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Menschen sind Personen, biologisch, physiologisch und kognitiv einander gleich. Zu unverwechselbaren Individuen werden sie durch die unmittelbare Selbstvertrautheit mit ihrem Leib. Ein überzeugender Entwurf, der die Trennung von Geist und Körper, wie wir sie seit Descartes kennen, überwindet.
Er brauche seinen Körper nur, äußerte Thomas Edison einmal, um sein Gehirn herumzutragen. Den Menschen in Geist und Körper, in Leib und Seele zu trennen, ist seit Descartes üblich geworden. Nur dem Bewußtsein wird zugestanden, mit unserer Umwelt Kontakt aufzunehmen und den menschlichen Körper wie ein…mehr

Produktbeschreibung
Menschen sind Personen, biologisch, physiologisch und kognitiv einander gleich. Zu unverwechselbaren Individuen werden sie durch die unmittelbare Selbstvertrautheit mit ihrem Leib. Ein überzeugender Entwurf, der die Trennung von Geist und Körper, wie wir sie seit Descartes kennen, überwindet.

Er brauche seinen Körper nur, äußerte Thomas Edison einmal, um sein Gehirn herumzutragen. Den Menschen in Geist und Körper, in Leib und Seele zu trennen, ist seit Descartes üblich geworden. Nur dem Bewußtsein wird zugestanden, mit unserer Umwelt Kontakt aufzunehmen und den menschlichen Körper wie ein Pferd zu reiten oder wie ein Auto zu steuern. Durch die medizinischen Technologien, die die menschliche Natur verfügbar machen, ist das Verhältnis zum Leib grundsätzlich in Frage gestellt.

Es gilt den Zusammenhang wieder zu entdecken, daß »der Leib ist in der Welt wie das Herz im Organismus.« (Merleau-Ponty). Der Leib ist ein empfindlicher »Resonanzkörper«, durch den Menschenfühlend an der Welt teilnehmen. Neueste Forschungen zeigen, daß Menschen sich immer im »Dialog« mit der Welt befinden, lange bevor sie sich ihrer selbst als Personen bewußt werden.

Unter Einbeziehung zahlreicher neurologischer, psychopathologischer und entwicklungspsychologischer Forschungen entwirft Thomas Fuchs eine breitgefächerte Phänomenologie unseres leiblichen und räumlichen Erlebens.
Autorenporträt
Thomas Fuchs, Prof. Dr. Dr., geboren 1958, nach Studium der Medizin, Philosophie und Geschichte in München Promotionen in Medizingeschichte und Philosophie, Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach Habilitationen in Psychiatrie und in Philosophie seit 2010 Karl-Jaspers-Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie an der Universität Heidelberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur phänomenologischen Anthropologie, Psychologie und Psychiatrie sowie zur Theorie der Neurowissenschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2000

Die Wolken ziehen dahin, sie ziehen auch wieder her
Altes anthropologisches Liedgut: Bei Thomas Fuchs vertreibt die Meteorologie nicht die Melancholie

Modernisierung ist Relativierung. Darin liegt ein Gewinn an Spielraum und ein Verlust von Sicherheit. Wem der Fortschritt die Seite des Verlustes zukehrt, der wird nach dem Halt ursprünglicher Gemeinschaften suchen. Religion, Nation, Familie - und vielleicht gehört auch das wieder auflebende Interesse für Leib und den Körper dazu. Denn während das Bewusstsein den Dingen entgegengesetzt ist und mit all seinen Interpretationen nicht dahinterkommen zu können scheint, wie sie in Wahrheit beschaffen sind, stehen wir als leibliche Wesen in einer vorgängigen Einheit mit der Natur. Wir finden uns, das ist die Pointe aller Leibphilosophie, immer schon als antwortend auf Handlungsangebote und Ausdruckszumutungen. Der Säugling erwidert ein Lächeln, der Apfel lässt uns zugreifen, die grau dahinziehenden Wolken stimmen uns schwermütig. Erst die neuzeitliche Rationalität hat die Welt zum Gegenstand des Messens und Verfügens zugerichtet und komplementär das Seelische und Geistige in eine Innenwelt zurückgedrängt. So sind uns die feinen Reaktionen unseres eigentlichen Selbsts fremd geworden. Als pathologische, in Antriebsschwäche, Bindungsunfähigkeit, in Raumängsten, machen sie sich umso heftiger bemerkbar.

Thomas Fuchs hat eine zuverlässige, wenn auch etwas additiv die vorgegebene Gliederung mit Lektürnotizen ausfüllende Einführung in die phänomenologische Anthropologie vorgelegt. Die neueren Leibphilosophien werden mitsamt ihrer Vorgeschichte referiert. Der Leib wird als räumlich vorgestellt, sein Verhältnis zu Körper und Seele diskutiert und dann näher die Räumlichkeit als Richtungsraum, Stimmungsraum, personaler (und interpersonaler) Raum und Lebensraum aufgefächert. Auf Zeit und Erinnerung wird nur kurz eingegangen. Das Buch hat als philosophische Dissertation gedient, doch eigene Forschungen darf man nicht erwarten. Es handelt sich um das ausgelagerte Grundlagenkapital einer psychiatrischen Habilitation zu Störungen der Raumwahrnehmung. So ähnelt es mit seinen unausgeführten Fallbeispielen ein wenig dem polnischen Eisenbahnnetz, dessen Radien auf den extraterritorialen Mittelpunkt Berlin verweisen.

Die Ideologie steht in der Einleitung. Die Neurowissenschaften reduzieren das Weltverhältnis des Menschen auf Hirnzustände; medizinische Techniken rücken "im Unvordenklichen gründende Lebensvollzüge wie Empfängnis, Schwangerschaft und Sterben in den Bereich der Manipulierbarkeit"; mit den Informationstechnologien verliert "der Andere seine leibliche Präsenz und wird zur anonymen Schnittstelle sachbezogener Informationen". Fuchs ist kein Fundamentalist. Er wehrt sich gegen Hermann Schmitz, der Gefühle nunmehr als den griechischen Gottheiten gleiche äußerliche Mächte kennt; er verteidigt mit Piaget die Bedeutung der Dezentrierung für die Personwerdung. Aber er sieht doch in der Rationalität primär eine "Entfremdung von ursprünglicher sinnlicher Erfahrung, unwillkürlichen Lebensvollzügen und leibhafter zwischenmenschlicher Kommunikation". Demgegenüber gelte es, die Erfahrungen des Leibes wieder ins gegenwärtige Bewusstsein zu bringen und dem Erscheinen des Anderen in diesem Leib seine ursprüngliche Evidenz wiederzugeben, denn die Natur komme in der leiblichen Wahrnehmung zu ihrer eigentlichen Erscheinung.

Begrifflich wird da Entfremdung mit Entzweiung verwechselt. Der Mensch, der mit der Sprache aus der Natur heraustritt, kann sich doch in ihr, etwa als Leibphänomenologe, angemessen auf sie beziehen. Auch ist nicht einzusehen, warum der Richtungsraum wahrhaftiger als der absolute Raum sein soll und Phänomenologie und Physik nicht friedlich nebeneinander existieren können. Oder Phänomenologie und Neurowissenschaft. Oder der im Unvordenklichen gründende Lebensvollzug der Schwangerschaft und die Geburtszange. Ja, wenn denn überhaupt verglichen werden soll, dürfte der Meteorologe dem wahren Wesen der Wolken näher stehen als der Melancholiker. Entfremdung ist eine Erscheinung innerhalb von Rationalität und Sprache. Entzweit, aus der Natur herausgetreten, sind wir dagegen immer schon. Der Leib sei sozial überformt und geprägt, sagt Fuchs und schreibt damit den Dualismus weiter, den er angreift. Die Wahrnehmung und das Verhalten können überhaupt nur geformt werden, weil ihnen keine physikalischen Notwendigkeiten, sondern Deutungen zugrunde liegen. Und diese Deutungen können fehlgehen. Der Leib kann irren. Ein Lächeln kann falsch sein, ein Apfel vergiftet.

Mit einigem Pathos heißt es abschließend, dass unsere Existenz situiert ist und unser Handeln umso vollkommener gelingt, je mehr der Handelnde in seinem begrenzten Handeln aufgeht. "Dann schließt sich der Kreis wieder, der mit dem Bewusstsein aufgebrochen ist." Bekanntlich sollte man bei Prüfungsvorbereitungen oder im Training rechtzeitig aufhören, damit das Geübte sozusagen inkarniert werden kann. Aber das Bewusstsein ist, wie es bei Hegel heißt, für sich selbst sein Begriff und dadurch unmittelbar das Hinausgehen über das Beschränkte. Es leidet die Gewalt, sich die beschränkte Befriedigung zu verderben, von ihm selbst.

GUSTAV FALKE

Thomas Fuchs: "Leib, Raum, Person". Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000. 419 S., geb., 88,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Professoren schreiben für Professoren. In einer grausam akademischen Kritik bespricht Michael Mayer zwei philosophische Bände zur Anthropologie: "Leib, Raum, Person" von Thomas Fuchs (Verlag Klett-Cotta) und "Zwischen Lachen und Weinen. Band 1: Das Spektrum menschlicher Phänomene" von Hans-Peter Krüger (Akademie Verlag).
Zu Thomas Fuchs` Anthropologie meint Mayer, der Autor entwerfe "