75. Jahrestag der Befreiung
2020 jährt sich der Tag der Befreiung von Auschwitz zum 75. Mal. Seit 75 Jahren müssen Überlebende und deren Nachfahren, muss die Welt, müssen die Deutschen mit dem Zivilisationsbruch leben, den der Name "Auschwitz" markiert. Das Buch folgt dieser Geschichte.
Die Überlebenden des Holocaust konnten über das Geschehene oft nicht sprechen. Doch die Traumata des Erlittenen wirkten auch im Stillen und gerade dort: Überlebende und ihre Kinder beschwiegen das Unfassbare, um einander zu schützen und dem Schrecken nicht oder nicht noch einmal begegnen zu müssen.
Anders die Generation der Enkel. Sie stellt den Großeltern nicht nur Fragen, auf die sie auch Antworten bekommt. Sie erlebt Auschwitz zudem als ein historisches Faktum, das in den 75 Jahren, die seit der Befreiung des Lagers vergangen sind, beschrieben und analysiert, interpretiert und bearbeitet wurde. Was aber heißt und bedeutet Auschwitz dann für diese Dritte Generation?
Dieses Buchversammelt Zeugnisse von Enkelinnen und Enkeln von Auschwitz-Überlebenden. Es sind oft berührende, manchmal erschütternde und immer nachdenkenswerte Berichte darüber, wie wirkmächtig das Geschehen von damals im Leben von Menschen auch heute noch ist. Auschwitz war nicht nur gestern, Auschwitz ist heute - immer noch und bleibend.
Wegmarken der Wahrnehmung von Auschwitz "nach Auschwitz"Geschichten hinter der Geschichte
2020 jährt sich der Tag der Befreiung von Auschwitz zum 75. Mal. Seit 75 Jahren müssen Überlebende und deren Nachfahren, muss die Welt, müssen die Deutschen mit dem Zivilisationsbruch leben, den der Name "Auschwitz" markiert. Das Buch folgt dieser Geschichte.
Die Überlebenden des Holocaust konnten über das Geschehene oft nicht sprechen. Doch die Traumata des Erlittenen wirkten auch im Stillen und gerade dort: Überlebende und ihre Kinder beschwiegen das Unfassbare, um einander zu schützen und dem Schrecken nicht oder nicht noch einmal begegnen zu müssen.
Anders die Generation der Enkel. Sie stellt den Großeltern nicht nur Fragen, auf die sie auch Antworten bekommt. Sie erlebt Auschwitz zudem als ein historisches Faktum, das in den 75 Jahren, die seit der Befreiung des Lagers vergangen sind, beschrieben und analysiert, interpretiert und bearbeitet wurde. Was aber heißt und bedeutet Auschwitz dann für diese Dritte Generation?
Dieses Buchversammelt Zeugnisse von Enkelinnen und Enkeln von Auschwitz-Überlebenden. Es sind oft berührende, manchmal erschütternde und immer nachdenkenswerte Berichte darüber, wie wirkmächtig das Geschehen von damals im Leben von Menschen auch heute noch ist. Auschwitz war nicht nur gestern, Auschwitz ist heute - immer noch und bleibend.
Wegmarken der Wahrnehmung von Auschwitz "nach Auschwitz"Geschichten hinter der Geschichte
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020Fragen nach dem
Unbegreiflichen
Andrea von Treuenfeld lässt Enkel
von Holocaust-Opfern erzählen
In einer Stadt in Israel sitzen vier ältere Damen beim Kuchen, eine Enkelin aus Deutschland ist zu Besuch und hat ihren neuen Freund mitgebracht. Die vier Damen unterhalten sich auf Deutsch – und fragen den Freund dann laut und fröhlich: „Weißt Du, wo wir uns kennengelernt haben?“. „Nein.“ Und alle im Chor: „Auf dem Todesmarsch“. Das war völlig normal, sagt Rebecca de Vries, die Enkelin, ein wichtiges Gesprächsthema unter diesen Frauen, die Auschwitz überlebt hatten und 1945 vor den vorrückenden Alliierten auf Todesmärsche geschickt worden waren. Den letzten Satz, den die Mutter von Erna de Vries in Auschwitz zu ihrer Tochter gesagt hatte, war: „Du wirst überleben und du wirst erzählen, was man mit uns gemacht hat.“
Erna de Vries hat das beherzigt und relativ offen über ihr Leiden erzählt, trotz schwerer Traumata. Auch ihrer Enkelin. Wie die dritte Generation jüdischer Überlebender der NS-Verbrechen mit dem Holocaust umgeht, davon handelt das neue Buch von Andrea von Treuenfeld „Leben mit Auschwitz“. Es besteht im Hauptteil aus 14 Erzählungen von Enkelkindern, wie Großmütter und Großväter ihnen von Entmenschlichung und Entrechtung vor allem in Auschwitz berichtet – oder auch nicht berichtet haben und wie die Enkelkinder 75 Jahre danach damit umgehen, als Juden und als Deutsche.
Es sind bewegende und meist auch sehr offene Berichte im erzählerischen Duktus – die Autorin kommt als Fragende gar nicht vor, leider erfährt man aber auch nicht, wie sehr die Erzählungen im Nachhinein bearbeitet oder verdichtet wurden. Vieles ähnelt sich: dass man schon als Kind spürte, dass „etwas nicht stimmte“; die erste Frage nach der tätowierten Nummer auf dem Arm von Oma und Opa; die ersten zögerlichen Nachfragen, was damals gewesen ist – und die höchst unterschiedliche Reaktion darauf. Manche erzählten „kindgerecht“, manche mit allen Details und manche gar nichts. „Der Sinn des Lebens lag im Weiterleben. Aber darüber lastete eine dicke graue Wolke aus Schweigen und eisiger Kälte“, formuliert etwa Barbara Bisicky-Ehrlich. Andere berichten vom fröhlichen und immer lustigen Opa, von Meistern im Verdrängen, von Großeltern, die ihre Enkel mit sehr viel Liebe und Zuneigung überschütteten.
Letztlich geht es aber auch darum, wie diese dritte Generation sich selbst sieht, wie höchst unterschiedlich sie etwa mit Besuchen in KZ-Gedenkstätten umgeht – die einen schaffen es emotional nicht, dorthin zu gehen, die anderen finden es gerade wichtig, sich dem Unvorstellbaren zu stellen – und ob sie sich auch noch wie ihre Elterngeneration für traumatisiert hält. „Ich bin froh, dass mein Großvater sich geöffnet hat. Man sucht ja für sich nach Antworten, wo man herkommt. Und so weiß ich, wo ich stehe. Und ich weiß auch, dass Auschwitz mich mein Leben lang begleitet hat“, sagt etwa Jenny Claus. Wie man sich heute als Jude in Deutschland fühlt und wie die Gesellschaft mit der NS-Zeit umgeht, klingt nur hie und da an – wäre aber sicher stärker thematisiert worden, wären die Interviews nach dem Anschlag von Halle geführt worden.
Nichts ist hier Vergangenheit. Die Enkel setzen sich ernsthaft mit dem Unfassbaren auseinander. Ein Buch, das berührt und Mut macht.
ROBERT PROBST
Andrea von Treuenfeld: Leben mit Auschwitz. Momente der Geschichte und Erfahrungen der dritten Generation. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, München 2020. 255 Seiten, 20 Euro.
Über allem „lastete eine dicke
graue Wolke aus Schweigen
und eisiger Kälte“
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Unbegreiflichen
Andrea von Treuenfeld lässt Enkel
von Holocaust-Opfern erzählen
In einer Stadt in Israel sitzen vier ältere Damen beim Kuchen, eine Enkelin aus Deutschland ist zu Besuch und hat ihren neuen Freund mitgebracht. Die vier Damen unterhalten sich auf Deutsch – und fragen den Freund dann laut und fröhlich: „Weißt Du, wo wir uns kennengelernt haben?“. „Nein.“ Und alle im Chor: „Auf dem Todesmarsch“. Das war völlig normal, sagt Rebecca de Vries, die Enkelin, ein wichtiges Gesprächsthema unter diesen Frauen, die Auschwitz überlebt hatten und 1945 vor den vorrückenden Alliierten auf Todesmärsche geschickt worden waren. Den letzten Satz, den die Mutter von Erna de Vries in Auschwitz zu ihrer Tochter gesagt hatte, war: „Du wirst überleben und du wirst erzählen, was man mit uns gemacht hat.“
Erna de Vries hat das beherzigt und relativ offen über ihr Leiden erzählt, trotz schwerer Traumata. Auch ihrer Enkelin. Wie die dritte Generation jüdischer Überlebender der NS-Verbrechen mit dem Holocaust umgeht, davon handelt das neue Buch von Andrea von Treuenfeld „Leben mit Auschwitz“. Es besteht im Hauptteil aus 14 Erzählungen von Enkelkindern, wie Großmütter und Großväter ihnen von Entmenschlichung und Entrechtung vor allem in Auschwitz berichtet – oder auch nicht berichtet haben und wie die Enkelkinder 75 Jahre danach damit umgehen, als Juden und als Deutsche.
Es sind bewegende und meist auch sehr offene Berichte im erzählerischen Duktus – die Autorin kommt als Fragende gar nicht vor, leider erfährt man aber auch nicht, wie sehr die Erzählungen im Nachhinein bearbeitet oder verdichtet wurden. Vieles ähnelt sich: dass man schon als Kind spürte, dass „etwas nicht stimmte“; die erste Frage nach der tätowierten Nummer auf dem Arm von Oma und Opa; die ersten zögerlichen Nachfragen, was damals gewesen ist – und die höchst unterschiedliche Reaktion darauf. Manche erzählten „kindgerecht“, manche mit allen Details und manche gar nichts. „Der Sinn des Lebens lag im Weiterleben. Aber darüber lastete eine dicke graue Wolke aus Schweigen und eisiger Kälte“, formuliert etwa Barbara Bisicky-Ehrlich. Andere berichten vom fröhlichen und immer lustigen Opa, von Meistern im Verdrängen, von Großeltern, die ihre Enkel mit sehr viel Liebe und Zuneigung überschütteten.
Letztlich geht es aber auch darum, wie diese dritte Generation sich selbst sieht, wie höchst unterschiedlich sie etwa mit Besuchen in KZ-Gedenkstätten umgeht – die einen schaffen es emotional nicht, dorthin zu gehen, die anderen finden es gerade wichtig, sich dem Unvorstellbaren zu stellen – und ob sie sich auch noch wie ihre Elterngeneration für traumatisiert hält. „Ich bin froh, dass mein Großvater sich geöffnet hat. Man sucht ja für sich nach Antworten, wo man herkommt. Und so weiß ich, wo ich stehe. Und ich weiß auch, dass Auschwitz mich mein Leben lang begleitet hat“, sagt etwa Jenny Claus. Wie man sich heute als Jude in Deutschland fühlt und wie die Gesellschaft mit der NS-Zeit umgeht, klingt nur hie und da an – wäre aber sicher stärker thematisiert worden, wären die Interviews nach dem Anschlag von Halle geführt worden.
Nichts ist hier Vergangenheit. Die Enkel setzen sich ernsthaft mit dem Unfassbaren auseinander. Ein Buch, das berührt und Mut macht.
ROBERT PROBST
Andrea von Treuenfeld: Leben mit Auschwitz. Momente der Geschichte und Erfahrungen der dritten Generation. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, München 2020. 255 Seiten, 20 Euro.
Über allem „lastete eine dicke
graue Wolke aus Schweigen
und eisiger Kälte“
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»Sie [die Enkel-Generation] direkt zu uns sprechen zu lassen, ist ein großes Verdienst der Autorin und macht die Stärle dieses aufrüttelnden Buches aus.« Neue Westfälische