Der junge Bauernsohn Viljami hat sich in Lempi, die Tochter des Ladenbesitzers aus der kleinen Stadt Rovaniemi in Lappland, verliebt. Hals über Kopf heiraten sie, und Lempi, der das Landleben fremd ist, zieht zu Viljami auf den Hof. Um sie zu entlasten, stellt ihr Mann die Magd Elli ein, die insgeheim selbst gern an seiner Seite wäre. Nach einem einzigen glücklichen Sommer wird Viljami 1943 zum Kriegsdienst eingezogen. Als er zurückkehrt, ist die Stadt zerstört und Lempi verschwunden. Dass sie wie ihre Zwillingsschwester mit einem Offizier nach Deutschland gegangen sei, kann er sich nicht vorstellen. Vielschichtig, emotional und mitreißend erzählt Minna Rytisalo in ihrem Debütroman von der Liebe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2019Drei Bilder einer Frau
Minna Rytisalos Kriegsroman "Lempi, das heißt Liebe"
Zweihundertzwanzig Seiten. Das ist für eine Liebesgeschichte, die es in sich hat, genau die richtige Länge, und Minna Rytisalo, die Autorin des mitreißenden Romanes "Lempi, das heißt Liebe" teilt die Geschichte auch noch in drei Kapitel auf - lesefreundlicher kann ein Büchlein nicht sein. Das erste Kapitel erzählt von Viljami, einem finnischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Er bekommt im Herbst 1944 drei Briefe von seiner Magd Elli, erfährt über sie vom Tod seiner Ehefrau Lempi und bewegt sich nun zu Fuß durch eine irritierend schöne, vom brutalen Geschehen provozierend unbeeindruckte Landschaft auf den Familienhof in Lappland zu.
Körperlich scheint ihm wenig zu fehlen. Viljami hat einen Krieg überlebt, in dem die Finnen zunächst allein gegen den sowjetischen Aggressor kämpften, dann gemeinsam mit den Deutschen, für die der Krieg in Finnland ein Teil des Vernichtungskrieges gegen die Sowjets war, schließlich gegen die Deutschen, die beim Rückzug Richtung Nordnorwegen Ortschaften wie Rovaniemi bis auf die Grundmauern niederbrannten. Aber psychisch ist er gezeichnet, und die Aussicht, die Tür zu einem verwaisten Schlafzimmer öffnen zu müssen, gibt ihm den Rest: "Ich soll das Land wieder aufbauen, dessen Ostrand wir geschändet und mit Blut und Hass überzogen haben. Sollen die anderen es wieder aufbauen, die mit Kraft. Die noch am Leben sind und neben ihrer Frau einschlafen dürfen."
Ein gebrochener Mann. Er kann sich nicht einmal auf das Wiedersehen mit seinem Ziehsohn und die Erstbegegnung mit dem Baby freuen, das er noch nicht kennt. Alles dreht sich um Lempi. Sie zog nur für ihn aus der Stadt auf den Hof. Da hockte sie dann, als Viljami nach kurzer Zweisamkeit an die Front bestellt wurde - weit entfernt von einer Familie, die sich um sie kümmern könnte, gekettet an einen Hof, um den man sich kümmern muss, und in panischer Angst vor sowjetischen Partisanen, die tatsächlich irgendwann kamen und im Juli 1944 bei einem Massaker im Nachbarort Lokka 21 Menschen umbrachten.
Erzählt ist dieses erste Kapitel aus Viljamis Warte, adressiert an Lempi, die Viljami in Gedanken immer wieder anspricht: "Diese Hände haben geladen und geschossen, Hunderte Male, und sie haben nicht mal gezittert, als diese Nachricht kam, die über Dich, Lempi." Aber das ändert sich, und genau in diesem Wandel, der im Kopf des Lesers unterschiedliche Bilder von Lempi entstehen lässt, ein überstilisiertes, ein hasserfülltes und ein verlässlicheres drittes, liegt der Reiz des Romans. In Kapitel zwei ist es die eifersüchtige Magd, die von Lempi berichtet. Sie lässt an ihrer Herrin kein gutes Haar. Und auch die Schilderung Siskos ist noch einmal ganz anders gelagert - Lempis Zwillingsschwester, die Finnland an der Seite eines deutschen Soldaten verließ, bald allein in der Fremde dastand und in der Heimat nach der Rückkehr als Landesverräterin begrüßt wurde.
Minna Rytisalo, die aus Lappland stammt und als Lehrerin arbeitet, schlüpft behende von einer Erzählerrolle in die andere. Sie schreibt präzise und knapp. Wie nebenher lässt sie die Schrecken eines Krieges aufflackern, dessen Schlussphase 2014 auch schon von Katja Kettus Roman "Wildauge" beschrieben wurde. Allein das ist effektvoll gemacht, wie auch das Rätsel um Lempi auf effektvolle Weise gelüftet wird.
Ein sehr klug gebauter Roman also, auch wenn das dritte Kapitel nicht ganz so stark auf den Punkt formuliert sein mag wie die beiden ersten. Man liest das Buch trotzdem in einem Rutsch weg. Bis man endlich weiß, was im Herbst 1944 auf Viljamis Hof in Lappland wirklich geschah.
MATTHIAS HANNEMANN
Minna Rytisalo: "Lempi heißt Liebe". Roman.
Aus dem Finnischen und mit einem Nachwort von Elina Kritzokat. Hanser Verlag, München 2018. 224 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Minna Rytisalos Kriegsroman "Lempi, das heißt Liebe"
Zweihundertzwanzig Seiten. Das ist für eine Liebesgeschichte, die es in sich hat, genau die richtige Länge, und Minna Rytisalo, die Autorin des mitreißenden Romanes "Lempi, das heißt Liebe" teilt die Geschichte auch noch in drei Kapitel auf - lesefreundlicher kann ein Büchlein nicht sein. Das erste Kapitel erzählt von Viljami, einem finnischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Er bekommt im Herbst 1944 drei Briefe von seiner Magd Elli, erfährt über sie vom Tod seiner Ehefrau Lempi und bewegt sich nun zu Fuß durch eine irritierend schöne, vom brutalen Geschehen provozierend unbeeindruckte Landschaft auf den Familienhof in Lappland zu.
Körperlich scheint ihm wenig zu fehlen. Viljami hat einen Krieg überlebt, in dem die Finnen zunächst allein gegen den sowjetischen Aggressor kämpften, dann gemeinsam mit den Deutschen, für die der Krieg in Finnland ein Teil des Vernichtungskrieges gegen die Sowjets war, schließlich gegen die Deutschen, die beim Rückzug Richtung Nordnorwegen Ortschaften wie Rovaniemi bis auf die Grundmauern niederbrannten. Aber psychisch ist er gezeichnet, und die Aussicht, die Tür zu einem verwaisten Schlafzimmer öffnen zu müssen, gibt ihm den Rest: "Ich soll das Land wieder aufbauen, dessen Ostrand wir geschändet und mit Blut und Hass überzogen haben. Sollen die anderen es wieder aufbauen, die mit Kraft. Die noch am Leben sind und neben ihrer Frau einschlafen dürfen."
Ein gebrochener Mann. Er kann sich nicht einmal auf das Wiedersehen mit seinem Ziehsohn und die Erstbegegnung mit dem Baby freuen, das er noch nicht kennt. Alles dreht sich um Lempi. Sie zog nur für ihn aus der Stadt auf den Hof. Da hockte sie dann, als Viljami nach kurzer Zweisamkeit an die Front bestellt wurde - weit entfernt von einer Familie, die sich um sie kümmern könnte, gekettet an einen Hof, um den man sich kümmern muss, und in panischer Angst vor sowjetischen Partisanen, die tatsächlich irgendwann kamen und im Juli 1944 bei einem Massaker im Nachbarort Lokka 21 Menschen umbrachten.
Erzählt ist dieses erste Kapitel aus Viljamis Warte, adressiert an Lempi, die Viljami in Gedanken immer wieder anspricht: "Diese Hände haben geladen und geschossen, Hunderte Male, und sie haben nicht mal gezittert, als diese Nachricht kam, die über Dich, Lempi." Aber das ändert sich, und genau in diesem Wandel, der im Kopf des Lesers unterschiedliche Bilder von Lempi entstehen lässt, ein überstilisiertes, ein hasserfülltes und ein verlässlicheres drittes, liegt der Reiz des Romans. In Kapitel zwei ist es die eifersüchtige Magd, die von Lempi berichtet. Sie lässt an ihrer Herrin kein gutes Haar. Und auch die Schilderung Siskos ist noch einmal ganz anders gelagert - Lempis Zwillingsschwester, die Finnland an der Seite eines deutschen Soldaten verließ, bald allein in der Fremde dastand und in der Heimat nach der Rückkehr als Landesverräterin begrüßt wurde.
Minna Rytisalo, die aus Lappland stammt und als Lehrerin arbeitet, schlüpft behende von einer Erzählerrolle in die andere. Sie schreibt präzise und knapp. Wie nebenher lässt sie die Schrecken eines Krieges aufflackern, dessen Schlussphase 2014 auch schon von Katja Kettus Roman "Wildauge" beschrieben wurde. Allein das ist effektvoll gemacht, wie auch das Rätsel um Lempi auf effektvolle Weise gelüftet wird.
Ein sehr klug gebauter Roman also, auch wenn das dritte Kapitel nicht ganz so stark auf den Punkt formuliert sein mag wie die beiden ersten. Man liest das Buch trotzdem in einem Rutsch weg. Bis man endlich weiß, was im Herbst 1944 auf Viljamis Hof in Lappland wirklich geschah.
MATTHIAS HANNEMANN
Minna Rytisalo: "Lempi heißt Liebe". Roman.
Aus dem Finnischen und mit einem Nachwort von Elina Kritzokat. Hanser Verlag, München 2018. 224 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Es ist kein Liebesroman, sondern ein Roman über Krieg, über Schicksal und über das, was wir uns wünschen und vorstellen und wie schief es gehen kann mit diesen zu großen, beladenen Wünschen." Elke Heidenreich, SRF Literaturclub, 09.10.18
"Der Reiz dieses Romans besteht in der kunstvollen Überlagerung der verschiedenen beschränkten Sichtweisen ... Minna Rytisalo macht Zeitgeschichte gerade dadurch spürbar und transparent, dass ihre Figuren darin feststecken ohne sie zu durchschauen." Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung, 09.10.18
"Gedanken und Gefühle der drei Erzähler legt Minna Rytisalo mit ihrer treffenden Sprache gnadenlos offen. Oft überraschend und echt berührend." Brigitte Bücher-Extra, 21/2018
"Dass die Finnin Minna Rytisalo trotz des historischen Hintergrundes, des gewaltigen Anspielungsraumes und der Höhe der hier geschilderten Gefühle nie abrutscht ins Kitsch-Klebrige, sondern mit der Souveränität der literarisch Geschulten ihr stilles Debüt inszeniert, ist bemerkenswert" Jan Drees, MDR Kultur, 07.08.18
"... genau in diesem Wandel, der im Kopf des Lesers unterschiedliche Bilder von Lempi entstehen lässt, ein überstilisiertes, ein hasserfülltes und ein verlässlicheres Drittes, liegt der Reiz des Romans." Matthias Hannemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.06.19
"Der Reiz dieses Romans besteht in der kunstvollen Überlagerung der verschiedenen beschränkten Sichtweisen ... Minna Rytisalo macht Zeitgeschichte gerade dadurch spürbar und transparent, dass ihre Figuren darin feststecken ohne sie zu durchschauen." Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung, 09.10.18
"Gedanken und Gefühle der drei Erzähler legt Minna Rytisalo mit ihrer treffenden Sprache gnadenlos offen. Oft überraschend und echt berührend." Brigitte Bücher-Extra, 21/2018
"Dass die Finnin Minna Rytisalo trotz des historischen Hintergrundes, des gewaltigen Anspielungsraumes und der Höhe der hier geschilderten Gefühle nie abrutscht ins Kitsch-Klebrige, sondern mit der Souveränität der literarisch Geschulten ihr stilles Debüt inszeniert, ist bemerkenswert" Jan Drees, MDR Kultur, 07.08.18
"... genau in diesem Wandel, der im Kopf des Lesers unterschiedliche Bilder von Lempi entstehen lässt, ein überstilisiertes, ein hasserfülltes und ein verlässlicheres Drittes, liegt der Reiz des Romans." Matthias Hannemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.06.19
Poetisch und wunderbar gekonnt leicht geschrieben, ist dieser schmerzliche Roman ein Buch darüber, wie man sich das Leben vorträumen kann. Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln 20220304