Produktdetails
- Verlag: Pendo
- ISBN-13: 9783858424198
- ISBN-10: 3858424196
- Artikelnr.: 20971604
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001Reifer, als die CDU erlaubt
Der neue Strasser sucht Johano im Glück / Von Erhard Eppler
Das Gewohnte, das Bewährte, das seine Form und seine Geltung aus lang geübter Praxis herleitet, gilt heute zumeist als per se minderwertig. Nur das Neue, bisher nicht Dagewesene vermag unsere Aufmerksamkeit zu fesseln ..." Seit Cicero in seiner Rede gegen Catilina den Menschenschlag kriminalisierte, der immer "rerum novarum cupidus" sei, gehören solche Sätze zum konservativen Repertoire. Aber diesmal stammen sie von einem Achtundsechziger, dazu von einem, der nicht Karriere gemacht hat, der nie Anlaß hatte, seiner Vergangenheit publikumswirksam abzuschwören. Johano Strasser dürfte einer von ganz wenigen aus dieser Generation sein, deren Wandlungen sich nie taktisch begründen ließen. Da hat sich wirklich etwas entwickelt, da ist etwas gereift. Wer nun aber glaubt, der reife Strasser stehe kurz vor dem Eintritt in die CDU (falls diese solch konservative Gemüter noch aufnimmt), der findet auch deftige linke Kritik. Wie verbindet sie sich mit dem Argwohn gegen "das Pathos des Neuen"?
Strasser will sich von der Frage nach dem guten, menschenwürdigen Leben nicht verabschieden. Dem, was er die "Selbstökonomisierung des Menschen" nennt, hält er die Einsichten des - ach so unamerikanischen - konservativen Amerikaners Henry David Thoreau entgegen und warnt vor einer Freiheit, die schließlich nur noch darin besteht, daß wir unsere eigenen Sklaventreiber sein dürfen. Strasser hat seine marxistischen Anfänge nicht vergessen und findet Parallelen zwischen marxistischer und neoliberaler Ideologie, denn beide seien "durchdrungen vom Geist des Szientismus. Entsprechend fehlt ihnen ein adäquater Begriff von menschlicher Freiheit und Würde, und entsprechend neigen ihre Exponenten dazu, sich als Vollstrecker der Markt- oder Geschichtsgesetze ... über Einzelschicksale hinwegzusetzen." Strasser gehört nicht zu den Linken in Ost und West, die nach 1990 ihren Glauben an Geschichtsgesetze mit einem Glauben an Marktgesetze einfach vertauscht haben. Er glaubte nicht an den neuen Menschen eines totalitären Sozialismus, und er glaubt nicht an den scheinfreien Selbstvermarkter. Das Fortschrittspathos der nominell Konservativen findet Strasser so flach wie das der unverwüstlich Progressiven. Er widerspricht Peter Glotz' "Beschleunigter Gesellschaft" ("weder alternativlos noch vernünftig") ebenso wie der unausrottbaren Vorstellung, Wirtschaftswachstum bedeute notwendigerweise höhere Lebensqualität. Das alles mögen ihm seine Generationsgenossen noch durchgehen lassen. Aber Strasser wagt sich auch an jenen Grundbegriff, der das Scheitern der Revolte überlebt hat: die Selbstverwirklichung. Er wittert darin Narzißmus, und es klingt schon fast nach Altersweisheit, wenn Strasser von der "unaufhebbaren Ironie der Glückssuche" spricht, von einem Glück, das man "am ehesten findet, wenn man nicht danach sucht, wenn man, zumindest vorübergehend, sich selbst und seine Glücksansprüche vergessen kann, um sich ganz einer Sache, einem Gefühl, einem Menschen hinzugeben".
Individualisierung bedarf der Solidarität, die keine ökonomische, sondern eine menschliche und eine politische Kategorie ist. Deshalb besteht Strasser darauf, daß Politik unersetzbar ist. Entpolitisierung bedeutet immer auch Entdemokratisierung. Der Sieg des Marktes über die Politik ist kein Sieg, sondern eine Niederlage der Freiheit. Seit ich 1975 einen Wertkonservatismus von links empfahl, werde ich immer wieder gefragt, was das denn sei. Früher erzählte ich dann die Geschichte von den alemannischen Bergbauern und den Freiburger Jusos, die zusammen eine Autobahn über den Hochschwarzwald verhindert haben. Heute würde ich antworten: Lesen Sie doch das neue Buch von Johano Strasser.
Johano Strasser: "Leben oder Überleben". Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes. Pendo Verlag, Zürich, München 2001. 286 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der neue Strasser sucht Johano im Glück / Von Erhard Eppler
Das Gewohnte, das Bewährte, das seine Form und seine Geltung aus lang geübter Praxis herleitet, gilt heute zumeist als per se minderwertig. Nur das Neue, bisher nicht Dagewesene vermag unsere Aufmerksamkeit zu fesseln ..." Seit Cicero in seiner Rede gegen Catilina den Menschenschlag kriminalisierte, der immer "rerum novarum cupidus" sei, gehören solche Sätze zum konservativen Repertoire. Aber diesmal stammen sie von einem Achtundsechziger, dazu von einem, der nicht Karriere gemacht hat, der nie Anlaß hatte, seiner Vergangenheit publikumswirksam abzuschwören. Johano Strasser dürfte einer von ganz wenigen aus dieser Generation sein, deren Wandlungen sich nie taktisch begründen ließen. Da hat sich wirklich etwas entwickelt, da ist etwas gereift. Wer nun aber glaubt, der reife Strasser stehe kurz vor dem Eintritt in die CDU (falls diese solch konservative Gemüter noch aufnimmt), der findet auch deftige linke Kritik. Wie verbindet sie sich mit dem Argwohn gegen "das Pathos des Neuen"?
Strasser will sich von der Frage nach dem guten, menschenwürdigen Leben nicht verabschieden. Dem, was er die "Selbstökonomisierung des Menschen" nennt, hält er die Einsichten des - ach so unamerikanischen - konservativen Amerikaners Henry David Thoreau entgegen und warnt vor einer Freiheit, die schließlich nur noch darin besteht, daß wir unsere eigenen Sklaventreiber sein dürfen. Strasser hat seine marxistischen Anfänge nicht vergessen und findet Parallelen zwischen marxistischer und neoliberaler Ideologie, denn beide seien "durchdrungen vom Geist des Szientismus. Entsprechend fehlt ihnen ein adäquater Begriff von menschlicher Freiheit und Würde, und entsprechend neigen ihre Exponenten dazu, sich als Vollstrecker der Markt- oder Geschichtsgesetze ... über Einzelschicksale hinwegzusetzen." Strasser gehört nicht zu den Linken in Ost und West, die nach 1990 ihren Glauben an Geschichtsgesetze mit einem Glauben an Marktgesetze einfach vertauscht haben. Er glaubte nicht an den neuen Menschen eines totalitären Sozialismus, und er glaubt nicht an den scheinfreien Selbstvermarkter. Das Fortschrittspathos der nominell Konservativen findet Strasser so flach wie das der unverwüstlich Progressiven. Er widerspricht Peter Glotz' "Beschleunigter Gesellschaft" ("weder alternativlos noch vernünftig") ebenso wie der unausrottbaren Vorstellung, Wirtschaftswachstum bedeute notwendigerweise höhere Lebensqualität. Das alles mögen ihm seine Generationsgenossen noch durchgehen lassen. Aber Strasser wagt sich auch an jenen Grundbegriff, der das Scheitern der Revolte überlebt hat: die Selbstverwirklichung. Er wittert darin Narzißmus, und es klingt schon fast nach Altersweisheit, wenn Strasser von der "unaufhebbaren Ironie der Glückssuche" spricht, von einem Glück, das man "am ehesten findet, wenn man nicht danach sucht, wenn man, zumindest vorübergehend, sich selbst und seine Glücksansprüche vergessen kann, um sich ganz einer Sache, einem Gefühl, einem Menschen hinzugeben".
Individualisierung bedarf der Solidarität, die keine ökonomische, sondern eine menschliche und eine politische Kategorie ist. Deshalb besteht Strasser darauf, daß Politik unersetzbar ist. Entpolitisierung bedeutet immer auch Entdemokratisierung. Der Sieg des Marktes über die Politik ist kein Sieg, sondern eine Niederlage der Freiheit. Seit ich 1975 einen Wertkonservatismus von links empfahl, werde ich immer wieder gefragt, was das denn sei. Früher erzählte ich dann die Geschichte von den alemannischen Bergbauern und den Freiburger Jusos, die zusammen eine Autobahn über den Hochschwarzwald verhindert haben. Heute würde ich antworten: Lesen Sie doch das neue Buch von Johano Strasser.
Johano Strasser: "Leben oder Überleben". Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes. Pendo Verlag, Zürich, München 2001. 286 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Der habilitierte Politologe Johano Strasser ist Angela Gutzeit schon aus seinen früheren Schriften als verständlicher Wissenschaftsschreiber ein Begriff. Seine Texte seien stets verständlich und flüssig geschrieben. So auch das neue Buch über die Auswirkungen des Neoliberalismus auf den Menschen und was man ihm entgegensetzen kann. Den Autor beschreibt sie als einen Linken, der sich treu geblieben, aber auch in die Jahre gekommen sei und somit schon wie ein Traditionalist wirke. Seine Analysen bewertet Gutzeit zwiespältig. Der erste Teil des Bandes, die Analyse des Neoliberalismus, sei gelungen, der zweite Teil, in dem Strasser Gegenstrategien erörtere, eher unscharf und ein Appell an die Sozialdemokraten, sich auf die Grundsätze und die Geschichte ihrer Partei zu besinnen. Sympathisch findet die Rezensentin in jedem Fall Strassers Menschlichkeit und seinen motivierenden Stil, für mehr Sozialverträglichkeit zu plädieren, ohne dabei moralisch belehrend zu wirken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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