Peter Hallam ist ein glücklicher Mann. Er liebt seine Familie und er ist erfolgreich in seinem Job als Verkaufsleiter. Bis der flegelhafte Jason Skudder neuer Geschäftsführer wird. Skudder scheut keine Schikane, um Peter zur Verzweiflung zu bringen - und zum Kündigen. Als Peter alles verliert, steht ihm ausgerechnet seine eigenwillige Schwiegermutter zur Seite. Monica entwickelt einen verblüffenden Erfindungsreichtum, wenn es darum geht, wie süß Rache sein kann ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2002Die verlorene Zunge
Mit Rabenfeder: Graham Lord spielt Himmel und Hölle
Der Rabenkalender lieferte einst das Haffmans-Programm in hochkonzentrierten, täglichen Rationen. Für das Jahr 2003 erscheint er in einer Notausgabe, kaum handtellergroß, als Wochenkalender: Methadon als Sofortmaßnahme für entzugsgeschädigte Haffmansbüchersüchtige. Doch immerhin: Der Rabe lebt. Nach der spektakulären Pleite, die Gerd Haffmans im vorigen November mit seinem Verlag hingelegt hat, fand er nun zusammen mit seinem Wappentier Unterschlupf bei Zweitausendeins (F.A.Z. vom 16. März). Weil er Autoren hingehalten und ihnen bis zum bitteren Ende nicht die Wahrheit gesagt hatte, verspielte Gerd Haffmans mit der Pleite auch moralischen Kredit und tauchte erst einmal ab.
Nun ist er wieder da, mit neuen Büchern und einem Deal, der alle Beteiligten glücklich machen könnte: Haffmans schlägt dem Versand Autoren und Manuskripte vor und betreut sie bis zur Drucklegung. Gestalter Urs Jakob sorgt dafür, daß sie so aussehen wie Haffmans-Bände seit eh und je: innen mit einem angenehmen Druckbild und außen mit einem grellen, manchmal geschmacklosen Cover. Zweitausendeins kümmert sich um den Rest: Verträge schließen, drucken, verkaufen und die Autorenhonorare.
Robert Gernhardt, Max Goldt oder Harry Rowohlt, die das Image des Haffmans Verlags prägten, sind mittlerweile in anderen Häusern untergekommen. Die Arno-Schmidt-Stiftung hat sich schon zuvor von Haffmans getrennt. Frank Schulz' Roman "Morbus fonticuli", von dem Haffmans sich noch Erfolg und Rettung erhofft hatte, ist bei Eichborn neu erschienen. Treu blieb ihm zunächst nur der Lyriker Steffen Jacobs, dessen neuer Gedichtband für Oktober angekündigt ist. Haffmans mußte neue Autoren akquirieren, um sein Programm vergnüglicher Lektüre mit gehobenem Anspruch auch in Zukunft gewährleisten zu können. Er setzt dabei auf die bewährte Mischung aus einheimischen Neuentdeckungen und Erfolgsautoren aus englischsprachigen Ländern, durchaus mit hoher Risikobereitschaft. Ob Karin Kusterers "Märchen von der unglaublichen Liebe" oder Linda Verhaelens "Mein Leben als Schlampe" den Durchbruch bringen werden, ist gewiß nicht ausgemacht.
Der britische Humorist Graham Lord, langjähriger Literaturredakteur des "Sunday Express", dürfte allerdings Aussicht auf Erfolg haben. Sein Roman "Leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen mitzuteilen . . . (Sie sind gefeuert!)" verbindet soliden britischen Humor mit einem brandaktuellen Thema. Es geht um Entlassung, Arbeitslosigkeit und sozialen Absturz, aber auch um Bilanzfälschung in der Führungsetage. Was will man mehr. Graham Lord demonstriert, daß es immer noch tiefer abwärts geht, wenn man glaubt, man sei schon ganz unten. Die nächste Gemeinheit ist den Chefs und ehemaligen Kollegen, sogenannten Freunden und Ehefrauen jederzeit zuzutrauen. Überraschend ist der Zusammenhang zwischen kriminellen Machenschaften auf Unternehmerseite und sozialem Absturz der Entlassenen. Das Schicksal hat nicht nur eine Adresse, es hat auch einen Schreibtisch.
"Leider sehen wir uns gezwungen . . ." ist eine konventionell erzählte Groteske, deren Komik aus grellen Überzeichnungen und drastischen Pointen entsteht. Auf Zwischentöne läßt Graham Lord sich gar nicht erst ein. Er verzichtet auf psychologisches Raffinement und setzt ganz auf Schwarz und Weiß. Es gibt nur Himmel und Hölle und den Fahrstuhl dazwischen - genau wie im Kasperletheater.
Das anfängliche Glück des Helden Peter Hallam ist fast makellos. Allein der ungewaschene Sohn, der mit seinen Freunden nächtelang im Wohnzimmer herumlümmelt, und die unterhaltungsbedürftige Schwiegermutter, die sich dauerhaft im Gästezimmer einquartiert hat, stören die Familienidylle. In seinem Betrieb ist Hallam ein angesehener und beliebter Abteilungsleiter mit Aufstiegsperspektiven, bis zu dem Tag, da er einen neuen Chef bekommt. Sein Name ist Skudder. Das klingt irgendwie nach Stinktier und Müllhaufen und ist gewissermaßen Programm. Skudder ist häßlich, durch und durch schurkig und exakt einunddreißig Jahre alt. Er entläßt alle, die älter sind als fünfundvierzig, und es macht ihm Spaß, in der Belegschaft Angst und Schrecken zu verbreiten. Niemand wagt es, sich zu wehren. Und seltsamerweise begehrt auch keiner der Entlassenen auf. Alle verschwinden so stumm aus dem Haus, "als wären ihnen die Zungen herausgeschnitten worden".
Hallam ist fünfundvierzig, hat also nichts Gutes zu erwarten. Zu alt eben, er hat es hinter sich. Es ist recht einfach, ihn zur Kündigung zu bewegen. Graham Lord läßt nichts aus, um den sozialen Absturz vollkommen zu machen: Die Familie zerbricht. Das Haus muß verkauft werden. Die Ehefrau zieht zu einem ehemaligen Arbeitskollegen, der seinen Job einstweilen behalten durfte. Der arbeitslose Sohn verhöhnt den arbeitslosen Vater, der immer der Meinung war, daß Arbeit bekomme, wer ernsthaft Arbeit suche. Nun sitzt Hallam auf dem Arbeitsamt herum, wartet auf Bewilligungstermine oder auch nur auf die Gunst der Sachbearbeiterin und verrennt sich hoffnungslos im Antragsdschungel.
Männer, das ist das Elend, werden in dieser Gesellschaft, die Graham Lord schildert, fast ausschließlich über ihre Arbeit definiert. Haben sie keine, dann sind sie nichts und werden auch bald schon von den Nachbarn nicht mehr gegrüßt. "Wie ist es so weit gekommen?" fragt sich der fallende Held. "Ich war immer gradlinig, ehrlich, fleißig. Ich habe immer Steuern bezahlt, Versicherungen abgeschlossen, an Wohltätigkeitsorganisationen gespendet und alten Damen über die Straße geholfen. Und es hat mir verdammt noch mal nichts geholfen."
Ohne die Schwiegermutter wäre er verloren. Sie, die mit ihrer Neigung zum obszönen Limerick, zum Leopardenhütchen, stinkenden Zigarillo und hochprozentigen Alkohol gehörig auf die Nerven geht, entpuppt sich bald als treueste Seele und gewitzte Racheplanausheckerin. Ohne sie, die britischer nicht sein könnte, würde aus der großen Strafaktion nichts werden. Sie beweist, daß skrupelloser Egoismus und Menschenfreundlichkeit ausnahmsweise auch einmal zusammenpassen können.
Am Ende ist Hallam mit ihrer Hilfe ein strahlender Sieger in komfortabler Position. Wenn er nur wollte, könnte er Chef im alten Unternehmen werden. Graham Lord hat also ein soziales Märchen verfaßt, eine amüsante soziale Komödie, die nichts mit Realismus, aber viel mit Katharsis zu tun hat. Sie befriedigt auf vorbildliche Weise die niederen Instinkte, bestraft die Bösen, ohne ihnen eine Abfindung zu verweigern, und läßt darauf hoffen, daß die Welt mit der Kraft des Humors zu verbessern ist. Das ist sehr viel für ein einziges Buch. Es ist, kurz gefaßt, das Programm, das Gerd Haffmans stets verfolgte. Mit Graham Lord hat er einen Autor gefunden, der die literarische Weltverbesserung weiter vorantreibt.
JÖRG MAGENAU
Graham Lord: "Leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen mitzuteilen . . . (Sie sind gefeuert!)". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Miriam Carbe. Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2002. 414 S., geb., 16,90 [Euro].
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Mit Rabenfeder: Graham Lord spielt Himmel und Hölle
Der Rabenkalender lieferte einst das Haffmans-Programm in hochkonzentrierten, täglichen Rationen. Für das Jahr 2003 erscheint er in einer Notausgabe, kaum handtellergroß, als Wochenkalender: Methadon als Sofortmaßnahme für entzugsgeschädigte Haffmansbüchersüchtige. Doch immerhin: Der Rabe lebt. Nach der spektakulären Pleite, die Gerd Haffmans im vorigen November mit seinem Verlag hingelegt hat, fand er nun zusammen mit seinem Wappentier Unterschlupf bei Zweitausendeins (F.A.Z. vom 16. März). Weil er Autoren hingehalten und ihnen bis zum bitteren Ende nicht die Wahrheit gesagt hatte, verspielte Gerd Haffmans mit der Pleite auch moralischen Kredit und tauchte erst einmal ab.
Nun ist er wieder da, mit neuen Büchern und einem Deal, der alle Beteiligten glücklich machen könnte: Haffmans schlägt dem Versand Autoren und Manuskripte vor und betreut sie bis zur Drucklegung. Gestalter Urs Jakob sorgt dafür, daß sie so aussehen wie Haffmans-Bände seit eh und je: innen mit einem angenehmen Druckbild und außen mit einem grellen, manchmal geschmacklosen Cover. Zweitausendeins kümmert sich um den Rest: Verträge schließen, drucken, verkaufen und die Autorenhonorare.
Robert Gernhardt, Max Goldt oder Harry Rowohlt, die das Image des Haffmans Verlags prägten, sind mittlerweile in anderen Häusern untergekommen. Die Arno-Schmidt-Stiftung hat sich schon zuvor von Haffmans getrennt. Frank Schulz' Roman "Morbus fonticuli", von dem Haffmans sich noch Erfolg und Rettung erhofft hatte, ist bei Eichborn neu erschienen. Treu blieb ihm zunächst nur der Lyriker Steffen Jacobs, dessen neuer Gedichtband für Oktober angekündigt ist. Haffmans mußte neue Autoren akquirieren, um sein Programm vergnüglicher Lektüre mit gehobenem Anspruch auch in Zukunft gewährleisten zu können. Er setzt dabei auf die bewährte Mischung aus einheimischen Neuentdeckungen und Erfolgsautoren aus englischsprachigen Ländern, durchaus mit hoher Risikobereitschaft. Ob Karin Kusterers "Märchen von der unglaublichen Liebe" oder Linda Verhaelens "Mein Leben als Schlampe" den Durchbruch bringen werden, ist gewiß nicht ausgemacht.
Der britische Humorist Graham Lord, langjähriger Literaturredakteur des "Sunday Express", dürfte allerdings Aussicht auf Erfolg haben. Sein Roman "Leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen mitzuteilen . . . (Sie sind gefeuert!)" verbindet soliden britischen Humor mit einem brandaktuellen Thema. Es geht um Entlassung, Arbeitslosigkeit und sozialen Absturz, aber auch um Bilanzfälschung in der Führungsetage. Was will man mehr. Graham Lord demonstriert, daß es immer noch tiefer abwärts geht, wenn man glaubt, man sei schon ganz unten. Die nächste Gemeinheit ist den Chefs und ehemaligen Kollegen, sogenannten Freunden und Ehefrauen jederzeit zuzutrauen. Überraschend ist der Zusammenhang zwischen kriminellen Machenschaften auf Unternehmerseite und sozialem Absturz der Entlassenen. Das Schicksal hat nicht nur eine Adresse, es hat auch einen Schreibtisch.
"Leider sehen wir uns gezwungen . . ." ist eine konventionell erzählte Groteske, deren Komik aus grellen Überzeichnungen und drastischen Pointen entsteht. Auf Zwischentöne läßt Graham Lord sich gar nicht erst ein. Er verzichtet auf psychologisches Raffinement und setzt ganz auf Schwarz und Weiß. Es gibt nur Himmel und Hölle und den Fahrstuhl dazwischen - genau wie im Kasperletheater.
Das anfängliche Glück des Helden Peter Hallam ist fast makellos. Allein der ungewaschene Sohn, der mit seinen Freunden nächtelang im Wohnzimmer herumlümmelt, und die unterhaltungsbedürftige Schwiegermutter, die sich dauerhaft im Gästezimmer einquartiert hat, stören die Familienidylle. In seinem Betrieb ist Hallam ein angesehener und beliebter Abteilungsleiter mit Aufstiegsperspektiven, bis zu dem Tag, da er einen neuen Chef bekommt. Sein Name ist Skudder. Das klingt irgendwie nach Stinktier und Müllhaufen und ist gewissermaßen Programm. Skudder ist häßlich, durch und durch schurkig und exakt einunddreißig Jahre alt. Er entläßt alle, die älter sind als fünfundvierzig, und es macht ihm Spaß, in der Belegschaft Angst und Schrecken zu verbreiten. Niemand wagt es, sich zu wehren. Und seltsamerweise begehrt auch keiner der Entlassenen auf. Alle verschwinden so stumm aus dem Haus, "als wären ihnen die Zungen herausgeschnitten worden".
Hallam ist fünfundvierzig, hat also nichts Gutes zu erwarten. Zu alt eben, er hat es hinter sich. Es ist recht einfach, ihn zur Kündigung zu bewegen. Graham Lord läßt nichts aus, um den sozialen Absturz vollkommen zu machen: Die Familie zerbricht. Das Haus muß verkauft werden. Die Ehefrau zieht zu einem ehemaligen Arbeitskollegen, der seinen Job einstweilen behalten durfte. Der arbeitslose Sohn verhöhnt den arbeitslosen Vater, der immer der Meinung war, daß Arbeit bekomme, wer ernsthaft Arbeit suche. Nun sitzt Hallam auf dem Arbeitsamt herum, wartet auf Bewilligungstermine oder auch nur auf die Gunst der Sachbearbeiterin und verrennt sich hoffnungslos im Antragsdschungel.
Männer, das ist das Elend, werden in dieser Gesellschaft, die Graham Lord schildert, fast ausschließlich über ihre Arbeit definiert. Haben sie keine, dann sind sie nichts und werden auch bald schon von den Nachbarn nicht mehr gegrüßt. "Wie ist es so weit gekommen?" fragt sich der fallende Held. "Ich war immer gradlinig, ehrlich, fleißig. Ich habe immer Steuern bezahlt, Versicherungen abgeschlossen, an Wohltätigkeitsorganisationen gespendet und alten Damen über die Straße geholfen. Und es hat mir verdammt noch mal nichts geholfen."
Ohne die Schwiegermutter wäre er verloren. Sie, die mit ihrer Neigung zum obszönen Limerick, zum Leopardenhütchen, stinkenden Zigarillo und hochprozentigen Alkohol gehörig auf die Nerven geht, entpuppt sich bald als treueste Seele und gewitzte Racheplanausheckerin. Ohne sie, die britischer nicht sein könnte, würde aus der großen Strafaktion nichts werden. Sie beweist, daß skrupelloser Egoismus und Menschenfreundlichkeit ausnahmsweise auch einmal zusammenpassen können.
Am Ende ist Hallam mit ihrer Hilfe ein strahlender Sieger in komfortabler Position. Wenn er nur wollte, könnte er Chef im alten Unternehmen werden. Graham Lord hat also ein soziales Märchen verfaßt, eine amüsante soziale Komödie, die nichts mit Realismus, aber viel mit Katharsis zu tun hat. Sie befriedigt auf vorbildliche Weise die niederen Instinkte, bestraft die Bösen, ohne ihnen eine Abfindung zu verweigern, und läßt darauf hoffen, daß die Welt mit der Kraft des Humors zu verbessern ist. Das ist sehr viel für ein einziges Buch. Es ist, kurz gefaßt, das Programm, das Gerd Haffmans stets verfolgte. Mit Graham Lord hat er einen Autor gefunden, der die literarische Weltverbesserung weiter vorantreibt.
JÖRG MAGENAU
Graham Lord: "Leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen mitzuteilen . . . (Sie sind gefeuert!)". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Miriam Carbe. Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2002. 414 S., geb., 16,90 [Euro].
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