Leni Riefenstahl ist zweifelslos eine Legende, deren zwiespältiger Ruhm bis heute anhält. Der irische Filmexperte Liam O`Leary charakterisierte Leni Riefenstahl einmal mit einem Satz, der bald zum Lieblingszitat der Filmliteratur werden sollte: "Sie war ein Genie, aber ein politischer Trottel." Ob sie tatsächlich ein Genie war, stellt dieses Buch ebenso in Frage wie die Vorstellung, sie sei ein politischer Trottel gewesen. Ganz im Gegenteil: Riefenstahl gelang es wie kaum einer Zweiten, stets auf der Seite der Sieger und Mächtigen zu stehen.
Nina Gladitz dreht den Satz von O`Leary um. Riefenstahl war keine Ausnahmekünstlerin, dafür aber ein politisches Genie, was sich anhand neuer Archivfunde belegen lässt, die einen Abgrund erkennen lassen, der bislang durch ihren Geniestatus verdeckt wurde.
In ihrem Buch legt Nina Gladitz neue, belegbare Details über die Arbeitsmethoden und -strategien Leni Riefenstahls zum Schaden von 123 Menschen vor, die Riefenstahls Selbstdarstellung in einem anderen Licht zeigen und eine Neubewertung Leni Riefenstahls und ihres Tuns geradezu erzwingen.
Nina Gladitz dreht den Satz von O`Leary um. Riefenstahl war keine Ausnahmekünstlerin, dafür aber ein politisches Genie, was sich anhand neuer Archivfunde belegen lässt, die einen Abgrund erkennen lassen, der bislang durch ihren Geniestatus verdeckt wurde.
In ihrem Buch legt Nina Gladitz neue, belegbare Details über die Arbeitsmethoden und -strategien Leni Riefenstahls zum Schaden von 123 Menschen vor, die Riefenstahls Selbstdarstellung in einem anderen Licht zeigen und eine Neubewertung Leni Riefenstahls und ihres Tuns geradezu erzwingen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Kritik von Rezensentin Susan Vahabzadeh ist wie ein Streit mit der Filmemacherin und Autorin Nina Gladitz geschrieben. Einerseits lobt die Kritikerin deren Arbeit, insbesondere ihren Film über Riefenstahl, der früh die Selbstmythologisierung der NS-Regisseurin enthüllt habe. Riefenstahls anschließender Prozess gegen Gladitz hat, so die beindruckte Kritikerin, die hier von Gladitz vorgelegte Analyse mächtig eingefärbt mit ihrem Zorn, was sie gut findet. Dann aber hebt die Kritikerin hervor, wie wenig "akademisch", etwa ohne manchmal nötige Fußnoten, Gladitz vorgegangen sei und überall dort, wo wenig Quellen verfügbar waren, in jedem Fall alles gegen Riefenstahl auslege. Schwierig an der Lektüre der Besprechung ist aber vor allem, dass sowohl Riefenstahl, ihr Werk und die entsprechenden Analysen und Fakten über ihre in Auschwitz ermordeten Filmkomparsen (in "Tiefland"), über Zeugen und Mitarbeiter entweder in hohem Umfang vorausgesetzt werden oder wir mit Andeutungen vorlieb nehmen müssen. So wäre ein Wort über Riefenstahl "verqueres Menschenbild" ebenso hilfreich gewesen wie mehr Informationen über das Schicksal des Kameramannes und Cutters Willy Zielke, der laut Gladitz größeren Anteil an den berühmtesten Riefenstahlfilmen hat als bisher angenommen. Aber auch so macht die Kritikerin sehr neugierig auf das Buch und seine neuen Funde in Sachen Riefenstahl.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2020Unter der Protektion des Führers
Gegendarstellung: Nina Gladitz möchte zeigen, in welchem Ausmaß die Regisseurin Leni Riefenstahl eine überzeugte Parteigängerin Hitlers war.
Beim Schreiben von Biographien ist oft Bewunderung im Spiel. In manchen Fällen steht am Ende keine ausgewogene Lebensbeschreibung, man spricht dann gern von einer Hagiographie. Was aber wäre das Gegenteil einer solchen "Heiligschreibung"? Während man noch über einen denkbaren Gattungsbegriff nachdenkt - Damnatographie vielleicht? -, kann man in einem neuen Buch über Leni Riefenstahl schon einmal ein herausragendes Beispiel studieren.
Über die 2003 im hohen Alter von 101 Jahren verstorbene Filmemacherin und Fotografin gibt es bereits eine ganze Reihe von Lebensdarstellungen, denn eine Frau, die auf Anweisung von Hitler einen "Sonderfilmtrupp" einrichten durfte und die nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft noch sechzig Jahre Zeit bekam, an ihrem Mythos zu stricken, ist für die Forschung nun einmal eine Herausforderung - und für das Publikum eine Figur, auf die man alle möglichen Projektionen richten konnte. Zum Beispiel jene einer weiblichen Unschuld, die sich von männlicher Herrschaft korrumpieren ließ, dabei aber ihr Genie doch irgendwie intakt hielt. Auch wenn sie es in Filmen wie "Triumph des Willens" oder "Olympia" erwies, also mit Propaganda für die Nationalsozialisten.
In jedem Fall wurde Riefenstahl in der Nachkriegszeit zu einer Art Popstar, und man kann wahrscheinlich froh sein, dass aus keinem der verschiedenen Filmprojekte über sie bisher etwas wurde. Spätestens mit dem nun erschienenen Buch von Nina Gladitz wären wohl auch verwegenere Drehbuchentwürfe als naiv und unausgegoren einzuschätzen. Denn in der Regel geht es bei Vorstellungen und Darstellungen von Riefenstahl doch immer um einen Konflikt zwischen Individuum und System. Nina Gladitz aber geht mit ihrer starken These, die der Untertitel ihres Buchs, "Karriere einer Täterin", schon erkennen lässt, aufs Ganze: Leni Riefenstahl machte sich das NS-System mit seinen untereinander eifersüchtig wetteifernden Protagonisten von Hitler über Goebbels und Himmler bis zu Streicher virtuos gefügig und handelte bis zum Ende ganz in dessen Sinn, auch in ihrer Unterstützung der "Endlösung". Von Auschwitz wollte sie später nie etwas gewusst haben.
Es gibt zwei Schlüsselszenen für diese in hohem Maß streitbare Darstellung. Die erste liegt in einer persönlichen Begegnung von Nina Gladitz mit Leni Riefenstahl im Jahr 1984 - vor einem Gericht. Gladitz war damals eine junge Filmemacherin, die für den WDR eine Dokumentation mit dem Titel "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" gedreht hatte.
In ihm zeigte sie auf, dass Riefenstahl für ihren Film "Tiefland" Komparsen aus der verfolgten Minderheit der Sinti und Roma eingesetzt hatte, die nicht bezahlt worden waren und schließlich fast alle in Lagern getötet wurden. Gegen diese Behauptungen klagte Riefenstahl, bekam aber in der Mehrzahl der Punkte nicht recht. Die zweite Schlüsselszene wird von Gladitz in ihrem Buch dokumentiert. 1934 findet beim bereits nazifizierten, aber noch weitgehend nach klassischen Kinologiken funktionierenden deutschen Filmkonzern Ufa eine Sitzung statt, in der über ein Filmprojekt von Leni Riefenstahl abschlägig befunden wird: Ihr Plan, die Oper "Tiefland" von Eugen d'Albert zu verfilmen, kommt "nicht in Betracht . . . soweit möglich soll versucht werden, für Fräulein Riefenstahl ein anderweitiges, ihren Fähigkeiten entsprechendes künstlerisches Betätigungsfeld zu finden", heißt es in dem entsprechenden Protokoll.
Zu diesem Zeitpunkt war Riefenstahl als Schauspielerin vor allem aus Berg- und Abenteuerfilmen bekannt und durch "Der Sieg des Glaubens" (1933), ihren ersten Parteitagsfilm, zu dem sie von Goebbels beauftragt worden war. Dass ihr das Kino-Establishment in diesem Moment das Misstrauen aussprach, erwies sich als wenig wirksam, verlieh ihrer Karriere aber eine spezifische Dynamik: Sie arbeitete nun vorwiegend unter direkter Protektion des Führers. Und "Tiefland", ihr einziges Spielfilmprojekt, das nach einer langwierigen Produktionsgeschichte erst 1954 herauskam, wird für Gladitz zu ihrem zentralen Werk, zum "gemeinsamen Traumprojekt" mit Adolf Hitler.
Mehrfach macht Nina Gladitz deutlich, dass sie ihr Buch auch gegen eine Filmwissenschaft und Geschichtsschreibung des Films positioniert, die sich von Riefenstahl viel zu einfach faszinieren ließ. Zwar teilt heute kaum noch jemand die Auffassung von der technisch und formal brillanten Filmkünstlerin, die so von ihren Kamerafahrten und Blickexperimenten besessen war, dass sie nicht bemerkte, sich einem verbrecherischen System anzudienen. Aber selbst in kanonischen Texten wie Susan Sontags "Fascinating Fascism" - den Gladitz nicht erwähnt - zeigt sich eine Ambivalenz, die in der Darstellung der "Karriere einer Täterin" durch Eindeutigkeit ersetzt werden soll.
Allerdings schaffen auch die vielen neuen Dokumente, die Gladitz zusammengetragen hat und von deren Beschaffung sie erzählt, auch nur eine prekäre Eindeutigkeit. Denn der ganze Text bebt förmlich vor Engagement, immer wieder klingt er geradezu obsessiv, und das ist umso bemerkenswerter, als Gladitz einen Mann zu ihrem Kronzeugen macht, der unter Riefenstahl zeit seines Lebens gelitten hat: den Fotografen Willy Zielke, der von der NS-Medizin wegen psychischer Probleme entmündigt und zwangssterilisiert wurde. Das Schicksal von Zielke geht für Gladitz auf einen "Plan" von Riefenstahl zurück, die sich einerseits seines künstlerischen Talents für "Tiefland" versichern wollte, ihn aber andererseits sadistisch mit Hilfe der Ärzte in absoluter Verfügbarkeit, also in Unmündigkeit, halten wollte.
Die Bipolarität, mit der Zielke in seinen schwierigsten Phasen auf Riefenstahl blickte, wird für Gladitz zu einer erkenntnisleitenden Intuition. Bezeichnend dafür ist auch, dass sie seine unveröffentlichten Erinnerungen, viele Jahre später geschrieben und von einer bemerkenswerten Luzidität geprägt, wie einen autoritativen Text behandelt, wo dieser doch ebenso sehr einer Hermeneutik bedürfte wie die "Memoiren" von Leni Riefenstahl. Die wurden auch jahrelang als Quelle gelesen und sind das doch allenfalls als Modell für Entlastungsstrategien.
Die obsessive Erhöhung Riefenstahls zu einer Zentralgestalt des Nationalsozialismus gipfelt schließlich in einer Deutung von "Tiefland". Bisher hat die Forschung diesem Film gegenüber tatsächlich weitgehend versagt, was wohl auch damit zu tun hat, dass er als peinlich schlecht angesehen wird. Gladitz hingegen versucht nachzuweisen, dass Riefenstahl und Hitler den endgültigen antisemitischen Film im Sinn hatten, der Veit Harlans "Jud Süß" "weit in den Schatten stellen" und nach der Schoa die Zeit der "gelungenen" Judenfreiheit vor Augen führen sollte. Mit ihrer charakteristischen Verbindung von "ira et studio" vermutet Gladitz in diesem Zusammenhang auch noch, dass Riefenstahl, als sie 1944 in Prag letzte Szenen für "Tiefland" inszenierte, noch in Theresienstadt - für Gladitz ein "Vernichtungslager" - einen Film drehte, den sie dann 1945 vor Kriegsende rechtzeitig verbrannt haben soll.
Das Buch zeigt so an vielen Stellen die Spuren der Leidenschaft, mit der es geschrieben wurde. Dass Riefenstahl sich 1936 den afroamerikanischen Athleten Jesse Owens "zum Liebhaber genommen" habe, bleibt unvermittelt und ohne Beleg so stehen, und es kann wohl nur in einem ästhetisch übertragenen Sinn verstanden werden. Mit diesem Buch wird allen latenten Riefenstahl-Hagiographien eine wuchtige Gegendarstellung präsentiert. Für die Forschung aber wird es wohl eher einen Ausgangspunkt als eine abschließende Position darstellen.
BERT REBHANDL
Nina Gladitz:
"Leni Riefenstahl". Karriere einer Täterin.
Orell Füssli Verlag, Zürich 2020. 432 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gegendarstellung: Nina Gladitz möchte zeigen, in welchem Ausmaß die Regisseurin Leni Riefenstahl eine überzeugte Parteigängerin Hitlers war.
Beim Schreiben von Biographien ist oft Bewunderung im Spiel. In manchen Fällen steht am Ende keine ausgewogene Lebensbeschreibung, man spricht dann gern von einer Hagiographie. Was aber wäre das Gegenteil einer solchen "Heiligschreibung"? Während man noch über einen denkbaren Gattungsbegriff nachdenkt - Damnatographie vielleicht? -, kann man in einem neuen Buch über Leni Riefenstahl schon einmal ein herausragendes Beispiel studieren.
Über die 2003 im hohen Alter von 101 Jahren verstorbene Filmemacherin und Fotografin gibt es bereits eine ganze Reihe von Lebensdarstellungen, denn eine Frau, die auf Anweisung von Hitler einen "Sonderfilmtrupp" einrichten durfte und die nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft noch sechzig Jahre Zeit bekam, an ihrem Mythos zu stricken, ist für die Forschung nun einmal eine Herausforderung - und für das Publikum eine Figur, auf die man alle möglichen Projektionen richten konnte. Zum Beispiel jene einer weiblichen Unschuld, die sich von männlicher Herrschaft korrumpieren ließ, dabei aber ihr Genie doch irgendwie intakt hielt. Auch wenn sie es in Filmen wie "Triumph des Willens" oder "Olympia" erwies, also mit Propaganda für die Nationalsozialisten.
In jedem Fall wurde Riefenstahl in der Nachkriegszeit zu einer Art Popstar, und man kann wahrscheinlich froh sein, dass aus keinem der verschiedenen Filmprojekte über sie bisher etwas wurde. Spätestens mit dem nun erschienenen Buch von Nina Gladitz wären wohl auch verwegenere Drehbuchentwürfe als naiv und unausgegoren einzuschätzen. Denn in der Regel geht es bei Vorstellungen und Darstellungen von Riefenstahl doch immer um einen Konflikt zwischen Individuum und System. Nina Gladitz aber geht mit ihrer starken These, die der Untertitel ihres Buchs, "Karriere einer Täterin", schon erkennen lässt, aufs Ganze: Leni Riefenstahl machte sich das NS-System mit seinen untereinander eifersüchtig wetteifernden Protagonisten von Hitler über Goebbels und Himmler bis zu Streicher virtuos gefügig und handelte bis zum Ende ganz in dessen Sinn, auch in ihrer Unterstützung der "Endlösung". Von Auschwitz wollte sie später nie etwas gewusst haben.
Es gibt zwei Schlüsselszenen für diese in hohem Maß streitbare Darstellung. Die erste liegt in einer persönlichen Begegnung von Nina Gladitz mit Leni Riefenstahl im Jahr 1984 - vor einem Gericht. Gladitz war damals eine junge Filmemacherin, die für den WDR eine Dokumentation mit dem Titel "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" gedreht hatte.
In ihm zeigte sie auf, dass Riefenstahl für ihren Film "Tiefland" Komparsen aus der verfolgten Minderheit der Sinti und Roma eingesetzt hatte, die nicht bezahlt worden waren und schließlich fast alle in Lagern getötet wurden. Gegen diese Behauptungen klagte Riefenstahl, bekam aber in der Mehrzahl der Punkte nicht recht. Die zweite Schlüsselszene wird von Gladitz in ihrem Buch dokumentiert. 1934 findet beim bereits nazifizierten, aber noch weitgehend nach klassischen Kinologiken funktionierenden deutschen Filmkonzern Ufa eine Sitzung statt, in der über ein Filmprojekt von Leni Riefenstahl abschlägig befunden wird: Ihr Plan, die Oper "Tiefland" von Eugen d'Albert zu verfilmen, kommt "nicht in Betracht . . . soweit möglich soll versucht werden, für Fräulein Riefenstahl ein anderweitiges, ihren Fähigkeiten entsprechendes künstlerisches Betätigungsfeld zu finden", heißt es in dem entsprechenden Protokoll.
Zu diesem Zeitpunkt war Riefenstahl als Schauspielerin vor allem aus Berg- und Abenteuerfilmen bekannt und durch "Der Sieg des Glaubens" (1933), ihren ersten Parteitagsfilm, zu dem sie von Goebbels beauftragt worden war. Dass ihr das Kino-Establishment in diesem Moment das Misstrauen aussprach, erwies sich als wenig wirksam, verlieh ihrer Karriere aber eine spezifische Dynamik: Sie arbeitete nun vorwiegend unter direkter Protektion des Führers. Und "Tiefland", ihr einziges Spielfilmprojekt, das nach einer langwierigen Produktionsgeschichte erst 1954 herauskam, wird für Gladitz zu ihrem zentralen Werk, zum "gemeinsamen Traumprojekt" mit Adolf Hitler.
Mehrfach macht Nina Gladitz deutlich, dass sie ihr Buch auch gegen eine Filmwissenschaft und Geschichtsschreibung des Films positioniert, die sich von Riefenstahl viel zu einfach faszinieren ließ. Zwar teilt heute kaum noch jemand die Auffassung von der technisch und formal brillanten Filmkünstlerin, die so von ihren Kamerafahrten und Blickexperimenten besessen war, dass sie nicht bemerkte, sich einem verbrecherischen System anzudienen. Aber selbst in kanonischen Texten wie Susan Sontags "Fascinating Fascism" - den Gladitz nicht erwähnt - zeigt sich eine Ambivalenz, die in der Darstellung der "Karriere einer Täterin" durch Eindeutigkeit ersetzt werden soll.
Allerdings schaffen auch die vielen neuen Dokumente, die Gladitz zusammengetragen hat und von deren Beschaffung sie erzählt, auch nur eine prekäre Eindeutigkeit. Denn der ganze Text bebt förmlich vor Engagement, immer wieder klingt er geradezu obsessiv, und das ist umso bemerkenswerter, als Gladitz einen Mann zu ihrem Kronzeugen macht, der unter Riefenstahl zeit seines Lebens gelitten hat: den Fotografen Willy Zielke, der von der NS-Medizin wegen psychischer Probleme entmündigt und zwangssterilisiert wurde. Das Schicksal von Zielke geht für Gladitz auf einen "Plan" von Riefenstahl zurück, die sich einerseits seines künstlerischen Talents für "Tiefland" versichern wollte, ihn aber andererseits sadistisch mit Hilfe der Ärzte in absoluter Verfügbarkeit, also in Unmündigkeit, halten wollte.
Die Bipolarität, mit der Zielke in seinen schwierigsten Phasen auf Riefenstahl blickte, wird für Gladitz zu einer erkenntnisleitenden Intuition. Bezeichnend dafür ist auch, dass sie seine unveröffentlichten Erinnerungen, viele Jahre später geschrieben und von einer bemerkenswerten Luzidität geprägt, wie einen autoritativen Text behandelt, wo dieser doch ebenso sehr einer Hermeneutik bedürfte wie die "Memoiren" von Leni Riefenstahl. Die wurden auch jahrelang als Quelle gelesen und sind das doch allenfalls als Modell für Entlastungsstrategien.
Die obsessive Erhöhung Riefenstahls zu einer Zentralgestalt des Nationalsozialismus gipfelt schließlich in einer Deutung von "Tiefland". Bisher hat die Forschung diesem Film gegenüber tatsächlich weitgehend versagt, was wohl auch damit zu tun hat, dass er als peinlich schlecht angesehen wird. Gladitz hingegen versucht nachzuweisen, dass Riefenstahl und Hitler den endgültigen antisemitischen Film im Sinn hatten, der Veit Harlans "Jud Süß" "weit in den Schatten stellen" und nach der Schoa die Zeit der "gelungenen" Judenfreiheit vor Augen führen sollte. Mit ihrer charakteristischen Verbindung von "ira et studio" vermutet Gladitz in diesem Zusammenhang auch noch, dass Riefenstahl, als sie 1944 in Prag letzte Szenen für "Tiefland" inszenierte, noch in Theresienstadt - für Gladitz ein "Vernichtungslager" - einen Film drehte, den sie dann 1945 vor Kriegsende rechtzeitig verbrannt haben soll.
Das Buch zeigt so an vielen Stellen die Spuren der Leidenschaft, mit der es geschrieben wurde. Dass Riefenstahl sich 1936 den afroamerikanischen Athleten Jesse Owens "zum Liebhaber genommen" habe, bleibt unvermittelt und ohne Beleg so stehen, und es kann wohl nur in einem ästhetisch übertragenen Sinn verstanden werden. Mit diesem Buch wird allen latenten Riefenstahl-Hagiographien eine wuchtige Gegendarstellung präsentiert. Für die Forschung aber wird es wohl eher einen Ausgangspunkt als eine abschließende Position darstellen.
BERT REBHANDL
Nina Gladitz:
"Leni Riefenstahl". Karriere einer Täterin.
Orell Füssli Verlag, Zürich 2020. 432 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main