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Das heutige Begräbnis war ein kleiner Junge, und das war unerträglich, ich habe mir in die Wangen gebissen bis es weh tat. Ich konnte meinen Blick nicht von seiner kleinen Schwester abwenden, sie war so blaß. Antoine jobbt bei einem Beerdigungsunternehmen: nicht gerade der ideale Job für jemanden, den die Trauer über den Verlust der eigenen Familie auffrißt. Abends steigt er in den Boxring, um sich für das nächste Match vorzubereiten, denn Chef, sein Trainer, ist der einzige, dem er noch etwas beweisen will. Bei jedem Schlag gegen den Sandsack sind sie wieder da, die Bilder von dem Haus im…mehr

Produktbeschreibung
Das heutige Begräbnis war ein kleiner Junge, und das war unerträglich, ich habe mir in die Wangen gebissen bis es weh tat. Ich konnte meinen Blick nicht von seiner kleinen Schwester abwenden, sie war so blaß. Antoine jobbt bei einem Beerdigungsunternehmen: nicht gerade der ideale Job für jemanden, den die Trauer über den Verlust der eigenen Familie auffrißt. Abends steigt er in den Boxring, um sich für das nächste Match vorzubereiten, denn Chef, sein Trainer, ist der einzige, dem er noch etwas beweisen will. Bei jedem Schlag gegen den Sandsack sind sie wieder da, die Bilder von dem Haus im Süden, von den Steinen, der Sonne, den Platanen, dort, wo Antoine aufgewachsen ist, wo er mit seiner Schwester Claire Verstecken spielte, wo der Vater neapolitanische Lieder sang, wenn er von der Schicht nach Hause kam. Doch nun: Erde schaufeln, Tränen schlucken, Bier trinken, viel Bier, das Neonlicht glänzt in den Pfützen der Pariser Vorstadt, und Claire heiratet einen Mann, der so verdammt nett und anständig ist.... Nach dem letzten Match steigt Antoine in den Zug nach Süden. Er trifft dort ein Mädchen, das ähnlich rötliches Haar und eine sommersprossige Haut hat wie Claire ...
Autorenporträt
Olivier Adam, geboren 1974 in einem Vorort von Paris, schreibt Romane und Kinderbücher. Sein Roman "Poids léger", die Geschichte eines Boxers, wurde von Jean-Pierre Améris verfilmt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2006

Der Ring kennt keine Ruhezone
Höhenflüge und Tiefschläge: Olivier Adams Boxer-Roman

Im Boxen ist die Gewichtsklasse eine entscheidende Regel: Sie legt fest, wer gegen welchen Gegner antreten darf. Ein zu großes Ungleichgewicht wird ausgeschlossen, ein Minimum an Gerechtigkeit in der Prügelei ist garantiert. Im Leben gibt es diese zivilisatorische Fairness nicht, das führt uns Olivier Adams Roman "Leichtgewicht" parabelhaft vor Augen: Antoine, der Feierabendboxer, kann sich im Ring darauf verlassen, daß sein Gegner höchstens 61,235 Kilogramm wiegt, muß im sonstigen Dasein Tiefschläge und Kopfstöße von einem schwergewichtigen Gegenüber einstecken. David gegen Goliath, nur hat der Kleine diesmal keine Chance.

Dabei fängt Runde eins, der erste von drei Abschnitten, vielversprechend an. Düster ist zwar der Beruf des Helden und Ich-Erzählers: Als Totengräber kümmert er sich mehr schlecht als recht um Tote und Angehörige, das Geschäft geht ihm an die Nieren; die Kollegen meinen, er werde sich schon eingewöhnen. Ansonsten macht sich unser Boxer gut. Er trainiert und ist, einem saftigen Kater zum Trotz, in Form. Antoine beherrscht seine Tristesse, leert sich den Magen, wenn es sein muß, und langt ordentlich zu: "Chef meinte, daß ich mich nicht schlecht machen würde, für ein Wrack." Das Kompliment des Trainers bringt es auf den Punkt: Eine Serie von Schicksalsschlägen droht, aber noch hält Antoine sich wacker. Den ersten Gegner legt er aufs Kreuz, und mit dem Sieg im Krieg kommt der Sieg in der Liebe: En passant erobert er die schöne Su.

Antoines Verzweifeln an seinem rabenschwarzen Beruf verrät jedoch eine naheliegende Wahrheit, seine völlige Unfähigkeit zur Trauerarbeit. Während er anderer Leute Leichen verscharrt, gelingt es ihm nicht, selbst Abschied zu nehmen: im wahrsten Sinne des Wortes von seinem Vater, der vor drei Monaten gestorben ist, im übertragenen Sinne von seiner Schwester. Das einstmals inzestuöse Verhältnis zu Claire ist am Nullpunkt angekommen, sie lebt mit einem Mann zusammen, Heirat liegt in der Luft. Antoine mag sich nicht damit abfinden, klammert sich an diese letzte Brücke zur Kindheit im Süden.

In der zweiten Runde kommt es Schlag auf Schlag, die zwei Verlustreihen in Antoines Leben multiplizieren sich: Das Haus des Vaters muß zum Verkauf geräumt werden, der väterliche Chef zieht weg, um seine Ehe zu retten; Claire heiratet, die Beziehung zu Su scheitert an Antoines inzestuöser Fixierung und dem Widerstand von Sus Familie. Zunächst hilft der Griff zur Flasche, aber weil der Schläge zu viele sind, teilt Antoine kräftig aus: Er kündigt seinen Job mit dem Messer in der Hand, vermöbelt den neunmalklugen Bruder und gerät zu schöner Letzt in eine Messerstecherei mit Sus Verwandten. Er kommt ungeschoren davon - wie es tatsächlich aussieht, zeigt aber ein weiterer Boxkampf, in dem Antoine übel zugerichtet wird.

Wie bereits in seiner wunderschönen Novellensammlung "Am Ende des Winters" gelingt es Adam, atmosphärische Dichte mit zwei, drei Pinselstrichen zu erzeugen: "Die Sonne kam raus, der Himmel war blaß und flüssig, sie sprach mit leiser Stimme, manchmal berührte ihr Kopf meine Schulter." Da sind sie wieder, die frostig-ruppige Eleganz der Erzählungen, die lakonische Verletzlichkeit der Menschen, in der Adams amerikanische Meister durchscheinen. Überhaupt zeigt sein Universum erstaunliche Kohärenz: Die Krankenschwester Claire der Erzählung "Bis zum Äußersten" kehrt in der Schwester wieder, Figuren, Berufe, Schauplätze - sie alle melden sich zurück und vermitteln den Eindruck einer sehr eigenen Welt, die düsteren, magisch-zwingenden Gesetzen gehorcht. Am tristen Rand der Existenz gelegen, sozial und persönlich zwischen Niemandsland und Abgrund, entwirft der Autor ein winterliches Universum, immer vom Kältetod bedroht und trotzdem mit einer Energie geladen, die an Besessenheit grenzt. Adam vollbringt eine Form der Trauerarbeit, die seinem Helden eben nicht gelingt: "Leichtgewicht", die Novellen, mehr noch "Falaises" ("Klippen"), sein neuester Roman, der in Frankreich zu den Prix-Goncourt-Favoriten zählte, tragen deutlich autobiographische Züge. Daß die Texte nichts von Therapiematerial haben, verdanken sie auch ihrer präzisen, filigranen Konstruktion, die ihnen, dem Thema zum Trotz, Leichtigkeit und Anmut verleiht.

Überraschend scheint die dritte Runde ein idyllisches Ende einzuläuten. Antoine hat sich in den Süden gerettet, arbeitet als Portier, trinkt wenig und trainiert ordentlich; eine neue Liebe verschönt die Ruhe des Kriegers. Adam erweitert seine Palette um sommerliche Impressionen, zu feuchtem Pflaster, Laub und kalten Fensterscheiben gesellen sich maritime Lichtreflexe und ein liebestrunkener Atem voll Honig und Tabak. Der Friede trügt, muß trügen, schließlich kennt der Boxring keine Ruhebereiche - noch viel weniger die Kampfzone des Lebens. Ist den Widrigkeiten also nicht beizukommen? Eben doch: Am Scheitern seines Helden beweist Adam hintersinnig, daß man den Schlägen der Existenz frontal nicht zu widerstehen vermag. Im Raum der Kunst hingegen können sie neutralisiert werden, durch taktisches Ausweichen sozusagen. Hinter der Einsicht, daß der Schriftsteller kein Boxer ist, verbirgt sich eine große Lehre - die Lehre vom lebensrettenden Sinn der Literatur.

NIKLAS BENDER

Olivier Adam: "Leichtgewicht". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Florian Glässing. SchirmerGraf Verlag, München 2005. 176 S., geb., 18,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Olivier Adam ist konstant gut, stellt Niklas Bender zu seinem Entzücken fest. Wie schon in der Nouvellensammlung "Am Erde des Winters" schaffe es Adam auch in dieser Geschichte eines Boxers wieder, mit "ein, zwei Pinselstrichen" eine "dichte Atmosphäre" zu erzeugen, die der Rezensent als "frostig-ruppig" charakterisiert. Der Ich-Erzähler ist Boxer und Totengräber, er trinkt und gerät in eine Schlägerei, fängt sich wieder, um schließlich zu scheitern. Einige Figuren sind schon in anderen Texten aufgetreten, informiert Bender, der Adams Erzählwerk deshalb eine "erstaunlichen Kohärenz" bescheinigt. Und obwohl der Autor sich hier mit den Tiefschlägen des Lebens beschäftigt, wirke der Text "anmutig", was auf die "präzise, filigrane Konstruktion" zurückgeführt wird.

© Perlentaucher Medien GmbH