Wie sehen, erinnern und fühlen wir? Wie interagieren wir mit anderen Menschen? Was heißt es, zu schlafen, zu träumen oder zu sprechen? Was ist das Selbst?
Siri Hustvedt, die Autorin der Bestseller «Die zitternde Frau» und «Der Sommer ohne Männer», versammelt hier 32 Essays, entstanden zwischen 2006 und 2011. Sie alle sind, in ihren eigenen Worten, verbunden durch «eine lebenslange Neugier auf das, was es heißt, ein Mensch zu sein». Thematisch decken sie das gesamte Spektrum von Hustvedts vielfältigen Interessen ab: von der Kunsttheorie über die Literatur und Philosophie, die Psychologie und Psychoanalyse bis hin zu den Neurowissenschaften. Und doch tauchen immer wieder ähnliche Fragen auf - die Grundfragen unseres Menschseins.
Hustvedts einzigartige Synthese des Wissens aus vielen Fachgebieten belebt den dringend nötigen Dialog zwischen den Geistes- und den Naturwissenschaften. Ihre Essays zeigen sie als scharfsinnige Betrachterin unserer Welt - und auf der Höhe ihres Schaffens.
«ALS ESSAYISTIN IST SIRI HUSTVEDT UNVERGLEICHLICH.»
The Sunday Telegraph
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Siri Hustvedt, die Autorin der Bestseller «Die zitternde Frau» und «Der Sommer ohne Männer», versammelt hier 32 Essays, entstanden zwischen 2006 und 2011. Sie alle sind, in ihren eigenen Worten, verbunden durch «eine lebenslange Neugier auf das, was es heißt, ein Mensch zu sein». Thematisch decken sie das gesamte Spektrum von Hustvedts vielfältigen Interessen ab: von der Kunsttheorie über die Literatur und Philosophie, die Psychologie und Psychoanalyse bis hin zu den Neurowissenschaften. Und doch tauchen immer wieder ähnliche Fragen auf - die Grundfragen unseres Menschseins.
Hustvedts einzigartige Synthese des Wissens aus vielen Fachgebieten belebt den dringend nötigen Dialog zwischen den Geistes- und den Naturwissenschaften. Ihre Essays zeigen sie als scharfsinnige Betrachterin unserer Welt - und auf der Höhe ihres Schaffens.
«ALS ESSAYISTIN IST SIRI HUSTVEDT UNVERGLEICHLICH.»
The Sunday Telegraph
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Am stärksten findet Rezensentin Dorion Weickmann Siri Hustvedts Essayband "Leben, Denken, Schauen" in seinen Randbezirken, also dem Leben und Schauen. Da tut die Autorin, was sie am besten kann: sie kommt vom konkreten Lebenshölzchen aufs Theoriestöckchen und geht dabei ebenso einfühlsam wie bildungsstrotzend vor, erklärt Weickmann. Auch die Kunstbetrachtungen haben der Rezensentin gefallen. Nur die Passagen über das Denken sind dann leider schwächer, bedauert Weickmann. Freud erscheint in allzu bekannten Sprachkleidern und Hustvedts eigene Sprachkritik wirkt nicht sehr kritisch, so die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2014Die unstillbare Sehnsucht nach einem Anruf von Mickymaus
Philosophische Positionen in mundgerechten Portionen: Warum die Essays von Siri Hustvedt besser sind als ihre Romane
Es gibt Autoren, die besser Essays schreiben können als Romane. Bei der Amerikanerin Susan Sontag war das zum Beispiel der Fall. Sontag wollte vor allem als Schriftstellerin wahrgenommen werden, fand mit ihren Romanen aber nie die ersehnte Aufmerksamkeit. Für ihre Leser war und blieb sie mehr Intellektuelle als Dichterin, ein Einsatzkommando der politisch-moralischen Reflexion, keine Erzählerin. Ihre Abhandlungen über "Krankheit als Metapher", über die Fotografie oder über "Camp", eine ironische Attitüde des Gegen-den-Strich-Lesens massenkultureller Phänomene, machten Furore. Ihre Romane hinterließen dagegen keinen überwältigenden Eindruck.
Bei Siri Hustvedt ist das ähnlich. Zwar heißt es von Hustvedt immer, sie sei Schriftstellerin und Romanautorin, von Essays ist da erst einmal gar nicht die Rede. Doch liegt das wohl vor allem daran, dass Siri Hustvedt mit Paul Auster verheiratet ist und die beiden (neben Jonathan Safran Foer und Nicole Krauss) als Brooklyns bekanntestes Schriftstellerehepaar gelten. Hustvedts Romane werden viel gelesen und freundlich besprochen. Erst vor einer Woche ist in Amerika ihr neuer Roman "The Blazing World" erschienen. Allerdings wirken in diesen Romanen Philosophiegeschichte und Psychoanalyse oft aufgesetzt hineinmontiert - also gerade das, womit die Autorin in ihren Essays so besonders brilliert.
Als sie vor vier Jahren "Die zitternde Frau" veröffentlichte, "Eine Geschichte meiner Nerven", war die Autorin essayistisch auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen. Bei öffentlichen Auftritten war es vorgekommen, dass sie am ganzen Körper zu zittern angefangen hatte. Nicht ein bisschen, sondern so heftig, dass ihre Mutter den Eindruck hatte, einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl beizuwohnen. Erschrocken über die sich wiederholende Erfahrung, versuchte Hustvedt, ihr theoretisches, psychoanalytisches und medizinhistorisches Wissen an sich zu erproben und eine Selbstdiagnose zu stellen: Was nützt mir die ganze Theorie? Was bedeutet sie für mein Leben? So fragte sie in ihrem Selbsterkundungsbuch, das in der Form eines persönlichen Essays geschrieben war, jener Gattung also, die im sechzehnten Jahrhundert mit Michel de Montaigne entstand.
Siri Hustvedt beherrscht diese Form, mit der sie "ich" sagt und nicht "man", mit der sie sich bewusst einbringen und sich nicht hinter den Konventionen eines akademischen Beitrags verstecken will, in beeindruckender Weise: "Meine Essays sind eine Form von geistigen Reisen, von einem Zugehen auf Antworten, wobei ich mir intensiv dessen bewusst bin, dass ich nie ans Ende der Straße gelangen werde", schreibt sie im Vorwort zu der gerade erschienenen Sammelausgabe kürzerer Essays aus den Jahren 2006 und 2011. "Ich benutze meine eigenen Erfahrungen auf dieselbe Art, wie ich die Erfahrungen anderer benutze - als Einblicke, um eine Idee weiterzuentwickeln."
In drei Abschnitten hat sie die Texte des neuen Bandes zusammengefasst: "Leben, Denken, Schauen". Wobei die ersten unmittelbar aus ihrem Leben hervorgegangen sind und die des zweiten Abschnitts von einem intellektuellen Rätsel angetrieben werden. Hier findet man einen Vortrag, den sie an der Universität in Washington oder jenen mit dem Titel "Freuds Tummelplatz", den sie 2011 im Rahmen der 38. Sigmund-Freud-Vorlesung in Wien gehalten hat. Der dritte Teil dann ist der bildenden Kunst und Künstlern gewidmet.
Erlebtes, Erinnertes, Gelesenes und Erzähltes geben sich in diesen Texten die Hand: In "Variationen über das Begehren" schlägt sie einen Bogen von einem Mickymaus-Telefon, das eine ihrer Schwestern sich in ihrer Kindheit unbedingt zu Weihnachten wünschte und das die ganze Familie in Atem hielt, zu einem Patienten in einer Psychiatrie, in der sie Schreibkurse gab, der ein Gedicht über die unerwiderte Sehnsucht nach der Präsenz eines anderen schrieb. Aus beiden Geschichten macht sie eine Parabel über das Begehren nach Dialog.
Sie schreibt über den Unterschied von Vater- und Mutterschaft, jongliert dabei mit Mythologie, Psychoanalyse, literarischen Texten von Virginia Woolf, der amerikanischen Dichterin Susan Howe, Montaigne und eigenen Erfahrungen. Und wenn sie die Bildhauerin Louise Bourgeois mit den Worten "Bei Kunst geht es nicht um Kunst. Bei Kunst geht es ums Leben" zitiert, dann natürlich affirmativ: Sie schreibe nicht über Kunst, um sie zu erklären, sondern um zu erforschen, was zwischen ihr und dem Bild emotional und intellektuell vorgegangen sei. Sie sehe das Objekt, aber schon der Akt des Sehens schließe die Kluft zwischen ihr und ihm.
Dass Siri Hustvedt in vielen dieser Texte "ich" sagt, wirkt - darin besteht ihre Kunst - tatsächlich niemals eitel. Es sei gerechtfertigt, die "Ich"-Perspektive zu verwenden, wenn das Ich als ein handelndes und nicht bloß als ein urteilendes in Erscheinung trete, heißt eine journalistische Regel. Für Hustvedt allerdings geht es gar nicht ums Handeln oder Nichthandeln: "Mein Schreiben in der ersten Person", sagt sie, "stellt eine philosophische Position dar, der zufolge die Idee einer Dritte-Person-Objektivität bestenfalls eine Arbeitsfiktion ist." Niemand könne seiner Subjektivität wirklich entgehen. So benutzt sie intime Erfahrungen, um Erkenntnis zu stiften. Sie lässt uns durchs Schlüsselloch blicken und überrascht uns dahinter mit einem Panorama. Das ist es, was ihre Essays so lesenswert macht und so besonders.
JULIA ENCKE
Siri Hustvedt: "Leben, Denken, Schauen". Essays. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Erica Fischer.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2014. 490 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philosophische Positionen in mundgerechten Portionen: Warum die Essays von Siri Hustvedt besser sind als ihre Romane
Es gibt Autoren, die besser Essays schreiben können als Romane. Bei der Amerikanerin Susan Sontag war das zum Beispiel der Fall. Sontag wollte vor allem als Schriftstellerin wahrgenommen werden, fand mit ihren Romanen aber nie die ersehnte Aufmerksamkeit. Für ihre Leser war und blieb sie mehr Intellektuelle als Dichterin, ein Einsatzkommando der politisch-moralischen Reflexion, keine Erzählerin. Ihre Abhandlungen über "Krankheit als Metapher", über die Fotografie oder über "Camp", eine ironische Attitüde des Gegen-den-Strich-Lesens massenkultureller Phänomene, machten Furore. Ihre Romane hinterließen dagegen keinen überwältigenden Eindruck.
Bei Siri Hustvedt ist das ähnlich. Zwar heißt es von Hustvedt immer, sie sei Schriftstellerin und Romanautorin, von Essays ist da erst einmal gar nicht die Rede. Doch liegt das wohl vor allem daran, dass Siri Hustvedt mit Paul Auster verheiratet ist und die beiden (neben Jonathan Safran Foer und Nicole Krauss) als Brooklyns bekanntestes Schriftstellerehepaar gelten. Hustvedts Romane werden viel gelesen und freundlich besprochen. Erst vor einer Woche ist in Amerika ihr neuer Roman "The Blazing World" erschienen. Allerdings wirken in diesen Romanen Philosophiegeschichte und Psychoanalyse oft aufgesetzt hineinmontiert - also gerade das, womit die Autorin in ihren Essays so besonders brilliert.
Als sie vor vier Jahren "Die zitternde Frau" veröffentlichte, "Eine Geschichte meiner Nerven", war die Autorin essayistisch auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen. Bei öffentlichen Auftritten war es vorgekommen, dass sie am ganzen Körper zu zittern angefangen hatte. Nicht ein bisschen, sondern so heftig, dass ihre Mutter den Eindruck hatte, einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl beizuwohnen. Erschrocken über die sich wiederholende Erfahrung, versuchte Hustvedt, ihr theoretisches, psychoanalytisches und medizinhistorisches Wissen an sich zu erproben und eine Selbstdiagnose zu stellen: Was nützt mir die ganze Theorie? Was bedeutet sie für mein Leben? So fragte sie in ihrem Selbsterkundungsbuch, das in der Form eines persönlichen Essays geschrieben war, jener Gattung also, die im sechzehnten Jahrhundert mit Michel de Montaigne entstand.
Siri Hustvedt beherrscht diese Form, mit der sie "ich" sagt und nicht "man", mit der sie sich bewusst einbringen und sich nicht hinter den Konventionen eines akademischen Beitrags verstecken will, in beeindruckender Weise: "Meine Essays sind eine Form von geistigen Reisen, von einem Zugehen auf Antworten, wobei ich mir intensiv dessen bewusst bin, dass ich nie ans Ende der Straße gelangen werde", schreibt sie im Vorwort zu der gerade erschienenen Sammelausgabe kürzerer Essays aus den Jahren 2006 und 2011. "Ich benutze meine eigenen Erfahrungen auf dieselbe Art, wie ich die Erfahrungen anderer benutze - als Einblicke, um eine Idee weiterzuentwickeln."
In drei Abschnitten hat sie die Texte des neuen Bandes zusammengefasst: "Leben, Denken, Schauen". Wobei die ersten unmittelbar aus ihrem Leben hervorgegangen sind und die des zweiten Abschnitts von einem intellektuellen Rätsel angetrieben werden. Hier findet man einen Vortrag, den sie an der Universität in Washington oder jenen mit dem Titel "Freuds Tummelplatz", den sie 2011 im Rahmen der 38. Sigmund-Freud-Vorlesung in Wien gehalten hat. Der dritte Teil dann ist der bildenden Kunst und Künstlern gewidmet.
Erlebtes, Erinnertes, Gelesenes und Erzähltes geben sich in diesen Texten die Hand: In "Variationen über das Begehren" schlägt sie einen Bogen von einem Mickymaus-Telefon, das eine ihrer Schwestern sich in ihrer Kindheit unbedingt zu Weihnachten wünschte und das die ganze Familie in Atem hielt, zu einem Patienten in einer Psychiatrie, in der sie Schreibkurse gab, der ein Gedicht über die unerwiderte Sehnsucht nach der Präsenz eines anderen schrieb. Aus beiden Geschichten macht sie eine Parabel über das Begehren nach Dialog.
Sie schreibt über den Unterschied von Vater- und Mutterschaft, jongliert dabei mit Mythologie, Psychoanalyse, literarischen Texten von Virginia Woolf, der amerikanischen Dichterin Susan Howe, Montaigne und eigenen Erfahrungen. Und wenn sie die Bildhauerin Louise Bourgeois mit den Worten "Bei Kunst geht es nicht um Kunst. Bei Kunst geht es ums Leben" zitiert, dann natürlich affirmativ: Sie schreibe nicht über Kunst, um sie zu erklären, sondern um zu erforschen, was zwischen ihr und dem Bild emotional und intellektuell vorgegangen sei. Sie sehe das Objekt, aber schon der Akt des Sehens schließe die Kluft zwischen ihr und ihm.
Dass Siri Hustvedt in vielen dieser Texte "ich" sagt, wirkt - darin besteht ihre Kunst - tatsächlich niemals eitel. Es sei gerechtfertigt, die "Ich"-Perspektive zu verwenden, wenn das Ich als ein handelndes und nicht bloß als ein urteilendes in Erscheinung trete, heißt eine journalistische Regel. Für Hustvedt allerdings geht es gar nicht ums Handeln oder Nichthandeln: "Mein Schreiben in der ersten Person", sagt sie, "stellt eine philosophische Position dar, der zufolge die Idee einer Dritte-Person-Objektivität bestenfalls eine Arbeitsfiktion ist." Niemand könne seiner Subjektivität wirklich entgehen. So benutzt sie intime Erfahrungen, um Erkenntnis zu stiften. Sie lässt uns durchs Schlüsselloch blicken und überrascht uns dahinter mit einem Panorama. Das ist es, was ihre Essays so lesenswert macht und so besonders.
JULIA ENCKE
Siri Hustvedt: "Leben, Denken, Schauen". Essays. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Erica Fischer.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2014. 490 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.03.2014Einladung zum offenen Denken
„Leben, Denken, Schauen“ – Essays von Siri Hustvedt aus sechs Jahren
Was tun wir, wenn wir lesen, denken, wahrnehmen? Was haben Erinnerung und Imagination miteinander zu tun? Wie unterscheidet sich die ursprüngliche Vertrautheit mit uns selbst von dem Selbst, das wir mittels Sprache konstruieren? Die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt ist eine Essayistin im besten Sinne. Ihre Essays sind Denkbewegungen eines fragenden Ichs, das der eigenen Neugier folgt. Beherzt wildert sie in den verschiedensten Wissensgebieten, ohne leichtfertig mit fremdem Fachwissen umzugehen. Und so folgt ihr der Leser gern auf ihren eng mit dem eigenen Leben verbundenen Streifzügen quer durch Philosophie, Neurowissenschaften, Psychoanalyse, Kunst- und Literaturbetrachtung.
„Leben, Denken, Schauen“, Siri Hustvedts vierter Essayband, versammelt Texte und Vorträge aus sechs Jahren. Im englischen Original erschien „Living, Thinking, Looking“ im selben Jahr wie ihr Buch „Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven“, nämlich 2010. Bis zur Schmerzgrenze tauchte sie in die neurologische und psychiatrische Fachliteratur ein, um jenes seltsame Zittern zu erkunden, das ihren Körper zum ersten Mal erfasste, als sie 2006 eine Gedenkrede auf ihren verstorbenen Vater hielt. Das war nicht nur für sie selbst ein gewagtes Unterfangen. Denn auch der Leser musste fürchten, einen allzu tiefen Blick in die Abgründe seines Nervensystems zu riskieren. In den soeben auf Deutsch erschienenen Essays ist das anders.
Trotz ihres starken Intellekts, mit dem sie sich durch Berge von Fachliteratur zu kämpfen versteht, strahlen ihre Essays eine große Offenheit aus. Immer wieder suchen sie Orte des Zuspruchs und der Zwiesprache auf. Wo sonst darf die intime Kommunikation zwischen Mutter und Kind so selbstverständlich als Modell neben Martin Bubers religionsphilosophischem Konzept der „Zwiesprache“ stehen? Aufgewachsen ist sie als älteste von vier Schwestern in Minnesota, wo sie 1955 geboren wurde; der Austausch mit ihrer Herkunftsfamilie taucht ebenso häufig auf wie das Gespräch mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Paul Auster, oder mit der gemeinsamen Tochter Sophie. Dass wir uns bei Erzählungen eines nahestehenden Menschen dessen Erlebnisse mitunter so intensiv vorstellen, dass wir sie für eigene halten, ist eine Erkenntnis, die Siri Hustvedt aus der Selbstbeobachtung gewinnt.
Auch Lesen funktioniert so. Die Gefühle, die es hervorruft, werden als wirklich erlebt. Sie sind eine Erfahrung, die wir wie eine Erinnerung abspeichern und die sich bei jeder Gedächtniskonsolidierung verändert. Erinnerungen und Imaginationen unterscheiden sich dabei kaum. Sie sind oft an Orte gebunden. „Wir laden denkwürdige emotionale Ereignisse in einer visuellen Szenerie ab, die einen Sinn ergibt, aber was wir vor unserem geistigen Auge sehen, hat womöglich wenig Ähnlichkeit mit dem, was tatsächlich war.“ Das kennt jeder, der beispielsweise nach längerer Zeit in eine Gegend zurückkehrt, in der er einmal gewohnt hat. Plötzlich ist alles wieder da, die Quintessenz des Lebensgefühls, das man mit damals verbindet. Als Schriftstellerin macht sich Siri Hustvedt das zunutze.
Die „präreflexive Form der subjektiven Erfahrung“, wie es die Neuropsychologin Claire Petitmengin nennt, taucht in verschiedener Gestalt immer wieder auf, als eine „innere Zone, die sowohl gestisch als auch rhythmisch ist“, und in der wir uns beispielsweise bewegen, wenn wir nach einem bestimmten Wort suchen, das wir für das einzig richtige halten. Siri Hustvedt beschreibt damit nicht nur die innere Wahrheit eines Romans, sondern auch das Selbstgefühl von Menschen, deren Sprachzentrum erheblich lädiert ist, nicht aber das „Gefühl dafür, wer sie sind“. Merleau-Ponty und sein „schéma corporel“ ist ihr philosophischer Gewährsmann.
Das führt zu dem für eine Schriftstellerin eher ungewöhnlichen Bekenntnis, „dass Sprache zwar wichtig ist, aber nicht unsere Identität bestimmt“. Ob sie Schreibkurse in der Psychiatrie gibt und erzählt, wie ihr eine Patientin erklärte, eine Borderline-Diagnose fühle sich an, als sage jemand „ich hasse dich“, oder ob sie als einzige Fachfremde an einer Arbeitsgruppe von Neurowissenschaftlern, Psychiatern und Analytikern teilnimmt: stets ist sie auf Vermittlung und die Überwindung insulärer Fachsprachen aus.
Ihre Aufmerksamkeit für Leiblichkeit und Emotion bewährt sich auch, wenn sie über Kunst schreibt. An den Plastiken von Louise Bourgeois fasziniert sie die „emotionale Wucht“. Vergnügt bekennt sie sich zu „Seven in a Bed“ (2001) als ihrem Lieblingswerk: „ein spätes Werk rasender Freude – süß, erotisch und witzig.“ Ebenso humorvoll skizziert sie einen zufällig beobachteten Auftritt der bereits recht betagten Künstlerin in den Achtzigerjahren: mit wehendem Pferdeschwanz und „königlicher Haltung“ fegte sie durch die Pierre Matisse Gallery, eine „Entourage von jungen Männern“ hinter sich herziehend. Bestechend auch ihre Gedanken zur Fotografie und zu den Übermalungsgesten eines Gerhard Richter, die der Banalität fremder Familienfotos jene abgründige Tiefe verleihen, die sie zu unauslotbaren Kunstwerken machen.
Ihre Absetzbewegung vom Poststrukturalismus, den sie vor allem wegen seiner fehlenden Einsicht in die Realität unserer „unmittelbaren sinnlichen Umwelt“ kritisiert, leuchtet ebenso ein wie ihre Kritik an Susan Sontags Essay „Über Fotografie“ im Licht von 9/11. Wenn Menschen unter solchen Umständen Filme zitieren, dann gerade nicht, wie Sontag in den Siebzigerjahren meinte, „um zu verdeutlichen, wie wirklich das Ganze war“, sondern „um zu beschreiben, wie unwirklich ihnen das Ereignis vorkam“.
Siri Hustvedts Essays zielen nicht auf Pointen, ebenso wenig auf die Inszenierung der eigenen Originalität. Ihr Denken gleicht einem Entgegenkommen: wie eine Frage, die nach einer Antwort sucht. Gesten der Zuwendung und der Freundlichkeit sind ihrem Denken näher als die Suche nach dem wunden Punkt des Anderen – für eine Intellektuelle ist das ziemlich ungewöhnlich.
MEIKE FESSMANN
Siri Hustvedt: Leben, Denken, Schauen. Essays. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Erica Fischer. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014. 496 Seiten, 24,95 Euro.
Essayistin im besten Sinne: Siri Hustvedt.
Foto: picture alliance / dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Leben, Denken, Schauen“ – Essays von Siri Hustvedt aus sechs Jahren
Was tun wir, wenn wir lesen, denken, wahrnehmen? Was haben Erinnerung und Imagination miteinander zu tun? Wie unterscheidet sich die ursprüngliche Vertrautheit mit uns selbst von dem Selbst, das wir mittels Sprache konstruieren? Die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt ist eine Essayistin im besten Sinne. Ihre Essays sind Denkbewegungen eines fragenden Ichs, das der eigenen Neugier folgt. Beherzt wildert sie in den verschiedensten Wissensgebieten, ohne leichtfertig mit fremdem Fachwissen umzugehen. Und so folgt ihr der Leser gern auf ihren eng mit dem eigenen Leben verbundenen Streifzügen quer durch Philosophie, Neurowissenschaften, Psychoanalyse, Kunst- und Literaturbetrachtung.
„Leben, Denken, Schauen“, Siri Hustvedts vierter Essayband, versammelt Texte und Vorträge aus sechs Jahren. Im englischen Original erschien „Living, Thinking, Looking“ im selben Jahr wie ihr Buch „Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven“, nämlich 2010. Bis zur Schmerzgrenze tauchte sie in die neurologische und psychiatrische Fachliteratur ein, um jenes seltsame Zittern zu erkunden, das ihren Körper zum ersten Mal erfasste, als sie 2006 eine Gedenkrede auf ihren verstorbenen Vater hielt. Das war nicht nur für sie selbst ein gewagtes Unterfangen. Denn auch der Leser musste fürchten, einen allzu tiefen Blick in die Abgründe seines Nervensystems zu riskieren. In den soeben auf Deutsch erschienenen Essays ist das anders.
Trotz ihres starken Intellekts, mit dem sie sich durch Berge von Fachliteratur zu kämpfen versteht, strahlen ihre Essays eine große Offenheit aus. Immer wieder suchen sie Orte des Zuspruchs und der Zwiesprache auf. Wo sonst darf die intime Kommunikation zwischen Mutter und Kind so selbstverständlich als Modell neben Martin Bubers religionsphilosophischem Konzept der „Zwiesprache“ stehen? Aufgewachsen ist sie als älteste von vier Schwestern in Minnesota, wo sie 1955 geboren wurde; der Austausch mit ihrer Herkunftsfamilie taucht ebenso häufig auf wie das Gespräch mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Paul Auster, oder mit der gemeinsamen Tochter Sophie. Dass wir uns bei Erzählungen eines nahestehenden Menschen dessen Erlebnisse mitunter so intensiv vorstellen, dass wir sie für eigene halten, ist eine Erkenntnis, die Siri Hustvedt aus der Selbstbeobachtung gewinnt.
Auch Lesen funktioniert so. Die Gefühle, die es hervorruft, werden als wirklich erlebt. Sie sind eine Erfahrung, die wir wie eine Erinnerung abspeichern und die sich bei jeder Gedächtniskonsolidierung verändert. Erinnerungen und Imaginationen unterscheiden sich dabei kaum. Sie sind oft an Orte gebunden. „Wir laden denkwürdige emotionale Ereignisse in einer visuellen Szenerie ab, die einen Sinn ergibt, aber was wir vor unserem geistigen Auge sehen, hat womöglich wenig Ähnlichkeit mit dem, was tatsächlich war.“ Das kennt jeder, der beispielsweise nach längerer Zeit in eine Gegend zurückkehrt, in der er einmal gewohnt hat. Plötzlich ist alles wieder da, die Quintessenz des Lebensgefühls, das man mit damals verbindet. Als Schriftstellerin macht sich Siri Hustvedt das zunutze.
Die „präreflexive Form der subjektiven Erfahrung“, wie es die Neuropsychologin Claire Petitmengin nennt, taucht in verschiedener Gestalt immer wieder auf, als eine „innere Zone, die sowohl gestisch als auch rhythmisch ist“, und in der wir uns beispielsweise bewegen, wenn wir nach einem bestimmten Wort suchen, das wir für das einzig richtige halten. Siri Hustvedt beschreibt damit nicht nur die innere Wahrheit eines Romans, sondern auch das Selbstgefühl von Menschen, deren Sprachzentrum erheblich lädiert ist, nicht aber das „Gefühl dafür, wer sie sind“. Merleau-Ponty und sein „schéma corporel“ ist ihr philosophischer Gewährsmann.
Das führt zu dem für eine Schriftstellerin eher ungewöhnlichen Bekenntnis, „dass Sprache zwar wichtig ist, aber nicht unsere Identität bestimmt“. Ob sie Schreibkurse in der Psychiatrie gibt und erzählt, wie ihr eine Patientin erklärte, eine Borderline-Diagnose fühle sich an, als sage jemand „ich hasse dich“, oder ob sie als einzige Fachfremde an einer Arbeitsgruppe von Neurowissenschaftlern, Psychiatern und Analytikern teilnimmt: stets ist sie auf Vermittlung und die Überwindung insulärer Fachsprachen aus.
Ihre Aufmerksamkeit für Leiblichkeit und Emotion bewährt sich auch, wenn sie über Kunst schreibt. An den Plastiken von Louise Bourgeois fasziniert sie die „emotionale Wucht“. Vergnügt bekennt sie sich zu „Seven in a Bed“ (2001) als ihrem Lieblingswerk: „ein spätes Werk rasender Freude – süß, erotisch und witzig.“ Ebenso humorvoll skizziert sie einen zufällig beobachteten Auftritt der bereits recht betagten Künstlerin in den Achtzigerjahren: mit wehendem Pferdeschwanz und „königlicher Haltung“ fegte sie durch die Pierre Matisse Gallery, eine „Entourage von jungen Männern“ hinter sich herziehend. Bestechend auch ihre Gedanken zur Fotografie und zu den Übermalungsgesten eines Gerhard Richter, die der Banalität fremder Familienfotos jene abgründige Tiefe verleihen, die sie zu unauslotbaren Kunstwerken machen.
Ihre Absetzbewegung vom Poststrukturalismus, den sie vor allem wegen seiner fehlenden Einsicht in die Realität unserer „unmittelbaren sinnlichen Umwelt“ kritisiert, leuchtet ebenso ein wie ihre Kritik an Susan Sontags Essay „Über Fotografie“ im Licht von 9/11. Wenn Menschen unter solchen Umständen Filme zitieren, dann gerade nicht, wie Sontag in den Siebzigerjahren meinte, „um zu verdeutlichen, wie wirklich das Ganze war“, sondern „um zu beschreiben, wie unwirklich ihnen das Ereignis vorkam“.
Siri Hustvedts Essays zielen nicht auf Pointen, ebenso wenig auf die Inszenierung der eigenen Originalität. Ihr Denken gleicht einem Entgegenkommen: wie eine Frage, die nach einer Antwort sucht. Gesten der Zuwendung und der Freundlichkeit sind ihrem Denken näher als die Suche nach dem wunden Punkt des Anderen – für eine Intellektuelle ist das ziemlich ungewöhnlich.
MEIKE FESSMANN
Siri Hustvedt: Leben, Denken, Schauen. Essays. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Erica Fischer. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014. 496 Seiten, 24,95 Euro.
Essayistin im besten Sinne: Siri Hustvedt.
Foto: picture alliance / dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Als Essayistin ist Siri Hustvedt unvergleichlich. The Sunday Telegraph