Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.19971821
E.T.A. Hoffmann "Kater Murr"
Mancher zieht, wenn es um Hoffmann geht, diesem "Kater Murr" schließlich doch die so hinreißenden "Elixiere des Teufels" vor, sie haben so etwas Dämonisch-Schauerliches, und bei allem turbulenten Durcheinander lesen sie sich süffig und leicht weg, und vor allem ist ein von diabolischen Elixieren Getränkter doch immer ein glänzender Held. Ein Kater dagegen kann mißlich sein wie so viele erzählende Tiere, vielleicht muß man einen eignen lebendigen lieben, wie Hoffmann das eben tat (er starb ihm, auch Murr geheißen wie jener, 1821, ganz wie der im Buche im Nachwort des fiktiven Herausgebers; im Jahre darauf starb Hoffmann, und die versprochenen nachgelassenen Lebensansichten Murrs blieben ungeschrieben: so sehr griffen hier alle Tode ineinander, die menschlichen und tierischen). Und dann war Hoffmann auch sonst wunderbar verrückt und durchwirkte die Ansichten Murrs mit der Lebensgeschichte des genialen Musikers Kreisler, und zwar so, daß auf halbbedruckten Wegwerfblättern einer Lebensgeschichte dieses Mannes nun Murr seine Ansichten niederschreibt, und dies wieder so, daß Kreislers Leben, so zufällig verwendet, kaum Ordnung und scheußliche Lücken hat - wir lesen nun also ein bißchen Murr, satirisch-langweilig mitunter, aber natürlich auch witzig und brillant, dann die damit hinten beschriebenen Kreisler-Blätter, und diese nun, zerstückt ohnehin durch Murrs dauerndes Dazwischenschreiben, also auch noch bis zum Zerreißen fragmentarisch und als ob an überhaupt kein zusammenhängendes Leben des Kapellmeisters je zu denken wäre, ganz abgesehen von irgendeinem auch nur entfernten Zusammenhang mit den Ansichten dieses verfluchten Katers: außer man beginnt irgendwann große Lust zu empfinden daran, wie hier ein Roman, den ein willkürlich herbeigedichteter Zufall (der Kater mit diesen Makulaturblättern, in Laurence Sternes "Empfindsamer Reise" gibt es ein ähnliches Motiv) fast sinnlos in Stücke reißt - wie ein so in Stücke zerrissener Roman also das ganze sonst überall doch für natürlich hingenommene ordentliche Erzählen von Ansichten und Lebensgeschichten einmal ganz gewaltig unterläuft, fast als sollten wir nun auch noch überlegen, ob nicht das Unzusammenhängende und Zerrissene wahrer ist als was wir sonst gern über uns und die Welt wüßten. (E. T. A. Hoffmann: "Lebensansichten des Katers Murr, nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern". Insel Verlag, Frankfurt am Main 1976, 506 S., br., 19,80 DM.) R.V.
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E.T.A. Hoffmann "Kater Murr"
Mancher zieht, wenn es um Hoffmann geht, diesem "Kater Murr" schließlich doch die so hinreißenden "Elixiere des Teufels" vor, sie haben so etwas Dämonisch-Schauerliches, und bei allem turbulenten Durcheinander lesen sie sich süffig und leicht weg, und vor allem ist ein von diabolischen Elixieren Getränkter doch immer ein glänzender Held. Ein Kater dagegen kann mißlich sein wie so viele erzählende Tiere, vielleicht muß man einen eignen lebendigen lieben, wie Hoffmann das eben tat (er starb ihm, auch Murr geheißen wie jener, 1821, ganz wie der im Buche im Nachwort des fiktiven Herausgebers; im Jahre darauf starb Hoffmann, und die versprochenen nachgelassenen Lebensansichten Murrs blieben ungeschrieben: so sehr griffen hier alle Tode ineinander, die menschlichen und tierischen). Und dann war Hoffmann auch sonst wunderbar verrückt und durchwirkte die Ansichten Murrs mit der Lebensgeschichte des genialen Musikers Kreisler, und zwar so, daß auf halbbedruckten Wegwerfblättern einer Lebensgeschichte dieses Mannes nun Murr seine Ansichten niederschreibt, und dies wieder so, daß Kreislers Leben, so zufällig verwendet, kaum Ordnung und scheußliche Lücken hat - wir lesen nun also ein bißchen Murr, satirisch-langweilig mitunter, aber natürlich auch witzig und brillant, dann die damit hinten beschriebenen Kreisler-Blätter, und diese nun, zerstückt ohnehin durch Murrs dauerndes Dazwischenschreiben, also auch noch bis zum Zerreißen fragmentarisch und als ob an überhaupt kein zusammenhängendes Leben des Kapellmeisters je zu denken wäre, ganz abgesehen von irgendeinem auch nur entfernten Zusammenhang mit den Ansichten dieses verfluchten Katers: außer man beginnt irgendwann große Lust zu empfinden daran, wie hier ein Roman, den ein willkürlich herbeigedichteter Zufall (der Kater mit diesen Makulaturblättern, in Laurence Sternes "Empfindsamer Reise" gibt es ein ähnliches Motiv) fast sinnlos in Stücke reißt - wie ein so in Stücke zerrissener Roman also das ganze sonst überall doch für natürlich hingenommene ordentliche Erzählen von Ansichten und Lebensgeschichten einmal ganz gewaltig unterläuft, fast als sollten wir nun auch noch überlegen, ob nicht das Unzusammenhängende und Zerrissene wahrer ist als was wir sonst gern über uns und die Welt wüßten. (E. T. A. Hoffmann: "Lebensansichten des Katers Murr, nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern". Insel Verlag, Frankfurt am Main 1976, 506 S., br., 19,80 DM.) R.V.
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"Bestechend in der komprimierten Fülle sind die beigefügten Dokumente zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Sie enthalten nicht nur die wichtigsten Briefstellen, auch eine Reihe wenig bekannter Rezensionen (...). Auch das Nachwort ist bemerkenswert durch eine knappe und doch ausreichende Übersicht über die Geltung des Murr-Romans in der deutschen und europäischen Literaturgeschichte und durch die abschließende, auf der neueren Hoffmann-Forschung fußende Einordnung als Vorläufer des modernen Romans (...)." -- Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft