Rückblick, Bilanz, Ausblick - Alice Schwarzers Erinnerungen an die großen politischen Kämpfe ihres Lebens.
Ihre Kämpfe gegen Gewalt an Frauen und Kindern, gegen die Männerjustiz, das Abtreibungsverbot, Sexismus, Pornografie und Prostitution - und für eine »Vermenschlichung der Geschlechter« sowie die Aufhebung der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern sind legendär. Motto: »Die Hälfte der Welt für die Frauen - die Hälfte des Hauses für die Männer!«
Durch Alice Schwarzers lebendig erzählten Rückblick auf 50 Jahre wird das ganze Ausmaß ihrer politischen Interventionen sichtbar, bis hin zu MeToo und der Kritik am politischen Islam. Ohne sie sähe das heutige Deutschland anders aus. Immer wieder hat Alice Schwarzer mit spektakulären TV-Streitgesprächen etwa mit Esther Vilar (1975) oder Verona Feldbusch (2001) Geschichte geschrieben, genauso wie mit ihren Büchern, der Gründung der Zeitschrift Emma (1977) oder ihren öffentlichen Aktionen gegen den §218 (»Ich habe abgetrieben«) und »PorNO«. Und immer wieder stand auch sie selbst im Mittelpunkt heftiger medialer Auseinandersetzungen über ihre Person. Ein Buch voller politischer und persönlicher Erinnerungen und Begegnungen (u.a. mit Angela Merkel) plus einem Anhang mit Schlüsseltexten von Alice Schwarzer aus fünf Jahrzehnten.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ihre Kämpfe gegen Gewalt an Frauen und Kindern, gegen die Männerjustiz, das Abtreibungsverbot, Sexismus, Pornografie und Prostitution - und für eine »Vermenschlichung der Geschlechter« sowie die Aufhebung der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern sind legendär. Motto: »Die Hälfte der Welt für die Frauen - die Hälfte des Hauses für die Männer!«
Durch Alice Schwarzers lebendig erzählten Rückblick auf 50 Jahre wird das ganze Ausmaß ihrer politischen Interventionen sichtbar, bis hin zu MeToo und der Kritik am politischen Islam. Ohne sie sähe das heutige Deutschland anders aus. Immer wieder hat Alice Schwarzer mit spektakulären TV-Streitgesprächen etwa mit Esther Vilar (1975) oder Verona Feldbusch (2001) Geschichte geschrieben, genauso wie mit ihren Büchern, der Gründung der Zeitschrift Emma (1977) oder ihren öffentlichen Aktionen gegen den §218 (»Ich habe abgetrieben«) und »PorNO«. Und immer wieder stand auch sie selbst im Mittelpunkt heftiger medialer Auseinandersetzungen über ihre Person. Ein Buch voller politischer und persönlicher Erinnerungen und Begegnungen (u.a. mit Angela Merkel) plus einem Anhang mit Schlüsseltexten von Alice Schwarzer aus fünf Jahrzehnten.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2020Wer sagt
denn das?
Wie drei große Versuche über Sexismus und
Geschlechtergerechtigkeit scheitern
VON MEREDITH HAAF
Es ist nicht selbstverständlich und möglicherweise auch einfach nur das Ergebnis aktueller Umstände, dass in diesem Herbst drei große Verlage Titel zum Thema Geschlechtergerechtigkeit veröffentlichen. Zumal die Autorinnen jeweils über 50 sind und wenig bis gar nicht in den Sozialen Netzwerken aktiv, also nicht die Eigenschaften aufweisen, die in diesem Bereich sonst inzwischen häufig als Grundbedingung gelten.
Andererseits: Das Interesse an dem Thema ist anhaltend groß, und in den vergangenen Jahren haben sich viele herausfordernde Debatten über Arbeit, Elternschaft, Geschlechterbegriffe oder Sexualität entwickelt. Frauenrechte und der Kampf gegen Sexismus politisieren und polarisieren Menschen weltweit. Eine vor intellektueller Kraft strotzende feministische Publizistik könnte und müsste hier Pfähle einschlagen, nur leider: Wie kräftig kann sie sein, wenn von drei Wälzern sehr unterschiedlicher Art das Frischeste die tausend Mal erzählten Erinnerungen von Alice Schwarzer sind?
„Lebenswerk“ bietet keine biografischen oder historischen Überraschungen, dafür die scharfe Islamkritik und die psychologische Hartleibigkeit, die man von der Autorin kennt. Und doch erzählt Schwarzer nicht nur von ihrem sehr ungebrochenen Selbstbild, sondern auch vom politischen Handeln, von Selbst-Aktivierung und einem beachtlichen Tatendrang in einer Gesellschaft, in der zunächst nur wenige ihre Forderungen und Ziele teilten. Und wenn es sonst schon niemand tut, warum soll sie sich nicht wenigstens selbst umfangreich würdigen?
Zuletzt hat Schwarzer die Rolle als dominierende Feministin Deutschlands abgelegt, mehr oder weniger freiwillig; für Aufregung sorgt sie nur noch bei deutlich jüngeren Frauen, die ihren Stil und ihre Positionen ablehnen, von denen die Prominentesten aber mehr für ihre rege publizistische und kritische Markenkernbildung bekannt sind, als dafür, sich ernsthaft mit anderen anzulegen oder gar ungemütliche Koalitionen einzugehen, also das zu tun, was man politische Arbeit nennt.
Mutmaßlich ist die wachsende Zielgruppe der Diskursfeministinnen, um mal einen anderen Begriff als „Netzfeministinnen“ zu gebrauchen, die Zielgruppe des 400-Seiten-starken Konvoluts „Sexismus*. Geschichte einer Unterdrückung“ von Susan Arndt. Die These auf dem Klappentext klingt noch plausibel: Der Sexismus-Begriff kursiert seit ein paar Jahren wieder breit, als Vorwurf, Diagnose oder analytische Kategorie, oft herrscht aber Unklarheit darüber, was überhaupt damit gemeint ist. Arndt, Professorin für Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft an der Universität Bayreuth, will das „Denk- und Herrschaftssystem“ Sexismus erklären und damit eine Wissensgrundlage für Debatten schaffen. Dass man darüber dank eines steten Stroms von Veröffentlichungen schon halbwegs Bescheid wissen könnte, wenn man denn will – erst im vergangenen Jahr etwa dank der hervorragenden Misogynie-Analyse „Down Girl“ von Kate Manne (Suhrkamp) – darf erst einmal außer Acht gelassen werden. Bei virulenten Themen kennt die Buchbranche keine Angst vor Redundanz.
Arndt will also die Systematik eines politischen und kulturellen Machtfelds bieten, das „ebenso alt wie komplex und nur schwer in Worte zu fassen“ ist, und dem sie großen Einfluss auf ihr eigenes Leben zuschreibt. Nicht Geisteswissenschaftlerin, sondern Paläontologin wollte sie eigentlich werden, wie sie erklärt. Doch trotz ihres „1,0er-Abiturs“ erwartete man von ihr, Lehrerin zu werden, um mit den verbleibenden Kapazitäten „eine gute Hausfrau und Mutter“ sein zu können. Leider verliert Arndt kein Wort darüber, wie sie dann Professorin wurde. Stattdessen bindet sie die Ausführungen über ihre Persönlichkeitsunterdrückung ab mit einem Verweis auf das Andersen-Märchen „Der Kaiser ohne Kleider“, um von dort zum Marienkult und zwei Sätze später zu Demosthenes zu kommen, um dann über einen Abstecher in Poesie-Albums-Lyrik bei Kant, dem alten Aufklärungsmacho, zu landen.
Die Lektüre politischer Sachbücher, zumal aus dem deutschsprachigen Raum, leidet oft unter der mangelhaften Anschaulichkeit der Texte, oder einer zu betonten Distanz der Autoren zu ihrem Sujet. Insofern kann man den Ansatz, den Susan Arndt wählt, grundsätzlich begrüßen: Ganz unprofessoral arbeitet sie mit persönlichen Sexismuserfahrungen (sie fürchtet sich, wenn sie einen Raum voller Männer betreten muss; sie und ihr Mann teilten sich – entgegen der Gepflogenheiten ihrer Generation – die Kinderbetreuung gleichberechtigt auf). Nur erzählt sie, anders als Schwarzer, nicht ernsthaft von sich, sondern nur von sich als einer Art Protofrau: Dass es für mich sehr schwer gewesen ist, zeigt wie schwer es ist. Das ist ein Stil, der derzeit bei vielen Autorinnen und Autoren Einzug hält, die über Fragen von Macht und Emanzipation schreiben: Subjektive Erfahrungen und Überlegungen werden mit Hilfe von Theorie überhöht und durch demonstrative Offenheit und Selbstreflexivität der Autorinnen zu scheinbar autoritativen Argumenten umgemünzt. Das Private ist nicht nur politisch, sondern jetzt auch noch universell.
Dass kann funktionieren. Bei Arndt zerstört es jedoch lediglich den letzten Anschein von Seriosität, was an der Gesamtqualität des Buchs liegt. Ihrem vollgestopften Weltbild fehlt es an analytischer Tiefenschärfe. Absatzlang erzählt Arndt etwa die Serie „Game of Thrones“ nach, um zu untermauern, dass selbst machtvolle Herrscherinnen historisch (!) objektifiziert wurden. Es wimmelt vor Ungenauigkeiten wie dieser hier: „Neben der Forderung nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen* werden vom Feminismus zwei weitere Forderungen erhoben: Zum einen soll Mutterschaft in Elternschaft umgedacht werden (. . .), zum anderen sollen Mutter- und Elternschaft als „Arbeit“ anerkannt werden.“
Wer im Jahr 2020 ein modernes Überblickswerk über Sexismus schreiben will und dann mit einem monolithischen „der Feminismus“, der „Forderungen erhebt“ ankommt, ist nicht auf dem Stand der Debatte. Teile des Buches lesen sich wie der Notizblock einer Genderwissenschaftsstudentin, die sich noch nicht richtig sortiert hat: „So konturiert, beinhaltet die ‚chain-of-being-Hierarchie‘ eine Mensch-versus Aristokratie/König-Unterscheidung weitere Binnendifferenzierung, v.a. entlang den Konstrukten Zweigeschlechtlichkeit und ‚Menschenrassen‘ (. . .) der Mann und Weiße seien dichter am Königlichen/Göttlichen dran und daher mehr Kultur.“
Gerade Leserinnen und Leser, die ernsthaft auf der Suche nach Klarheit sind, dürften solche Manöver vollends aus dem Diskurs schubsen, wenn es nicht schon durch Wortkonstrukte wie „Bildung(slosigkeit)“, oder „MannundFrau ist FrauistnichtMann“ passiert ist. Arndts Buch will vor allem Wissen vermitteln, ist aber in der Lektüre so ungenießbar, esoterisch und emotional herrschsüchtig wie eine aufgeheizte Filterblase. Daraus zu lernen wäre vielleicht: Wenn man ein Thema so schwer in Worte zu fassen findet, dass man das sogar in die Einleitung des eigenen Werks zu jenem Thema schreiben muss, dann ist womöglich der Punkt noch nicht erreicht, das Werk zu veröffentlichen.
Ein kühler Gegenentwurf zu Arndts wolliger Kulturtheorie und Schwarzers Weltbewegerinnen-Prosa ist ein dritter Frauenrechte-Titel dieses Herbstes: Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Linda Scott will mit „Das weibliche Kapital“ die internationale Wirtschaftspolitik um die Genderdimension erweitern. Im Original heißt das Buch „The XX-Economy“ und diesen Begriff nutzt Scott mit der Penetranz einer Marketingkampagne. Die Kernthese des Buchs lautet, dass eine Wirtschaftspolitik, die Frauen im Kapitalismus als sekundär betrachtet, zum Scheitern verurteilt ist. Wer Wachstum erhalten will, muss Mädchen in die Schule und Frauen verhüten lassen, zum Studium von mathematisch-technischen Wissenschaften animieren und zum Unternehmertum, außerdem müssen mehr Frauen in die großen Gremien und auf die wichtigen Posten.
Um das zu belegen, erzählt Scott in Ton und Manier eines 360-Seiten-langen TED-Talks viele Geschichten aus afrikanischen und asiatischen Ländern, wo sie Studien über die ökonomischen Aktivitäten und Verhältnisse von Frauen anstellte, aber auch Projekte antrieb, die Frauen in die finanzielle Selbstständigkeit bringen sollten. Es kommen Horrorgeschichten von Bangladeshis vor, die ihre Frauen und Kinder zur Strafe hungern lassen; rührende Geschichten von Avon-Beraterinnen im Amazonas, Zahlen, die das Klischee der Misogynie in der amerikanischen Start-Up-Szene belegen. Linke Gewerkschaftlerinnen in Südamerika oder antikapitalistische Landwirtinnen in Südostasien, die in Frage stellen, ob eine Wachstumswirtschaft wirklich der Sache der Frauen dient, müssen dagegen als Weltfremdheitsfiguren herhalten, die „leider“ nicht verstehen, was Frauen wirklich hilft.
Dass es genügend Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Profitstruktur im Kapitalismus auf der Exklusion und Ausbeutung vieler Bevölkerungsgruppen und deren Ausbeutung untereinander basiert, kommt bei Scott nicht wirklich vor, dafür aber Zahlenmodelle und sämtliche Bonobo-Studien und Gehirnforschungsergebnisse aus der anglo-amerikanischen Argumente. Man muss den Kapitalismus und die internationale Wirtschaftswelt schon sehr mögen, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen. Immerhin bietet es ein paar handfeste Standpunkte, wie zum Beispiel den, dass eigentlich mit dem Weltwirtschaftssystem alles grundsätzlich bestens wäre, wenn nur Frauen genauso mitmachen könnten. Tja.
Bleibt die Frage, ob große Bücher in Sachen Sexismus und Frauenrechten zur Zeit überhaupt nötig sind? Ja, das könnte man meinen, um Unübersichtlichkeit und Fragmentierung der Debatte entgegen zu steuern, und vor allem um vielleicht endlich wieder einen politischen Pragmatismus zu formulieren, der nicht opportunistisch ist. Andererseits ist die Partikularisierung der Debatte schon weit fortgeschritten. Es ist nicht unmöglich, aber doch sehr schwierig geworden, ganz große Geschichten zu erzählen, und zwar besonders, wenn es um Frauen geht und es für viele nicht mehr angemessen ist, von diesen einfach so zu sprechen, ohne Sternchen etc.
Das mit Abstand beste und auch einflussreichste Buch von Alice Schwarzer ist übrigens bis heute ein recht schmaler Band namens „Der Kleine Unterschied“, sie hat dafür protokolliert, was Frauen über ihre Sexualität und ihre Körper denken. Das Kleine und Genaue ist nicht nur oft besonders interessant, sondern auch besonders gut.
Arndt erzählt leider
von sich selbst nur als
von einer Art Protofrau
Das Buch ist so esoterisch und
emotional herrschsüchtig
wie eine aufgeheizte Filterblase
Man muss den Kapitalismus
schon sehr mögen, um all das
mit Gewinn zu lesen
Alice Schwarzer:
Lebenswerk. Rückblick, Bilanz, Ausblick.
Kiepenheuer&Witsch, Köln 2020.
474 Seiten, 25,70 Euro.
Susan Arndt:
Sexismus*. Geschichte einer
Unterdrückung. Verlag C.H. Beck,
München 2020. 416 Seiten, 26 Euro.
Linda Scott:
Das weibliche Kapital. Aus dem
Englischen von Stephanie Singh.
Hanser Verlag, München 2020.
412 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
denn das?
Wie drei große Versuche über Sexismus und
Geschlechtergerechtigkeit scheitern
VON MEREDITH HAAF
Es ist nicht selbstverständlich und möglicherweise auch einfach nur das Ergebnis aktueller Umstände, dass in diesem Herbst drei große Verlage Titel zum Thema Geschlechtergerechtigkeit veröffentlichen. Zumal die Autorinnen jeweils über 50 sind und wenig bis gar nicht in den Sozialen Netzwerken aktiv, also nicht die Eigenschaften aufweisen, die in diesem Bereich sonst inzwischen häufig als Grundbedingung gelten.
Andererseits: Das Interesse an dem Thema ist anhaltend groß, und in den vergangenen Jahren haben sich viele herausfordernde Debatten über Arbeit, Elternschaft, Geschlechterbegriffe oder Sexualität entwickelt. Frauenrechte und der Kampf gegen Sexismus politisieren und polarisieren Menschen weltweit. Eine vor intellektueller Kraft strotzende feministische Publizistik könnte und müsste hier Pfähle einschlagen, nur leider: Wie kräftig kann sie sein, wenn von drei Wälzern sehr unterschiedlicher Art das Frischeste die tausend Mal erzählten Erinnerungen von Alice Schwarzer sind?
„Lebenswerk“ bietet keine biografischen oder historischen Überraschungen, dafür die scharfe Islamkritik und die psychologische Hartleibigkeit, die man von der Autorin kennt. Und doch erzählt Schwarzer nicht nur von ihrem sehr ungebrochenen Selbstbild, sondern auch vom politischen Handeln, von Selbst-Aktivierung und einem beachtlichen Tatendrang in einer Gesellschaft, in der zunächst nur wenige ihre Forderungen und Ziele teilten. Und wenn es sonst schon niemand tut, warum soll sie sich nicht wenigstens selbst umfangreich würdigen?
Zuletzt hat Schwarzer die Rolle als dominierende Feministin Deutschlands abgelegt, mehr oder weniger freiwillig; für Aufregung sorgt sie nur noch bei deutlich jüngeren Frauen, die ihren Stil und ihre Positionen ablehnen, von denen die Prominentesten aber mehr für ihre rege publizistische und kritische Markenkernbildung bekannt sind, als dafür, sich ernsthaft mit anderen anzulegen oder gar ungemütliche Koalitionen einzugehen, also das zu tun, was man politische Arbeit nennt.
Mutmaßlich ist die wachsende Zielgruppe der Diskursfeministinnen, um mal einen anderen Begriff als „Netzfeministinnen“ zu gebrauchen, die Zielgruppe des 400-Seiten-starken Konvoluts „Sexismus*. Geschichte einer Unterdrückung“ von Susan Arndt. Die These auf dem Klappentext klingt noch plausibel: Der Sexismus-Begriff kursiert seit ein paar Jahren wieder breit, als Vorwurf, Diagnose oder analytische Kategorie, oft herrscht aber Unklarheit darüber, was überhaupt damit gemeint ist. Arndt, Professorin für Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft an der Universität Bayreuth, will das „Denk- und Herrschaftssystem“ Sexismus erklären und damit eine Wissensgrundlage für Debatten schaffen. Dass man darüber dank eines steten Stroms von Veröffentlichungen schon halbwegs Bescheid wissen könnte, wenn man denn will – erst im vergangenen Jahr etwa dank der hervorragenden Misogynie-Analyse „Down Girl“ von Kate Manne (Suhrkamp) – darf erst einmal außer Acht gelassen werden. Bei virulenten Themen kennt die Buchbranche keine Angst vor Redundanz.
Arndt will also die Systematik eines politischen und kulturellen Machtfelds bieten, das „ebenso alt wie komplex und nur schwer in Worte zu fassen“ ist, und dem sie großen Einfluss auf ihr eigenes Leben zuschreibt. Nicht Geisteswissenschaftlerin, sondern Paläontologin wollte sie eigentlich werden, wie sie erklärt. Doch trotz ihres „1,0er-Abiturs“ erwartete man von ihr, Lehrerin zu werden, um mit den verbleibenden Kapazitäten „eine gute Hausfrau und Mutter“ sein zu können. Leider verliert Arndt kein Wort darüber, wie sie dann Professorin wurde. Stattdessen bindet sie die Ausführungen über ihre Persönlichkeitsunterdrückung ab mit einem Verweis auf das Andersen-Märchen „Der Kaiser ohne Kleider“, um von dort zum Marienkult und zwei Sätze später zu Demosthenes zu kommen, um dann über einen Abstecher in Poesie-Albums-Lyrik bei Kant, dem alten Aufklärungsmacho, zu landen.
Die Lektüre politischer Sachbücher, zumal aus dem deutschsprachigen Raum, leidet oft unter der mangelhaften Anschaulichkeit der Texte, oder einer zu betonten Distanz der Autoren zu ihrem Sujet. Insofern kann man den Ansatz, den Susan Arndt wählt, grundsätzlich begrüßen: Ganz unprofessoral arbeitet sie mit persönlichen Sexismuserfahrungen (sie fürchtet sich, wenn sie einen Raum voller Männer betreten muss; sie und ihr Mann teilten sich – entgegen der Gepflogenheiten ihrer Generation – die Kinderbetreuung gleichberechtigt auf). Nur erzählt sie, anders als Schwarzer, nicht ernsthaft von sich, sondern nur von sich als einer Art Protofrau: Dass es für mich sehr schwer gewesen ist, zeigt wie schwer es ist. Das ist ein Stil, der derzeit bei vielen Autorinnen und Autoren Einzug hält, die über Fragen von Macht und Emanzipation schreiben: Subjektive Erfahrungen und Überlegungen werden mit Hilfe von Theorie überhöht und durch demonstrative Offenheit und Selbstreflexivität der Autorinnen zu scheinbar autoritativen Argumenten umgemünzt. Das Private ist nicht nur politisch, sondern jetzt auch noch universell.
Dass kann funktionieren. Bei Arndt zerstört es jedoch lediglich den letzten Anschein von Seriosität, was an der Gesamtqualität des Buchs liegt. Ihrem vollgestopften Weltbild fehlt es an analytischer Tiefenschärfe. Absatzlang erzählt Arndt etwa die Serie „Game of Thrones“ nach, um zu untermauern, dass selbst machtvolle Herrscherinnen historisch (!) objektifiziert wurden. Es wimmelt vor Ungenauigkeiten wie dieser hier: „Neben der Forderung nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen* werden vom Feminismus zwei weitere Forderungen erhoben: Zum einen soll Mutterschaft in Elternschaft umgedacht werden (. . .), zum anderen sollen Mutter- und Elternschaft als „Arbeit“ anerkannt werden.“
Wer im Jahr 2020 ein modernes Überblickswerk über Sexismus schreiben will und dann mit einem monolithischen „der Feminismus“, der „Forderungen erhebt“ ankommt, ist nicht auf dem Stand der Debatte. Teile des Buches lesen sich wie der Notizblock einer Genderwissenschaftsstudentin, die sich noch nicht richtig sortiert hat: „So konturiert, beinhaltet die ‚chain-of-being-Hierarchie‘ eine Mensch-versus Aristokratie/König-Unterscheidung weitere Binnendifferenzierung, v.a. entlang den Konstrukten Zweigeschlechtlichkeit und ‚Menschenrassen‘ (. . .) der Mann und Weiße seien dichter am Königlichen/Göttlichen dran und daher mehr Kultur.“
Gerade Leserinnen und Leser, die ernsthaft auf der Suche nach Klarheit sind, dürften solche Manöver vollends aus dem Diskurs schubsen, wenn es nicht schon durch Wortkonstrukte wie „Bildung(slosigkeit)“, oder „MannundFrau ist FrauistnichtMann“ passiert ist. Arndts Buch will vor allem Wissen vermitteln, ist aber in der Lektüre so ungenießbar, esoterisch und emotional herrschsüchtig wie eine aufgeheizte Filterblase. Daraus zu lernen wäre vielleicht: Wenn man ein Thema so schwer in Worte zu fassen findet, dass man das sogar in die Einleitung des eigenen Werks zu jenem Thema schreiben muss, dann ist womöglich der Punkt noch nicht erreicht, das Werk zu veröffentlichen.
Ein kühler Gegenentwurf zu Arndts wolliger Kulturtheorie und Schwarzers Weltbewegerinnen-Prosa ist ein dritter Frauenrechte-Titel dieses Herbstes: Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Linda Scott will mit „Das weibliche Kapital“ die internationale Wirtschaftspolitik um die Genderdimension erweitern. Im Original heißt das Buch „The XX-Economy“ und diesen Begriff nutzt Scott mit der Penetranz einer Marketingkampagne. Die Kernthese des Buchs lautet, dass eine Wirtschaftspolitik, die Frauen im Kapitalismus als sekundär betrachtet, zum Scheitern verurteilt ist. Wer Wachstum erhalten will, muss Mädchen in die Schule und Frauen verhüten lassen, zum Studium von mathematisch-technischen Wissenschaften animieren und zum Unternehmertum, außerdem müssen mehr Frauen in die großen Gremien und auf die wichtigen Posten.
Um das zu belegen, erzählt Scott in Ton und Manier eines 360-Seiten-langen TED-Talks viele Geschichten aus afrikanischen und asiatischen Ländern, wo sie Studien über die ökonomischen Aktivitäten und Verhältnisse von Frauen anstellte, aber auch Projekte antrieb, die Frauen in die finanzielle Selbstständigkeit bringen sollten. Es kommen Horrorgeschichten von Bangladeshis vor, die ihre Frauen und Kinder zur Strafe hungern lassen; rührende Geschichten von Avon-Beraterinnen im Amazonas, Zahlen, die das Klischee der Misogynie in der amerikanischen Start-Up-Szene belegen. Linke Gewerkschaftlerinnen in Südamerika oder antikapitalistische Landwirtinnen in Südostasien, die in Frage stellen, ob eine Wachstumswirtschaft wirklich der Sache der Frauen dient, müssen dagegen als Weltfremdheitsfiguren herhalten, die „leider“ nicht verstehen, was Frauen wirklich hilft.
Dass es genügend Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Profitstruktur im Kapitalismus auf der Exklusion und Ausbeutung vieler Bevölkerungsgruppen und deren Ausbeutung untereinander basiert, kommt bei Scott nicht wirklich vor, dafür aber Zahlenmodelle und sämtliche Bonobo-Studien und Gehirnforschungsergebnisse aus der anglo-amerikanischen Argumente. Man muss den Kapitalismus und die internationale Wirtschaftswelt schon sehr mögen, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen. Immerhin bietet es ein paar handfeste Standpunkte, wie zum Beispiel den, dass eigentlich mit dem Weltwirtschaftssystem alles grundsätzlich bestens wäre, wenn nur Frauen genauso mitmachen könnten. Tja.
Bleibt die Frage, ob große Bücher in Sachen Sexismus und Frauenrechten zur Zeit überhaupt nötig sind? Ja, das könnte man meinen, um Unübersichtlichkeit und Fragmentierung der Debatte entgegen zu steuern, und vor allem um vielleicht endlich wieder einen politischen Pragmatismus zu formulieren, der nicht opportunistisch ist. Andererseits ist die Partikularisierung der Debatte schon weit fortgeschritten. Es ist nicht unmöglich, aber doch sehr schwierig geworden, ganz große Geschichten zu erzählen, und zwar besonders, wenn es um Frauen geht und es für viele nicht mehr angemessen ist, von diesen einfach so zu sprechen, ohne Sternchen etc.
Das mit Abstand beste und auch einflussreichste Buch von Alice Schwarzer ist übrigens bis heute ein recht schmaler Band namens „Der Kleine Unterschied“, sie hat dafür protokolliert, was Frauen über ihre Sexualität und ihre Körper denken. Das Kleine und Genaue ist nicht nur oft besonders interessant, sondern auch besonders gut.
Arndt erzählt leider
von sich selbst nur als
von einer Art Protofrau
Das Buch ist so esoterisch und
emotional herrschsüchtig
wie eine aufgeheizte Filterblase
Man muss den Kapitalismus
schon sehr mögen, um all das
mit Gewinn zu lesen
Alice Schwarzer:
Lebenswerk. Rückblick, Bilanz, Ausblick.
Kiepenheuer&Witsch, Köln 2020.
474 Seiten, 25,70 Euro.
Susan Arndt:
Sexismus*. Geschichte einer
Unterdrückung. Verlag C.H. Beck,
München 2020. 416 Seiten, 26 Euro.
Linda Scott:
Das weibliche Kapital. Aus dem
Englischen von Stephanie Singh.
Hanser Verlag, München 2020.
412 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Chapeau an Rezensentin Iris Radisch, die sich durch den zweiten Teil der Biografie einer "Institution" gearbeitet hat und dennoch die "Selbstpropagandistin" und ewigen Rechthaberin fein trennen kann von der Aufklärerin und Journalistin! Die Kritikerin sagt deutlich genug, dass einem der Triumph-Fanfaren-Ton der Schwarzer auch mal auf den Wecker gehen kann. Aber nie stimmt sie in den allgegenwärtigen Spott ein oder gar in die Kritik der "Alphamädchen" des neuen Feminismus, die "Porno oder Burka" für selbstbestimmte Optionen von Frauen halten - hier reichhaltig ausgebreiteter "Hennenkampf". Vielmehr analysiert die Kritikerin an dieser Autobiografie, wie Schwarzer nicht nur Institution sondern sogar "Imperium" wurde - und deutet auf ihre Lehrerin auch in Sachen Vernetzung und Diskurshoheit, nämlich Simone de Beouvoir. Selbst den im Anhang wieder publizierten wichtigsten Schwarzer-Texten kann sie etwas abgewinnen, nämlich den Beweis wirklich unermüdlicher Aufklärung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Die Autobiografie [...] wird ein bundesdeutsches Vermächtnis bleiben.« Iris Radisch Die Zeit 20201217