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»Die Lüge, sagte er gleich zu Beginn, das solle ich verinnerlichen, sei das Elixier der Schule. Jeder hier an der Schule lüge. Er, der Direktor, zuallererst.«
Studienassessor Kranich, Englisch, Deutsch, lernt bereits an seinem ersten Schultag, auf welche vier Säulen sich das gesamte Schulsystem stützt: Angst, Jammer, Schein und Lüge. Leider wohnt Kranich am falschen Ort, das gibt ein dickes Minus in der Leistungsbeurteilung - die wirklich wahren Kompetenzen eines jeden Lehrers, erfährt er, seien die Schlüsselkompetenzen. Für jeden gefundenen, vielmehr erbeuteten Schlüssel, den er Direktor Höllinger beibringt, kommt er weiter nach oben ... …mehr

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Produktbeschreibung
»Die Lüge, sagte er gleich zu Beginn, das solle ich verinnerlichen, sei das Elixier der Schule. Jeder hier an der Schule lüge. Er, der Direktor, zuallererst.«

Studienassessor Kranich, Englisch, Deutsch, lernt bereits an seinem ersten Schultag, auf welche vier Säulen sich das gesamte Schulsystem stützt: Angst, Jammer, Schein und Lüge. Leider wohnt Kranich am falschen Ort, das gibt ein dickes Minus in der Leistungsbeurteilung - die wirklich wahren Kompetenzen eines jeden Lehrers, erfährt er, seien die Schlüsselkompetenzen. Für jeden gefundenen, vielmehr erbeuteten Schlüssel, den er Direktor Höllinger beibringt, kommt er weiter nach oben ...
Autorenporträt
Orths, Markus
Markus Orths studierte Philosophie, Romanistik und Anglistik und lebt heute in Karlsruhe. Seine zahlreichen Bücher wurden in 18 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2003

Mein Staatsexamen? Gefälscht!
Die DDR in Göppingen: Markus Orths erreicht das Klassenziel

Nicht daß unsere Lehrer nicht schreiben könnten. Ihr Ausstoß an Lehrmaterialien, allgemeinen Rahmenrichtlinien, Eingaben und Leserbriefen ist im Gegenteil erschreckend hoch, und selbst schamlos erhöhte Deputate und ein Burn-out-Syndrom hindern manchen Oberstudienrat nicht, in den großen Ferien heimlich den Roman zu schreiben, den er im Leistungskurs Deutsch gern behandeln würde. Dennoch gibt es in der deutschen Literatur mehr brauchbare Schüler- als Lehrerromane. Liegt es am Schuldbewußtsein oder an der Diskretion unserer Pädagogen? Ist es die Furcht vor disziplinarischen Konsequenzen oder die Angst vor der Blamage, die sie daran hindert, ihre Erfahrungen aus Unterricht, Konferenzen und Elternabenden literarisch gestaltet mitzuteilen? Markus Orths hatte keine derartigen Rücksichten zu nehmen: Nach drei Jahren als Referendar und Junglehrer ließ er sich beurlauben, um sich seinen Frust von der Seele zu schreiben. "Lehrerzimmer" ist eine absurde Groteske, ein satirischer Amoklauf, der sich schon durch den exzessiven Gebrauch von indirekter Rede, redundanten Schmähungen und fachspezifischen Wortungetümen in die Nachfolge Thomas Bernhards stellt. Der Ehrgeiz des abgedankten Lehrers zielte freilich höher: Das Göppinger Gymnasium, an dem sein Studienassessor Kranich seine pädagogische Initiation erlebt, erinnert mit seinen labyrinthischen Fluren, undurchschaubaren Gesetzen und befremdlich kauzigen Insassen an Kafkas "Schloß", Leidensweg und Verurteilung von Herrn K. an den "Prozeß". Je näher der ahnungslose, ehrfürchtige Tor sich dem Allerheiligsten wähnt, desto unbegreiflicher und unheimlicher erscheinen ihm die Regeln, nach denen der Moloch Gymnasium seine Opfer auswählt, verschlingt und ausspeit.

Dabei hat ihm Direktor Höllinger schon beim Einweisungsgespräch die bittere Wahrheit enthüllt: "Man könne, sagte der Direktor, vier Säulen unterscheiden, auf welche das Schulsystem sich stütze: Die Säulen nenne er Angst, Jammer, Schein und Lüge." Die Angst vor Schülern, Eltern, Kollegen und Vorgesetzten, namentlich aber vor dem Oberschulamt, ist der Kitt, der ein System von Heuchelei und Opportunismus zusammenhält; der durch Konferenzpalaver, Streß und permanente methodische Selbstbefragung geschaffene Druck entweicht durch das Ventil des Jammerns. Orths kennt seine Pappenheimer: Sein Kollegium besteht aus eitlen Besserwissern, angepaßten Nörglern, professionell deformierten Spießern und gescheiterten Existenzen, die Schulbuch- zu Gewissensfragen machen, aber die Tage bis zur Pensionierung zählen. Der Medienwart, der sein Reich eifersüchtig gegen Unbefugte verteidigt, hat sogar sein eheliches Sexualleben mit Tafelanschrieben, Folien, "Methodenwechseln" und "Stillarbeitsphasen" zu strukturieren versucht.

Höllinger ist der regierende Oberteufel dieser Hölle: Autoritär nach unten, devot nach oben, leutselig und hinterhältig, behandelt er Lehrer wie Spitz- und Lausbuben; konsequenterweise kommen Schüler in Orths' Schulroman auch gar nicht vor. Der gute Ruf seiner Anstalt ist dem Tyrannen heilig, und so installiert er bürokratische Schikanen, Spitzel, Denunzianten und "Geheime Sicherheitsbeamte", um die "Schlüsselkompetenz" zu bewahren und Maulwürfe im Lehrerzimmer zu enttarnen, bevor das Oberschulamt Wind bekommt. Die Parallelen zu Mielkes Stasi sind nicht zufällig. Das deutsche Gymnasium ist für Orths eine Art DDR: ein System von Überwachung und Terror, fürsorglicher Lenkung und Neusprech-Euphemismen, das einzig der Selbsterhaltung dient; die "Versetzung nach Schwäbisch-Sibirien" ersetzt die Verbannung ins Straflager. Bei konspirativen Treffen im abhörsicheren Ratskeller formiert sich zaghafter Widerstand. Aber die beamteten Bürgerrechtler sind Maulhelden, verklemmte Idealisten und schöngeistige "Wurzeldenker", und so zerbricht jeder Ansatz von Zivilcourage und Solidarität an Intrigen, kollegialer Rivalität und Paranoia. Auch Kranich ist kein Held. Von Höllinger als informeller Mitarbeiter angeworben, versagt er als Jäger der verlorenen Schlüssel; die Verschwörung endet im kollektiven Suff, und auch die Flucht in den freien Teil Deutschlands bleibt ihm verbaut. Mit Schwarzgeld, gefälschtem Staatsexamen und Paß nach Hessen gelockt, erwartet Kranich in Frankfurt schon ein Betreuer vom Oberschulamt.

Orths' Satire wird in vielen Lehrerzimmern auf zustimmendes Kopfnicken und verschwörerisches Lächeln stoßen. Literarisch verdient sie allenfalls die Note "noch befriedigend". So virtuos Orths den Jargon von Kultusbehörden und Chefdidaktikern beherrscht, so bissig er die Verrenkungen des Lehrkörpers kommentiert: seine "Stoffverteilungspläne" sind fehlerhaft, seine Methodenwechsel und "Lösungserwartungen" allzu durchsichtig. Das Lernziel, Höllingers Viersäulenmodell, wird schon auf Seite 19 formuliert; der Rest ist nur noch Wiederholen, Abfragen und Nachbereiten. So erschöpft sich der Roman in grimmigen Zustandsbeschreibungen, Sketchen und Karikaturen, die weder die Bildungsmisere beheben noch das Genre des Lehrerromans voranbringen. "Um die Rückkehr in den Kreis der Besten zu ermöglichen", heißt es in der "sogenannten Großen Studie", "wolle man die erneuerten Richtlinien der Kultusministerkonferenz bezüglich der Erhöhung des Einsatzes von Kreativitätsdarbietungen im Unterricht bedingungslos akzeptieren und durchsetzen"; das "soeben erschienene Methodenheft der Reihe Praxis im Unterricht" müsse deshalb von allen Kollegen "unterstützend vorbereitet, durchgeführt, begleitet und nachbereitet" werden. Orths' Roman zur Pisa-Studie ist selber eine - oder vielmehr: ein Methodenheft mit fachübergreifender "Wortfelderarbeitung", Unterrichtsmaterialien und Beurteilungsprotokoll. Der Autor aber hält seine Rückkehr in den Schuldienst für "im Moment" noch ausgeschlossen.

MARTIN HALTER

Markus Orths: "Lehrerzimmer". Roman. Schöffling Verlag, Frankfurt 2003. 162 S., geb., 18,50 [Euro].

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»Eine absurde Groteske, ein satirischer Amoklauf. Orths' Satire wird in vielen Lehrerzimmern auf zustimmendes Kopfnicken und verschwörerisches Lächeln stoßen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung»Eine fulminante Satire - ein an Wortwitz und Slapstick überreicher Roman.« Süddeutsche Zeitung»Markus Orths hat sich spätestens seit seiner aberwitzigen Schulalltags-Groteske Lehrerzimmer einen festen Platz im deutschen Literaturbetrieb erobert.« Frankfurter Rundschau