The #1 international best seller In Lean In, Sheryl Sandberg reignited the conversation around women in the workplace. Sandberg is chief operating officer of Facebook and coauthor of Option B with Adam Grant. In 2010, she gave an electrifying TED talk in which she described how women unintentionally hold themselves back in their careers. Her talk, which has been viewed more than six million times, encouraged women to "sit at the table," seek challenges, take risks, and pursue their goals with gusto. Lean In continues that conversation, combining personal anecdotes, hard data, and compelling research to change the conversation from what women can't do to what they can. Sandberg provides practical advice on negotiation techniques, mentorship, and building a satisfying career. She describes specific steps women can take to combine professional achievement with personal fulfillment, and demonstrates how men can benefit by supporting women both in the workplace and at home. Written with humor and wisdom, Lean In is a revelatory, inspiring call to action and a blueprint for individual growth that will empower women around the world to achieve their full potential.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.07.2013Die Psychologie der Macht
Das umstrittene Buch „Lean In“ von Sheryl Sandberg und die Frage, was der Feminismus von einer amerikanischen Topmanagerin lernen kann
„Diese Buch ist keine Autobiografie“, schreibt die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg am Anfang von „Lean in: Frauen und der Wille zum Erfolg“. Es sei auch kein Selbsthilfe-Buch, keines über Karriere-Planung und auch kein feministisches Manifest. Aber sie irrt sich. In jedem einzelnen Punkt. Und genau das ist das Reizvolle an diesem Buch. Und das Problematische. „Lean in“ ist der seltene Fall eines Topmanager-Buches, das mit den Worten „Ich wurde schwanger“ beginnt und nicht nur in den USA bis heute – im vierten Monat nach der Veröffentlichung der englischen Originalausgabe Mitte März – enorme Aufmerksamkeit genießt.
Worum geht es? Ganz einfach: Sheryl Sandberg ist der Meinung, dass die Lösung zu vielen Problemen unserer Welt schlicht darin liegt, mehr Frauen auf mächtige Posten zu berufen. In einem Gespräch im Jahr 2010 wies sie auf eine Reihe Statistiken hin, die zeigen, wie schlecht es um die Verteilung der Macht zwischen Männern und Frauen steht. Nur 20 Prozent der Parlamentssitze der Welt werden von Frauen bekleidet. Von den Vorständen der großen Wirtschaftsunternehmen sind sogar nur 14 Prozent weiblich. Nur 17 der 195 unabhängigen Staaten des Planeten werden von Frauen regiert. (Und sie hätte auch noch daran erinnern können, dass Frauen nur etwa ein Prozent des weltweiten Reichtums kontrollieren.) „Die traurige Wahrheit ist“, schreibt sie nun, „dass die Männer noch immer die Welt regieren.“
Da widerspräche vermutlich nur ein unverbesserlicher Männerrechtler. Sandberg behauptet allerdings auch, dass die Frauen nicht ganz unschuldig daran sind, dass sich an den Machtverhältnissen nichts ändert: Weil sie die Grenzen, die eine sexistische Weltordnung errichtet hat, akzeptieren. Weil es „an Selbstbewusstsein mangelt, weil wir uns verstecken, und weil wir einen Rückzieher machen, wenn wir uns richtig reinhängen müssten“. „Lean in“ – nicht verstecken, sondern sich aus der Deckung wagen –, diese Formulierung taucht immer wieder auf im Buch. Es ist der Sandberg-Slogan. Kein Zufall, dass „Lean In“ auch der Titel der deutschen Ausgabe ist.
Das Argument, dass die Frauen zu passiv und deshalb mitschuldig an der traurigen Lage seien, wurde natürlich hart kritisiert. Am leidenschaftlichsten polemisierten amerikanische Feministen gegen Sandbergs Idee, die Arbeitswelt von innen heraus zu revolutionieren. Die Washington Post hielt Sandbergs Ansatz für elitär und wies darauf hin, dass ihr Frauen, die nicht weiß seien, nicht reich, für keinen großen Konzern arbeiteten oder nicht wenigstens ein Land regierten, keine Zeile wert seien. Im ehrwürdigen linken Magazin Dissent schrieb Kate Losse, einst Redenschreiber für Facebook-Chef Mark Zuckerberg, dass „Sandbergs Vorstellungen von Arbeit vollkommen lebensfremd sind“. „Lean In“ sei nicht mehr als eine pseudo-feministische, unkritische Aktualisierung von Max Webers 1920 veröffentlichtem Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Also ein allzu kurzer Schluss von Ersterem auf Letzteres. Als ob es ausreiche, seine Arbeitseinstellung zu ändern, wenn man die allgemeinen Machtverhältnisse ändern wolle.
Die Kritik ist nicht immer unberechtigt. Obwohl Sandberg zu Recht darauf hinweist, dass die Welt mehr mächtige Frauen braucht, vergisst sie, dass der Feminismus schon immer viel mehr wollte: Er wollte die Art und Weise verändern, wie wir Macht begreifen. Dieser blinde Fleck ihrer Überlegungen könnte damit zu tun haben, dass sie schon so lange mit der Macht vertraut ist. Sofort nach dem Studium arbeitete sie bei der Weltbank für den ehemaligen amerikanischen Finanzminister Larry Summers. Nur eine so eigenartige Feministin wie Sandberg kann ironiefrei schreiben, dass es „die Mission der Weltbank ist, die globale Armut zu verringern“.
Der Gedanke, dass Frauen grundsätzlich humaner und feinfühliger mit der Macht umgehen als die kriegsverliebten Männer ist jedoch exakt eines der Geschlechter Stereotypen, die der Feminismus einmal zerstören wollte. Wenn Hillary Clinton 2016 amerikanische Präsidentin werden sollte, könnte es gut sein, dass Sheryl Sandberg erleben wird, das auch eine Frau auf dem mächtigsten politischen Posten der Welt nicht die Rettung schlechthin bedeuten muss.
Sandbergs angeblich feministische Vision von der Zukunft der Arbeit ist ähnlich beunruhigend. In einer der bemerkenswertesten Passagen des Buches schreibt sie, dass sie „fest davon überzeugt ist, dass wir unsere gesamte Persönlichkeit an den Arbeitsplatz mitbringen“: „Ich glaube nicht mehr daran, dass wir so etwas wie ein professionelles Ich haben während unserer Arbeitszeit und ein wahres Ich in der übrigen Zeit. Vielleicht hat es diese Trennung ohnehin nie gegeben, heute – im Zeitalter der Individualität, in dem man permanent seinen Facebook-Status aktualisiert und jeden Schritt auf Twitter dokumentiert – erscheint sie auf jeden Fall noch unsinniger.“
Diese Bemerkung passt erschreckend gut zu den Gedanken der britischen Feminismus-Theoretikerin Nina Power. In ihrem 2011 erschienenen Buch „Die eindimensionale Frau“ beschreibt Power etwas, das sie die „Feminisierung der Arbeit“ nennt, also „das seltsame Phänomen, dass viele wichtige Arbeitsschutzbestimmungen – unter anderem kollektive Tarifrechte oder der Acht-Stunden-Arbeitstag – genau in dem Moment zu verschwinden begannen, in dem die Frauen mächtiger wurden. Heute gibt es statt starken Arbeitnehmerrechten für Männer und prekären Jobs als Teilzeit-Sekretärin für Frauen: prekäre Teilzeit-Hilfsjobs für alle. Die dunkle Seite von Sandbergs Überzeugung, dass wir „unser ganzes Ich“ mit zur Arbeit bringen sollen, ist damit natürlich, dass ein arbeitsloses Ich ein wertloses Ich ist.
Dennoch ist Sheryl Sandberg unmöglich für eine böse anti-feministische Doppelagentin zu halten, die wir schleunigst loswerden müssten. Obwohl sie von den Frauen, die nicht die große Konzern-Karriere anstreben, offenbar keinen Schimmer hat, dürften ihre Ratschläge für die Frauen, die genau das vorhaben, exzellent sein. Zweifellos versteht sie eine Menge von der Psychologie der Macht in Unternehmen. Man lese dazu nur das Kapitel „Verlassen Sie ihre Firma nicht, so lange sie noch da sind“. Sie erklärt darin, warum so viele Frauen nach ihrer ersten Geburt nicht mehr in die Arbeitswelt zurückkehren. Das läge schlicht daran, dass sich diese Frauen gedanklich schon jahrelang auf genau das eingestellt hätten: „Frauen treffen selten die eine große ,Jetzt-höre-ich-auf-zu-arbeiten’-Entscheidung. Sie treffen vielmehr nach und nach viele kleine Entscheidungen, machen mal hier ein kleines Zugeständnis und bringen dort ein Opfer, von dem sie glauben, dass es nötig ist, um eines Tages eine Familie zu haben.“
Ähnlich überzeugend ist das Buch dort, wo es darum geht, dass es jüngere Frauen viel schwerer als jüngere Männer haben, Mentoren zu finden. Oder dort, wo Sandbergs zentrale Beobachtung im Mittelpunkt steht, dass es in sexistischen Gesellschaften sehr schwierig ist, mit alten Rollenklischees und Vorurteilen zu brechen. Das ist zwar kein ganz neuer Befund, bislang erschien es jedoch noch nicht klüger, ihn nicht mehr zu wiederholen.
Und auch wenn ihre Rezepte für mehr Gleichberechtigung in großen Wirtschaftsunternehmen männliche Strategien letztlich nicht überwinden, sondern nur imitieren wollen, so ist es doch nie falsch, daran zu erinnern, wie nützlich es sein kann, von seinen Feinden zu lernen. Über gigantische ökonomische, ethnische und nationale Unterschiede hinweg ist das Patriarchat immerhin die erfolgreichste Bündnistaktik in der Geschichte der Menschheit.
Die orthodoxe feministische Kritik an „Lean In“ – also die, die so tut, als sei Sheryl keine potenzielle Verbündete, sondern der Todfeind schlechthin – diese Kritik dürfte allerdings von einer generellen Angst um den Feminismus motiviert sein. Engagierte Feministinnen mussten schließlich erleben, wie aus ihrem einst wirklich unbequemen sozialrevolutionären Projekt eine marktkonforme Bewegung wurde und ihre Sehnsucht nach dem feministischen Paradies zu der Sehnsucht, Frauen gleiche Chancen in einer Gesellschaft einzuräumen, deren Zustand längst so zutiefst mangelhaft erscheint. Mit anderen Worten: Sollte Sheryl Sandberg die führende Feministin unserer Zeit sein, dann hätte der Feminismus tatsächlich ein Problem. Wen sie das jedoch nicht ist – und man kann ziemlich sicher sein, dass sie es nicht ist – dann ist sie einfach nur eine weitere wohlmeinende liberale Technokratin. Und dass ist im Grunde doch kein echtes Problem.
RICHARD BECK
Aus dem Englischen von Jens-Christian Rabe
Die dunkle Seite von Sandbergs
Überzeugung ist, dass ein
arbeitsloses Ich ein wertloses ist
Die Kritik an dem Buch
dürfte von einer generellen Angst
um den Feminismus motiviert sein
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Das umstrittene Buch „Lean In“ von Sheryl Sandberg und die Frage, was der Feminismus von einer amerikanischen Topmanagerin lernen kann
„Diese Buch ist keine Autobiografie“, schreibt die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg am Anfang von „Lean in: Frauen und der Wille zum Erfolg“. Es sei auch kein Selbsthilfe-Buch, keines über Karriere-Planung und auch kein feministisches Manifest. Aber sie irrt sich. In jedem einzelnen Punkt. Und genau das ist das Reizvolle an diesem Buch. Und das Problematische. „Lean in“ ist der seltene Fall eines Topmanager-Buches, das mit den Worten „Ich wurde schwanger“ beginnt und nicht nur in den USA bis heute – im vierten Monat nach der Veröffentlichung der englischen Originalausgabe Mitte März – enorme Aufmerksamkeit genießt.
Worum geht es? Ganz einfach: Sheryl Sandberg ist der Meinung, dass die Lösung zu vielen Problemen unserer Welt schlicht darin liegt, mehr Frauen auf mächtige Posten zu berufen. In einem Gespräch im Jahr 2010 wies sie auf eine Reihe Statistiken hin, die zeigen, wie schlecht es um die Verteilung der Macht zwischen Männern und Frauen steht. Nur 20 Prozent der Parlamentssitze der Welt werden von Frauen bekleidet. Von den Vorständen der großen Wirtschaftsunternehmen sind sogar nur 14 Prozent weiblich. Nur 17 der 195 unabhängigen Staaten des Planeten werden von Frauen regiert. (Und sie hätte auch noch daran erinnern können, dass Frauen nur etwa ein Prozent des weltweiten Reichtums kontrollieren.) „Die traurige Wahrheit ist“, schreibt sie nun, „dass die Männer noch immer die Welt regieren.“
Da widerspräche vermutlich nur ein unverbesserlicher Männerrechtler. Sandberg behauptet allerdings auch, dass die Frauen nicht ganz unschuldig daran sind, dass sich an den Machtverhältnissen nichts ändert: Weil sie die Grenzen, die eine sexistische Weltordnung errichtet hat, akzeptieren. Weil es „an Selbstbewusstsein mangelt, weil wir uns verstecken, und weil wir einen Rückzieher machen, wenn wir uns richtig reinhängen müssten“. „Lean in“ – nicht verstecken, sondern sich aus der Deckung wagen –, diese Formulierung taucht immer wieder auf im Buch. Es ist der Sandberg-Slogan. Kein Zufall, dass „Lean In“ auch der Titel der deutschen Ausgabe ist.
Das Argument, dass die Frauen zu passiv und deshalb mitschuldig an der traurigen Lage seien, wurde natürlich hart kritisiert. Am leidenschaftlichsten polemisierten amerikanische Feministen gegen Sandbergs Idee, die Arbeitswelt von innen heraus zu revolutionieren. Die Washington Post hielt Sandbergs Ansatz für elitär und wies darauf hin, dass ihr Frauen, die nicht weiß seien, nicht reich, für keinen großen Konzern arbeiteten oder nicht wenigstens ein Land regierten, keine Zeile wert seien. Im ehrwürdigen linken Magazin Dissent schrieb Kate Losse, einst Redenschreiber für Facebook-Chef Mark Zuckerberg, dass „Sandbergs Vorstellungen von Arbeit vollkommen lebensfremd sind“. „Lean In“ sei nicht mehr als eine pseudo-feministische, unkritische Aktualisierung von Max Webers 1920 veröffentlichtem Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Also ein allzu kurzer Schluss von Ersterem auf Letzteres. Als ob es ausreiche, seine Arbeitseinstellung zu ändern, wenn man die allgemeinen Machtverhältnisse ändern wolle.
Die Kritik ist nicht immer unberechtigt. Obwohl Sandberg zu Recht darauf hinweist, dass die Welt mehr mächtige Frauen braucht, vergisst sie, dass der Feminismus schon immer viel mehr wollte: Er wollte die Art und Weise verändern, wie wir Macht begreifen. Dieser blinde Fleck ihrer Überlegungen könnte damit zu tun haben, dass sie schon so lange mit der Macht vertraut ist. Sofort nach dem Studium arbeitete sie bei der Weltbank für den ehemaligen amerikanischen Finanzminister Larry Summers. Nur eine so eigenartige Feministin wie Sandberg kann ironiefrei schreiben, dass es „die Mission der Weltbank ist, die globale Armut zu verringern“.
Der Gedanke, dass Frauen grundsätzlich humaner und feinfühliger mit der Macht umgehen als die kriegsverliebten Männer ist jedoch exakt eines der Geschlechter Stereotypen, die der Feminismus einmal zerstören wollte. Wenn Hillary Clinton 2016 amerikanische Präsidentin werden sollte, könnte es gut sein, dass Sheryl Sandberg erleben wird, das auch eine Frau auf dem mächtigsten politischen Posten der Welt nicht die Rettung schlechthin bedeuten muss.
Sandbergs angeblich feministische Vision von der Zukunft der Arbeit ist ähnlich beunruhigend. In einer der bemerkenswertesten Passagen des Buches schreibt sie, dass sie „fest davon überzeugt ist, dass wir unsere gesamte Persönlichkeit an den Arbeitsplatz mitbringen“: „Ich glaube nicht mehr daran, dass wir so etwas wie ein professionelles Ich haben während unserer Arbeitszeit und ein wahres Ich in der übrigen Zeit. Vielleicht hat es diese Trennung ohnehin nie gegeben, heute – im Zeitalter der Individualität, in dem man permanent seinen Facebook-Status aktualisiert und jeden Schritt auf Twitter dokumentiert – erscheint sie auf jeden Fall noch unsinniger.“
Diese Bemerkung passt erschreckend gut zu den Gedanken der britischen Feminismus-Theoretikerin Nina Power. In ihrem 2011 erschienenen Buch „Die eindimensionale Frau“ beschreibt Power etwas, das sie die „Feminisierung der Arbeit“ nennt, also „das seltsame Phänomen, dass viele wichtige Arbeitsschutzbestimmungen – unter anderem kollektive Tarifrechte oder der Acht-Stunden-Arbeitstag – genau in dem Moment zu verschwinden begannen, in dem die Frauen mächtiger wurden. Heute gibt es statt starken Arbeitnehmerrechten für Männer und prekären Jobs als Teilzeit-Sekretärin für Frauen: prekäre Teilzeit-Hilfsjobs für alle. Die dunkle Seite von Sandbergs Überzeugung, dass wir „unser ganzes Ich“ mit zur Arbeit bringen sollen, ist damit natürlich, dass ein arbeitsloses Ich ein wertloses Ich ist.
Dennoch ist Sheryl Sandberg unmöglich für eine böse anti-feministische Doppelagentin zu halten, die wir schleunigst loswerden müssten. Obwohl sie von den Frauen, die nicht die große Konzern-Karriere anstreben, offenbar keinen Schimmer hat, dürften ihre Ratschläge für die Frauen, die genau das vorhaben, exzellent sein. Zweifellos versteht sie eine Menge von der Psychologie der Macht in Unternehmen. Man lese dazu nur das Kapitel „Verlassen Sie ihre Firma nicht, so lange sie noch da sind“. Sie erklärt darin, warum so viele Frauen nach ihrer ersten Geburt nicht mehr in die Arbeitswelt zurückkehren. Das läge schlicht daran, dass sich diese Frauen gedanklich schon jahrelang auf genau das eingestellt hätten: „Frauen treffen selten die eine große ,Jetzt-höre-ich-auf-zu-arbeiten’-Entscheidung. Sie treffen vielmehr nach und nach viele kleine Entscheidungen, machen mal hier ein kleines Zugeständnis und bringen dort ein Opfer, von dem sie glauben, dass es nötig ist, um eines Tages eine Familie zu haben.“
Ähnlich überzeugend ist das Buch dort, wo es darum geht, dass es jüngere Frauen viel schwerer als jüngere Männer haben, Mentoren zu finden. Oder dort, wo Sandbergs zentrale Beobachtung im Mittelpunkt steht, dass es in sexistischen Gesellschaften sehr schwierig ist, mit alten Rollenklischees und Vorurteilen zu brechen. Das ist zwar kein ganz neuer Befund, bislang erschien es jedoch noch nicht klüger, ihn nicht mehr zu wiederholen.
Und auch wenn ihre Rezepte für mehr Gleichberechtigung in großen Wirtschaftsunternehmen männliche Strategien letztlich nicht überwinden, sondern nur imitieren wollen, so ist es doch nie falsch, daran zu erinnern, wie nützlich es sein kann, von seinen Feinden zu lernen. Über gigantische ökonomische, ethnische und nationale Unterschiede hinweg ist das Patriarchat immerhin die erfolgreichste Bündnistaktik in der Geschichte der Menschheit.
Die orthodoxe feministische Kritik an „Lean In“ – also die, die so tut, als sei Sheryl keine potenzielle Verbündete, sondern der Todfeind schlechthin – diese Kritik dürfte allerdings von einer generellen Angst um den Feminismus motiviert sein. Engagierte Feministinnen mussten schließlich erleben, wie aus ihrem einst wirklich unbequemen sozialrevolutionären Projekt eine marktkonforme Bewegung wurde und ihre Sehnsucht nach dem feministischen Paradies zu der Sehnsucht, Frauen gleiche Chancen in einer Gesellschaft einzuräumen, deren Zustand längst so zutiefst mangelhaft erscheint. Mit anderen Worten: Sollte Sheryl Sandberg die führende Feministin unserer Zeit sein, dann hätte der Feminismus tatsächlich ein Problem. Wen sie das jedoch nicht ist – und man kann ziemlich sicher sein, dass sie es nicht ist – dann ist sie einfach nur eine weitere wohlmeinende liberale Technokratin. Und dass ist im Grunde doch kein echtes Problem.
RICHARD BECK
Aus dem Englischen von Jens-Christian Rabe
Die dunkle Seite von Sandbergs
Überzeugung ist, dass ein
arbeitsloses Ich ein wertloses ist
Die Kritik an dem Buch
dürfte von einer generellen Angst
um den Feminismus motiviert sein
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2014Was würde Sheryl tun?
Vor einem Jahr schrieb Facebook-Chefin Sheryl Sandberg ihren Bestseller "Lean In". Für Deutschlands Frauen ist er inzwischen die Karriere-Bibel: Hört auf zu heulen, hängt euch rein!
Von Lena Schipper
Als Lena Ulbricht schwanger wird, steckt sie mitten in der Promotion. Die Politologin forscht am Wissenschaftszentrum Berlin zum Thema Bildungspolitik, strebt eine wissenschaftliche Karriere an und schmiedet spätabends in der Bibliothek große Zukunftspläne. Doch mit der Schwangerschaft kommt sie ins Grübeln: Sind die Pläne noch realistisch, jetzt, wo bald das Kind kommt? Wäre es nicht besser, mehr darauf zu achten, wo die Arbeitszeiten vertretbar, die Bedingungen flexibel sind? Schaffe ich das alles überhaupt?
Um die Verwirrung zu überwinden, tut sie, was Intellektuelle eben so tun, wenn sie nicht mehr weiterwissen: Lesen. Kurze Zeit später sind ihre Prioritäten wieder klar. "Jetzt denke ich wieder, wo ist der interessantere Job, was will ich gesellschaftlich erreichen, und dann organisiere ich das halt so, dass es passt", sagt die Wissenschaftlerin.
Den Ausschlag für Ulbrichts Entschluss gab ein Buch. "Lean In - Frauen und der Wille zum Erfolg" von Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin bei Facebook, erschienen Anfang 2013. Sandberg, selbst Abziehbild der perfekten Karrierefrau, fordert die Frauen darin auf, sich im Beruf so richtig "reinzuhängen" ("lean in"), damit endlich mehr von ihnen in Machtpositionen gelangen. Sie beschreibt persönlich und anekdotenreich: mit welchen Widrigkeiten Frauen im Arbeitsleben zu kämpfen haben, dass viele Leute erfolgreiche Frauen "unsympathisch" finden, und auch die Kleinigkeiten Partnerwahl und Kinderkriegen spielen eine Rolle. Sandbergs These: Mit dem richtigen Mann, der richtigen Mischung aus Charme und Selbstbewusstsein und vor allem mit dem rechten Willen zum Erfolg können Frauen es ganz nach oben schaffen.
Damit hat Sheryl Sandberg einen Nerv getroffen. Ulbricht, deren Tochter mittlerweile ein Jahr alt ist, fühlte sich nach der Lektüre ertappt: "Im Nachhinein war es schon ziemlich Banane, zuerst über diese Probleme mit der Vereinbarkeit nachzugrübeln", sagt sie. Und sie ist kein Einzelfall. Frauen auf der ganzen Welt erkennen sich wieder in Sandbergs Buch und betrachten ihre Ratschläge als praktische Lebenshilfe. Das Buch hat sich seit seinem Erscheinen vor rund einem Jahr mehr als eineinhalb Millionen Mal verkauft. Der Vortrag, auf dem es aufbaut, wurde im Internet weit über vier Millionen Mal angeklickt.
Und unter Karrierefrauen hierzulande entwickelt sich "Lean In" zur Bibel: "Bei mir im Umfeld gibt es wohl keine Frau, die das nicht gelesen hat", sagt Christine Rupp, Partnerin bei der Unternehmensberatung Strategy & (ehemals Booz&Company). Sandbergs Ratschlag, sich reinzuhängen und vor allem nicht zu früh aufzugeben, legt Rupp jeder ehrgeizigen Frau ans Herz: "Ich beobachte so oft, dass Kolleginnen von vorneherein davon ausgehen, Familie und Karriere, das geht nicht. Das Buch gibt einen tollen Impuls, sich da mehr zuzutrauen." Den Erfolg des Buches erklärt sich die Unternehmensberaterin mit dem Gemeinschaftsgefühl, das es auslöst: "Es gibt den Frauen das Gefühl: ihr seid nicht allein. Es ist okay, über diese Probleme offen zu reden - aber ihr müsst auch etwas machen."
Sandbergs Rechnung ist aufgegangen. "Lean In" entwickelt sich dank einer perfekt orchestrierten Werbekampagne aus Buch, Vorträgen und sogar einer Fotoserie, die ein modernes Frauenbild befördern soll, zum Referenzpunkt eines neuen lebensnahen Feminismus. Die Wirkung ist vergleichbar mit Alice Schwarzers "Der kleine Unterschied". In Schwarzers Buch, das die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern anhand einer Reihe von Erfahrungsberichten von Frauen analysiert, fanden im Jahr 1975 viele Frauen ihre eigene Lebenserfahrung wieder. Heute finden sie die bei Sandberg.
Ganz nebenbei, und vermutlich nicht ungewollt, bringt "Lean In" Facebook weg vom Datenkraken-Image und hin zum Bild des modernen, aufgeschlossenen Arbeitgebers: Im vergangenen Jahr bewarben sich bei der einst als pubertärem Jungs-Club verschrienen Internetfirma so viele Frauen wie nie.
Sandbergs zahlreiche feministische Kritikerinnen werfen der milliardenschweren Managerin vor, dass sie unter dem Mantel des modernen Feminismus knallharten Silicon-Valley-Kapitalismus unters Volk bringt. Denn so charmant und schwesterlich sie sich auch gibt, Sandberg geht mit den Frauen genauso hart ins Gericht wie mit der Arbeitswelt: Sicher, ihr werdet immer noch anders wahrgenommen als Männer; ja, es gibt zu wenige weibliche Führungskräfte und zu wenige Parkplätze für Schwangere vor den Büros - aber ändern wird sich das nur, wenn ihr es selbst in die Hand nehmt und innerhalb des Systems nach oben kommt. Und dafür macht ihr zu wenig. Das ist der Vorwurf, den Sandberg den Frauen macht.
Er wiegt schwer. Doch Sandberg mildert ihn mit einem strahlenden Lächeln und dem von ihr propagierten "femininen Charme". Die Facebook-Chefin, die schon als Studentin immer zu den Besten gehörte, appelliert nicht an einen revolutionären Geist oder an die Gerechtigkeit, sondern an individuelle Leistungsfähigkeit: Setzt euch mit an den Tisch! Meldet euch zu Wort! Traut euch mehr zu! - als Grundlage systemischer Veränderung.
Gerade diesen Pragmatismus finden viele Frauen offenbar reizvoll: Er passt in die Zeit. "Wir nutzen das hier als Grundlage zur Selbstoptimierung", sagt Barbara Lampl. Sie entwickelt vor allem Vertriebsstrategien für Unternehmen aus der Finanzindustrie - "eine sehr männerdominierte Branche, nach wie vor" - und hat in Köln einen der ersten deutschen "Lean In"-Circle gegründet. In dem Gesprächskreis will sie Sandbergs Aufforderung zum "Reinhängen" beim Wort nehmen. Sie organisiert Treffen für interessierte Frauen, die sich über ihre berufliche Entwicklung austauschen. Abiturientinnen treffen auf Atomphysikerinnen, Wirtschaftswissenschaftlerinnen auf studierte Architektinnen, die gerade eine Babypause einlegen. Auch Männer sind eingeladen, einen Geschlechterkampf will niemand provozieren. Stattdessen: Karriereoptimierung. "Bei jedem Treffen schauen wir, wie waren die letzten Monate, bei wem hakt's wo - und bei fast jeder Geschichte heißt es, jaja, genau wie im Buch."
Am häufigsten konsultieren die Mitglieder des Zirkels Sandberg, um ihre eigene Zurückhaltung zu überwinden, mit der sich viele im Beruf herumschlagen. Kürzlich habe etwa eine Teilnehmerin Hilfe gesucht, weil sie Angst vor einer Präsentation vor dem Vorstand ihres Unternehmens hatte. "Kurz zuvor hatte sie selbst eine Bewerberin abgelehnt, weil die sich aus Angst, unsympathisch zu wirken, kleingeredet hatte", sagt Lampl, "und jetzt hatte sie Sorge, dass ihr das auch passieren könnte." Die Runde überlegte - was würde Sheryl tun? - und ermutigte die Mitstreiterin, auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen und "charmant, aber offensiv" aufzutreten. Die Präsentation gelang.
Die Unternehmerin Carolin Silbernagl, Koordinatorin der Anti-Aids-Initiative DotHIV, nutzt den "Lean In"-Ansatz sogar als alltägliches Korrektiv: "Manchmal ertappe ich mich bei ,typisch weiblichen Verhaltensweisen', bin in Versuchung, zurückzustecken, mich zu sehr zu rechtfertigen - dann denke ich: Halt, denk an Sheryl!"
Das größte Identifikationspotential bietet Sandbergs Buch allerdings bei einem ganz anderen Thema: der Partnerschaft. Wen man heirate, sei die wichtigste Karriereentscheidung im Leben einer Frau, schreibt die Facebook-Geschäftsführerin. Und die Frauen lieben sie dafür: "Die Männer müssen mitziehen", sagt Mathilde Berry, Managerin bei der Beratungsgesellschaft PWC und Mutter einer vierjährigen Tochter. "Ich hoffe, dass das Buch jungen Frauen dabei hilft, das einzufordern." Für sie selbst sei es zu spät erschienen. "Dass Beziehungen scheitern, wenn man seine Prioritäten nicht klar kommuniziert, musste ich selbst erfahren." Berrys Kollegin Britta Wormuth, auch sie Managerin bei PWC, sieht das ähnlich: "Wie schaffen Sie das eigentlich alles? Das sollte man in Zukunft auch jeden Mann fragen", sagt sie. "Lean In" helfe, das zu tun.
Doch Sandberg mausert sich nicht nur zur Allzweckwaffe beim Thema Gleichberechtigung. Auch Frauen, die ihren Ansatz schon lange verinnerlicht haben, lesen "Lean In". Für die PR-Beraterin Maike Gosch stand nie in Zweifel, dass sich Karriere und Familie vereinbaren lassen: "Meine Mutter hat fünf Kinder allein aufgezogen, dabei erst studiert und dann Vollzeit gearbeitet. Aber viele Frauen kommen eben aus traditionelleren Bezügen." Den größten Wert von Sandbergs Buch sieht sie deswegen in der Vorbildfunktion seiner Autorin. "Das Beste ist doch, dass es sie überhaupt gibt. Diese tolle, gutaussehende Frau, die so erfolgreich ist und trotzdem mit ihren Kindern zu Abend isst und dann auch noch öffentlich darüber redet, wie anstrengend es war, so weit zu kommen. Solche Vorbilder brauchen wir." Sandbergs Pragmatismus findet Gosch vernünftig: "Es ist nicht verwerflich zuzugeben, dass sich die Welt nur langsam ändert und es nichts bringt, darauf zu warten, dass alles perfekt ist."
Allerdings haben die Frauen nicht nur Lob übrig für "Sheryl": "Sie lässt es viel zu leicht klingen", sagt Silbernagl, "So, als wäre es trotz aller gesellschaftlicher Probleme nur eine Frage der Organisation." Das habe natürlich Grenzen. Zum einen finanzielle. "Was macht man ohne Kindermädchen?", fragt Silbernagl. Oder mit Kitas, die um 16 Uhr schließen? Zum anderen gibt es auch ganz handfeste Grenzen im Job. "Sexistische Chefs lassen sich nicht einfach weglächeln", sagt Silbernagl.
Nüchtern betrachtet, ist Sandbergs Buch für Frauen eine Zumutung. "Ich hasse Sheryl Sandberg", schrieb die amerikanische Juraprofessorin und Außenpolitik-Kolumnistin Rosa Brooks jüngst im Magazin "Foreign Policy". "Bevor Sandbergs Buch mich überzeugte, mich reinzuhängen, hatte ich ein Leben. Ich hatte Freunde. Ich hatte Hobbys. Ich konnte mich in der Regel an die Namen meiner Kinder erinnern. Dann las ich "Lean In", und mir wurde klar, dass ich eine sich selbst sabotierende Faulenzerin war."
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor einem Jahr schrieb Facebook-Chefin Sheryl Sandberg ihren Bestseller "Lean In". Für Deutschlands Frauen ist er inzwischen die Karriere-Bibel: Hört auf zu heulen, hängt euch rein!
Von Lena Schipper
Als Lena Ulbricht schwanger wird, steckt sie mitten in der Promotion. Die Politologin forscht am Wissenschaftszentrum Berlin zum Thema Bildungspolitik, strebt eine wissenschaftliche Karriere an und schmiedet spätabends in der Bibliothek große Zukunftspläne. Doch mit der Schwangerschaft kommt sie ins Grübeln: Sind die Pläne noch realistisch, jetzt, wo bald das Kind kommt? Wäre es nicht besser, mehr darauf zu achten, wo die Arbeitszeiten vertretbar, die Bedingungen flexibel sind? Schaffe ich das alles überhaupt?
Um die Verwirrung zu überwinden, tut sie, was Intellektuelle eben so tun, wenn sie nicht mehr weiterwissen: Lesen. Kurze Zeit später sind ihre Prioritäten wieder klar. "Jetzt denke ich wieder, wo ist der interessantere Job, was will ich gesellschaftlich erreichen, und dann organisiere ich das halt so, dass es passt", sagt die Wissenschaftlerin.
Den Ausschlag für Ulbrichts Entschluss gab ein Buch. "Lean In - Frauen und der Wille zum Erfolg" von Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin bei Facebook, erschienen Anfang 2013. Sandberg, selbst Abziehbild der perfekten Karrierefrau, fordert die Frauen darin auf, sich im Beruf so richtig "reinzuhängen" ("lean in"), damit endlich mehr von ihnen in Machtpositionen gelangen. Sie beschreibt persönlich und anekdotenreich: mit welchen Widrigkeiten Frauen im Arbeitsleben zu kämpfen haben, dass viele Leute erfolgreiche Frauen "unsympathisch" finden, und auch die Kleinigkeiten Partnerwahl und Kinderkriegen spielen eine Rolle. Sandbergs These: Mit dem richtigen Mann, der richtigen Mischung aus Charme und Selbstbewusstsein und vor allem mit dem rechten Willen zum Erfolg können Frauen es ganz nach oben schaffen.
Damit hat Sheryl Sandberg einen Nerv getroffen. Ulbricht, deren Tochter mittlerweile ein Jahr alt ist, fühlte sich nach der Lektüre ertappt: "Im Nachhinein war es schon ziemlich Banane, zuerst über diese Probleme mit der Vereinbarkeit nachzugrübeln", sagt sie. Und sie ist kein Einzelfall. Frauen auf der ganzen Welt erkennen sich wieder in Sandbergs Buch und betrachten ihre Ratschläge als praktische Lebenshilfe. Das Buch hat sich seit seinem Erscheinen vor rund einem Jahr mehr als eineinhalb Millionen Mal verkauft. Der Vortrag, auf dem es aufbaut, wurde im Internet weit über vier Millionen Mal angeklickt.
Und unter Karrierefrauen hierzulande entwickelt sich "Lean In" zur Bibel: "Bei mir im Umfeld gibt es wohl keine Frau, die das nicht gelesen hat", sagt Christine Rupp, Partnerin bei der Unternehmensberatung Strategy & (ehemals Booz&Company). Sandbergs Ratschlag, sich reinzuhängen und vor allem nicht zu früh aufzugeben, legt Rupp jeder ehrgeizigen Frau ans Herz: "Ich beobachte so oft, dass Kolleginnen von vorneherein davon ausgehen, Familie und Karriere, das geht nicht. Das Buch gibt einen tollen Impuls, sich da mehr zuzutrauen." Den Erfolg des Buches erklärt sich die Unternehmensberaterin mit dem Gemeinschaftsgefühl, das es auslöst: "Es gibt den Frauen das Gefühl: ihr seid nicht allein. Es ist okay, über diese Probleme offen zu reden - aber ihr müsst auch etwas machen."
Sandbergs Rechnung ist aufgegangen. "Lean In" entwickelt sich dank einer perfekt orchestrierten Werbekampagne aus Buch, Vorträgen und sogar einer Fotoserie, die ein modernes Frauenbild befördern soll, zum Referenzpunkt eines neuen lebensnahen Feminismus. Die Wirkung ist vergleichbar mit Alice Schwarzers "Der kleine Unterschied". In Schwarzers Buch, das die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern anhand einer Reihe von Erfahrungsberichten von Frauen analysiert, fanden im Jahr 1975 viele Frauen ihre eigene Lebenserfahrung wieder. Heute finden sie die bei Sandberg.
Ganz nebenbei, und vermutlich nicht ungewollt, bringt "Lean In" Facebook weg vom Datenkraken-Image und hin zum Bild des modernen, aufgeschlossenen Arbeitgebers: Im vergangenen Jahr bewarben sich bei der einst als pubertärem Jungs-Club verschrienen Internetfirma so viele Frauen wie nie.
Sandbergs zahlreiche feministische Kritikerinnen werfen der milliardenschweren Managerin vor, dass sie unter dem Mantel des modernen Feminismus knallharten Silicon-Valley-Kapitalismus unters Volk bringt. Denn so charmant und schwesterlich sie sich auch gibt, Sandberg geht mit den Frauen genauso hart ins Gericht wie mit der Arbeitswelt: Sicher, ihr werdet immer noch anders wahrgenommen als Männer; ja, es gibt zu wenige weibliche Führungskräfte und zu wenige Parkplätze für Schwangere vor den Büros - aber ändern wird sich das nur, wenn ihr es selbst in die Hand nehmt und innerhalb des Systems nach oben kommt. Und dafür macht ihr zu wenig. Das ist der Vorwurf, den Sandberg den Frauen macht.
Er wiegt schwer. Doch Sandberg mildert ihn mit einem strahlenden Lächeln und dem von ihr propagierten "femininen Charme". Die Facebook-Chefin, die schon als Studentin immer zu den Besten gehörte, appelliert nicht an einen revolutionären Geist oder an die Gerechtigkeit, sondern an individuelle Leistungsfähigkeit: Setzt euch mit an den Tisch! Meldet euch zu Wort! Traut euch mehr zu! - als Grundlage systemischer Veränderung.
Gerade diesen Pragmatismus finden viele Frauen offenbar reizvoll: Er passt in die Zeit. "Wir nutzen das hier als Grundlage zur Selbstoptimierung", sagt Barbara Lampl. Sie entwickelt vor allem Vertriebsstrategien für Unternehmen aus der Finanzindustrie - "eine sehr männerdominierte Branche, nach wie vor" - und hat in Köln einen der ersten deutschen "Lean In"-Circle gegründet. In dem Gesprächskreis will sie Sandbergs Aufforderung zum "Reinhängen" beim Wort nehmen. Sie organisiert Treffen für interessierte Frauen, die sich über ihre berufliche Entwicklung austauschen. Abiturientinnen treffen auf Atomphysikerinnen, Wirtschaftswissenschaftlerinnen auf studierte Architektinnen, die gerade eine Babypause einlegen. Auch Männer sind eingeladen, einen Geschlechterkampf will niemand provozieren. Stattdessen: Karriereoptimierung. "Bei jedem Treffen schauen wir, wie waren die letzten Monate, bei wem hakt's wo - und bei fast jeder Geschichte heißt es, jaja, genau wie im Buch."
Am häufigsten konsultieren die Mitglieder des Zirkels Sandberg, um ihre eigene Zurückhaltung zu überwinden, mit der sich viele im Beruf herumschlagen. Kürzlich habe etwa eine Teilnehmerin Hilfe gesucht, weil sie Angst vor einer Präsentation vor dem Vorstand ihres Unternehmens hatte. "Kurz zuvor hatte sie selbst eine Bewerberin abgelehnt, weil die sich aus Angst, unsympathisch zu wirken, kleingeredet hatte", sagt Lampl, "und jetzt hatte sie Sorge, dass ihr das auch passieren könnte." Die Runde überlegte - was würde Sheryl tun? - und ermutigte die Mitstreiterin, auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen und "charmant, aber offensiv" aufzutreten. Die Präsentation gelang.
Die Unternehmerin Carolin Silbernagl, Koordinatorin der Anti-Aids-Initiative DotHIV, nutzt den "Lean In"-Ansatz sogar als alltägliches Korrektiv: "Manchmal ertappe ich mich bei ,typisch weiblichen Verhaltensweisen', bin in Versuchung, zurückzustecken, mich zu sehr zu rechtfertigen - dann denke ich: Halt, denk an Sheryl!"
Das größte Identifikationspotential bietet Sandbergs Buch allerdings bei einem ganz anderen Thema: der Partnerschaft. Wen man heirate, sei die wichtigste Karriereentscheidung im Leben einer Frau, schreibt die Facebook-Geschäftsführerin. Und die Frauen lieben sie dafür: "Die Männer müssen mitziehen", sagt Mathilde Berry, Managerin bei der Beratungsgesellschaft PWC und Mutter einer vierjährigen Tochter. "Ich hoffe, dass das Buch jungen Frauen dabei hilft, das einzufordern." Für sie selbst sei es zu spät erschienen. "Dass Beziehungen scheitern, wenn man seine Prioritäten nicht klar kommuniziert, musste ich selbst erfahren." Berrys Kollegin Britta Wormuth, auch sie Managerin bei PWC, sieht das ähnlich: "Wie schaffen Sie das eigentlich alles? Das sollte man in Zukunft auch jeden Mann fragen", sagt sie. "Lean In" helfe, das zu tun.
Doch Sandberg mausert sich nicht nur zur Allzweckwaffe beim Thema Gleichberechtigung. Auch Frauen, die ihren Ansatz schon lange verinnerlicht haben, lesen "Lean In". Für die PR-Beraterin Maike Gosch stand nie in Zweifel, dass sich Karriere und Familie vereinbaren lassen: "Meine Mutter hat fünf Kinder allein aufgezogen, dabei erst studiert und dann Vollzeit gearbeitet. Aber viele Frauen kommen eben aus traditionelleren Bezügen." Den größten Wert von Sandbergs Buch sieht sie deswegen in der Vorbildfunktion seiner Autorin. "Das Beste ist doch, dass es sie überhaupt gibt. Diese tolle, gutaussehende Frau, die so erfolgreich ist und trotzdem mit ihren Kindern zu Abend isst und dann auch noch öffentlich darüber redet, wie anstrengend es war, so weit zu kommen. Solche Vorbilder brauchen wir." Sandbergs Pragmatismus findet Gosch vernünftig: "Es ist nicht verwerflich zuzugeben, dass sich die Welt nur langsam ändert und es nichts bringt, darauf zu warten, dass alles perfekt ist."
Allerdings haben die Frauen nicht nur Lob übrig für "Sheryl": "Sie lässt es viel zu leicht klingen", sagt Silbernagl, "So, als wäre es trotz aller gesellschaftlicher Probleme nur eine Frage der Organisation." Das habe natürlich Grenzen. Zum einen finanzielle. "Was macht man ohne Kindermädchen?", fragt Silbernagl. Oder mit Kitas, die um 16 Uhr schließen? Zum anderen gibt es auch ganz handfeste Grenzen im Job. "Sexistische Chefs lassen sich nicht einfach weglächeln", sagt Silbernagl.
Nüchtern betrachtet, ist Sandbergs Buch für Frauen eine Zumutung. "Ich hasse Sheryl Sandberg", schrieb die amerikanische Juraprofessorin und Außenpolitik-Kolumnistin Rosa Brooks jüngst im Magazin "Foreign Policy". "Bevor Sandbergs Buch mich überzeugte, mich reinzuhängen, hatte ich ein Leben. Ich hatte Freunde. Ich hatte Hobbys. Ich konnte mich in der Regel an die Namen meiner Kinder erinnern. Dann las ich "Lean In", und mir wurde klar, dass ich eine sich selbst sabotierende Faulenzerin war."
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