Fritjof Capra wurde bekannt durch sein 1974 erschienenes Buch „Das Tao der Physik“, in dem er Parallelen zwischen Quantenphysik und östlicher Mystik analysiert und aufgearbeitet hat. Sein Buch „Wendezeit“ wurde zu einem Klassiker der New Age – Bewegung der 1980er Jahre. Capra stellt das
reduktionistisch-mechanistische Weltbild infrage und fordert einen Paradigmenwechsel hin zu einem ganzheitlichen…mehrFritjof Capra wurde bekannt durch sein 1974 erschienenes Buch „Das Tao der Physik“, in dem er Parallelen zwischen Quantenphysik und östlicher Mystik analysiert und aufgearbeitet hat. Sein Buch „Wendezeit“ wurde zu einem Klassiker der New Age – Bewegung der 1980er Jahre. Capra stellt das reduktionistisch-mechanistische Weltbild infrage und fordert einen Paradigmenwechsel hin zu einem ganzheitlichen (ökologischen) Weltbild.
Erkenntnisse dieser beiden Bücher fließen in „Lebensnetz“ ein. Capra versucht sich an einer Gesamtschau und stellt Grundlagen zusammen für die Beantwortung der zentralen Frage: „Was ist Leben?“ Diese Frage beschäftigte bereits 1944 Erwin Schrödinger in seinem gleichnamigen Buch. Was Leben denn nun ist, konnte Schrödinger und kann auch Capra nicht beantworten. Es wäre auch naiv, das zu erwarten. Die Naturwissenschaft beschäftigt sich damit, wie Leben funktioniert, nicht damit, was es ist.
Im Fokus stehen Systemtheorien. „Auf jeder [System]Ebene weisen die beobachteten Phänomene Eigenschaften auf, die auf niedrigeren Ebenen nicht existieren.“ (52) Weiterhin gilt: „Da es im Netzwerk keine Fundamente gibt, sind die von der Physik beschriebenen Phänomene nicht grundlegender als etwa die von der Biologie oder der Psychologie dargestellten Phänomene.“ (55)
Capra stellt Modelle der Selbstorganisation vor. Dazu gehören die Theorie der dissipativen Strukturen, die Lasertheorie, Hyperzyklen, die Autopoiese und das Gaya-Modell. In einem separaten Kapitel erläutert Capra die notwendige Mathematik, um die Modelle verstehen zu können. Es handelt sich um einen allgemeinen Überblick über Differentialgleichungen, Nichtlinearität, Iterationen, komplexe Zahlen und die Chaostheorie. Die Ausführungen sind verständlich und erfordern kein tiefgehendes Wissen über mathematische Verfahren.
Im Hauptteil des Buches erläutert Capra seine Überlegungen zur Synthese systemischer Theorien mit dem Ziel einer Gesamtdarstellung. Er möchte der Tendenz der Spezialisierung entgegen wirken. Dabei dienen Organisationsmuster, Struktur und Lebensprozess als Schlüsselkriterien für die Beschreibung lebender Systeme. Die zugrunde liegenden Theorien machen einen Großteil des Buches aus und münden in der „Capra-Synthese“, die der Autor in einem Schaubild darstellt. (341)
Während die Einzeldarstellungen systemischer Theorien informativ sind, klingt eine Theorie von allem (Capra-Synthese) zu sehr nach Weltformel. Ein solches Konstrukt ist hochgradig spekulativ und eher Grundlage einer Ideologie als der Naturwissenschaft. Wissenschaftliche Theorien gelten in ihrem eng umrissenen Definitionsbereich. Extrapolationen oder die Verknüpfung von unterschiedlichen Theorien führen zu verwässerten Ergebnissen.
Es geht Capra nicht um das wertfreie Verständnis der Welt im Sinne der Naturwissenschaften, sondern um die Veränderung der Welt im Sinne seiner eigenen Weltanschauung. Er möchte, wie in „Wendezeit“ [2] beschrieben, die Wahrnehmung verändern. Dabei überschätzt er die Rolle des Menschen, da 99% aller Arten auf der Erde auch ohne Einfluss des Menschen ausgestorben sind.
„Die Welt ist vernetzt“ und „Alles ist Eins“ sind die ökologischen Botschaften aus dem Buch. Die Evolution ist ein ständig fortschreitendes offenes Abenteuer ohne Zielvorgabe. Die Menschen sind Teil dieser Entwicklung und bemüht, die zugrunde liegenden Prozesse zu analysieren. Als Teil der Wirklichkeit sind wir aus prinzipiellen Gründen nicht in der Lage, diese umfassend zu verstehen.
Capra zeigt in seinem Buch auf, welche Strukturen dem Lebensnetz zugrunde liegen. Aber er leitet auch Handlungsanweisungen ab aus seinem systemischen Weltbild. Auf Basis der Naturwissenschaften und systemischer Phänomene wird eine Ideologie konstruiert. Für die Leser wird es schwer, zwischen etablierten naturwissenschaftlichen Grundlagen und individuellen ideologischen Modellen zu unterscheiden. Das ist eine Schwäche des Buches.