Das Kosovo rückte 1998/99 aus der Peripherie ins Zentrum der Weltpolitik, als die internationale Gemeinschaft mit hektischer Krisendiplomatie, dann mit Luftoperationen der NATO der serbisch-albanischen Gewaltspirale Einhalt gebot. Doch wie hat sich dieser Konflikt, der über ein Jahrzehnt im Schatten der Weltpolitik heranreifte, aufgebaut? Warum waren die internationalen Bemühungen um seine Eindämmung so halbherzig und so widersprüchlich? Und welche Schlußfolgerungen lassen sich aus ihrem Scheitern für künftige Kri-senprävention und -vermittlung ziehen? Rafael Biermann verbindet in seinem Buch wissenschaftliche Klarheit mit pointiertem Urteil. Und er erschließt weithin Neuland, kann er sich doch neben der Literatur auf eine Fülle von Zeitzeugengesprächen stützen, die er zwischen Bonn und Prishtina, Berlin und Washington geführt hat. Überdies hatte er vertraulichen Zugang zu einer Vielzahl von Interna der deutschen Jugoslawien-politik der 1990er Jahre.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2006Die Lage der anderen
Wie die internationale Krisenprävention im Kosovo 1999 scheiterte
Als am 24. März 1999 auch deutsche Luftwaffen-Tornados aufstiegen, um im Rahmen der Nato-Operation "Verbündete Kraft" strategische Ziele in Jugoslawien zu bombardieren und so den serbischen Feldzug gegen die albanische Bevölkerung des Kosovo zu beenden, kam das einer Bankrotterklärung gleich: Die zehnjährige internationale Krisenprävention war ebenso gescheitert wie sämtliche Vermittlungsversuche im unmittelbaren Vorfeld des Nato-Bombardements. Dabei zeichnete sich die Eskalation ab, seit die Provinzversammlung des Kosovo im März 1989 unter massiver Gewaltandrohung gezwungen worden war, die Zusätze zur serbischen Verfassung anzunehmen und damit faktisch ihre Autonomie aufzugeben. Spätestens seit dem September des folgenden Jahres, als das Untergrundparlament eine eigene Verfassung verabschiedete, war der Weg in die militärische Konfrontation vorgezeichnet.
Warum nahm der Westen diese Entwicklung nicht wahr oder doch nicht ernst? Warum griffen Europäer und Amerikaner erst ein, als nur noch das Mittel eines Feldzuges gegen Serbien übrigblieb? Diesen Fragen geht Rafael Biermann nach. Der Politikwissenschaftler ist einem "mehrdimensionalen Ansatz" verpflichtet, der Erkenntnisse der "Krisenpräventions-" beziehungsweise "Mediationsforschung" mit solchen der "Perzeptions-", "Nationalismus-" und "Völkerrechtsforschung" zusammenführt. Seine Erkenntnisse bezieht Biermann einerseits aus zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen in den Vereinigten Staaten, in Deutschland und im Kosovo sowie Aufenthalten "vor Ort", andererseits aus autobiographischen Darstellungen, der Berichterstattung von Zeitungen und Nachrichtenagenturen sowie aus "geheimdienstlichen Analysen" und "BMVg-eigenen Papieren", wenn diese auch "aus Geheimhaltungsgründen im Text ohne genaue Quellenangabe und ohne ausführliche wörtliche Zitate angeführt werden". Mit anderen Worten: Biermann, der zur Zeit des Kosovo-Krieges einige Jahre im Planungsstab des Bundesministeriums der Verteidigung tätig war, folgt einem zusehends in Mode kommenden Trend und macht - offenkundig unautorisiert - amtliche Verschlußsachen öffentlich. Das mag die substantielle Basis der Darstellung hier und da verstärken, spricht aber nicht gerade für einen seriösen Umgang mit den Quellen.
In der Sache handelt es sich um eine minutiöse Rekonstruktion des Kosovo-Konflikts aus der Feder eines Fachmanns für seinesgleichen. Diese mögen dann auch beurteilen, ob die generalisierenden Erkenntnisse der voluminösen Untersuchung tatsächlich den "Forschungszweig der Krisenprävention im Rahmen der Friedens- und Konfliktforschung befruchten können". Daß Krisenprävention "Menschenwerk und damit unvollkommen" bleibt oder daß die "Erfolgschancen" um so größer sind, "je früher die Prävention" einsetzt, glaubte man schon vorher zu wissen.
Anders steht es um Ursachen, Verlauf und Begleiterscheinungen des Konflikts. Ihre Darstellung und Analyse sind mustergültig. Das liegt auch an der historischen Tiefendimension der Untersuchung. Biermann zeigt, daß die schwere Krise der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts im Grunde eine Fortsetzung beziehungsweise Neuauflage eines Grundkonflikts war, der spätestens mit der serbischen Eroberung des Kosovo während der Balkankriege von 1912/13 begann. Und so wie Belgrad den zeitweiligen Verlust der Provinz während der beiden Weltkriege nie hingenommen, sondern stets mit äußerster Konsequenz wieder revidiert hatte, sollte das Kosovo einen Zerfall Jugoslawiens nicht als von Serbien unabhängige politische Einheit überleben.
Für den im Rückblick erstaunlichen Befund, daß Europäer und Amerikaner diese Entschlossenheit nicht gleich erkannten beziehungsweise nicht angemessen gewichteten, macht Biermann eine Reihe von Gründen aus - allen voran ihre Entschlossenheit, den Zerfall des 1919 gegründeten Vielvölkerstaates und, als der nicht mehr aufzuhalten war, ein Übergreifen des Krieges auf die Nachbarregionen zu verhindern. So war ihr Augenmerk zunächst ganz auf Kroatien und Slowenien, später auf Bosnien und die Hercegovina fixiert. Diese "selektive Wahrnehmung" trug einiges dazu bei, "Politik und Charakter" des serbischen Diktators Slobodan Milosevic zu unterschätzen, und das wiederum führte nach Biermanns Beobachtung zu einer sträflichen "Vernachlässigung der Perzeptionsfrage": Weil Europäer und Amerikaner nicht reflektierten, welche Wirkung ihre Politik auf Serben wie Albaner haben mußte, zogen die ihre eigenen Schlüsse und zwangen damit den Westen zu Konsequenzen, die dieser gerade hatte vermeiden wollen. So gesehen, bestätigt der Konflikt eine alte Erkenntnis der Historiker: Wer sich nicht in die Lage anderer zu versetzen vermag, wird scheitern.
GREGOR SCHÖLLGEN
Rafael Biermann: Lehrjahre im Kosovo. Das Scheitern der internationalen Krisenprävention vor Kriegsausbruch. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006. 664 S., 84,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie die internationale Krisenprävention im Kosovo 1999 scheiterte
Als am 24. März 1999 auch deutsche Luftwaffen-Tornados aufstiegen, um im Rahmen der Nato-Operation "Verbündete Kraft" strategische Ziele in Jugoslawien zu bombardieren und so den serbischen Feldzug gegen die albanische Bevölkerung des Kosovo zu beenden, kam das einer Bankrotterklärung gleich: Die zehnjährige internationale Krisenprävention war ebenso gescheitert wie sämtliche Vermittlungsversuche im unmittelbaren Vorfeld des Nato-Bombardements. Dabei zeichnete sich die Eskalation ab, seit die Provinzversammlung des Kosovo im März 1989 unter massiver Gewaltandrohung gezwungen worden war, die Zusätze zur serbischen Verfassung anzunehmen und damit faktisch ihre Autonomie aufzugeben. Spätestens seit dem September des folgenden Jahres, als das Untergrundparlament eine eigene Verfassung verabschiedete, war der Weg in die militärische Konfrontation vorgezeichnet.
Warum nahm der Westen diese Entwicklung nicht wahr oder doch nicht ernst? Warum griffen Europäer und Amerikaner erst ein, als nur noch das Mittel eines Feldzuges gegen Serbien übrigblieb? Diesen Fragen geht Rafael Biermann nach. Der Politikwissenschaftler ist einem "mehrdimensionalen Ansatz" verpflichtet, der Erkenntnisse der "Krisenpräventions-" beziehungsweise "Mediationsforschung" mit solchen der "Perzeptions-", "Nationalismus-" und "Völkerrechtsforschung" zusammenführt. Seine Erkenntnisse bezieht Biermann einerseits aus zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen in den Vereinigten Staaten, in Deutschland und im Kosovo sowie Aufenthalten "vor Ort", andererseits aus autobiographischen Darstellungen, der Berichterstattung von Zeitungen und Nachrichtenagenturen sowie aus "geheimdienstlichen Analysen" und "BMVg-eigenen Papieren", wenn diese auch "aus Geheimhaltungsgründen im Text ohne genaue Quellenangabe und ohne ausführliche wörtliche Zitate angeführt werden". Mit anderen Worten: Biermann, der zur Zeit des Kosovo-Krieges einige Jahre im Planungsstab des Bundesministeriums der Verteidigung tätig war, folgt einem zusehends in Mode kommenden Trend und macht - offenkundig unautorisiert - amtliche Verschlußsachen öffentlich. Das mag die substantielle Basis der Darstellung hier und da verstärken, spricht aber nicht gerade für einen seriösen Umgang mit den Quellen.
In der Sache handelt es sich um eine minutiöse Rekonstruktion des Kosovo-Konflikts aus der Feder eines Fachmanns für seinesgleichen. Diese mögen dann auch beurteilen, ob die generalisierenden Erkenntnisse der voluminösen Untersuchung tatsächlich den "Forschungszweig der Krisenprävention im Rahmen der Friedens- und Konfliktforschung befruchten können". Daß Krisenprävention "Menschenwerk und damit unvollkommen" bleibt oder daß die "Erfolgschancen" um so größer sind, "je früher die Prävention" einsetzt, glaubte man schon vorher zu wissen.
Anders steht es um Ursachen, Verlauf und Begleiterscheinungen des Konflikts. Ihre Darstellung und Analyse sind mustergültig. Das liegt auch an der historischen Tiefendimension der Untersuchung. Biermann zeigt, daß die schwere Krise der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts im Grunde eine Fortsetzung beziehungsweise Neuauflage eines Grundkonflikts war, der spätestens mit der serbischen Eroberung des Kosovo während der Balkankriege von 1912/13 begann. Und so wie Belgrad den zeitweiligen Verlust der Provinz während der beiden Weltkriege nie hingenommen, sondern stets mit äußerster Konsequenz wieder revidiert hatte, sollte das Kosovo einen Zerfall Jugoslawiens nicht als von Serbien unabhängige politische Einheit überleben.
Für den im Rückblick erstaunlichen Befund, daß Europäer und Amerikaner diese Entschlossenheit nicht gleich erkannten beziehungsweise nicht angemessen gewichteten, macht Biermann eine Reihe von Gründen aus - allen voran ihre Entschlossenheit, den Zerfall des 1919 gegründeten Vielvölkerstaates und, als der nicht mehr aufzuhalten war, ein Übergreifen des Krieges auf die Nachbarregionen zu verhindern. So war ihr Augenmerk zunächst ganz auf Kroatien und Slowenien, später auf Bosnien und die Hercegovina fixiert. Diese "selektive Wahrnehmung" trug einiges dazu bei, "Politik und Charakter" des serbischen Diktators Slobodan Milosevic zu unterschätzen, und das wiederum führte nach Biermanns Beobachtung zu einer sträflichen "Vernachlässigung der Perzeptionsfrage": Weil Europäer und Amerikaner nicht reflektierten, welche Wirkung ihre Politik auf Serben wie Albaner haben mußte, zogen die ihre eigenen Schlüsse und zwangen damit den Westen zu Konsequenzen, die dieser gerade hatte vermeiden wollen. So gesehen, bestätigt der Konflikt eine alte Erkenntnis der Historiker: Wer sich nicht in die Lage anderer zu versetzen vermag, wird scheitern.
GREGOR SCHÖLLGEN
Rafael Biermann: Lehrjahre im Kosovo. Das Scheitern der internationalen Krisenprävention vor Kriegsausbruch. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006. 664 S., 84,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gregor Schöllgens Urteil zu dieser Studie zum Kosovokonflikt von Rafael Biermann ist zwiespältig. Der Autor hat in seiner Rekonstruktion der Elemente, die zur Eskalation im Kosovo und dem Scheitern der Friedensbemühungen geführt haben, nicht nur Zeitzeugen befragt und Medienberichte durchforstet, sondern kommt in seinem Buch auch immer wieder auf der Geheimhaltung unterliegende geheimdienstliche Quellen zurück, die er deshalb nur unvollständig und ohne Quellenangabe zitiert. Der Autor folgt damit einem "Trend", den der Rezensent bedenklich findet und letztlich auch als unseriös kritisiert. Die detaillierte Analyse des Kosovo-Konflikts erscheint Schöllgen vornehmlich an ein Fachpublikum gerichtet, wobei ihn die mitunter abgegebenen Pauschalurteile Biermanns verstimmen. Wenn der Autor dagegen nach Ursachen und Auswirkungen des Krieges fragt, hat er den Rezensenten wieder auf seiner Seite, der insbesondere die "historische Tiefendimension" der Untersuchung als lesenswert lobt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH