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Mutterschaft ist ein Prozess, in dem sich ein gewöhliches Leben in ein Chaos aus mächtigen Leidenschaften verwandelt. Rachel Cusk seziert diese Erfahrung am eigenen Leib - und das auf eine so ehrliche und unsentimentale Weise, dass sie damit zur »meistgehassten Schriftstellerin Großbritanniens« (The Guardian) geworden ist.
Rachel Cusk erzählt ein Jahr aus ihrem Leben als Mutter, und ihr Bericht wird zu vielen Geschichten - zu einem Abgesang auf Freiheit, Schlaf und Zeit, zu einer Lektion in Demut und harter Arbeit, zu einer Reise zu den Urgründen der Liebe, zu einer Mediation über Wahnsinn
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Produktbeschreibung
Mutterschaft ist ein Prozess, in dem sich ein gewöhliches Leben in ein Chaos aus mächtigen Leidenschaften verwandelt. Rachel Cusk seziert diese Erfahrung am eigenen Leib - und das auf eine so ehrliche und unsentimentale Weise, dass sie damit zur »meistgehassten Schriftstellerin Großbritanniens« (The Guardian) geworden ist.

Rachel Cusk erzählt ein Jahr aus ihrem Leben als Mutter, und ihr Bericht wird zu vielen Geschichten - zu einem Abgesang auf Freiheit, Schlaf und Zeit, zu einer Lektion in Demut und harter Arbeit, zu einer Reise zu den Urgründen der Liebe, zu einer Mediation über Wahnsinn und Sterblichkeit und zu einer éducation sentimentale über Babys, Stillen, schlechte Ratgeberbücher, Krabbelgruppen und Schreiheulen. Und darüber, niemals, niemals einen Moment für sich selbst zu haben.
Autorenporträt
Rachel Cusk, 1967 in Kanada geboren, hat die international gefeierte Outline-Trilogie, die autobiografischen Bücher Lebenswerk und Danach sowie zahlreiche weitere Romane und Sachbücher geschrieben. Der andere Ort, ihr zuletzt erschienener Roman, stand auf der Longlist des Booker Prize. Cusk ist Guggenheim-Stipendiatin und lebt in Paris. Eva Bonné übersetzt Literatur aus dem Englischen, u. a. von Michael Cunningham, Anne Enright, Richard Flanagan und Sara Gran.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Im Jahr 2001 ist Rachel Cusks autobiografisches Essay „Lebenswerk“ bereits in Großbritannien erschienen – und hat einen Aufruhr ausgelöst: Dass eine Frau derart schonungslos über Mutterschaft schreibt, über die widerstreitenden Gefühle, die Einsamkeit, die Verlorenheit, hat große Teile der Öffentlichkeit empört. Schonungslos beschreibt sie ihre Verlorenheit und Erschöpfung, wenn das Baby Koliken hat oder ständig weint. Es ist eine ehrliche persönliche Analyse, durchzogen von Rückgriffen auf literarische Darstellungen von Muttersein und Familie. Unverstellt hinterfragt Cusk die herkömmlichen Stationen einer weiblichen Biografie – und weigert sich, in die gängige Narration der wunschlos glücklichen Mutter einzustimmen. Aus heutiger Sicht erscheint es fast unvorstellbar, dass dieses Buch ein Skandal war und sie zu einer Persona non grata in der britischen Presse gemacht hat, dazu sind ihre Beobachtungen mittlerweile von anderen Autorinnen unterstützt und ergänzt worden. Sie hat den Weg bereitet. Deshalb ist dieses Buch ein wichtiges Werk – für das

Schreiben über Mutterschaft, aber auch die Entwicklung der Schriftstellerin Rachel Cusk. Denn aus dem autobiografischen Ich dieses Buchs wurde der indirekte Stil ihrer Romane.

Lebenswerk“ ist ein wichtiges Buch über Kreativität, Mutterschaft und den Rückgriff auf Literatur.

© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
»Thematisch, aber auch in der Form des autobiografischen Essays ist Rachel Cusks Lebenswerk ein Vorbild inständigen Nachdenkens.« Meike Fessmann Der Tagesspiegel 20200106

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019

Lieben in
Zirkeln
Der Grundtext der Mütterliteratur endlich
auf Deutsch: Rachel Cusks „Lebenswerk“
VON MEREDITH HAAF
Das intellektuelle Mutterschaftsbuch hat im angloamerikanischen Raum eine erstaunliche Entwicklungskurve hingelegt, um im Jargon des Themas zu bleiben. Von einer mutmaßlichen Paradoxie, einer Art Einhornprosa, hat es in den letzten Jahren den Sprung zu einem eigenen Genre vollzogen, mit dem man bestimmt mindestens ein Regalfach hübsch voll bekommt. Maggie Nelsons „Argonauten“, Sheila Hetis „Mutterschaft“, Joan Didions „Blue Nights“ fallen einem dazu als besondere Werke ein, theoretisch und literarisch anspruchsvoll, manchmal ausgesprochen befremdlich und zugleich sehr unterhaltsam. Eben ein bisschen
wie der Zustand, von dem sie handeln.
Im deutschsprachigen Raum hält man sich in der literarischen Welt bei dem Thema nach wie vor tendenziell an das legendäre, von Mehrfachpapi Gerhard Schröder himself in die Welt gesetzte Paradigma von „Frauen und Gedöns.“ Über das Kinderhaben zu schreiben ist hierzulande etwas für Frauen mit Blogs oder für feinsinnige Autorinnen, deren intellektuelle Anpassungsstrategie an den Schock der Elternschaft darin besteht, eine vornehme Verachtung für das Gedöns und ihre Rolle darin zu formulieren.
Ein Hinweis darauf, dass sich das langsam ändern könnte, ist die Übersetzung und Veröffentlichung des 18 Jahre alten „A Lifes Work. On Becoming a Mother“ im Suhrkamp-Verlag. Es ist gewissermaßen der Urtext des Genres. Die britische Autorin Rachel Cusk begann ihre Arbeit an „Lebenswerk“ im Jahr 2001, in einer Zeit, in der auch englischsprachige, seriöse Autorinnen das Thema mit einer ähnlichen Begeisterung anfassten wie eine volle Windel. Sie war zu dem Zeitpunkt noch kein Jahr Mutter einer Tochter, die in den ersten drei Lebensmonaten durchgeschrien hatte – und bereits wieder schwanger. Sie war außerdem eine seit Jahren etablierte, kommerziell und künstlerisch erfolgreiche Autorin. Sie war also etwas, was sich nicht in Einklang bringen ließ, weder nach innen noch nach außen. Von dem Versuch, aus der Fragmentierung ihrer Identität in die Liebesbeziehung zu ihrem Kind und dann auch zurück zu ihrer Arbeit zu finden, handelt der Text zum einen. Zum anderen handelt er vom Schreien, Stillen, schrecklichen Nannys und der schrecklichen Empfindung, man sei bei der Geburt von sich selbst getrennt worden und das eigentliche Ich irre nun ruhelos und verloren zwischen Krankenhausfluren hin und her.
In der Einleitung ihres Buchs, das in diesem Monat in der hervorragenden Übersetzung von Eva Bonné erscheint, äußert Cusk die „düstere Vorahnung, dass ein Buch über Mütter niemand anderen interessiert außer andere Mütter“. Doch „Lebenswerk“ wurde damals zum Bestseller und zu dem Buch, das Cusk auf Jahre definierte, bis sie ihre „Outline“-Trilogie (ebenfalls Suhrkamp) veröffentlichte. Eine frühe Rezensentin beschrieb das Buch sorgenvoll als Gefahr für die menschliche Fortpflanzung: Beim Lesen bekäme man Angst vor Babys.
Dabei schreibt Cusk sehr genau, sehr liebevoll und immer selbstkritisch über die Lust und das Leid jenes Wandlungsprozesses, in dem aus einer Frau, die geboren hat, eine Mutter wird. Ein weitverbreiteter Irrtum ist ja, dass das dieselbe Sache ist. Lakonisch bemerkt sie im ersten Kapitel, das von der Schwangerschaft handelt: „Ich persönlich habe an die Geburt meines Kindes keine froheren oder rationaleren Erwartungen als an meine Ermordung.“ Und schreibt dann ein paar Monate später so elegisch über das Neben-einem-Kleinkind-Einschlafen: „Die den Schlaf ankündigende Wärme überrollte uns beide, und ich konnte spüren, wie wir zusammen durch die leuchtenden Konstellationen unserer Gedanken stürzten. Noch auf der Schwelle zum Schlaf konnte ich spüren, wie auch sie hinüberglitt. (…) Wenn ich später aufwachte, lag ihr Kopf auf meinem Bauch und ihr Körper war an mich geschmiegt wie nach einer Heimkehr, und ich rührte mich nicht, weil ich wusste, sie würde bei der ersten Bewegung aufwachen.“ Da muss etwas passiert sein.
Ein weiterer Irrtum: Dass das Werden ein linearer Prozess sei. Das Buch beschreibe „eine Phase, in der die Zeit keine geordnete Abfolge von Ereignissen mehr war, sondern im Kreis zu vergehen schien.“ Für den Text zieht Cusk daraus die Konsequenz, effektvoll und verwirrend zwischen den Ebenen von Zeit und Empfindung zu wechseln. Sie ist eine sensible Dramaturgin – immer wenn es im Text anfängt, zu sehr nach Milch und Windeln zu riechen, kommt ein Essay über die Geschichte der Pädiatrie, über D. H. Lawrence, Proust, Tolstoi (alles keine Mamis, versteht sich).
„Lebenswerk“ ist einerseits Memoir, andererseits die haarscharfe Analyse einer Kultur, die mit der Schwangerschaft die erwachsene Frau zurück in ein betreuungsbedürftiges Wesen verwandelt, dem für jede Unannehmlichkeit noch ein Ratschlag zu erteilen ist: „Mutterschaft ist eine Karriere in Konformität und ihre Grundausbildung ist die Schwangerschaft.“ Werdende und junge Mütter stehen unter allgemeinen Verblödungsverdacht, das demonstriert Cusk mit einem Aggregat aus Ratgeberbroschürentipps, die in ihrer heiß gelaufenen Fürsorglichkeit rasend komisch und beklemmend zugleich sind: „Steht eine Ultraschalluntersuchung an, sollte man genug Zeit einplanen, um im Krankenhaus die richtige Abteilung zu finden. Wenn man sie gefunden hat und aufgerufen wird, begibt man sich in den Untersuchungsraum. Entkleiden Sie sich und legen Sie sich zur Untersuchung auf die Liege. (...) Wenn Sie nachts nicht schlafen können und Ihre Gedanken sich überschlagen, sollten Sie dieses Aufmucken Ihrer Identität gewaltsam unterdrücken und die Zeit nutzen, um Kontakt zu Ihrem Baby aufzunehmen.“
Lesenswert ist das Buch aber auch, weil Cusks Wille zu erzählen vor Kraft und Humor strotzt: Ihre kleine Tochter weint ununterbrochen, trotz des Dauerstillens, zu dem Cusk übergegangen ist. Oder vielleicht gerade deshalb? „Ich versuche, die Sache aus ihrer Perspektive zu sehen. Wenn sie zu weinen anfängt, erscheinen meine Brüste wie zwei Gefängniswärter, die einer Störmeldung nachgehen, zwei tumbe, mondgesichtige Handlanger, die sich ihr nähern und sie durch die Gabe eines Beruhigungsmittels zum Schweigen bringen.(..) Langsam vermute ich, dass ich einen bürokratischen Wahnsinn verwalte, in dem das Stillen die Strafe für das Weinen ist und folglich noch mehr Weinen erzeugt.“ So hart und amüsant und scharfsinnig über diese gegenseitige Gefangennahme namens Elternschaft zu schreiben, vor allem wenn es um einen selbst geht, ist eine besondere Übung in Ambiguitätstoleranz. Doch in der ist kaum jemand so geschult wie die intellektuelle Mutter. Also eine Entwarnung: Dieses Buch wird niemandem die Fortpflanzung vermiesen, aber der ein oder anderen Paradoxbehauptung vielleicht den Garaus machen.
Rachel Cusk: Lebenswerk. Über das Mutterwerden. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp, 220 Seiten, 22 Euro. Das Buch erscheint am 27. Oktober.
„Mutterschaft ist eine Karriere in
Konformität, ihre Grundaus-
bildung ist die Schwangerschaft.“
In Sommer dieses Jahres wurde die Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs zur künftigen „Vorsteherin des Börsenvereins
des Deutschen Buchhandels“ gewählt. Kurz darauf schlug sie vor, den Titel ihres Amtes zu ändern. Vor allem im Ausland sei nicht ganz einfach
zu vermitteln, was eine „Vorsteherin“ eigentlich sei. Nach der Messe wird sie das Amt von ihrem Vorgänger übernehmen. Schmidt-Friderichs,
die mit ihrem Mann den „Verlag Hermann Schmidt“ betreibt, liest am liebsten im Fond ihres Busses.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2019

Madame Bovary ist auch nur eine schlechte Mutter
Müssen Frauen mit der Geburt eines Kindes ihre frühere Identität preisgeben? Rachel Cusks einflussreiches "Lebenswerk"

Eine Hebammenweisheit besagt, dass Säuglinge bis in den dritten Lebensmonat hinein physiologisch gesehen Frühgeburten sind. Weil die Evolution den Menschen zum aufrecht gehenden Wesen bestimmte, kommen Kinder aus Platzgründen zu früh auf die Welt und müssen sich allmählich und in einem oft von Tränen begleiteten Prozess an das Erdendasein gewöhnen. Weswegen besonders die ersten zwölf Wochen im Leben eines jungen Menschen und von dessen Eltern einen permanenten Ausnahmezustand bilden.

Rachel Cusk, die spätestens seit ihrer Roman-Trilogie "Outline", "Transit" und "Kudos" als grande dame der britischen "New Sincerity", einer neuen unverstellten Ernsthaftigkeit im literarischen Schreiben, gilt, hat vor beinahe zwanzig Jahren über diesen kontinuierlichen Krisenzustand und die "tiefgreifende Koordinatenverschiebung" der ersten Monate geschrieben. Dass "Lebenswerk - Über das Mutterwerden" nun übersetzt vorliegt, spricht nicht nur dafür, dass Cusk auch hierzulande als kanonische Stimme der Gegenwartsprosa gilt. Es heißt auch: Die Erzählung vom Abgrund aus Sorge und Wehmut, der sich eröffnet, wenn ein neues Leben beginnt, ist von bleibender Bedeutung.

"Lebenswerk" wird in der Übersetzung als Roman geführt, ist richtigerweise aber ein Essay mit zahlreichen autobiographischen Belegen. Anders als es der Titel suggeriert, ist das unter schmerzhafter Selbstentblößung berichtende Ich in diesem Buch eine erfolgreiche Schriftstellerin, die die Vollendung ihres Daseins nicht in der Elternschaft sieht. Sie ist gesellig, schätzt ihre Freundschaften und regen intellektuellen Austausch. Dennoch bleibt sie mit ihrer neugeborenen, häufig laut schreienden Tochter zu Hause. Damit ist die Handlung des Buches umrissen, noch nichts jedoch über den Zustand der leidvollen Isolation gesagt, der hier regiert.

Die Deprivation vom Leben in seiner bekannten Form bekommt bei Cusk neben einer psychischen auch eine physische Dimension. Der postnatale Körper der jungen Mutter fühlt sich an wie eine zurückgelassene Hülle, "aufgebrochen", "ausgeräumt" und "vernäht". Zu dem kommt eine allumfassende Müdigkeit, bedingt durch die zehrenden, bis ins Morgengrauen andauernden Schreiphasen des Kindes. Eine Müdigkeit, die als körperlicher Schock empfunden wird, der die Geistestätigkeit aushebelt: "Nicht zu schlafen bedeutet, dem Schaffensdrang keine Ruhe zu gönnen und in einer ewig sich ausdehnenden Sphäre der Aktivität gefangen zu sein." Nicht nur die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben scheint unmöglich. Auch das Dasein der Mutter hat sich gespalten in einen Zustand davor und einen danach. Davor rangierten Freundschaften und Selbstfürsorge weit oben auf der Liste der Notwendigkeiten. Mit der Geburt hat sich jede Selbstbezogenheit als "lebenslange Eitelkeit" enttarnt und ist ebenso prekär geworden wie schon zur Schwangerschaft die Grenzziehung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit.

Zwangsläufig verkümmert auch Cusks Geschlechtsidentität zu einem mütterlich-weiblichen Stereotyp der Häuslichkeit. Galt ihr das Frausein bisher als oberflächliches Merkmal, als "etwas Künstliches, ein Endlager des Kosmetischen", so erweist es sich nun als "beengte, vor langer Zeit aufgestellte und liebevoll ausgestattete Falle, in die ich versehentlich gelaufen bin und aus der es nun kein Entkommen mehr gibt". Hier liest sich deutlich heraus, dass "Lebenswerk" ein Buch ist, das sich aus zugespitzten, einander scheinbar ausschließenden Dichotomien speist: Mobilität und Isolation, Männlichkeit und Weiblichkeit, Kind und Kinderlosigkeit und letztlich auch Seele und Körper.

Der Abgesang auf ihre einstige Intellektualität ist für Cusk der schmerzlichste im Repertoire ihrer Verluste, zumal sie als Schriftstellerin auch materiell von ihrer Kreativität abhängig ist. Die Befriedigung der zunächst rein leiblichen Bedürfnisse ihrer Tochter, die sich unendlich ausdehnende, kreisförmig verlaufende Zeit und der schmerzlich vermisste Kontakt zu Erwachsenen bilden für Cusk das Nachspiel ihres aktiven intellektuellen Daseins: "Um eine Mutter zu sein, muss ich das Telefon klingeln, die Arbeit liegen und die Verabredungen ausfallen lassen. Um ich selbst zu sein, muss ich das Baby weinen lassen." Die Mutterschaft, so heißt es später in einem resignativen Ton, der weder innere noch äußere Differenzen anerkennt, ist "eine Rolle, die ich anscheinend nicht durchhalten kann, ohne mein früheres Ich zu verletzen".

Wenn in Büchern Bücher gelesen werden, wird das Lesen selbst zu einer symbolischen Handlung. Auf der Suche nach der verlorenen Vergangenheit ohne Kind beginnt Cusk ein Projekt der Relektüre altvertrauter Literatur. Sie entdeckt, dass Flauberts "Madame Bovary" nichts mehr ist als "die Verkörperung der schlechten Mutter: eine Frau, die weiterhin im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen will". Natascha, Tolstois Heldin in "Krieg und Frieden", hingegen begegnet ihr als literarische Inszenierung des mütterlichen Intellekt-Verlusts. Als vierfache Mutter hat Natascha ihr "Feuer der Lebhaftigkeit" verloren, "jetzt sah man bei ihr nur Gesicht und Leib, und von der Seele war nichts zu sehen". Cusk greift dieses Motiv von Tolstoi auf: "In der Schwangerschaft geben das Leben des Körpers und das des Geistes ihre Anstrengung der Getrenntheit auf und verflechten sich auf fatale und bleibende Weise." Damit öffnet sie die Tür zu einer Aufwertung dieser Verflechtung. Sie führt vor, wie die Erweiterung des leiblichen Erfahrungshorizonts selbst zum Gegenstand und Motor einer ästhetischen und intellektuellen Suche werden kann.

Es ist viel darüber gesagt worden, dass Rachel Cusk eine Welle von Ressentiments entgegenschlug, als "Lebenswerk" 2001 in Großbritannien veröffentlicht wurde. Inzwischen ist der gesellschaftliche Zwang zur Auratisierung der Mutterschaft längst einem differenzierten Bild gewichen. Zu spüren ist dies in Romanen wie Sheila Hetis "Mutterschaft", Maggie Nelsons "Die Argonauten" oder Antonia Baums "Stillleben", die die Entscheidung für oder gegen das Kind moralisch oder psychologisch auffächern, oder in Studien wie Barbara Vinkens "Die deutsche Mutter" oder Orna Donaths "Regretting Motherhood", die Geschichte und gesellschaftlichen Kontext der Reproduktion durchleuchten. Heutzutage also, wo keine öffentliche Empörung mehr den Blick auf "Lebenswerk" verstellt, ist endlich zu erkennen, dass sich Cusks Essay nicht im Spiel der literarischen Larmoyanz erschöpft. Er zeigt, dass im verzweifelten Blick auf die Ruinen des zurückgelassenen Lebens und auf eine so tiefgehende Körpererfahrung wie die der Mutterschaft ein Potential zur Überwindung der groben Trennung von Leib und Seele im Schreiben liegt. Auf diesem Potential und diesen Ruinen beruht Cusks spektakuläres schriftstellerisches Lebenswerk der letzten zwanzig Jahre.

MIRYAM SCHELLBACH

Rachel Cusk: "Lebenswerk". Über das Mutterwerden.

Roman.

Aus dem Englischen von

Eva Bonné. Suhrkamp

Verlag, Berlin 2019. 220 S., geb., 22,- [Euro].

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