckigem Unwissen oder unter dem Schritt Tausender wieder frei gewordener Menschen stirbt", sei im Grund einerlei, notiert Brodeck: "Der Tod verlangt weder Helden noch Sklaven. Er frisst, was man ihm gibt." Im Grunde sei es gleichgültig, "ob man wegen eines Irrtums stirbt oder weil man von einer Menge ehemaliger Gefangener tot getrampelt wird", heißt es in der Übersetzung Christiane Seilers: Der Tod "unterscheidet nicht zwischen Herren und Sklaven". Ihre Übertragung ist elegant, aber an vielen Stellen zu frei für ein Buch, das mit seiner dämmrigen Suggestionsschärfe an Michel Tourniers "Erlkönig" heranreicht.
Philippe Claudel: "Brodecks Bericht". Roman. Aus dem Französischen von Christiane Seiler. Kindler im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009. 335 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Gegenstück zu Jonathan Littells "Die Wohlgesinnten": Der große französische Stimmenvirtuose Philippe Claudel hat sein Triptychon über das zwanzigste Jahrhundert mit einer Romanparabel über die Nachkriegszeit vollendet.
Von Joseph Hanimann
Zwei Dinge seien vorausgeschickt. Erstens: Dieser Roman vom wahrscheinlich interessantesten Autor seiner Generation in der französischen Gegenwartliteratur ist ein wertvolles Gegenstück zu Jonathan Littells Bestseller "Die Wohlgesinnten". Er verhält sich dazu etwa so wie Thomas Bernhards "Heldenplatz" zu "Oberösterreich" von Franz Xaver Kroetz. Zweitens: Er wird seine deutschen Leser ganz anders treffen und verstören, als er es mit dem französischen Publikum tat, das ihm vor zwei Jahren einen großen Erfolg beschied. Kam den Franzosen das Unheimliche in diesem Buch durch die zahlreich eingefügten Originalwörter im Fremdklang eines alemannisch anmutenden Lokaldialekts entgegen, so liegt es dem deutschen Publikum sprachlich beinah allzu vertraut im Ohr. Das liegt nicht an der Übersetzung, sondern an der Natur der Sache. Sie dürfte die Reaktionen von faszinierter Abwehr gegenüber diesem Roman hierzulande noch steigern.
Die Handlung ist mit weniger Sätzen erzählt, als die Titelfigur Brodeck in seinem Bericht dafür braucht. Brodeck lebt in einem nicht klar lokalisierbaren Dorf, vielleicht im Elsass, und verfasst kurze Notizen für eine ferne Behörde über die Flora, das Wetter, den Wasserstand des Flusses Staubi. Als er eines Abends ahnungslos die Dorfschenke betritt, stößt er auf seine in Schweigen gehüllten Dorfmitbewohner mit geballten Fäusten oder der Hand in der Hosentasche, um einen Messerknauf gekrallt. "Ihr habt doch wohl nicht ..." - entfährt es ihm. Doch. Sie haben gerade den "anderen" umgebracht, den vor ein paar Monaten zugelaufenen Fremden. Nun wird Brodeck von den Dorfleuten bedrängt, den Vorfall aufzuschreiben. "Du kennst dich mit den Worten aus", sagen sie ihm, sie selbst verstünden nichts davon - und außerdem habe er eine Schreibmaschine.
Der so Angesprochene kann nicht ablehnen und macht sich widerwillig ans Werk. Parallel zu diesem Bericht schreibt er aber insgeheim noch einen anderen Bericht, den seines Lebens, seines Dorfes, seiner Nachbarn. Die ganze Wirkung dieses Romans liegt in den halblauten, gemurmelten, halb erinnerten, manchmal spekulierenden, auf- und abschwellenden Begleitklängen dieses Doppelberichts, mit zeitlichen Vor- und Rückgriffen, in denen zwei Kriege, Besatzung, Hinrichtungen, Razzien und Verschleppung in Haftlager vorkommen. Souverän und ungeheuerlich blendet der Stimmenvirtuose Philippe Claudel die Episoden in den Romanverlauf ein.
Die Atmosphäre im verhockten Dorf mit den fliehenden Blicken, unschlüssig zwischen Verschwiegenheit, Bedrohung und Gerücht, wirkt beim Lesen von der ersten Seite an bedrückend. Eines Tages waren im Staubwirbel der Wagenkolonnen die "Fratergekeime" gekommen, hatten das Dorf besetzt und dem "großen Reich" eingegliedert. Säubert euer Dorf von Fremden, bevor wir es tun! - hatten sie den Leuten befohlen. Manche, darunter auch Brodeck, waren ins Lager verschleppt worden.
Doch all das ist nun vorbei. Das Normalleben von früher wollte gerade zurückkehren, ein Alltag, in dem Brodeck wie in einem unverhofft heiteren Zeitfenster sein kleines Familienglück mit Frau, Töchterchen und Amme einzurichten suchte - da kam der "andere", der Fremde, über die Bergstraße hoch und mietete sich im Gasthof Schloss ein. Damit geriet alles durcheinander. Nun brütet Brodeck über seinem Bericht und versucht aufzuschreiben, was von allen nur das "Ereignis" genannt wird. Er schreibt in einem Gefühl der Angst: ein Gefühl, das er als Lagerhäftling verloren hatte - die Existenz dort war schon jenseits der Angst. Jetzt sitzt sie ihm wie eine Woche um Woche enger werdende Jacke am Leib. Denn er dringt in den Abgrund des Geschehenen vor und ist immer weniger dazu bereit, es im Sinne der Dorfbewohner zu beschönigen.
In Interviews erklärte Philippe Claudel wiederholt, er habe kein bestimmtes historisches Ereignis und keine bestimmte Region im Kopf gehabt. In Frankreich denke man wegen der von ihm frei erfundenen Namen und Ausdrücke - "Fratergekeime" für die Besatzer, "Der unverwundbare Anlauf" für den Regimentsnamen, "Kazerskwir" für das Häftlingslager - wohl spontan ans Elsass. In Deutschland denke man vielleicht eher an Österreich, doch wären auch Assoziationen zum ehemaligen Jugoslawien möglich.
Fest steht, dass der Roman in Europa spielt und zusammen mit Claudels beiden früheren Romanen eine Art Triptychon zu den historischen Katastrophen des letzten Jahrhunderts ergibt. "Die grauen Seelen" bezog sich auf den Ersten Weltkrieg, "Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung" auf den Vietnam-Krieg und die Folgen. In allen drei Büchern findet die Handlung kurz nach den Kriegsereignissen statt, nie mitten drin.
Aus dieser Verlagerung des Fokus zum peripheren Blick kommt die Spannung von Claudels Erzählkunst. Sie arbeitet mit der Schärfe hinter der Unschärfe. Situationen und Stimmungen werden mit derselben Sorgfalt wie Personen gestaltet. Das lässt verborgene Härten und Schwächen sichtbar werden. Monstren, Opportunisten, Zeugen und Opfer kommen bei diesem Autor immer nur gemischt vor, in einer beklemmenden Schwebe zwischen Gut und Böse.
Der Besatzungsoffizier mit seiner "sanften, fast weiblichen Stimme" oder die "Seelenfresserin", die Frau des Lagerkommandanten, die mit ihrem Kind im Arm sich als Zuschauerin keine Hinrichtung entgehen lässt, wirken nicht unheimlicher als der behäbige Bürgermeister Orschwir mit seiner Schweinezucht, als Brodecks Nachbar Göbbler mit seinem schrägen Blick oder als die übrigen Dorfleute in ihrem rechtschaffen wortkargen Normalitätseifer nach dem Krieg. Nachher ist bei Philippe Claudel immer auch vorher, aber ohne jede Mahngebärde, dass das Ungeheuerliche zurückkehren kann.
Stärker als alle offene oder unterschwellige Mahnung sind die Bilder, die dieser Autor in die Verschwiegenheit des Dorfes streut. Dass aufs neue ein "Fremder" verschwindet, ist nicht zu befürchten, sondern schon passiert. Das löst archetypische Assoziationen aus. In seiner Erinnerung an die Befreiung des Haftlagers sieht Brodeck die "Seelenfresserin" von den Tausenden wieder zu Menschen gewordenen Skeletten mitgerissen und zertrampelt werden, ganz ohne Hass, denn sie haben deren Anwesenheit wohl gar nicht bemerkt. "Ob man wegen hartnäckigem Unwissen oder unter dem Schritt Tausender wieder frei gewordener Menschen stirbt", sei im Grund einerlei, notiert Brodeck: "Der Tod verlangt weder Helden noch Sklaven. Er frisst, was man ihm gibt." Im Grunde sei es gleichgültig, "ob man wegen eines Irrtums stirbt oder weil man von einer Menge ehemaliger Gefangener tot getrampelt wird", heißt es in der Übersetzung Christiane Seilers: Der Tod "unterscheidet nicht zwischen Herren und Sklaven". Ihre Übertragung ist elegant, aber an vielen Stellen zu frei für ein Buch, das mit seiner dämmrigen Suggestionsschärfe an Michel Tourniers "Erlkönig" heranreicht.
Philippe Claudel: "Brodecks Bericht". Roman. Aus dem Französischen von Christiane Seiler. Kindler im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009. 335 S., geb., 19,90 [Euro].
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