Müssen wir unser Verständnis von »Leben« neu denken?
Der bekannte Genetiker J. Craig Venter schafft es immer wieder in die Schlagzeilen: Nachdem er als Erster das menschliche Genom entzifferte, hat er jetzt als Erster einen künstlichen Organismus erschaffen. In seinem Buch erzählt er nun packend und anschaulich von den Rückschlägen und revolutionären Entdeckungen seiner Forschung. Gleichzeitig zeigt er, was die gegenwärtige Biologie kann und die zukünftige können wird: Sequenz für Sequenz passgenaue Organismen herstellen, die Geninformation »beamen«, Modellzellen programmieren, mit denen man Versuche am Computer durchführen kann, sowie neuartige Medikamente erstellen und mit Lichtgeschwindigkeit auf der Welt verteilen. Ein Bericht von der vordersten Front der Wissenschaft und ein so faszinierender wie nachdenklich stimmender Einblick in die neue Welt der synthetischen Biologie.
Der bekannte Genetiker J. Craig Venter schafft es immer wieder in die Schlagzeilen: Nachdem er als Erster das menschliche Genom entzifferte, hat er jetzt als Erster einen künstlichen Organismus erschaffen. In seinem Buch erzählt er nun packend und anschaulich von den Rückschlägen und revolutionären Entdeckungen seiner Forschung. Gleichzeitig zeigt er, was die gegenwärtige Biologie kann und die zukünftige können wird: Sequenz für Sequenz passgenaue Organismen herstellen, die Geninformation »beamen«, Modellzellen programmieren, mit denen man Versuche am Computer durchführen kann, sowie neuartige Medikamente erstellen und mit Lichtgeschwindigkeit auf der Welt verteilen. Ein Bericht von der vordersten Front der Wissenschaft und ein so faszinierender wie nachdenklich stimmender Einblick in die neue Welt der synthetischen Biologie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2014Was ist die Wahrheit des Lebens?
Craig Venter hat das Erbgut entschlüsselt, und jetzt will er mehr: In "Leben aus dem Labor" erzählt er von synthetischer Genetik und von sich selbst
Der Arbeitsschwerpunkt des amerikanischen Biochemikers Craig Venter hat sich in den letzten 15 Jahren verschoben: von der Darstellung zur künstlichen Erzeugung des Genoms. Im Jahr 2000 präsentierte Venter, nach einem Forschungswettlauf mit konkurrierenden Institutionen, als erster Wissenschaftler die vollständige Sequenzierung der menschlichen DNA, ein Ereignis, das vermutlich als eine der größten Zäsuren in der Geschichte des Wissens vom Menschen in Erinnerung bleiben wird. Seitdem die "Entschlüsselung" des Erbguts vorliegt, konzentriert sich Venter auf ein neues, ähnlich spektakuläres Forschungsgebiet, dessen Ergebnisse er in seinem neuen Buch, "Leben aus dem Labor", vorstellt: Es geht ihm nun darum, Chromosomen von Lebewesen (bislang von Viren und Bakterien) synthetisch herzustellen, "aus einem Computercode und vier Flaschen mit Chemikalien", und dieses Erbgut in einer Bakterienzelle zu aktivieren.
Venter ruft das "digitale Zeitalter der Biologie" aus, denn die künstliche Nachbildung der riesigen Genome ist vor allem eine Aufgabe der Datenverarbeitung. Labore der Lebenswissenschaft bestehen inzwischen zu einem Großteil aus Computern. Schon die DNA des einfachsten Mykoplasma-Bakteriums setzt sich aus 580 000 Basenpaaren zusammen, und ein einziger "Buchstabierfehler" auf dem Rechner, so Venter, bedeute für sein Unterfangen "den Unterschied zwischen Leben und Tod". In der Geschichte der Informatik und der Genetik, so könnte man sagen, ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer doppelten Explosion der Kapazitäten gekommen. Sowohl die handhabbaren Daten der Rechner als auch die isolierbaren Bausteine des Lebens bilden unvorstellbar große, abstrakte Mengen. Nur die eine Technologie vermag die andere überhaupt abzubilden: In diesem Sinne wirkt die gegenwärtige Verschränkung von Biologie und Informatik wie eine wissenschaftshistorische Notwendigkeit.
Die Erfolgsgeschichte, die Craig Venter in seinem Buch erzählt, hat zwei Höhepunkte. Schon Ende der neunziger Jahre, parallel zur Sequenzierung des Genoms, gelingt es seinen Forschergruppen, die DNA eines Virus, des Bakteriophagen Phi X 174, künstlich herzustellen und damit ein Bakterium zu infizieren. Sein nächstes Ziel, die etwa hundert Mal so komplexe Struktur eines Bakterienchromosoms zu synthetisieren und in die entkernte Zelle einer anderen Bakterienart zu verpflanzen, nimmt dann mehr als ein Jahrzehnt Laborarbeit in Anspruch. 2010 erscheint in der Zeitschrift "Science" schließlich der aufsehenerregende Artikel über den erfolgreichen Transfer: Die künstlich hergestellte Mykoplasmen-DNA hat sich in der Wirtszelle aktiviert und selbst verdoppelt. "Damit hatten wir letztlich eine biologische Art in eine andere verwandelt."
Craig Venters Buch ist sowohl Forschungsbericht als auch (unwillkürliches) Forscherporträt. Auf einer fachlichen Ebene liefert es vor allem aufschlussreiche Erörterungen über den Status des "Lebens" im Zeitalter der Computersimulation. Bis vor ganz kurzer Zeit gehörte es zur Definition alles Lebendigen, dass es nicht simuliert werden konnte. Es gab Leben und Nicht-Leben, aber keine Zwischenbereiche, kein Leben auf Probe. Wenn Venter seine aufwendigen Computersimulationen beschreibt, seine Versuche, im Rechner eine virtuelle Zelle zu schaffen - "ein dynamisches biologisches System in Form ,lebendiger' Software" -, gerät dieses Axiom ins Schwanken. Die Kategorie des "Lebens" scheint sich in den Biowissenschaften des 21. Jahrhunderts in vielfacher Hinsicht vom Subjekt zu lösen (man denke auch an die Stammzellenforschung, die befruchtete Eizellen zu Therapiezwecken benutzt): eine Konstellation, die das Verständnis vom Menschen elementar verändert.
Unterhalb dieser Ebene ist "Leben aus dem Labor" aber auch ein Dokument über die Position des Biowissenschaftlers unserer Zeit, über die Frage, inwiefern er seinen Gegenstand nicht nur vorfindet oder entdeckt, sondern ihn erschafft, sich seiner bemächtigt. Craig Venters Tätigkeit zielt ja seit mehr als zwanzig Jahren darauf ab, möglichst singuläre Erkenntnismomente zu schaffen - das heißt vor allem: "der Erste" zu sein - und diese Momente mit dem Marketinggespür des Unternehmers an seinen eigenen Namen zu binden. Ursprungsrhetorik ist für diesen Wissenschaftsstil zentral: In seinem Buch ist unablässig vom "ersten synthetischen Organismus" die Rede, von der "ersten digital entwickelten Zelle", und deshalb kann er auch seine Verstimmung nicht verhehlen, als Rezensenten des "Science"-Artikels von 2010 bezweifeln, ob sein Chromosomentransfer wirklich als Herstellung "synthetischen Lebens" zu bezeichnen sei, wo doch die Empfängerzelle weiterhin eine natürliche war. Er beklagt sich über "Versuche, unsere Leistung herunterzuspielen". Craig Venter braucht epochale Zäsuren.
Die Wahrheit des Lebens kann laut Venter freigelegt und optimiert werden. Doch zeigt die Geschichte des biologischen Wissens, wie sie etwa François Jacob in seinen Büchern so eindrucksvoll beschrieben hat, nicht genau das Gegenteil? Jacobs schönem Bild zufolge entwickelten die Lebenswissenschaften seit dem frühen 19. Jahrhundert immer abstraktere, tiefer verborgene Baupläne hinter den sichtbaren Strukturen des Körpers, von den "Zellen" zu den "Chromosomen" zur "DNA", ein wenig wie das System der ineinandergeschachtelten russischen Puppen. Auf dieser letzten Stufe ist die Genetik aber nicht stehengeblieben; auch die DNA mag seit 15 Jahren zwar "entziffert" sein, aber die Bedeutung dieser Ziffern gibt weiter Rätsel auf - der Kern des Kerns des Kerns, an dem sich auch Venter bei seinem Versuch der synthetischen Zellbildung abarbeitet. Es gibt kein Leben an sich, frei von historisch wandelbaren Repräsentationen, aber Craig Venter muss dieses Versprechen immer wieder erneuern, um sein florierendes Wissenschaftsunternehmen am Laufen zu halten.
Verbunden mit diesem ungebrochenen Erkenntnisoptimismus ist der Wille, sich des eigenen Forschungsgegenstandes zu bemächtigen. Craig Venter reklamiert die Urheberschaft an jenem Leben, dessen Strukturen er isoliert. Dieser Anspruch wurde schon im Zusammenhang mit der entzifferten DNA des Menschen deutlich, als sich Venter eine Vielzahl von Patenten auf neu entdeckte Gene sicherte. Wem die Autorschaft der synthetischen Chromosomen und Zellen zukommt, verrät jetzt schon der Name des Instituts, das der Genetiker im Jahr 2006 gegründet hat: das "J. Craig Venter Institute", das inzwischen aus mehr als 500 Mitarbeitern an der Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten besteht. Im Buch verwendet Venter bei der Beschreibung seiner Arbeit fast immer das majestätische "Wir", untrügliches Merkmal dessen, der sich der Strahlkraft seines Ichs völlig bewusst ist. "Erfolge sind in der modernen Wissenschaft zunehmend von guter Teamarbeit abhängig", schreibt Venter, aber nicht umsonst wechselt er, wenn er von den wirklich wichtigen Entscheidungen im Labor erzählt, in die erste Person Singular. "Das neue Transplantationsteam stellte ich rund um zwei Wissenschaftler zusammen . . ."
Wie tief sich der Erforscher des menschlichen Lebens als Autor in seinen Gegenstand einschreibt, wird schließlich an einer Stelle des Buches besonders deutlich. Venter schildert hier den Versuch des Teams, eine individuelle Spur in der künstlich hergestellten Viren-DNA zu hinterlassen: "Wie Künstler, die ihre Arbeiten signieren", schreibt er, "so wollten auch wir in dem neuen Genom eine ,Unterschrift' hinterlassen, durch die es sich von seinem natürlichen Gegenstück unterschied." Johann Sebastian Bach integrierte bekanntlich die Buchstabenfolge seines Namens in die Notenfolge der Partituren; der Biokomponist Venter und seine Mitarbeiter konstruieren nach einem bestimmten Umrechnungscode "Wasserzeichen-Sequenzen" in der DNA, die die Buchstabenfolge "Venter Institute" ergeben. Die neue Lebensessenz trägt die Chiffre ihres Erfinders. Enger kann die Verbindung von Körper, Wissenschaft und Unternehmertum nicht werden.
ANDREAS BERNARD
J. Craig Venter: "Leben aus dem Labor. Die neue Welt der synthetischen Biologie". Übersetzt von Sebastian Vogel. S. Fischer, 306 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Craig Venter hat das Erbgut entschlüsselt, und jetzt will er mehr: In "Leben aus dem Labor" erzählt er von synthetischer Genetik und von sich selbst
Der Arbeitsschwerpunkt des amerikanischen Biochemikers Craig Venter hat sich in den letzten 15 Jahren verschoben: von der Darstellung zur künstlichen Erzeugung des Genoms. Im Jahr 2000 präsentierte Venter, nach einem Forschungswettlauf mit konkurrierenden Institutionen, als erster Wissenschaftler die vollständige Sequenzierung der menschlichen DNA, ein Ereignis, das vermutlich als eine der größten Zäsuren in der Geschichte des Wissens vom Menschen in Erinnerung bleiben wird. Seitdem die "Entschlüsselung" des Erbguts vorliegt, konzentriert sich Venter auf ein neues, ähnlich spektakuläres Forschungsgebiet, dessen Ergebnisse er in seinem neuen Buch, "Leben aus dem Labor", vorstellt: Es geht ihm nun darum, Chromosomen von Lebewesen (bislang von Viren und Bakterien) synthetisch herzustellen, "aus einem Computercode und vier Flaschen mit Chemikalien", und dieses Erbgut in einer Bakterienzelle zu aktivieren.
Venter ruft das "digitale Zeitalter der Biologie" aus, denn die künstliche Nachbildung der riesigen Genome ist vor allem eine Aufgabe der Datenverarbeitung. Labore der Lebenswissenschaft bestehen inzwischen zu einem Großteil aus Computern. Schon die DNA des einfachsten Mykoplasma-Bakteriums setzt sich aus 580 000 Basenpaaren zusammen, und ein einziger "Buchstabierfehler" auf dem Rechner, so Venter, bedeute für sein Unterfangen "den Unterschied zwischen Leben und Tod". In der Geschichte der Informatik und der Genetik, so könnte man sagen, ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer doppelten Explosion der Kapazitäten gekommen. Sowohl die handhabbaren Daten der Rechner als auch die isolierbaren Bausteine des Lebens bilden unvorstellbar große, abstrakte Mengen. Nur die eine Technologie vermag die andere überhaupt abzubilden: In diesem Sinne wirkt die gegenwärtige Verschränkung von Biologie und Informatik wie eine wissenschaftshistorische Notwendigkeit.
Die Erfolgsgeschichte, die Craig Venter in seinem Buch erzählt, hat zwei Höhepunkte. Schon Ende der neunziger Jahre, parallel zur Sequenzierung des Genoms, gelingt es seinen Forschergruppen, die DNA eines Virus, des Bakteriophagen Phi X 174, künstlich herzustellen und damit ein Bakterium zu infizieren. Sein nächstes Ziel, die etwa hundert Mal so komplexe Struktur eines Bakterienchromosoms zu synthetisieren und in die entkernte Zelle einer anderen Bakterienart zu verpflanzen, nimmt dann mehr als ein Jahrzehnt Laborarbeit in Anspruch. 2010 erscheint in der Zeitschrift "Science" schließlich der aufsehenerregende Artikel über den erfolgreichen Transfer: Die künstlich hergestellte Mykoplasmen-DNA hat sich in der Wirtszelle aktiviert und selbst verdoppelt. "Damit hatten wir letztlich eine biologische Art in eine andere verwandelt."
Craig Venters Buch ist sowohl Forschungsbericht als auch (unwillkürliches) Forscherporträt. Auf einer fachlichen Ebene liefert es vor allem aufschlussreiche Erörterungen über den Status des "Lebens" im Zeitalter der Computersimulation. Bis vor ganz kurzer Zeit gehörte es zur Definition alles Lebendigen, dass es nicht simuliert werden konnte. Es gab Leben und Nicht-Leben, aber keine Zwischenbereiche, kein Leben auf Probe. Wenn Venter seine aufwendigen Computersimulationen beschreibt, seine Versuche, im Rechner eine virtuelle Zelle zu schaffen - "ein dynamisches biologisches System in Form ,lebendiger' Software" -, gerät dieses Axiom ins Schwanken. Die Kategorie des "Lebens" scheint sich in den Biowissenschaften des 21. Jahrhunderts in vielfacher Hinsicht vom Subjekt zu lösen (man denke auch an die Stammzellenforschung, die befruchtete Eizellen zu Therapiezwecken benutzt): eine Konstellation, die das Verständnis vom Menschen elementar verändert.
Unterhalb dieser Ebene ist "Leben aus dem Labor" aber auch ein Dokument über die Position des Biowissenschaftlers unserer Zeit, über die Frage, inwiefern er seinen Gegenstand nicht nur vorfindet oder entdeckt, sondern ihn erschafft, sich seiner bemächtigt. Craig Venters Tätigkeit zielt ja seit mehr als zwanzig Jahren darauf ab, möglichst singuläre Erkenntnismomente zu schaffen - das heißt vor allem: "der Erste" zu sein - und diese Momente mit dem Marketinggespür des Unternehmers an seinen eigenen Namen zu binden. Ursprungsrhetorik ist für diesen Wissenschaftsstil zentral: In seinem Buch ist unablässig vom "ersten synthetischen Organismus" die Rede, von der "ersten digital entwickelten Zelle", und deshalb kann er auch seine Verstimmung nicht verhehlen, als Rezensenten des "Science"-Artikels von 2010 bezweifeln, ob sein Chromosomentransfer wirklich als Herstellung "synthetischen Lebens" zu bezeichnen sei, wo doch die Empfängerzelle weiterhin eine natürliche war. Er beklagt sich über "Versuche, unsere Leistung herunterzuspielen". Craig Venter braucht epochale Zäsuren.
Die Wahrheit des Lebens kann laut Venter freigelegt und optimiert werden. Doch zeigt die Geschichte des biologischen Wissens, wie sie etwa François Jacob in seinen Büchern so eindrucksvoll beschrieben hat, nicht genau das Gegenteil? Jacobs schönem Bild zufolge entwickelten die Lebenswissenschaften seit dem frühen 19. Jahrhundert immer abstraktere, tiefer verborgene Baupläne hinter den sichtbaren Strukturen des Körpers, von den "Zellen" zu den "Chromosomen" zur "DNA", ein wenig wie das System der ineinandergeschachtelten russischen Puppen. Auf dieser letzten Stufe ist die Genetik aber nicht stehengeblieben; auch die DNA mag seit 15 Jahren zwar "entziffert" sein, aber die Bedeutung dieser Ziffern gibt weiter Rätsel auf - der Kern des Kerns des Kerns, an dem sich auch Venter bei seinem Versuch der synthetischen Zellbildung abarbeitet. Es gibt kein Leben an sich, frei von historisch wandelbaren Repräsentationen, aber Craig Venter muss dieses Versprechen immer wieder erneuern, um sein florierendes Wissenschaftsunternehmen am Laufen zu halten.
Verbunden mit diesem ungebrochenen Erkenntnisoptimismus ist der Wille, sich des eigenen Forschungsgegenstandes zu bemächtigen. Craig Venter reklamiert die Urheberschaft an jenem Leben, dessen Strukturen er isoliert. Dieser Anspruch wurde schon im Zusammenhang mit der entzifferten DNA des Menschen deutlich, als sich Venter eine Vielzahl von Patenten auf neu entdeckte Gene sicherte. Wem die Autorschaft der synthetischen Chromosomen und Zellen zukommt, verrät jetzt schon der Name des Instituts, das der Genetiker im Jahr 2006 gegründet hat: das "J. Craig Venter Institute", das inzwischen aus mehr als 500 Mitarbeitern an der Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten besteht. Im Buch verwendet Venter bei der Beschreibung seiner Arbeit fast immer das majestätische "Wir", untrügliches Merkmal dessen, der sich der Strahlkraft seines Ichs völlig bewusst ist. "Erfolge sind in der modernen Wissenschaft zunehmend von guter Teamarbeit abhängig", schreibt Venter, aber nicht umsonst wechselt er, wenn er von den wirklich wichtigen Entscheidungen im Labor erzählt, in die erste Person Singular. "Das neue Transplantationsteam stellte ich rund um zwei Wissenschaftler zusammen . . ."
Wie tief sich der Erforscher des menschlichen Lebens als Autor in seinen Gegenstand einschreibt, wird schließlich an einer Stelle des Buches besonders deutlich. Venter schildert hier den Versuch des Teams, eine individuelle Spur in der künstlich hergestellten Viren-DNA zu hinterlassen: "Wie Künstler, die ihre Arbeiten signieren", schreibt er, "so wollten auch wir in dem neuen Genom eine ,Unterschrift' hinterlassen, durch die es sich von seinem natürlichen Gegenstück unterschied." Johann Sebastian Bach integrierte bekanntlich die Buchstabenfolge seines Namens in die Notenfolge der Partituren; der Biokomponist Venter und seine Mitarbeiter konstruieren nach einem bestimmten Umrechnungscode "Wasserzeichen-Sequenzen" in der DNA, die die Buchstabenfolge "Venter Institute" ergeben. Die neue Lebensessenz trägt die Chiffre ihres Erfinders. Enger kann die Verbindung von Körper, Wissenschaft und Unternehmertum nicht werden.
ANDREAS BERNARD
J. Craig Venter: "Leben aus dem Labor. Die neue Welt der synthetischen Biologie". Übersetzt von Sebastian Vogel. S. Fischer, 306 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Laut Joachim Müller-Jung überschreitet der Autor in seinem neuen Buch nicht selten die Grenze zur Fiktion. Allerdings leidet der wissenschaftliche Gestus bei Craig Venter auch unter dessen extremem Geltungsbedürfnis und seiner kaum zu toppenden Selbstüberschätzung, wie Müller-Jung suggeriert. Fasziniert ist der Rezensent dennoch von dem, was er hier liest. Selbst, wenn Venter von der Herstellung neuer Treibstoffe und dem Ersetzen der Erdölindustrie, laut Müller-Jung ein Steckenpferd des Molekularbiologen und Genom-Unternehmers Venter, in diesem Buch gar nicht spricht. Über die Digitalisierung des Lebens und die Frage, wie Leben zu definieren sei, vermag ihm der Autor radikal und spannend zu erzählen. Aufschluss über die häufig in der Forschung und der Medizin anzutreffende Hybris, erhält der Rezensent obendrein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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In jedem Fall ist Venter ein fesselndes, fachlich solides Sachbuch mit autobiografischem Charakter gelungen, das sich ähnlich eingängig liest wie ein Sciencefictionroman. Rosana Erhart spektrum.de 20141202
Was ist die Wahrheit des Lebens?
Craig Venter hat das Erbgut entschlüsselt, und jetzt will er mehr: In "Leben aus dem Labor" erzählt er von synthetischer Genetik und von sich selbst
Der Arbeitsschwerpunkt des amerikanischen Biochemikers Craig Venter hat sich in den letzten 15 Jahren verschoben: von der Darstellung zur künstlichen Erzeugung des Genoms. Im Jahr 2000 präsentierte Venter, nach einem Forschungswettlauf mit konkurrierenden Institutionen, als erster Wissenschaftler die vollständige Sequenzierung der menschlichen DNA, ein Ereignis, das vermutlich als eine der größten Zäsuren in der Geschichte des Wissens vom Menschen in Erinnerung bleiben wird. Seitdem die "Entschlüsselung" des Erbguts vorliegt, konzentriert sich Venter auf ein neues, ähnlich spektakuläres Forschungsgebiet, dessen Ergebnisse er in seinem neuen Buch, "Leben aus dem Labor", vorstellt: Es geht ihm nun darum, Chromosomen von Lebewesen (bislang von Viren und Bakterien) synthetisch herzustellen, "aus einem Computercode und vier Flaschen mit Chemikalien", und dieses Erbgut in einer Bakterienzelle zu aktivieren.
Venter ruft das "digitale Zeitalter der Biologie" aus, denn die künstliche Nachbildung der riesigen Genome ist vor allem eine Aufgabe der Datenverarbeitung. Labore der Lebenswissenschaft bestehen inzwischen zu einem Großteil aus Computern. Schon die DNA des einfachsten Mykoplasma-Bakteriums setzt sich aus 580 000 Basenpaaren zusammen, und ein einziger "Buchstabierfehler" auf dem Rechner, so Venter, bedeute für sein Unterfangen "den Unterschied zwischen Leben und Tod". In der Geschichte der Informatik und der Genetik, so könnte man sagen, ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer doppelten Explosion der Kapazitäten gekommen. Sowohl die handhabbaren Daten der Rechner als auch die isolierbaren Bausteine des Lebens bilden unvorstellbar große, abstrakte Mengen. Nur die eine Technologie vermag die andere überhaupt abzubilden: In diesem Sinne wirkt die gegenwärtige Verschränkung von Biologie und Informatik wie eine wissenschaftshistorische Notwendigkeit.
Die Erfolgsgeschichte, die Craig Venter in seinem Buch erzählt, hat zwei Höhepunkte. Schon Ende der neunziger Jahre, parallel zur Sequenzierung des Genoms, gelingt es seinen Forschergruppen, die DNA eines Virus, des Bakteriophagen Phi X 174, künstlich herzustellen und damit ein Bakterium zu infizieren. Sein nächstes Ziel, die etwa hundert Mal so komplexe Struktur eines Bakterienchromosoms zu synthetisieren und in die entkernte Zelle einer anderen Bakterienart zu verpflanzen, nimmt dann mehr als ein Jahrzehnt Laborarbeit in Anspruch. 2010 erscheint in der Zeitschrift "Science" schließlich der aufsehenerregende Artikel über den erfolgreichen Transfer: Die künstlich hergestellte Mykoplasmen-DNA hat sich in der Wirtszelle aktiviert und selbst verdoppelt. "Damit hatten wir letztlich eine biologische Art in eine andere verwandelt."
Craig Venters Buch ist sowohl Forschungsbericht als auch (unwillkürliches) Forscherporträt. Auf einer fachlichen Ebene liefert es vor allem aufschlussreiche Erörterungen über den Status des "Lebens" im Zeitalter der Computersimulation. Bis vor ganz kurzer Zeit gehörte es zur Definition alles Lebendigen, dass es nicht simuliert werden konnte. Es gab Leben und Nicht-Leben, aber keine Zwischenbereiche, kein Leben auf Probe. Wenn Venter seine aufwendigen Computersimulationen beschreibt, seine Versuche, im Rechner eine virtuelle Zelle zu schaffen - "ein dynamisches biologisches System in Form ,lebendiger' Software" -, gerät dieses Axiom ins Schwanken. Die Kategorie des "Lebens" scheint sich in den Biowissenschaften des 21. Jahrhunderts in vielfacher Hinsicht vom Subjekt zu lösen (man denke auch an die Stammzellenforschung, die befruchtete Eizellen zu Therapiezwecken benutzt): eine Konstellation, die das Verständnis vom Menschen elementar verändert.
Unterhalb dieser Ebene ist "Leben aus dem Labor" aber auch ein Dokument über die Position des Biowissenschaftlers unserer Zeit, über die Frage, inwiefern er seinen Gegenstand nicht nur vorfindet oder entdeckt, sondern ihn erschafft, sich seiner bemächtigt. Craig Venters Tätigkeit zielt ja seit mehr als zwanzig Jahren darauf ab, möglichst singuläre Erkenntnismomente zu schaffen - das heißt vor allem: "der Erste" zu sein - und diese Momente mit dem Marketinggespür des Unternehmers an seinen eigenen Namen zu binden. Ursprungsrhetorik ist für diesen Wissenschaftsstil zentral: In seinem Buch ist unablässig vom "ersten synthetischen Organismus" die Rede, von der "ersten digital entwickelten Zelle", und deshalb kann er auch seine Verstimmung nicht verhehlen, als Rezensenten des "Science"-Artikels von 2010 bezweifeln, ob sein Chromosomentransfer wirklich als Herstellung "synthetischen Lebens" zu bezeichnen sei, wo doch die Empfängerzelle weiterhin eine natürliche war. Er beklagt sich über "Versuche, unsere Leistung herunterzuspielen". Craig Venter braucht epochale Zäsuren.
Die Wahrheit des Lebens kann laut Venter freigelegt und optimiert werden. Doch zeigt die Geschichte des biologischen Wissens, wie sie etwa François Jacob in seinen Büchern so eindrucksvoll beschrieben hat, nicht genau das Gegenteil? Jacobs schönem Bild zufolge entwickelten die Lebenswissenschaften seit dem frühen 19. Jahrhundert immer abstraktere, tiefer verborgene Baupläne hinter den sichtbaren Strukturen des Körpers, von den "Zellen" zu den "Chromosomen" zur "DNA", ein wenig wie das System der ineinandergeschachtelten russischen Puppen. Auf dieser letzten Stufe ist die Genetik aber nicht stehengeblieben; auch die DNA mag seit 15 Jahren zwar "entziffert" sein, aber die Bedeutung dieser Ziffern gibt weiter Rätsel auf - der Kern des Kerns des Kerns, an dem sich auch Venter bei seinem Versuch der synthetischen Zellbildung abarbeitet. Es gibt kein Leben an sich, frei von historisch wandelbaren Repräsentationen, aber Craig Venter muss dieses Versprechen immer wieder erneuern, um sein florierendes Wissenschaftsunternehmen am Laufen zu halten.
Verbunden mit diesem ungebrochenen Erkenntnisoptimismus ist der Wille, sich des eigenen Forschungsgegenstandes zu bemächtigen. Craig Venter reklamiert die Urheberschaft an jenem Leben, dessen Strukturen er isoliert. Dieser Anspruch wurde schon im Zusammenhang mit der entzifferten DNA des Menschen deutlich, als sich Venter eine Vielzahl von Patenten auf neu entdeckte Gene sicherte. Wem die Autorschaft der synthetischen Chromosomen und Zellen zukommt, verrät jetzt schon der Name des Instituts, das der Genetiker im Jahr 2006 gegründet hat: das "J. Craig Venter Institute", das inzwischen aus mehr als 500 Mitarbeitern an der Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten besteht. Im Buch verwendet Venter bei der Beschreibung seiner Arbeit fast immer das majestätische "Wir", untrügliches Merkmal dessen, der sich der Strahlkraft seines Ichs völlig bewusst ist. "Erfolge sind in der modernen Wissenschaft zunehmend von guter Teamarbeit abhängig", schreibt Venter, aber nicht umsonst wechselt er, wenn er von den wirklich wichtigen Entscheidungen im Labor erzählt, in die erste Person Singular. "Das neue Transplantationsteam stellte ich rund um zwei Wissenschaftler zusammen . . ."
Wie tief sich der Erforscher des menschlichen Lebens als Autor in seinen Gegenstand einschreibt, wird schließlich an einer Stelle des Buches besonders deutlich. Venter schildert hier den Versuch des Teams, eine individuelle Spur in der künstlich hergestellten Viren-DNA zu hinterlassen: "Wie Künstler, die ihre Arbeiten signieren", schreibt er, "so wollten auch wir in dem neuen Genom eine ,Unterschrift' hinterlassen, durch die es sich von seinem natürlichen Gegenstück unterschied." Johann Sebastian Bach integrierte bekanntlich die Buchstabenfolge seines Namens in die Notenfolge der Partituren; der Biokomponist Venter und seine Mitarbeiter konstruieren nach einem bestimmten Umrechnungscode "Wasserzeichen-Sequenzen" in der DNA, die die Buchstabenfolge "Venter Institute" ergeben. Die neue Lebensessenz trägt die Chiffre ihres Erfinders. Enger kann die Verbindung von Körper, Wissenschaft und Unternehmertum nicht werden.
ANDREAS BERNARD
J. Craig Venter: "Leben aus dem Labor. Die neue Welt der synthetischen Biologie". Übersetzt von Sebastian Vogel. S. Fischer, 306 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Craig Venter hat das Erbgut entschlüsselt, und jetzt will er mehr: In "Leben aus dem Labor" erzählt er von synthetischer Genetik und von sich selbst
Der Arbeitsschwerpunkt des amerikanischen Biochemikers Craig Venter hat sich in den letzten 15 Jahren verschoben: von der Darstellung zur künstlichen Erzeugung des Genoms. Im Jahr 2000 präsentierte Venter, nach einem Forschungswettlauf mit konkurrierenden Institutionen, als erster Wissenschaftler die vollständige Sequenzierung der menschlichen DNA, ein Ereignis, das vermutlich als eine der größten Zäsuren in der Geschichte des Wissens vom Menschen in Erinnerung bleiben wird. Seitdem die "Entschlüsselung" des Erbguts vorliegt, konzentriert sich Venter auf ein neues, ähnlich spektakuläres Forschungsgebiet, dessen Ergebnisse er in seinem neuen Buch, "Leben aus dem Labor", vorstellt: Es geht ihm nun darum, Chromosomen von Lebewesen (bislang von Viren und Bakterien) synthetisch herzustellen, "aus einem Computercode und vier Flaschen mit Chemikalien", und dieses Erbgut in einer Bakterienzelle zu aktivieren.
Venter ruft das "digitale Zeitalter der Biologie" aus, denn die künstliche Nachbildung der riesigen Genome ist vor allem eine Aufgabe der Datenverarbeitung. Labore der Lebenswissenschaft bestehen inzwischen zu einem Großteil aus Computern. Schon die DNA des einfachsten Mykoplasma-Bakteriums setzt sich aus 580 000 Basenpaaren zusammen, und ein einziger "Buchstabierfehler" auf dem Rechner, so Venter, bedeute für sein Unterfangen "den Unterschied zwischen Leben und Tod". In der Geschichte der Informatik und der Genetik, so könnte man sagen, ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer doppelten Explosion der Kapazitäten gekommen. Sowohl die handhabbaren Daten der Rechner als auch die isolierbaren Bausteine des Lebens bilden unvorstellbar große, abstrakte Mengen. Nur die eine Technologie vermag die andere überhaupt abzubilden: In diesem Sinne wirkt die gegenwärtige Verschränkung von Biologie und Informatik wie eine wissenschaftshistorische Notwendigkeit.
Die Erfolgsgeschichte, die Craig Venter in seinem Buch erzählt, hat zwei Höhepunkte. Schon Ende der neunziger Jahre, parallel zur Sequenzierung des Genoms, gelingt es seinen Forschergruppen, die DNA eines Virus, des Bakteriophagen Phi X 174, künstlich herzustellen und damit ein Bakterium zu infizieren. Sein nächstes Ziel, die etwa hundert Mal so komplexe Struktur eines Bakterienchromosoms zu synthetisieren und in die entkernte Zelle einer anderen Bakterienart zu verpflanzen, nimmt dann mehr als ein Jahrzehnt Laborarbeit in Anspruch. 2010 erscheint in der Zeitschrift "Science" schließlich der aufsehenerregende Artikel über den erfolgreichen Transfer: Die künstlich hergestellte Mykoplasmen-DNA hat sich in der Wirtszelle aktiviert und selbst verdoppelt. "Damit hatten wir letztlich eine biologische Art in eine andere verwandelt."
Craig Venters Buch ist sowohl Forschungsbericht als auch (unwillkürliches) Forscherporträt. Auf einer fachlichen Ebene liefert es vor allem aufschlussreiche Erörterungen über den Status des "Lebens" im Zeitalter der Computersimulation. Bis vor ganz kurzer Zeit gehörte es zur Definition alles Lebendigen, dass es nicht simuliert werden konnte. Es gab Leben und Nicht-Leben, aber keine Zwischenbereiche, kein Leben auf Probe. Wenn Venter seine aufwendigen Computersimulationen beschreibt, seine Versuche, im Rechner eine virtuelle Zelle zu schaffen - "ein dynamisches biologisches System in Form ,lebendiger' Software" -, gerät dieses Axiom ins Schwanken. Die Kategorie des "Lebens" scheint sich in den Biowissenschaften des 21. Jahrhunderts in vielfacher Hinsicht vom Subjekt zu lösen (man denke auch an die Stammzellenforschung, die befruchtete Eizellen zu Therapiezwecken benutzt): eine Konstellation, die das Verständnis vom Menschen elementar verändert.
Unterhalb dieser Ebene ist "Leben aus dem Labor" aber auch ein Dokument über die Position des Biowissenschaftlers unserer Zeit, über die Frage, inwiefern er seinen Gegenstand nicht nur vorfindet oder entdeckt, sondern ihn erschafft, sich seiner bemächtigt. Craig Venters Tätigkeit zielt ja seit mehr als zwanzig Jahren darauf ab, möglichst singuläre Erkenntnismomente zu schaffen - das heißt vor allem: "der Erste" zu sein - und diese Momente mit dem Marketinggespür des Unternehmers an seinen eigenen Namen zu binden. Ursprungsrhetorik ist für diesen Wissenschaftsstil zentral: In seinem Buch ist unablässig vom "ersten synthetischen Organismus" die Rede, von der "ersten digital entwickelten Zelle", und deshalb kann er auch seine Verstimmung nicht verhehlen, als Rezensenten des "Science"-Artikels von 2010 bezweifeln, ob sein Chromosomentransfer wirklich als Herstellung "synthetischen Lebens" zu bezeichnen sei, wo doch die Empfängerzelle weiterhin eine natürliche war. Er beklagt sich über "Versuche, unsere Leistung herunterzuspielen". Craig Venter braucht epochale Zäsuren.
Die Wahrheit des Lebens kann laut Venter freigelegt und optimiert werden. Doch zeigt die Geschichte des biologischen Wissens, wie sie etwa François Jacob in seinen Büchern so eindrucksvoll beschrieben hat, nicht genau das Gegenteil? Jacobs schönem Bild zufolge entwickelten die Lebenswissenschaften seit dem frühen 19. Jahrhundert immer abstraktere, tiefer verborgene Baupläne hinter den sichtbaren Strukturen des Körpers, von den "Zellen" zu den "Chromosomen" zur "DNA", ein wenig wie das System der ineinandergeschachtelten russischen Puppen. Auf dieser letzten Stufe ist die Genetik aber nicht stehengeblieben; auch die DNA mag seit 15 Jahren zwar "entziffert" sein, aber die Bedeutung dieser Ziffern gibt weiter Rätsel auf - der Kern des Kerns des Kerns, an dem sich auch Venter bei seinem Versuch der synthetischen Zellbildung abarbeitet. Es gibt kein Leben an sich, frei von historisch wandelbaren Repräsentationen, aber Craig Venter muss dieses Versprechen immer wieder erneuern, um sein florierendes Wissenschaftsunternehmen am Laufen zu halten.
Verbunden mit diesem ungebrochenen Erkenntnisoptimismus ist der Wille, sich des eigenen Forschungsgegenstandes zu bemächtigen. Craig Venter reklamiert die Urheberschaft an jenem Leben, dessen Strukturen er isoliert. Dieser Anspruch wurde schon im Zusammenhang mit der entzifferten DNA des Menschen deutlich, als sich Venter eine Vielzahl von Patenten auf neu entdeckte Gene sicherte. Wem die Autorschaft der synthetischen Chromosomen und Zellen zukommt, verrät jetzt schon der Name des Instituts, das der Genetiker im Jahr 2006 gegründet hat: das "J. Craig Venter Institute", das inzwischen aus mehr als 500 Mitarbeitern an der Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten besteht. Im Buch verwendet Venter bei der Beschreibung seiner Arbeit fast immer das majestätische "Wir", untrügliches Merkmal dessen, der sich der Strahlkraft seines Ichs völlig bewusst ist. "Erfolge sind in der modernen Wissenschaft zunehmend von guter Teamarbeit abhängig", schreibt Venter, aber nicht umsonst wechselt er, wenn er von den wirklich wichtigen Entscheidungen im Labor erzählt, in die erste Person Singular. "Das neue Transplantationsteam stellte ich rund um zwei Wissenschaftler zusammen . . ."
Wie tief sich der Erforscher des menschlichen Lebens als Autor in seinen Gegenstand einschreibt, wird schließlich an einer Stelle des Buches besonders deutlich. Venter schildert hier den Versuch des Teams, eine individuelle Spur in der künstlich hergestellten Viren-DNA zu hinterlassen: "Wie Künstler, die ihre Arbeiten signieren", schreibt er, "so wollten auch wir in dem neuen Genom eine ,Unterschrift' hinterlassen, durch die es sich von seinem natürlichen Gegenstück unterschied." Johann Sebastian Bach integrierte bekanntlich die Buchstabenfolge seines Namens in die Notenfolge der Partituren; der Biokomponist Venter und seine Mitarbeiter konstruieren nach einem bestimmten Umrechnungscode "Wasserzeichen-Sequenzen" in der DNA, die die Buchstabenfolge "Venter Institute" ergeben. Die neue Lebensessenz trägt die Chiffre ihres Erfinders. Enger kann die Verbindung von Körper, Wissenschaft und Unternehmertum nicht werden.
ANDREAS BERNARD
J. Craig Venter: "Leben aus dem Labor. Die neue Welt der synthetischen Biologie". Übersetzt von Sebastian Vogel. S. Fischer, 306 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main