Dietmar Daths provokanter und verblüffender Roman über Religion. Eine phantastische Melange aus Pop, Physik, Politik, Philosophie und Science-FictionVielleicht gibt es Gott doch. Was, wenn er uns nicht mag?Ein deutscher Filmregisseur flieht vor einer anstrengenden Liebe. Seine Schwester wird vom Staat verdächtigt, als radikale Islamistin einen Anschlag zu planen. Sein bester Freund aus Kindertagen kämpft als Pfarrer mit dem Teufel. Und eine Frau, die alle drei kennt, aber mehr ist als ein Mensch, öffnet die Tür zum Schlimmsten, was Menschen sich vorstellen können.Dietmar Daths letzter großer Roman, Feldeváye, handelt von der weltenverändernden Kraft der Kunst. Sein neuer Roman, Leider bin ich tot, handelt von der weltenverändernden Kraft der Religion - von Menschen, die ganz sicher sind, dass es »mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als der Hedonismus sich träumen lässt, dass höhere Wesen existieren, dass du als Mensch die Bindung brauchst an das, was weiter sieht und mehr vollbringt als du«.
buecher-magazin.deWenigstens entlarvt sich die Figur mit dem Namen "Die Flughafenfrau" am Ende als ein anderer der zahlreichen Charaktere. Zwei in eins! So hat man das Gefühl, in Dietmar Daths neuestem Roman nicht völlig den Faden verloren zu haben, für einen Moment. Zumal sich diese Szene zum Schluss an die einzig unterhaltsame anschließt, beziehungsweise ihr postmodern vorausgeht. Eine 17-Jährige auf Krücken wird nach einem misslungenen Selbstmordversuch von der Flughafenfrau durch die Gänge zwischen den Gates geschoben und gleich zum Opfer der vom Autor aufwendig choreografierten Ungeschicklichkeit einer weiteren Hauptfigur. Nein, so unterhaltsam ist das eigentlich nicht. Aber das soll es auch nicht sein. Denn in diesem Roman geht es um Wichtiges. Um Religion. Um Terrorismus. Um Kapitalismuskritik. Um richtig smarte Dialoge, am besten in richtig smartem Englisch. Um Homoerotik. Um Geld für kryptische Filmkunst und um Filmkünstler. "Abel betrat einen Schnellasiaten am Oxford Circus. Eine Currywolke biss ihm fast den Kopf ab. Vor Appetit musste er husten. Guter Hochmut hielt ihn aufrecht. Er bestellte und bekam fürchterlich Heißes. Alle Kameras sind Abkürzungen für die Linse in meinem Eigensinn, dachte er (…)" Eine Lektüre nur für Anspruchsvolle.
© BÜCHERmagazin, Jutta Vahrson (jv)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2016DIETMAR DATH, protestantisch erzogener Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, hat einen als Roman verkleideten Brief an den lieben Gott geschrieben, in dem er sich für viele gute Ideen des Schöpfers bedankt und einige weniger schöne ganz vorsichtig in Zweifel zieht. Zu den guten gehören lebenslang glühende Liebesgeschichten, sagenhaft gute Filme über Pflanzen, gütige muslimische Mystikerinnen, heiße Nachmittage im sommerlichen Italien der achtziger Jahre und feministische Blogs. Zu den eher fragwürdigen zählen Hagelstürme, sexuelle Ausbeutung, rassistische Diskriminierung, fanatische Schwachköpfe, übereifrige Polizisten und Tote bei Rockkonzerten. Das Ganze wird in Form einer Suche nach dem Glück erzählt, die einen Filmregisseur, eine Visionärin, einen Pfarrer, diverse Musiker und politisch Aktive sowie einen sehr fiesen Hund erst zusammenbringt und dann wieder auseinanderreißt. (Dietmar Dath: "Leider bin ich tot". Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 461 S., br., 16,99 [Euro].)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Thomas Steinfeld scheint nicht sicher, ob der Roman des Kollegen Dietmar Dath ihm Bedeutsamkeit nicht nur vorgaukelt. Ein stetes Raunen im Text vernimmt er jedenfalls, ein dumpfes Dröhnen besser, meint er. Die blutrünstige Geschichte erscheint ihm wie eine Variation auf ein Thema von Bulgakow, nur mit einer Sekte im Mittelpunkt, mit marxistischen Gruppen, den Thesen des Philosophen Galen Strawson und Death Metal. Dass Dath die Leserin dauernd zum Nachschlagen anhält, findet Steinfeld ja in Ordnung, doch das ständige Winken mit Bedeutsamkeiten, hochtrabend, esoterisch oder verpönt, macht das Buch, das auf jede Erzählökonomie pfeift, wie er meint, für ihn auch ein bisschen zur Qual.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2016Strahlen aus der Innenferne
Dietmar Dath erforscht in „Leider bin ich tot“ Black-Metal-Musik, Theodor Däubler und das Verhältnis von Materie und Gedanken
Zwischen Himmel und Erde, heißt es in Dietmar Daths jüngstem Roman, gingen viele „Sachen“ vor, „von denen der beschränkte menschliche Verstand blutwenig begreift“. Es ereigneten sich zum Beispiel Kriege, „die heute noch keiner sieht, obwohl sie schon stattfinden“. Ferner gebe es „natürliche Systeme“, die „etwas empfinden, vielleicht auch denken“. Sie seien „Götter“, möglicherweise aber auch „etwas noch Unbekannteres“. Viele solche Sätze finden sich in diesem Buch, ein stetes Raunen oder besser noch: ein dumpfes Dröhnen begleitet die ganze Geschichte: „Etwas wollte geschehen, das sich nicht überblicken ließ.“ Doch während das höhere Unbekannte im weiteren Verlauf weitgehend unbekannt bleibt, heroischer Anstrengungen einzelner Figuren zum Trotz, kann von wenig Blut keine Rede sein: Dietmar Dath veranstaltet in diesem Werk ein Inferno, das sich leicht mit den apokalyptischen Bränden messen kann, in denen Moskau versinkt, während die Dämonen in Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ (1940) die Stadt verlassen.
Überhaupt erscheint „Leider bin ich tot“ wie eine Variation auf ein Thema von Bulgakow – nämlich die Heimsuchung des irdischen Alltags durch allerhand überirdische und zudem ungemütliche Wesen –, nur dass es nicht um die richtige Deutung des Neuen Testaments und dessen Kompatibilität mit einem sowjetischen Künstlertum geht, sondern um eine dem landläufigen Protestantismus entwachsene Sekte, um den Okkultismus im zeitgenössischen Film, um die Umtriebe marxistischer Kleingruppen, um den Koran und das Buch der Vierzig Hadithe sowie schließlich um eine neue Wissenschaft, die in der Lage wäre, die Existenz übersinnlicher Kräfte zumindest nachzuweisen: „Wenn also die Welt physikalisch ist, materiell, und wir gleichzeitig wissen, dass es Empfindungen und Gedanken gibt, dann sehe ich nicht, wie man anders Monist sein kann als so, wie ich es bin: Ich glaube, alles Physikalische und Materielle macht Erfahrungen und erlebt Gedankenartiges.“ Diese Sätze spricht im Roman eine Figur, die es auch im empirischen Leben gibt: der an der Universität Texas lehrende britische Philosoph Galen Strawson. Seinen Ansichten (und verwandten Thesen) gibt Dietmar Dath so viel Raum, dass der Traktat immer wieder aus dem Roman heraustritt und die Handlung in bloße Illustration verwandelt.
Die eigentliche Sphäre aber, in der die Geschichte spielt, ist ein musikalisches Genre namens „Black Metal“, eine Unterabteilung des „Death Metal“, der wiederum ein Subgenre des „Metal“ bildet. Und wer glaubt, solche Unterschiede im modernen Stammeswesen seien doch sehr weit getrieben, sieht sich schnell eines Besseren belehrt: Tief hinein in die Geschichte dieser sehr lauten, sehr pathetischen und sehr rohen Musik, bis zu Bands namens Mayhem oder Schallplatten namens „Panzerfaust“ führt dieses Buch. Burzum zum Beispiel ist eine norwegische Ein-Mann-Gruppe, die nicht nur durch eine Musik berühmt wurde, für die allerhand Mythologisches und Vorzeitliches herhalten muss (einschließlich Tolkiens „Herr der Ringe“), sondern auch, weil der Musiker, der sich hinter diesem Namen verbirgt, den Gitarristen einer rivalisierenden Band tötete sowie einige Stabkirchen niederbrannte – und es sich bei der Brutalität von Texten, Musik und Kostümen also keineswegs nur um Bühnenzauber handelte. Burzum gibt es noch immer, bewundert nicht zuletzt von Leuten, die einem Stamm namens „National Socialist Black Metal“ zugehören und vor allem in Osteuropa zu Hause sein sollen.
Lichtnord heißt die erfundene Band, von deren Sänger und Gitarristen ein großer Teil dieses Romans handelt, eine Gruppe aus demselben musikalischen und ideologischen Milieu, benannt nach „Nordlicht“ (1910), einem langen, philosophischen Gedicht des in Triest geborenen österreichischen Lyrikers Theodor Däubler, der auch einige Texte für die Gruppe verfasst haben soll: „Oh, Sonne, strahle nur aus meiner Innenferne.“ Lange könnte der Leser so weitermachen, immer wieder nachschlagen, stets darauf bedacht, ein jedes Zeichen als solches zu erkennen und seinen möglichen Inhalt zu erschließen.
Denn Dietmar Dath macht (auch in vielen vorhergehenden Büchern) literarisch Ernst mit dem angeblich für die ganze Welt geltenden Programm, es gebe nichts Materielles, das nicht auch Geist sei. Eine gigantische, in rasender Geschwindigkeit vorgeführte und prinzipiell ins Unendliche treibende Ansammlung mehr oder minder unzureichend bestimmter Bedeutsamkeiten kommt dabei heraus. Oder anders gesagt: eine esoterische Gelehrsamkeit, die sich gern auch des womöglich Verpönten bedient – einer vermeintlich okkulten Musik mit nationalsozialistischen Anwandlungen zum Beispiel –, weil ihre Zeichen vor allem als Potenzial von Erregung dienen.
Was die Zeichen im Einzelnen bedeuten, ist nur bedingt von Belang. Um so wichtiger ist, dass sie sehr viel bedeuten und bei Bedarf die Götter beschwören können. Auf Letzteres, auf die in der abstrakten Bedeutsamkeit steckende intellektuelle Energie, kommt es in diesem Roman an: Ihretwegen werden Pathos und Verbrechen mobilisiert, ihretwegen muss die Undurchschaubarkeit der Welt als Verabredung erscheinen, unter Zuhilfenahme höherer (oder niederer) Mächte sowie der avancierten Physik. Und ihretwegen mangelt es dem Buch ebenso sehr an einer Ökonomie des Erzählens, wie es eine gelegentlich die Albernheit zumindest streifende Generalmobilmachung literarischer Mittel darstellt: „Der Fluss faltete splittriges Grau in sein Silber“ – nur um wenige Augenblicke später mit Entschlossenheit eine Geisterbahn aus Pappmaché zu betreten: „Nathalie hatte das Cover gezeichnet – ein Frauenkopf auf einem Skelett. Der Kopf ähnelte ihr. Das Skelett irgendwie auch.“
Zu einem energetischen Zeichen macht sich am Ende auch der Autor selbst: Dietmar Dath tritt im Roman auf als der Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der er tatsächlich ist. Zu seiner Rolle als Zeuge und Vermittler findet er zwar erst spät im Geschehen, doch ist, an entscheidender Stelle, der Roman angeblich wieder aus dem Fiktiven ins Reale gekippt. Und wenn es in der Danksagung am Ende heißt: „Dietmar Dath gibt es überhaupt nicht“, so ist dieses Zeichen koketter, als hätte er über sich selbst mitgeteilt, er lebe nicht in Frankfurt, sondern in einem Pappkarton am Rande des Universums, wo er sich von reiner Energie ernähre. Denn Verkleinern heißt hier Vergrößern: zu einem Wissenden, der nur auf etwas anspielen muss, um hinter einem beliebigen Gegenstand den tiefen Horizont der Bedeutsamkeit aufscheinen zu lassen. Wie viel er aber tatsächlich weiß, das erfährt man nicht.
THOMAS STEINFELD
Dietmar Dath: Leider bin ich tot. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 464 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
Bei Bedarf können bei Dath
die Götter beschworen werden
Auch alles Materielle macht Erfahrungen, schreibt Dietmar Dath.
Foto: Imago
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Dietmar Dath erforscht in „Leider bin ich tot“ Black-Metal-Musik, Theodor Däubler und das Verhältnis von Materie und Gedanken
Zwischen Himmel und Erde, heißt es in Dietmar Daths jüngstem Roman, gingen viele „Sachen“ vor, „von denen der beschränkte menschliche Verstand blutwenig begreift“. Es ereigneten sich zum Beispiel Kriege, „die heute noch keiner sieht, obwohl sie schon stattfinden“. Ferner gebe es „natürliche Systeme“, die „etwas empfinden, vielleicht auch denken“. Sie seien „Götter“, möglicherweise aber auch „etwas noch Unbekannteres“. Viele solche Sätze finden sich in diesem Buch, ein stetes Raunen oder besser noch: ein dumpfes Dröhnen begleitet die ganze Geschichte: „Etwas wollte geschehen, das sich nicht überblicken ließ.“ Doch während das höhere Unbekannte im weiteren Verlauf weitgehend unbekannt bleibt, heroischer Anstrengungen einzelner Figuren zum Trotz, kann von wenig Blut keine Rede sein: Dietmar Dath veranstaltet in diesem Werk ein Inferno, das sich leicht mit den apokalyptischen Bränden messen kann, in denen Moskau versinkt, während die Dämonen in Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ (1940) die Stadt verlassen.
Überhaupt erscheint „Leider bin ich tot“ wie eine Variation auf ein Thema von Bulgakow – nämlich die Heimsuchung des irdischen Alltags durch allerhand überirdische und zudem ungemütliche Wesen –, nur dass es nicht um die richtige Deutung des Neuen Testaments und dessen Kompatibilität mit einem sowjetischen Künstlertum geht, sondern um eine dem landläufigen Protestantismus entwachsene Sekte, um den Okkultismus im zeitgenössischen Film, um die Umtriebe marxistischer Kleingruppen, um den Koran und das Buch der Vierzig Hadithe sowie schließlich um eine neue Wissenschaft, die in der Lage wäre, die Existenz übersinnlicher Kräfte zumindest nachzuweisen: „Wenn also die Welt physikalisch ist, materiell, und wir gleichzeitig wissen, dass es Empfindungen und Gedanken gibt, dann sehe ich nicht, wie man anders Monist sein kann als so, wie ich es bin: Ich glaube, alles Physikalische und Materielle macht Erfahrungen und erlebt Gedankenartiges.“ Diese Sätze spricht im Roman eine Figur, die es auch im empirischen Leben gibt: der an der Universität Texas lehrende britische Philosoph Galen Strawson. Seinen Ansichten (und verwandten Thesen) gibt Dietmar Dath so viel Raum, dass der Traktat immer wieder aus dem Roman heraustritt und die Handlung in bloße Illustration verwandelt.
Die eigentliche Sphäre aber, in der die Geschichte spielt, ist ein musikalisches Genre namens „Black Metal“, eine Unterabteilung des „Death Metal“, der wiederum ein Subgenre des „Metal“ bildet. Und wer glaubt, solche Unterschiede im modernen Stammeswesen seien doch sehr weit getrieben, sieht sich schnell eines Besseren belehrt: Tief hinein in die Geschichte dieser sehr lauten, sehr pathetischen und sehr rohen Musik, bis zu Bands namens Mayhem oder Schallplatten namens „Panzerfaust“ führt dieses Buch. Burzum zum Beispiel ist eine norwegische Ein-Mann-Gruppe, die nicht nur durch eine Musik berühmt wurde, für die allerhand Mythologisches und Vorzeitliches herhalten muss (einschließlich Tolkiens „Herr der Ringe“), sondern auch, weil der Musiker, der sich hinter diesem Namen verbirgt, den Gitarristen einer rivalisierenden Band tötete sowie einige Stabkirchen niederbrannte – und es sich bei der Brutalität von Texten, Musik und Kostümen also keineswegs nur um Bühnenzauber handelte. Burzum gibt es noch immer, bewundert nicht zuletzt von Leuten, die einem Stamm namens „National Socialist Black Metal“ zugehören und vor allem in Osteuropa zu Hause sein sollen.
Lichtnord heißt die erfundene Band, von deren Sänger und Gitarristen ein großer Teil dieses Romans handelt, eine Gruppe aus demselben musikalischen und ideologischen Milieu, benannt nach „Nordlicht“ (1910), einem langen, philosophischen Gedicht des in Triest geborenen österreichischen Lyrikers Theodor Däubler, der auch einige Texte für die Gruppe verfasst haben soll: „Oh, Sonne, strahle nur aus meiner Innenferne.“ Lange könnte der Leser so weitermachen, immer wieder nachschlagen, stets darauf bedacht, ein jedes Zeichen als solches zu erkennen und seinen möglichen Inhalt zu erschließen.
Denn Dietmar Dath macht (auch in vielen vorhergehenden Büchern) literarisch Ernst mit dem angeblich für die ganze Welt geltenden Programm, es gebe nichts Materielles, das nicht auch Geist sei. Eine gigantische, in rasender Geschwindigkeit vorgeführte und prinzipiell ins Unendliche treibende Ansammlung mehr oder minder unzureichend bestimmter Bedeutsamkeiten kommt dabei heraus. Oder anders gesagt: eine esoterische Gelehrsamkeit, die sich gern auch des womöglich Verpönten bedient – einer vermeintlich okkulten Musik mit nationalsozialistischen Anwandlungen zum Beispiel –, weil ihre Zeichen vor allem als Potenzial von Erregung dienen.
Was die Zeichen im Einzelnen bedeuten, ist nur bedingt von Belang. Um so wichtiger ist, dass sie sehr viel bedeuten und bei Bedarf die Götter beschwören können. Auf Letzteres, auf die in der abstrakten Bedeutsamkeit steckende intellektuelle Energie, kommt es in diesem Roman an: Ihretwegen werden Pathos und Verbrechen mobilisiert, ihretwegen muss die Undurchschaubarkeit der Welt als Verabredung erscheinen, unter Zuhilfenahme höherer (oder niederer) Mächte sowie der avancierten Physik. Und ihretwegen mangelt es dem Buch ebenso sehr an einer Ökonomie des Erzählens, wie es eine gelegentlich die Albernheit zumindest streifende Generalmobilmachung literarischer Mittel darstellt: „Der Fluss faltete splittriges Grau in sein Silber“ – nur um wenige Augenblicke später mit Entschlossenheit eine Geisterbahn aus Pappmaché zu betreten: „Nathalie hatte das Cover gezeichnet – ein Frauenkopf auf einem Skelett. Der Kopf ähnelte ihr. Das Skelett irgendwie auch.“
Zu einem energetischen Zeichen macht sich am Ende auch der Autor selbst: Dietmar Dath tritt im Roman auf als der Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der er tatsächlich ist. Zu seiner Rolle als Zeuge und Vermittler findet er zwar erst spät im Geschehen, doch ist, an entscheidender Stelle, der Roman angeblich wieder aus dem Fiktiven ins Reale gekippt. Und wenn es in der Danksagung am Ende heißt: „Dietmar Dath gibt es überhaupt nicht“, so ist dieses Zeichen koketter, als hätte er über sich selbst mitgeteilt, er lebe nicht in Frankfurt, sondern in einem Pappkarton am Rande des Universums, wo er sich von reiner Energie ernähre. Denn Verkleinern heißt hier Vergrößern: zu einem Wissenden, der nur auf etwas anspielen muss, um hinter einem beliebigen Gegenstand den tiefen Horizont der Bedeutsamkeit aufscheinen zu lassen. Wie viel er aber tatsächlich weiß, das erfährt man nicht.
THOMAS STEINFELD
Dietmar Dath: Leider bin ich tot. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 464 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
Bei Bedarf können bei Dath
die Götter beschworen werden
Auch alles Materielle macht Erfahrungen, schreibt Dietmar Dath.
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»So viel Selbstironie hat Stil. Aber nicht nur deshalb sollte man diesen Roman lesen. Ein geiles Buch!« Florian Schmid der Freitag 20160114