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Wie kann ein Familiengeheimnis enthüllt werden, ohne weiteres Porzellan zu zerschlagen? Lena, die fast ein ganzes Jahrhundert erlebt hat, muss nun all ihr Einfühlungsvermögen aufbringen: Sie ist die einzige, die noch um das Geheimnis weiß und die es ihrer Nichte Sophia weitergeben kann.
»Ich habe eine Nichte, sie kommt um vier. Ich habe sie selbst geboren, aber das weiß sie noch immer nicht.« Sie hat mit der Lüge gelebt und mit dem Verschweigen, jetzt im Alter muß sie das längst fällige Geständnis machen. An einem trüben Novembernachmittag wartet die 80jährige Lena auf den langersehnten…mehr

Produktbeschreibung
Wie kann ein Familiengeheimnis enthüllt werden, ohne weiteres Porzellan zu zerschlagen? Lena, die fast ein ganzes Jahrhundert erlebt hat, muss nun all ihr Einfühlungsvermögen aufbringen: Sie ist die einzige, die noch um das Geheimnis weiß und die es ihrer Nichte Sophia weitergeben kann.

»Ich habe eine Nichte, sie kommt um vier. Ich habe sie selbst geboren, aber das weiß sie noch immer nicht.« Sie hat mit der Lüge gelebt und mit dem Verschweigen, jetzt im Alter muß sie das längst fällige Geständnis machen. An einem trüben Novembernachmittag wartet die 80jährige Lena auf den langersehnten Besuch ihrer Nichte Phia. Heute will sie ihr endlich die ungeheuerliche Wahrheit erzählen. Während sie den Kaffeetisch deckt, übt Lena sich in Selbstgesprächen, erklärt, rechtfertigt sich, geht in Gedanken zurück in die Vergangenheit, in die Zeit, als es noch Sammeltassen gab und Frauen Aufsehen erregten, wenn sie sich einen Bubikopf schneiden ließen.

Hin und her schiebt Lena ihre Erinnerungen, wie lose Teile eines Puzzles, bis vor dem Leser das bewegende Bild einer Generation und ihrer Sehnsüchte entsteht: Lenas schwierige Kindheit, als sie nach dem frühen Tod der Mutter für ihre Geschwister die Verantwortung übernehmen mußte; der Krieg und seine Wirren; die Ehe mit dem ungeliebten Mann. Und schließlich der heimliche Geliebte, von dem sie die Tochter hat. Die Tochter, die sie auf einer gemeinsamen Reise mit ihrer Schwester Lotte in Philadelphia zur Welt brachte und die nach ihrer Rückkehr fortan als Lottes Kind galt.

Lena ist die letzte, die um das Geheimnis weiß, doch es auszusprechen ist für die alte Frau leichter gesagt als getan. Denn wie kann man ein Familiengeheimnis enthüllen, ohne weiteres Porzellan zu zerschlagen?
Autorenporträt
Johansen, Hanna
Hanna Johansen, 1939 in Bremen geboren, studierte Germanistik, Altphilologie und Pädagogik und lebt als freie Schriftstellerin in Kilchberg bei Zürich. Sie schreibt für Erwachsene und Kinder und wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Schweizer Jugendliteraturpreis und dem Österreichischen Kinderbuchpreis.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2002

Lenas Affäre
Hanna Johansen schreibt
einen Universalroman der Ehe
Es geht um Lena und Phia, die eine ist fast achtzig, die andere Anfang vierzig, sie mögen sich sehr, aber nur eine der beiden weiß warum. Lena wird es Phia, die sich für vier Uhr angesagt hat, heute erklären. Und während Lena auf Phia wartet, geht sie noch einmal ihr ganzes Leben durch, von der Kindheit bis heute. Hanna Johansens neuer Roman hat also eine schon klassisch anmutende, geradlinige Form, ist ein innerer Monolog, ohne den Schnitzlerschen Versuch der akribischen Darstellung des „ganzen Bewusstseins”; nein, geordnet geschrieben, beinahe gemächlich ist der Gang der Erzählung, so wie man sich die Gedanken einer Neunundsiebzigjährigen vielleicht vorstellen kann. Aber was da erzählt wird, ist, genau genommen, immer noch ungeheuerlich.
Und seltsam abenteuerlich auf kleinem Raum: Es ist so, dass Lena, die mit Willy verheiratet war seit 1943, vierzig Jahre lang mit Willem, der mit Gertrud ins Nachbarreihenhaus gezogen ist, eine Affäre hatte; eine Affäre, die Lena, handwerklich schon immer geschickter als ihre Männer, mit einem Durchbruch zwischen den beiden Wohnungen ermöglicht hat, zwischen ihrem Zimmer und dem seinen. Und auch wenn das Loch etwas eng war, und Willem dicker wurde, ist er regelmäßig abends durchgestiegen, bis er eines Tages, nach Willis Tod, auf Lenas Sofa ohne viel Bekleidung gestorben ist. Und Phia, die helfen musste, hat ihn damals gesehen. Auch das wäre ein Zeitpunkt gewesen, ein etwas delikater, sie endlich aufzuklären, dass Willem ihr Vater war und Lena ihre Mutter. Dass Lena Phia ihrer Schwester Lotte, die keine Kinder bekommen konnte, abgetreten hat, weil sie mit Willi verheiratet war. Wenn der Bankert bekannt geworden wäre, hätte er einen hübschen Familienkrach verursacht.
Im Grunde genommen, das weiß Lena sogar, ist ihr Leben eine billige Komödie, aus lauter Feigheiten und Lügen zusammen gesetzt. Den Willi hatte sie schon 1943 nur deswegen geheiratet, weil sie von Franz einem Soldaten, nach einem one night stand, bevor das Wort in Deutschland Mode wurde, ein Kind bekommen sollte. Ein schöner Scherz des Schicksals allerdings ist, dass sie das Kind damals gar nicht bekommen hat. Dass die Vernunftehe sich im nachhinein als das Unvernünftigste in ihrem Leben erwiesen hat. Aber Lena war ja derart enttäuscht von dem verschwundenen Franz und den Männern überhaupt, dass sie dachte, jeder sei recht. Und so saß sie mit ihrem Beamtenwilli, der nach dem Krieg zurückgestuft wurde, weil er schon 1938 Beamter war, ihr Leben lang vor dem Fernseher, bis Willem kam, ihr „Glück”. Und dann die neue Lüge, die ein neues Verbrechen an Willi, dem Langweiler war, der sich über die Ungerechtigkeiten seiner Vorgesetzten ereifern konnte.
Wir stimmen für Willi
Der innere Monolog ist eine relativ trickreiche Form der Erzählung, denn so recht ist die Autorenposition da nie zu durchschauen: Hält Hanna Johansen ihre Lena für die eigentlich starke Frau aus kleinen Verhältnissen, als die sich Lena gelegentlich gerne sähe. Oder meint sie etwa, Lena sei eine genau besehen ziemlich ekelhaft schwache Frau, die, mit all ihren Lebenslügen, mit all ihren selbstgerechten Stänkereien zum Thema beschränkter Willi, mit all ihren Klischee-Lobliedern auf den tollen Willem das Leben einiger Menschen in ein falsches, verlogenes verwandelt hat. Letztlich war Lena beides, schwach wie stark, sollte man jetzt wohl sagen, eine Mixtur, ein Einerseitsandererseits, was uns jedoch zu einem Problem des Buches führt.
Denn das folgenhaft lahme Ja-aber in lebenswichtigen Fragen ist natürlich heute derart geläufig, weil aus dem Leben bekannt, dass es einem schon wieder wie platter common sense, eher nicht wie eine Lebensweisheit, und schon gar nicht wie der Versuch, ein Leben auf all seine moralischen Schwächen und Stärken hin auszuloten, begegnen muss. In der heute selbstverständlichen Weise selbstgerecht nimmt Lea auch von sich hin, dass sie unter den Nazis gekuscht hat, beim BDM war, wie beinahe alle, obwohl sie, dadurch schon quasi unbekleckert, aus einer sozialdemokratischen Familie kam, nicht wie der doofe Willi, der auch „kein Nazi” war, aber doch nicht 'zu uns' gehörte.
Hanna Johansen treibt in ihrer schmalen „Lena” ein gescheites Spiel mit dem voluminöseren Werk „Universalgeschichte der Monogamie”, das in „Lena” Phia geschrieben hat und auch den Fall Lena rudimentär schon enthält, ohne das Wissen, dass Phia Lenas Tochter ist. Nun läge es nahe, Phia als Hanna J. zu sehen, doch siehe: sie ist, ein äußerliches Zeichen der Differenz, unter anderem zwanzig Jahre jünger als ihre Autorin.
Was nichts an der Tatsache ändert, dass uns diese Lena, mit ihrem leicht philiströsen Salbadern, ihren vielen Innigkeitsbeweisen der verleugneten Tochter gegenüber, nicht eben sympathisch ist. Nein, wir stimmen für Willi, den kleinen, blöden, dummen Willi, für Willi den schlechten Liebhaber und Gehörnten, der sein Leben lang vor dem Fernseher saß und murrte. Er wusste schon warum. Er ahnte, dass Lena, die Kanaille, log und keinen Streit wert war. Prost, Willi, auf Dein Wohl..
Phia ist übrigens im Verkehr stecken geblieben, sie kommt erst nächste Woche, was für Lena auch nicht unpraktisch ist.
HANS-PETER KUNISCH
HANNA JOHANSEN: Lena. Roman. Carl Hanser Verlag. München 2002. 154 Seiten. 14, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2002

Wahrheit kommt nicht per Zug
Verwirrspiel: Hanna Johansen ist ehrlich und gibt doch nichts preis

Da ist sie wieder, die Ortschaft am Rande der Stadt, in der jeder über jeden Bescheid zu wissen glaubt. Da ist auch die Gärtnerei wieder, und da ist die Familie, die sich im Schweigen übt. Hanna Johansen ist zurückgekehrt in die Welt ihrer Kindheit, einer Kindheit mitten im Krieg. Doch diesmal ist es nicht das Kind, das erzählt, wie in der "Analphabetin", sondern jetzt ist es eine alte Frau, die sich erinnert.

Lena wartet auf den Besuch ihrer Nichte. Der Kuchen ist gebacken, der Kaffeetisch gedeckt. Es gibt nichts mehr zu tun. Die Zeit zieht sich hin. Zeit für Erinnerung. Seit sie allein ist, der Mann gestorben, der Geliebte tot, tut die alte Frau nicht viel anderes mehr, als darüber nachzudenken, was gewesen ist. Familiengeschichten: die unglückliche Ehe der Eltern, der frühe Tod der Mutter, die Sorge um den jüngeren Bruder, den es aufzuziehen galt, die Schwestern, die ihrer Wege gingen, das eigene Leben, in dem vieles nicht so lief, wie es hätte laufen sollen. Doch darüber spricht man nicht. Es war Krieg. Was wissen die schon, die ihn nicht erlebt haben? Die Generation, der Lena angehört, ist geübt im Verschweigen und Sichverstellen. Man hatte die Nazis nie gemocht, doch das brauchte niemand zu wissen. Ein uneheliches Kind mitten im Krieg kam nicht in Frage. Also wurde geheiratet. Die Ehe war ein Fehler. Und der Geliebte, der der Mann fürs Leben hätte sein können, war verheiratet. Verschweigen, Heimlichtuerei also auch hier. Das soll sich nun ändern. Lena will ihrer Nichte endlich alles erzählen: die ganze Wahrheit. Aber was ist das, die Wahrheit?

Hanna Johansens jüngster Roman ist ein einziger innerer Monolog: der Versuch, Ordnung zu bringen in ein bald achtzigjähriges Leben. Die alte Frau tut sich schwer damit. Die Gegenwart, weil auf Lügen gebaut, ist brüchig. Wie also die Wahrheit erzählen, wenn zuvor so vieles verschwiegen wurde und Sophia, die Nichte, so vieles nicht weiß? Vor allem das Wichtigste nicht: daß sie Lenas Tochter ist, die sie in Amerika zur Welt gebracht und später in Deutschland als Kind ihrer Schwester ausgegeben hat. Oder weiß sie es doch? Und nur Lena weiß nicht, daß sie es weiß? Wir werden es nie erfahren. Der Besuch findet nicht statt. Ein Kurzschluß hat die Züge lahmgelegt. Die Wahrheit läßt weiter auf sich warten.

Was wir erfahren, ist nur, daß diese Sophia oder Phia, wie sie genannt wird, ein Buch geschrieben hat: "Universalgeschichte der Monogamie". Es enthält ihre Sicht der Dinge und ist zugleich der Titel eines Buches, das Hanna Johansen 1997 veröffentlicht hat. Das Verwirrspiel ist perfekt.

Wer ist wer? Und wer weiß was? Am Ende ist es wohl gar nicht so wichtig. Die eine und ganze Wahrheit gibt es nicht, schon gar nicht in zwischenmenschlichen Belangen. Da gibt es nur Versionen und Sichtweisen, Bilder, die wir uns von den andern und die andere sich von uns machen. Da gibt es die Erinnerungen, die wir uns zurechtlegen, um mit ihnen leben zu können. Ehrlichkeit ist da ein relativer Begriff.

Wenn es das war, was Hanna Johansen mit ihrem Roman, der eher eine längere Erzählung ist, ausdrücken wollte, so ist es ihr gelungen. Darüber hinaus läßt sich der schmale Band auch als Stück persönlicher deutscher Geschichte lesen: eindrücklich in seinem Bemühen um späte Aufrichtigkeit, bewegend in der Darstellung menschlicher Ohnmacht, aber leider mit der Zeit auch etwas ermüdend in seiner Mischung aus tiefen Einsichten und kleinbürgerlichen Belanglosigkeiten.

KLARA OBERMÜLLER

Hanna Johansen: "Lena". Roman. Hanser Verlag, München 2002. 160 S., geb., 14,90 [Euro].

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