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Autorenporträt
Christoph Bartmann, geboren 1955, studierte Germanistik und Geschichte. Seit 1988 Mitarbeiter des Goethe-Instituts, u.a. in München, Prag und Kopenhagen, seit 2011 als Direktor in New York, ab 2016 in Warschau, außerdem regelmäßiger Rezensent in der Süddeutschen Zeitung. Im Carl Hanser Verlag erschienen: Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten (2012) und Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal (2016).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2012

Wie opponiert man gegen ein Betriebssystem?

Come in and burn out: Christoph Bartmann zeigt mit "Leben im Büro", wie sich unsere Angestelltenwelt dem Regime der Office-Instrumente unterworfen hat.

Das lateinische Wort "officium" hat viele Bedeutungen: Dienst, Verrichtung, Tätigkeit, Amt, Geschäft, Pflicht, Gefälligkeit. Im Englischen "office" ist es zusammengeschnurrt auf Amt, Kanzlei, Büro. Und in der lingua franca des Computerzeitalters flottiert es als Software-Überbegriff des weltweit verfügbaren Büros, das man immer dabei hat. Der Gang, die Fahrt in ein physisch vorhandenes Gebäude, so predigt es die neue Zeit, ist längst obsolet. Wertschöpfung geht heute ganz anders. Wer bin ich, wenn ich ins Büro gehe, und wenn ja, wie viele? Diese Frage sollte eigentlich zur Morgenandacht eines jeden Angestellten gehören, aber sie tut es offensichtlich nicht.

Die Lektüre von Christoph Bartmanns vorzüglich geschriebenem Buch "Leben im Büro" könnte Abhilfe schaffen. Hier hat einer nachgedacht, wie sinnvoll die Unterwerfung unter ein sich auflösendes Privat- und Arbeitsleben für eine Gesellschaft sein mag. Bartmann ist für die Goethe-Institute in den Vereinigten Staaten, Kanada, Mexiko und Kuba zuständig, er sitzt in New York, schreibt Literaturkritiken und ist zuallererst und gern Angestellter. Als solcher hat er miterlebt, wie sich das Angestelltendasein veränderte - offenkundig zum scheinbar Besseren. Wer nicht "performt", ist gar nicht da; die Selbstdarstellung ist zum Pflichtfach geworden.

Bartmanns Ton ist voller Ironie, wenn er das Neusprech des Managerismus sich selbst vorführen lässt; aber ab und an wird er richtig bitter, und man spürt, wie stark er von dem Thema affiziert ist, wenn er etwa "die Kolonisierung unserer Arbeitswelt durch Formate, Formatierungen, Formalitäten" beklagt. Die Software Office empfindet er als Widersacher von wirklicher Arbeit, obwohl er sich ihrer selbstredend bedient. Zu den Anfängen dieses inneren Widerspruchs schlägt er mehrere kulturhistorische Schneisen. Zunächst geht er der Frage nach, warum die alte Bürokratie ausgedient hatte und was es mit dem Schlagwort vom permanenten Bürokratieabbau in Wirklichkeit auf sich hat. Ingenieure der menschlichen Seele standen an ihrem Anfang, aber dazu musste erst die Lehre Sigmund Freuds Amerika erobern. Auch ein Blick auf Kafkas Roman "Der Process" hilft Bartmann bei der historischen Herleitung weiter: Der Prager Schriftsteller sei nicht nur als Seher der kommenden Bürokratie zu preisen, er habe zugleich eines der Schlüsselwörter des zwanzigsten Jahrhunderts ins Zentrum gestellt - ebenjenen "Prozess", der heute Prozess-Managern ausgeliefert ist, die Management-Prozesse steuern.

Die Geschichte des Managers beginnt Bartmann mit dem Exil-Österreicher Peter Drucker, der 1954 prophezeite, das Management sei die folgenreichste Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit seinem Büchern stieg er zum Guru einer neuen Lehre auf, die ihren Praxistest in den Organisationsschlachten des Zweiten Weltkriegs bestanden hatte. Amerikaner gaben dem Managerismus Schub und Überzeugungskraft; als "Held der Anpassung" hatte Drucker das Berufsbild beschrieben. Dazu kam eine Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Für Aufmerksamkeit, Glück, Recht und sogar für Fehler gibt es heute eine Ökonomie. Und die muss via Storytelling aufgebrezelt werden. Nur über gute Geschichten kann der Manager seinen Stakeholdern weismachen, dass die Firma "gut aufgestellt" ist.

Am Beispiel des Vereinigten Königreiches führt Bartmann die Management-Mechanismen vor, die zur Übernahme des politischen Geschäfts verwendet wurden. Dem Thatcherismus folgte der "Dritte Weg" von New Labour. War die Politik der Eisernen Lady in ihrer Entschlossenheit zynisch, gab Tony Blair mit seinen religiös-charismatischen Sprechblasen den Erneuerer, und blieb obendrein zynisch. Dazu gehört auch die Ablösung der klassischen Verwaltung durch das New Public Management. Auch dessen Grundzüge wurden an der Harvard Business School ersonnen, für Bartmann ein Hort des Unheimlichen, weil dort das Büro als religiöse Gegenwelt erdacht wurde.

Vom kirchlichen Glauben abgefallen, bekennen sich heutige Angestellte zur Religion des "Change". Denn die Ethik des neuen Managements unterwirft sich dem Selbstregime der Optimierung. In einem permanenten Prozess der Selbstveredelung irrt der Manager zwischen hohen Semantik-Pfählen - Qualität, Netzwerk, Kompetenz, Performance - durch den Arbeitstag, während er nebenher für den nächsten Triathlon trainiert. Individuelle Verantwortung schwindet, weil jeder seiner Schritte durch Evaluation abgesichert ist, weswegen der britische Soziologe Michael Power von "Evaluations- und Buchführungs-Diktaturen" spricht.

Und noch einmal England: Die Modernisierungsidee der Royal Mail sah aus den üblichen Effizienzgründen die Abschaffung der Postboten-Fahrräder vor. Stattdessen wurden Lieferwagen angeschafft, um in derselben Stundenzahl mehr Arbeit zu bewältigen. Die Autos wurden mit zwei Postboten besetzt, die in einer von einem Computer errechneten Zustellschleife Post auslieferten. Funktioniert hat es nicht wirklich. Kein Wunder, denn "Change", schreibt Bartmann, sei nur ein dialektischer Trick: Er behauptet den permanenten Wandel und sichert doch nur den Stillstand ab. Die Postdemokratie ist Wirklichkeit geworden; sie hat in den Unternehmen Arbeiter durch PR-Leute und Evaluierungsexperten ersetzt. Der Autor scheut sich nämlich in seiner Gesellschaftsstudie nicht, die politischen Implikationen der neuen Bürowelt einzuordnen. Er zitiert den Satz des Politologen James Burnham: "Die Manager verlagern den Sitz der Souveränität." Viel Hoffnung bei den etablierten Parteien sieht er nicht, die Piraten spielen hier noch keine Rolle.

Aus der Falle der permanenten Zielvereinbarung mit sich selbst führt häufig genug die mit Burnout nur unzulänglich beschriebene Volkskrankheit. Das Buch widmet sich diesem Thema in galliger Ausfühlichkeit, besonders hat es dem Autor Miriam Meckels Bekenntnis-Buch "Brief an mein Leben" angetan - als Beleg, wie man sich eine Krankheit als Auszeichnung in den Lebenslauf hineinschminken kann. Befund: Meckel verwechsle Burnout mit ihrem eigenen "Strebersein in der Optimierungsgesellschaft". Die "Ausgründungen der Bürowelt", die diese Krankheit zusammen mit ADHS geschaffen habe, fänden sich in Klosterzellen, Thermen, Fastenkliniken und Wellness-Oasen.

Gibt es Wege aus der Falle des bürokratisch-industriellen Komplexes? Bartmann ist nicht optimistisch, denn "wie wollte man sich die Opposition gegen ein Betriebssystem vorstellen?". Er ahnt, sein Vorschlag, ein "Büro für Kritik" einzurichten, wird es nicht richten - denn dem Managementdenken hafte etwas Totalitäres an. Weniger Mitbestimmung in Betrieben und Verwaltungen als unter dem Regime der Instrumente habe es noch nie gegeben. "Nie waren wir so frei im Büro, und nie zuvor waren wir derart dressiert."

HANNES HINTERMEIER

Christoph Bartmann: "Leben im Büro". Die schöne neue Welt der Angestellten.

Hanser Verlag, München 2012. 320 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.03.2012

Das letzte Stadium der Bürokratie
Christoph Bartmann rettet die Würde des Büros vor dem Management
Dieser Text wurde zu Hause geschrieben. Das ist wichtig, weil der öffentlich Angestellte Christoph Bartmann sich das Zuhause als den idealen Arbeitsplatz vorstellt, als das „Reich der Freiheit“, wo man Dinge geschafft kriegt, tiefgründige Telefonate führt und „sogar den Flow“ erlebt, eine Art Endorphinrausch für Werktätige.
Alle Heimarbeiter, deren Erwerbsbiographie in den eigenen vier Wänden stattfindet, staunen jetzt. Zu Hause arbeiten, das ist Stille, die einen komisch im Kopf werden lässt. Das heißt, in der Wohnung zu arbeiten und in der Arbeit zu wohnen. Die Freiheit, die Bartmann vor Augen hat, ist die Freiheit, den Tag im Pyjama zu verplempern oder etwas so Produktives zu machen wie Fensterputzen. Die meisten von uns würden ein „Leben im Büro“ vorziehen, wie Bartmanns Buch heißt. Sitzungen und Flurfunk, Kollegen und Kantine, ein Leben mit Struktur.
Wie wir jedoch bei Bartmann lesen müssen, ist das Büro auch nicht mehr, was es einmal war. In der „schönen neuen Welt der Angestellten“, so der Untertitel dieser klugen und pointierten Studie, findet das Büro längst nicht mehr nur im Büro statt, sondern überall, wohin man einen Laptop und ein Smartphone tragen kann. Das moderne Büro fordert alles vom Menschen. Flexibilität, Identifikation, Emotionen und „lebenslanges Lernen“. Office ist überall, sogar in einer ehrwürdigen Kulturinstitution wie dem Goethe-Institut, dessen New Yorker Zweigstelle Christoph Bartmann seit 2011 leitet.
Das Büro bestimmt nicht nur das Leben, auch das Leben wird zum Büro. Kommunikationsstrategien entwickeln, Feedback geben, sich coachen lassen – so etwas machen wir inzwischen in unseren Partnerschaften. Und sobald man den Computer hochfährt, hat man mit Ordnern, Aktenmappen und Papierkörben zu tun, jenen klassischen Bürostrukturen, über die man in Zeiten von Mobile Workforce und digitaler Bohème längst hinweg ist. „Wir haben nicht nur das Büro verinnerlicht, sondern das Büro hat sich in uns veräußerlicht“, stellt Bartmann fest. Auch die, die zu Hause arbeiten, setzen alles daran, ihr „Reich der Freiheit“ zum Büro zu machen. Allein der Name: Home Office, kurz HOMO.
Das Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin hat in einer Studie über die Berliner Kreativwirtschaft herausgefunden, dass sich die meisten Heimarbeiter irgendwann Büroplätze suchen. Wo sie vermutlich in Meetings sitzen und sich mit Rundmails und Kätzchenvideos zuspammen, die in allen Büros dieser Welt Arbeitsenergie binden.
Wie konnte das passieren? Bartmann schlägt einen Bogen von Max Webers Beschreibung von Behörden bis zum Zweiten Weltkrieg, der „auf ambivalente Weise die Geschichte des modernen Managements mitgeschrieben“ habe. Die effizienten Methoden der amerikanischen Kriegsführung wurden von der Privatwirtschaft übernommen, „Risikoanalyse“, „Mobilisierung“ und „strategische Ziele“ lassen grüßen. Bartmann erzählt, wie die Psychologie Einzug ins Arbeitsleben hielt, erstaunlich früh nämlich. Im Gefolge der Psychoanalyse wurde auch im Büro die Seele großgeschrieben. Ein Arbeitnehmer, der in sich hineinhorcht, lastet sein Unwohlsein schließlich sich selbst und nicht dem Chef an.
Inzwischen muss ein Angestellter seinen Gefühlshaushalt organisieren wie einen Jahresetat. Dazu gibt es eine Industrie von Motivationstrainern und Management-Ratgebern. Das „positive Denken“ nicht zu vergessen, für Bartmann eine besonders durchtriebene Form des Determinismus. Dass man alles erreichen kann, solange man die passende Einstellung hat, heißt ja im Umkehrschluss, dass alle, die Zweifel am System haben, nicht richtig ticken.
Souverän arbeitet sich der Germanist Bartmann durch die Kultur- und Literaturgeschichte, von den Anfängen der Bürokratie bis zum Burnout. Schade, dass er Kafkas Briefe an seine Verlobte Felice nicht ausgewertet hat. Mit seinem ewigen Hadern über das „Leben im Bureau“ wäre Kafka heute ein Fall für den Mentalcoach. Oder ein Kätzchenvideo.
Den Großteil seines Buches widmet Bartmann der feindlichen Übernahme des Büros durch das Management. Er weiß, wovon er spricht. Als langjähriger und viel herum gekommener Angestellter des Goethe-Instituts hat er miterlebt, wie sich die gute alte Bürokratie zum „New Public Management“ entwickelte. Bartmann schildert einen typischen Arbeitstag, von der Sitzung des Lenkungsausschusses um 10 bis zur Budgetbesprechung um 17 Uhr. Mit einer masochistischen Freude an Floskeln und Worthülsen, wie man sie aus Texten von Elfriede Jelinek kennt, wirft er dem Leser Begriffe wie Feasibility, Governance, Qualitätsmanagement und Prozesssteuerung um die Ohren. „Was machen Sie beruflich? Ich mache Prozessmanagement für Management-Prozesse. Ach so.“
Sein Fazit: „Das Management ist das neue, einstweilen letzte Stadium der Bürokratie.“ Nur dass die Zeit, die früher durch Aktenlauf und Rundablage verloren ging, heute mit Teambildungssitzungen, Evaluation und Formulierung von Zielen verschleudert wird. Bartmann spricht vom „Managerismus“, der alle Bereiche der Gesellschaft erfasst hat. Von den Papieren, die New Labour einst zur Umstrukturierung des britischen Gesundheitssystems vorlegte, bis zum „Fallmanager“ im deutschen Job-Center. Management ist alles und alles wird Management. Selbst die Subkultur ist davor nicht sicher. Der schrille Typ im Unternehmen wird kurzerhand als „Business-Punk“ vereinnahmt. Nicht einmal die Kunst taugt als Mittel zur Abgrenzung. In einem der besten Abschnitte des Buches beschreibt Bartmann, wie Leistung in der modernen Arbeitswelt theatralisiert wird. Alle sind Rule Player, müssen eine Performance erbringen. „Wer nicht(s) darstellt, ist gar nicht da.“ Selbst der Aktienindex wird an seiner Performance gemessen. Ganz zu schweigen von der Kreativität, die man in jeden stinknormalen Betrieb einbringen muss. Indessen ist die Theaterkunst in der postdramatischen Phase angekommen und befindet sich auf Sinnsuche. Um es mit einem Stücktitel von René Pollesch zu sagen: Die Kunst war viel populärer, als ihr noch keine Künstler wart!
Die gute Performance Bartmanns besteht darin, sich nicht dem Kulturpessimismus zu ergeben. Er ist ein Angestellter der alten Schule, überzeugt von der „Würde des Büros“, die es „vor den Managern zu retten“ gelte. Sein Vorschlag: „Setzen wir die Kritik des Büros fort in einem Büro für Kritik.“ Wir würden es sofort gegen unser Home Office eintauschen.
VERENA MAYER
Ein Angestellter muss seinen
Gefühlshaushalt organisieren
wie einen Jahresetat
Leistung wird theatralisiert:
„Wer nicht(s) darstellt,
ist gar nicht da.“
Christoph Bartmann
Leben im Büro
Die schöne neue Welt der Angestellten. Carl Hanser Verlag, München 2012. 319 Seiten,18,90 Euro.
Ober-Playboy Hugh Hefner (oben) lebte es vor: Das runde Bett diente als Steuerpult, Liebesnest und Arbeitsplatz. Links der Entwurf eines Junggesellen-Apartments, der 1962 im „Playboy“ gezeigt wurde.
Fotos: Burt Glinn/
Magnum Photos/Agentur Focus, Antonio
Gagliano
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit großem Vergnügen ist Verena Mayer dem Leiter des Goethe-Instituts in new York, Christoph Bartmann gefolgt, der sich daran macht, das gute alte Büro vor dem Managerismus zu retten. Mehr Zeit als Teambildung, Evaluation und Zielformulierungen haben früher "Aktenlauf und Rundablage" auch nicht gekostet, umreißt Mayer die Argumentationslinie Bartmanns, der sich zudem genüsslich über Feasibility, Governance und Qualitätsmanagement auslässt. Dazu gibt es natürlich auch den historisch-theoretischen Überblick inklusive Max Weber und Psychoanalyse, so dass die Rezensentin selbst in ihrem Home-Office für einen Moment zumindest absolut zufrieden ist.

© Perlentaucher Medien GmbH