Erzbischof Christoph Schönborn zeigt uns im Spiegelbild der Kirche das Geheimnis Gottes. Die Kirche, wie sie uns Schönborn zeigt, ist nicht auf sich selbst fixiert, sondern sie ist gleichsam der Aussichtspunkt, der uns das Ganze sehen läßt und zugleich der Ort, an dem wir zueinander finden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997Gott will Gebabbel
Christoph Schönborn hat eine Vision von Kirche, in der für biederen Pädagogensinn kein Platz ist / Von Christian Geyer
Theologie ist nicht zum geringsten Teil eine Frage des Gestus, mit dem sie betrieben wird. Paulus spricht davon, daß Gelehrtheit ohne Liebe nur tönernes Erz hervorbringt. Und treffsicher wie kein zweiter enthüllt Léon Bloy die Lächerlichkeit, die entsteht, wenn die höchsten Dinge auf das Niveau des tüfteligen Besserwissers heruntergezogen werden.
Christoph Schönborn, seit 1995 Erzbischof von Wien, hat ein bemerkenswertes theologisches Buch verfaßt, dessen Wert gerade in der dichten, aber leicht verständlichen Zusammenschau der christlichen Glaubensinhalte liegt. Es umfaßt kaum hundertachtzig Seiten, aber jede Seite verrät, daß hier jemand aus der Fülle schöpft. Keine gelehrte Einsicht, die nicht auch durchbetet scheint. Dadurch bekommt "die Lehre" eine Lebendigkeit, um die sich das flotte Vokabular der Religionspädagogik vergeblich bemüht. Es ist die Kunst, den Dingen zwischen Himmel und Erde ihre Proportionen zu lassen, die in diesen Exerzitienvorträgen aufscheint. Schönborn hat sie in der Fastenzeit 1996 für den Papst und die Mitglieder der Römischen Kurie gehalten.
Der Autor überzieht nicht, aber er unterschlägt auch nicht. Er läßt das Geheimnis hervortreten, indem er hinter ihm zurücktritt. Die Distinktionen verselbständigen sich nicht, weil das Gedankliche in der Kontemplation gut abgehangen ist. Mit erstaunlicher Leichtigkeit nährt sich der Text aus Bibelworten und Aussagen der Kirchen- und Konzilsväter. Der neue Katechismus, an dessen Gestaltung Schönborn maßgeblich beteiligt war, wird nicht als starrer Dogmenkodex, sondern als Fundgrube für spirituelle Schätze ausgewertet. Selten gehen das Professorale und das Pastorale eine so gelungene Verbindung ein wie bei Schönborn, der fünfzehn Jahre lang, von 1975 bis 1990, an der Universität Fribourg Dogmatik und Ostkirchenkunde lehrte.
Sein Thema ist die Kirche und doch eigentlich auch nicht. Denn im Grunde spricht er nur über Christus. Von dieser Warte aus führt er die Kirche in die Größe ihrer geistlichen Dimension hinein und ernüchtert zugleich alle bloß empirischen Erwartungen, die sich auf sie richten. Ganz zu Beginn schildert Schönborn eine Anekdote über den großen Theologen Reginald Garrigou-Lagrange, der jeden Samstag eine öffentliche Vorlesung in der Aula Magna des Angelicum in Rom hielt. Einmal begann er seinen Vortrag, indem er das Wort "Gott" aussprach - und verstummte. Nach einer Weile begann er wieder, doch brachte er nach dem Wort "Gott" abermals kein weiteres Wort hervor. Alles wartete in angespannter Stille. Schließlich schlug Garrigou das Buch zu, stand auf und ging.
Schönborn hat sich ein elementares Staunen darüber bewahrt, daß Gott sich in der Kirche für den Menschen aussprechbar macht. Um so nachhaltiger wehrt er sich gegen eine rein soziologische Betrachtungsweise ihrer Institutionen. Zitiert wird ein bei den Kirchenvätern oft gebrauchter Vergleich, wonach die Kirche nur durch Christus leuchtet, wie der Mond nur das Licht der Sonne widerstrahlen kann. Welch biederer Pädagogensinn, mit dem Christus aus einer falsch verstandenen Ökumene heraus zunehmend aus der kirchlichen Sprache verbannt wird: "Ganze Pastoralprogramme mit Planspielen, Aktionsmodellen, Richtlinien, ohne den Namen Christi auch nur einmal zu nennen."
Fest verwurzelt im Unglauben an das Paradies auf Erden, verzichtet Schönborn nicht auf warnende Worte, wenn die himmlischen Konturen der häufig sehr irdisch daherkommenden Glaubensanstalt verwischt werden. "Ein oft erschreckend pragmatisch-horizontales Kirchenverständnis verbreitet sich. Die Kirche wird zu sehr als menschliches Werk, zu wenig als Ort der Gnade gesehen."
Mit feinem Gespür für die klerikalen Modeworte der Gegenwart kritisiert der Erzbischof die innerkirchliche Überschätzung der sichtbaren Kirchengestalt, die erst Pathosformeln wie jene vom "Leiden an der Kirche" ermöglicht hat. Er spricht von der "Obsession", in einer Mediengesellschaft "anziehend", "gewinnend", "spürbar" sein zu wollen. Damit würden Erwartungen geweckt, die die Kirche nur enttäuschen könne, während ihre eigentliche Fähigkeit als uninteressant in den Hintergrund gerate: den Menschen "mit Christi Augen sehen, mit Seinem Geist verstehen, mit Seinem Willen wollen, mit Seinem Herzen fühlen" zu lassen. Solche Wendungen wirken bei Schönborn nicht als aufgesetzte Bekenntnisrhetorik, sondern verraten ein reflektiertes Empfinden für mythische Sprache, die sich nach Leszek Kolakowski gerade dadurch auszeichnet, daß sie keine bloße Erweiterung der Alltagssprache ist.
Der bisweilen mit prophetischer Verve vorgetragene cantus firmus Schönborns ist der Weltcharakter des Christenmenschen. Dem Autor geht es um die Ambivalenz des Jesuswortes: in der Welt, aber nicht von der Welt. Nun scheint das insofern nicht eben neu, weil sich heute alle möglichen kirchlichen Verlautbarungen um Säkularisierung und Moderne drehen. Aber in ihrer demonstrativen Bejahung der "Welt" offenbaren viele dieser "Worte" und "Stellungnahmen" aus der klerikalen Gremienwelt doch eher das säkulare Minderwertigkeitsgefühl ihrer Verfasser. Individualpsychologisch ist ja klar, daß eine derartige stationäre Gestimmtheit nicht introspektiv erfaßbar ist, sondern nur aus ihren Kompensationen erschlossen werden kann.
Anders gesagt: Wer verbal immer wieder unaufgefordert "die Welt" umarmt, zieht den begründeten Verdacht auf sich, im Verhältnis zu dieser Welt einen tiefgehenden Knacks zu haben. Das ist dann aber nicht jener Knacks, der in dem antiutopischen Kirchenlied zum Ausdruck kommt: "Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ew'gen Heimat zu." Es ist auch nicht der von Paulus geschilderte Knacks einer Schöpfung, "die seufzt und in Wehen liegt".
Vielmehr ist es der Knacks dessen, der auf merkwürdige Weise welt- und glaubensfremd zugleich ist. Meint er doch ständig, sich im Namen des Reiches Gottes mit einem verlegenen Räuspern gleichsam von außen in die Welt "einmischen" zu müssen. Deshalb nennt er seine Unterhaltungen mit anderen Leuten auch nicht wie andere normale Leute "Gespräch" oder "Gebabbel", sondern "Dialog". Was er nicht begreift, ist, daß er seit seiner Geburt bereits mitten in der Welt sitzt und daß seit seiner Taufe das Reich Gottes in ihm angebrochen ist. So will ihm auch nicht einleuchten, daß ein christliches Laienapostolat nicht der verlautbarerischen "Einmischung" von einer institutionellen Plattform her bedarf. Er übersieht, daß die vielbeschworene "öffentliche Resonanz" des Christentums nicht mehr heißen kann, als daß der einzelne Christ ohne komiteehafte Fisimatenten "an seinem Platz" sein getauftes Leben lebt. Nicht ohne Grund legen die neuen "geistlichen Bewegungen" höchsten Wert darauf, keine strategischen Operationszentralen in Sachen Weltmission zu sein, sondern Bet-und Bildungsgemeinschaften.
Das Wohltuende an Schönborns Weltbekenntnissen ist, daß sie vollkommen frei von jeder Sorte klerikaler Minderwertigkeitsgefühle sind. Ohne den vielfach üblichen selbstproduzierten Rechtfertigungsdruck legt der Autor den Akzent auf die Exilsituation des Christen. Indem er sich gegenüber den auf möglichste Weltharmonie bedachten Kirchenfunktionären begriffsstutzig stellt, bringt er sie im vornehmen Patriarchenstil in Verlegenheit: "Etwas Eigenartiges hat sich in den vergangenen Jahren ereignet: Es ist den Christen der Himmel abhanden gekommen!" Schönborn erinnert an die ursprüngliche Bedeutung von "Pfarrei". Es ist die Gemeinschaft von paroikoi, von heimatrechtlosen Fremdlingen. Immer wieder entlarvt er die Gegenüberstellung von Weltgestaltung und Innerlichkeit als falsche Alternative. Die Kontemplation, das Gebet - "Hoffnung im Vollzug" - beschreibt er als theologisch notwendige Bedingung für jedes missionarische Wirken. Dies gelte, wenn auch in verschiedener Ausprägung, für Mönche und Laien gleichermaßen.
Während die Ideologien, die eine neue Menschheit, ein Paradies auf Erden erzwingen wollten, "rundum Vernichtung und Verwüstung" hinterließen, habe das Mönchtum, das ebenfalls von einer neuen Menschheit träumte - die freilich erst in der kommenden Welt vollendet sein würde - die Welt "bewahrt, kultiviert, aufgebaut". Ist es nicht eigenartig, fragt der Dominikaner Schönborn, "daß die großen Kulturleistungen der Christenheit von Menschen vollbracht wurden, die gleichzeitig sangen: media vita in morte sumus und die sich sehnten, post hoc exilium die Herrlichkeit des Himmels zu schauen?"
Christoph Schönborn: "Leben für die Kirche". Die Fastenexerzitien des Papstes. Herder Verlag, Freiburg 1997. 173 S., geb., 36,- DM.
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Christoph Schönborn hat eine Vision von Kirche, in der für biederen Pädagogensinn kein Platz ist / Von Christian Geyer
Theologie ist nicht zum geringsten Teil eine Frage des Gestus, mit dem sie betrieben wird. Paulus spricht davon, daß Gelehrtheit ohne Liebe nur tönernes Erz hervorbringt. Und treffsicher wie kein zweiter enthüllt Léon Bloy die Lächerlichkeit, die entsteht, wenn die höchsten Dinge auf das Niveau des tüfteligen Besserwissers heruntergezogen werden.
Christoph Schönborn, seit 1995 Erzbischof von Wien, hat ein bemerkenswertes theologisches Buch verfaßt, dessen Wert gerade in der dichten, aber leicht verständlichen Zusammenschau der christlichen Glaubensinhalte liegt. Es umfaßt kaum hundertachtzig Seiten, aber jede Seite verrät, daß hier jemand aus der Fülle schöpft. Keine gelehrte Einsicht, die nicht auch durchbetet scheint. Dadurch bekommt "die Lehre" eine Lebendigkeit, um die sich das flotte Vokabular der Religionspädagogik vergeblich bemüht. Es ist die Kunst, den Dingen zwischen Himmel und Erde ihre Proportionen zu lassen, die in diesen Exerzitienvorträgen aufscheint. Schönborn hat sie in der Fastenzeit 1996 für den Papst und die Mitglieder der Römischen Kurie gehalten.
Der Autor überzieht nicht, aber er unterschlägt auch nicht. Er läßt das Geheimnis hervortreten, indem er hinter ihm zurücktritt. Die Distinktionen verselbständigen sich nicht, weil das Gedankliche in der Kontemplation gut abgehangen ist. Mit erstaunlicher Leichtigkeit nährt sich der Text aus Bibelworten und Aussagen der Kirchen- und Konzilsväter. Der neue Katechismus, an dessen Gestaltung Schönborn maßgeblich beteiligt war, wird nicht als starrer Dogmenkodex, sondern als Fundgrube für spirituelle Schätze ausgewertet. Selten gehen das Professorale und das Pastorale eine so gelungene Verbindung ein wie bei Schönborn, der fünfzehn Jahre lang, von 1975 bis 1990, an der Universität Fribourg Dogmatik und Ostkirchenkunde lehrte.
Sein Thema ist die Kirche und doch eigentlich auch nicht. Denn im Grunde spricht er nur über Christus. Von dieser Warte aus führt er die Kirche in die Größe ihrer geistlichen Dimension hinein und ernüchtert zugleich alle bloß empirischen Erwartungen, die sich auf sie richten. Ganz zu Beginn schildert Schönborn eine Anekdote über den großen Theologen Reginald Garrigou-Lagrange, der jeden Samstag eine öffentliche Vorlesung in der Aula Magna des Angelicum in Rom hielt. Einmal begann er seinen Vortrag, indem er das Wort "Gott" aussprach - und verstummte. Nach einer Weile begann er wieder, doch brachte er nach dem Wort "Gott" abermals kein weiteres Wort hervor. Alles wartete in angespannter Stille. Schließlich schlug Garrigou das Buch zu, stand auf und ging.
Schönborn hat sich ein elementares Staunen darüber bewahrt, daß Gott sich in der Kirche für den Menschen aussprechbar macht. Um so nachhaltiger wehrt er sich gegen eine rein soziologische Betrachtungsweise ihrer Institutionen. Zitiert wird ein bei den Kirchenvätern oft gebrauchter Vergleich, wonach die Kirche nur durch Christus leuchtet, wie der Mond nur das Licht der Sonne widerstrahlen kann. Welch biederer Pädagogensinn, mit dem Christus aus einer falsch verstandenen Ökumene heraus zunehmend aus der kirchlichen Sprache verbannt wird: "Ganze Pastoralprogramme mit Planspielen, Aktionsmodellen, Richtlinien, ohne den Namen Christi auch nur einmal zu nennen."
Fest verwurzelt im Unglauben an das Paradies auf Erden, verzichtet Schönborn nicht auf warnende Worte, wenn die himmlischen Konturen der häufig sehr irdisch daherkommenden Glaubensanstalt verwischt werden. "Ein oft erschreckend pragmatisch-horizontales Kirchenverständnis verbreitet sich. Die Kirche wird zu sehr als menschliches Werk, zu wenig als Ort der Gnade gesehen."
Mit feinem Gespür für die klerikalen Modeworte der Gegenwart kritisiert der Erzbischof die innerkirchliche Überschätzung der sichtbaren Kirchengestalt, die erst Pathosformeln wie jene vom "Leiden an der Kirche" ermöglicht hat. Er spricht von der "Obsession", in einer Mediengesellschaft "anziehend", "gewinnend", "spürbar" sein zu wollen. Damit würden Erwartungen geweckt, die die Kirche nur enttäuschen könne, während ihre eigentliche Fähigkeit als uninteressant in den Hintergrund gerate: den Menschen "mit Christi Augen sehen, mit Seinem Geist verstehen, mit Seinem Willen wollen, mit Seinem Herzen fühlen" zu lassen. Solche Wendungen wirken bei Schönborn nicht als aufgesetzte Bekenntnisrhetorik, sondern verraten ein reflektiertes Empfinden für mythische Sprache, die sich nach Leszek Kolakowski gerade dadurch auszeichnet, daß sie keine bloße Erweiterung der Alltagssprache ist.
Der bisweilen mit prophetischer Verve vorgetragene cantus firmus Schönborns ist der Weltcharakter des Christenmenschen. Dem Autor geht es um die Ambivalenz des Jesuswortes: in der Welt, aber nicht von der Welt. Nun scheint das insofern nicht eben neu, weil sich heute alle möglichen kirchlichen Verlautbarungen um Säkularisierung und Moderne drehen. Aber in ihrer demonstrativen Bejahung der "Welt" offenbaren viele dieser "Worte" und "Stellungnahmen" aus der klerikalen Gremienwelt doch eher das säkulare Minderwertigkeitsgefühl ihrer Verfasser. Individualpsychologisch ist ja klar, daß eine derartige stationäre Gestimmtheit nicht introspektiv erfaßbar ist, sondern nur aus ihren Kompensationen erschlossen werden kann.
Anders gesagt: Wer verbal immer wieder unaufgefordert "die Welt" umarmt, zieht den begründeten Verdacht auf sich, im Verhältnis zu dieser Welt einen tiefgehenden Knacks zu haben. Das ist dann aber nicht jener Knacks, der in dem antiutopischen Kirchenlied zum Ausdruck kommt: "Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ew'gen Heimat zu." Es ist auch nicht der von Paulus geschilderte Knacks einer Schöpfung, "die seufzt und in Wehen liegt".
Vielmehr ist es der Knacks dessen, der auf merkwürdige Weise welt- und glaubensfremd zugleich ist. Meint er doch ständig, sich im Namen des Reiches Gottes mit einem verlegenen Räuspern gleichsam von außen in die Welt "einmischen" zu müssen. Deshalb nennt er seine Unterhaltungen mit anderen Leuten auch nicht wie andere normale Leute "Gespräch" oder "Gebabbel", sondern "Dialog". Was er nicht begreift, ist, daß er seit seiner Geburt bereits mitten in der Welt sitzt und daß seit seiner Taufe das Reich Gottes in ihm angebrochen ist. So will ihm auch nicht einleuchten, daß ein christliches Laienapostolat nicht der verlautbarerischen "Einmischung" von einer institutionellen Plattform her bedarf. Er übersieht, daß die vielbeschworene "öffentliche Resonanz" des Christentums nicht mehr heißen kann, als daß der einzelne Christ ohne komiteehafte Fisimatenten "an seinem Platz" sein getauftes Leben lebt. Nicht ohne Grund legen die neuen "geistlichen Bewegungen" höchsten Wert darauf, keine strategischen Operationszentralen in Sachen Weltmission zu sein, sondern Bet-und Bildungsgemeinschaften.
Das Wohltuende an Schönborns Weltbekenntnissen ist, daß sie vollkommen frei von jeder Sorte klerikaler Minderwertigkeitsgefühle sind. Ohne den vielfach üblichen selbstproduzierten Rechtfertigungsdruck legt der Autor den Akzent auf die Exilsituation des Christen. Indem er sich gegenüber den auf möglichste Weltharmonie bedachten Kirchenfunktionären begriffsstutzig stellt, bringt er sie im vornehmen Patriarchenstil in Verlegenheit: "Etwas Eigenartiges hat sich in den vergangenen Jahren ereignet: Es ist den Christen der Himmel abhanden gekommen!" Schönborn erinnert an die ursprüngliche Bedeutung von "Pfarrei". Es ist die Gemeinschaft von paroikoi, von heimatrechtlosen Fremdlingen. Immer wieder entlarvt er die Gegenüberstellung von Weltgestaltung und Innerlichkeit als falsche Alternative. Die Kontemplation, das Gebet - "Hoffnung im Vollzug" - beschreibt er als theologisch notwendige Bedingung für jedes missionarische Wirken. Dies gelte, wenn auch in verschiedener Ausprägung, für Mönche und Laien gleichermaßen.
Während die Ideologien, die eine neue Menschheit, ein Paradies auf Erden erzwingen wollten, "rundum Vernichtung und Verwüstung" hinterließen, habe das Mönchtum, das ebenfalls von einer neuen Menschheit träumte - die freilich erst in der kommenden Welt vollendet sein würde - die Welt "bewahrt, kultiviert, aufgebaut". Ist es nicht eigenartig, fragt der Dominikaner Schönborn, "daß die großen Kulturleistungen der Christenheit von Menschen vollbracht wurden, die gleichzeitig sangen: media vita in morte sumus und die sich sehnten, post hoc exilium die Herrlichkeit des Himmels zu schauen?"
Christoph Schönborn: "Leben für die Kirche". Die Fastenexerzitien des Papstes. Herder Verlag, Freiburg 1997. 173 S., geb., 36,- DM.
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