Der Wunschtraum der Unsterblichkeit in "dieser Welt" hat eine lange Tradition, die besonders in der Literatur bis heute wirksam ist. Er ist das Gegenbild, aus dem man etwas über sich selbst erfährt. Aber was? Romane und Dramen, die sich mit "vernunftbestimmter Einbildungskraft" (Borges) dem Thema "Lebenszeit ohne Ende" zuwenden, oft in Zwiesprache mit Spekulationen der biologischen oder kybernetischen Wissenschaften, bemühen sich um Antworten. Schlüsselwerke dieser Art werfen Streiflichter auf Variationen menschlicher Selbstvergewisserung in der Kulturgeschichte der letzten 300 Jahre. Autoren: Swift, Wilde, Shaw, A. Huxley, C?apek, de Beauvoir, Borges, Calvino, Rushdie, Houellebecq, Saramago, Pascal Mercier u.a. Eher selten und nicht ohne kritisch-nachdenklich stimmende Aspekte erweist sich der Triumph über den Tod als Glück und Bereicherung. Häufiger wird er als "Fluch" erfahren - aus sehr verschiedenen Gründen. So gut wie immer aber zielt das Gedankenexperiment "ewiges Leben imHier und Jetzt" auf die Alternative, nämlich die Herausforderung, die Chance zu ergreifen, das zeitlich begrenzte Leben "in die eigenen Hände zu nehmen": es auf je eigene Weise sinnvoll zu gestalten, "eine neue Art, in der Welt zu sein", zu erfahren (Mercier). Der fiktionale Unsterbliche kennt diese Herausforderung nicht und bringt sich derart um das, was den Menschen zum Menschen, das Leben lebenswert macht. Und was das ist, daran erinnern die Werke nicht nur zwischen den Zeilen. Damit kommt eine Facette der Kulturgeschichte in Sicht, die aufschlußreich und anregend sein könnte in einer Zeit, die (so "Der Spiegel" 2014) "besessen" ist von der "Erfindung der Immortalität".