Produktdetails
  • Verlag: Europäische Verlagsanstalt
  • Seitenzahl: 287
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 585g
  • ISBN-13: 9783434504559
  • ISBN-10: 3434504559
  • Artikelnr.: 09834325
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2002

Autokrat und Genie
Werner Pieck zeigt Händel als Virtuosen der Selbstinszenierung
„Oh! Ein Deutscher, und ein Genie! Ein Wunder! Lass ihn herein!”, soll der greise Jonathan Swift gesagt haben, als 1742 sein Diener ihm den Besuch Händels meldete. Wenige Tage zuvor – und nach der Erstaufführung in Dublin am 13. April 1742 – hatte die umjubelte zweite Aufführung des „Messias” stattgefunden. Händel, 67 Jahre alt, war zu diesem Zeitpunkt die beherrschende Figur im englischen Musikleben, hochangesehen auch auf dem Festland.
Der Verfasser der neuen Biografie, Werner Pieck, 1933 geboren, ehemaliger Diplomat, jetzt Dozent in den Vereinigten Staaten, ist ein vielseitig gebildeter Mann, mit der Historie ebenso vertraut wie mit der Musikgeschichte. Und wie er erzählt, das vermag auch den Leser zu fesseln, der den großen Komponisten allenfalls aus ein paar Aufführungen kennt.
Die Quellen, auf die sich ein Biograf Georg Friedrich Händels stützen kann, sind nur dürftig. Nicht einmal die äußeren Lebensdaten sind immer mit Sicherheit zu erschließen, von persönlichen Beziehungen, Lebensumständen und prägenden Erlebnissen zu schweigen. Über die Werke, ihre Aufführungen, die beteiligten Virtuosen und die instrumentelle Besetzung ist man meist besser unterrichtet. Der Autor erliegt aber niemals der Versuchung, dort etwas zu behaupten, wo allenfalls Hypothesen möglich sind.
Pieck wendet sich offensichtlich an Nichtfachleute. Das tut er mit Geschick, auch wenn man sich manchmal wünscht, er hätte auf die eine oder andere genealogische und ereignisgeschichtliche Information verzichtet und etwas mehr zur Kultur- und Sozialgeschichte eines Ortes oder einer Institution mitgeteilt. Dass es zum Beispiel 1733 in London zur Gründung einer Adelsoper in Konkurrenz zu dem von Händel geführten, vom König begünstigten Unternehmen kommt, mag man mit dem Aufbegehren einiger Musiker gegen Händels autokratischen Stil, mit den Plänen einer Gruppe unzufriedener Adliger, schließlich mit einer Intrige innerhalb des Königshauses selbst erklären, aber der Vorgang wird doch erst verständlich, wenn man etwas über die politische und gesellschaftliche Rolle solcher Institutionen weiß.
Während man diese schriftstellerische Akzentsetzung akzeptieren mag, muss man doch bedauern, dass der Autor, wenn er sich – durchaus scharfsinnig – mit den Archivalien und den Deutungen anderer Biografen auseinander setzt, ganz selten nur mitteilt, auf wen er sich bezieht, sodass der Leser nicht feststellen kann, wo die Biografie über die bisherige Forschung hinausführt, es sei denn, er wäre selbst ein Händel-Spezialist.
Der große Komponist, 1685 in Halle an der Saale geboren, hatte – ja, man kann sagen: schuf sich – eine Karriere, wie sie wenigen unter den genialen Musikern der Zeit vergönnt war. Dazu gehörte neben dem Können ein Selbstentwurf. Wir, Kinder Freuds und seiner trivialisierenden Nachfolger, sind gewohnt, danach zu fragen, was hinter der gesellschaftlichen oder politischen Rolle einer Person verborgen ist, aber damals war man das, was man darstellte. Und Händel war ein Virtuose dieser Selbstinszenierung. Weil sie uns fremd geworden ist, begreifen wir kaum, was es bedeutet, dass er in seinem letzten Willen die Hoffnung ausdrückt, das man ihm ein „privates Begräbnis in Westminster Abbey” erlaube. Mit unserer „Privatheit” hat das wohl kaum etwas zu tun. Der Verfasser deutet es an, wenn er schreibt, die Bestattungsfeier sei „vor dreitausend Trauernden kein privates Ereignis” geblieben und – untertreibend – hinzufügt: das wäre Händel „wohl recht gewesen”.
ERNST-
PETER WIECKENBERG
WERNER PIECK: Leben Händels. Biographie. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2001. 288 Seiten, 25,60 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der 1933 geborene ehemalige Diplomat Werner Pieck, der als Dozent in den USA arbeitet, ist ein "vielseitig gebildeter Mann", stellt Ernst-Peter Wieckenberg fest. Seine Biografie über Händel hat den Rezensenten in jedem Fall gefesselt. Obwohl es über viele Stationen im Leben des Komponisten nur dürftige Quellen gibt, sei der Autor niemals der Versuchung erlegen, sich in Vermutungen zu ergehen, lobt der Rezensent. Die Biografie empfiehlt er auch musikgeschichtlichen Laien, obwohl er sich an manchen Stellen gewünscht hätte, dass Pieck mehr zur Sozial- und Kulturgeschichte von Orten und Institutionen geschrieben hätte. Unklar bleibe auch, an welchen Stellen seine Biografie über den aktuellen Forschungsstand hinausgehe, weil Pieck den Leser nur selten wissen lasse, mit welchen Biografen er sich in seinem Buch auseinandersetze. Deutlich geworden ist Wieckenberg in jedem Fall, dass Händel es hervorragend verstand, seine Karriere zu inszenieren und seinen Erfolg auch mehr als genoss.

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