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Mehr als die Hälfte Spaniens ist leer: Die Bevölkerung verteilt sich zu etwa 75 % auf Madrid im Zentrum sowie die Küstenregionen. Der Rest ist Landschaft, mit sterbenden Dörfern und einer Bevölkerungsdichte, die in Europa nur von Lappland und Teilen Finnlands unterschritten wird.Sergio Del Molino hat die Geschichte dieses »leeren Spaniens« geschrieben: Er geht den Ursachen nach, wie der brutalen Industrialisierung unter Franco, und ebenso den Versuchen, die Landflucht aufzuhalten. Und er zeigt anschaulich, wie bedeutsam das »leere Spanien« in der kollektiven Bildwelt des Landes ist: im »Don…mehr

Produktbeschreibung
Mehr als die Hälfte Spaniens ist leer: Die Bevölkerung verteilt sich zu etwa 75 % auf Madrid im Zentrum sowie die Küstenregionen. Der Rest ist Landschaft, mit sterbenden Dörfern und einer Bevölkerungsdichte, die in Europa nur von Lappland und Teilen Finnlands unterschritten wird.Sergio Del Molino hat die Geschichte dieses »leeren Spaniens« geschrieben: Er geht den Ursachen nach, wie der brutalen Industrialisierung unter Franco, und ebenso den Versuchen, die Landflucht aufzuhalten. Und er zeigt anschaulich, wie bedeutsam das »leere Spanien« in der kollektiven Bildwelt des Landes ist: im »Don Quijote« und bei Buñuel, in pädagogischen Missionen und Reiseberichten des 19. Jahrhunderts, als romantisierter oder dämonisierter Gegenpart der Stadt, die sich die Provinz immer neu erfindet - bis hin zu den Konflikten der Gegenwart.Del Molinos Buch hat in Spanien eine kaum vorstellbare Wirkung entfaltet, Parlamentsdebatten, Gegenbücher, sogar die Gründung einer Partei angeregt. Wer das Land und sein Selbstverständnis begreifen will, muss »Leeres Spanien« lesen.
Autorenporträt
Sergio Del Molino, 1979 in Madrid geboren, Journalist, Schriftsteller und Kolumnist für El País. Als Zeitungsreporter hat er weite Teile des spanischen Hinterlandes bereist. »Leeres Spanien« wurde 2016 von vielen Zeitungen zum wichtigsten Buch des Jahres erklärt und mittlerweile mehr als 150.000 Mal verkauft, sein Titel ist zum stehenden Begriff geworden. Del Molino lebt in Zaragoza, einer der wenigen Städte des ''leeren Spaniens''.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensent Stefan May lernt mit Sergio del Molinos Buch das ländliche Spanien kennen, eine weitgehend unbekannte, vernachlässigte Gegend, so May. Was der spanische Journalist auf seinen Reisen in das Landesinnere seiner Heimat entdeckt, was er über das Hinterland recherchiert und an Historischem und Soziokulturellem ans Licht bringt, erscheint May spannend. Del Molinos Erlebnisse in diesem "leeren Spanien", garniert mit Literatur zum Thema, können mitunter redundant erscheinen, überraschend sind sie im Ganzen aber dennoch, meint May.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2022

Eine andere Geschichte der Abgehängten

Dieses Land zerfällt in zwei Welten, und kaum jemand nimmt Notiz davon: Sergio del Molino erkundet das leere Spanien.

Bei den meisten ausländischen Touristen löst das Wort "Spanien" die Assoziation von Urlaub, Sonne und Stränden aus, bei einigen anderen vielleicht noch den Gedanken an Städte wie Madrid, Barcelona und Sevilla. Aber das eigentliche Spanien, jedenfalls der flächenmäßig größte Teil dieses Landes, besteht aus unbewohnter Landschaft, die einem beim Durchfahren, nicht nur wegen der klimatischen Veränderungen, durchaus wie ein eigener kleiner Kontinent vorkommen kann. Dabei liegt es ganz im Empfinden des Betrachters, die endlosen Weiten der Extremadura, das Meer von Olivenbäumen im nördlichen Andalusien, die ewig rollenden Bergwellen Aragoniens oder die gelben Felder der Mancha für majestätisch, deprimierend oder irgendetwas dazwischen zu halten.

Hier spielt der "Don Quijote", Spaniens nationales Roadmovie, von dem Flaubert sagte: "Man sieht sie vor sich, diese spanischen Wege, die doch nirgendwo beschrieben werden!" Wenn Reisende des neunzehnten Jahrhunderts es irgendwo roh und wild haben wollten, dann mussten sie nach Spanien. Als das längst herabgewirtschaftete ehemalige Weltreich 1898 die letzten Kolonien verlor, wandte sich eine ganze Generation spanischer Intellektueller nach innen, um aus der herben Strenge der kastilischen Landschaft eine Metaphysik zu destillieren, die auch über die Abgeschiedenheit selbst und die Lage am Rande Europas hinwegtrösten sollte.

Staubige Weite, das ist das Stichwort: 1965 kam der junge Clint Eastwood in die Wüste von Almería, um für eine Gage von zehntausend Dollar und sechs Wochen Urlaub am Strand die Hauptrolle in Sergio Leones Spaghetti-Western "Für eine Handvoll Dollar" zu spielen. Bilder von Dürre und Kargheit, die eher nach Mexiko aussehen, haben Bücher, Filme und romantische Klischees geprägt.

Es ist dieses Land, das der Journalist Sergio del Molino das "leere Spanien" nennt. In seinem gleichnamigen Buch zeichnet er nicht nur seine äußere, sondern auch seine innere Geographie. Vom unerwarteten Erfolg, den das Original "La España vacía" 2016 hatte und immer noch hat, erzählt der Autor in einem eigens für die deutsche Ausgabe geschriebenen Vorwort.

Es geht dabei nicht so sehr um den Triumph eines erzählerischen Sachbuchs, von dem bis heute rund 150 000 Exemplare verkauft wurden, sondern um das langjährige Schweigen zu einem Thema, das auf der Straße lag: dass Spanien in zwei Welten zerfällt, eine urbane und eine ländliche, deren Hauptmerkmal bittere Armut ist; dass kaum jemand von den sozialen, kulturellen und politischen Implikationen dieses Umstands Notiz zu nehmen schien; und dass die städtische Mittelklasse ihre Belange und Bedürfnisse noch immer als repräsentativ für das Ganze sieht (und politisch entsprechend entscheidet).

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Dies ist keine Kampfschrift und kein Mitleidsprotokoll. Sergio del Molino, Jahrgang 1979, ist Journalist, ein genauer Leser und blendender Erzähler. Als junger Reporter des "Heraldo de Aragón" hat er von Saragossa aus, wo er immer noch wohnt, die leeren Gegenden durchfahren, um über die Dörfer dieses riesigen Gebiets, dessen Bevölkerungsdichte nur doppelt so hoch ist wie die der Sahara, zu berichten. Sein weit ausgreifender Essay handelt vor allem davon, wie und wodurch die spanischen Vorstellungen vom Land entstanden sind - und welche Realität sie verbergen.

Der Autor kann zum Beispiel nachweisen, dass Luis Buñuels berühmter Film "Las Hurdes - Land ohne Brot" (1933) über ein in archaischer Armut und Verelendung lebendes Dorf der Extremadura eine starke Übertreibung war, eine als Dokumentation auftretende Fiktion, welche die Klischees vom ländlichen Leben im spanischen Bewusstsein vertieften. Er zeigt, wie das Erbe der Karlistenkriege des neunzehnten Jahrhunderts in der Mentalität der heutigen Landbevölkerung fortlebt. Er berichtet von Francos Modernisierungsfuror der Fünfziger- und Sechzigerjahre, der ganze Täler samt Dörfern fluten ließ, um Staudämme zu bauen, die Zusammenballung in den rasch wachsenden Städten befeuerte und das bäuerliche Spanien ausblutete. Romantische Lyrik, aber auch die Romane von Miguel de Unamuno, Camilo José Cela, Julio Llamazares oder Antonio Muñoz Molina verraten, wie das Verschwinden des Landes betrauert wurde, um sich später in typisierten Bildern zu verfestigen.

Dabei folgt del Molino keiner Generalthese, sondern lässt eher den Blick schweifen. Er feiert die jungen Lehrer, die morgens um fünf Uhr - zu viert in einer Fahrgemeinschaft - zwei Stunden Landstraße auf sich nehmen, um in weit abgelegenen Dörfern des Hinterlandes zu unterrichten und vielleicht sogar etwas Neues auszuprobieren. Er entblättert aber auch - in einem Kapitel mit dem Titel "Matrosen des Enthusiasmus" - den Mythos der linken Kulturmissionen, die in den Dreißigerjahren die Bildung zum Bauern bringen wollten und wohl viel weniger damit erreichten als allgemein angenommen.

Dem Autor ist bewusst, dass das "leere Spanien" als solches nicht existiert, sondern auch als Begriff ein Hilfskonstrukt bleiben muss - ein nützliches allerdings, das gefehlt hat. Die spanische Sportzeitung "As" schrieb 2017 in einem Artikel, der auf Sergio del Molinos Buch verwies, kein einziger Erstligaklub des Landes komme aus dem leeren Spanien. Inzwischen ist der Begriff in aller Munde, hat Tagungen, Studien und Gegenthesen provoziert. Es gibt in Spanien sogar, wie der Autor berichtet, den neu geschaffenen Posten eines Staatssekretärs für "demographische Herausforderungen".

Wirklich geändert hat das die Lage nicht, wie sollte es auch? Es geht ja nicht allein um Landflucht oder die Mentalität einer Schicht, die sich abgehängt fühlt - das findet man auch in deutschen Debatten über die AfD-Wählerschaft oder in Untersuchungen zu Trumps Amerika. Nein, der Autor strebt wohl vor allem einen vollständigeren Blick an, Rechenschaft darüber, was unsere Wahrnehmung und unsere Vorurteile prägt.

Denn etwas ist geschehen in der rasanten Wohlstandsvermehrung des Landes; etwas ist verloren gegangen und hat geisterhafte Spuren hinterlassen. Die pittoresken Ruinen der aufgegebenen Dörfer erzählen eine Geschichte, welche die Geschichte aller ist. "Wir sind diese Landschaft", schreibt del Molino, und sein Ton ist längst persönlich geworden, hier spricht einer für sich und seine Generation. "Wir sind das leere Spanien, wir sind aus seinen Bestandteilen gemacht. Eine andere vertretbare Form von Patriotismus bleibt uns Spaniern nicht." Der ideelle Ort der Leere hat erstmals eine Stimme bekommen, die weiß, dass sie zum vollen Spanien spricht. PAUL INGENDAAY

Sergio del Molino: "Leeres Spanien". Reise in ein Land, das es nie gab.

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Wagenbach Verlag, Berlin 2022. 304 S., geb., 30,- Euro.

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