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Produktdetails
  • Fischer Taschenbücher
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch
  • Gewicht: 142g
  • ISBN-13: 9783596113446
  • ISBN-10: 359611344X
  • Artikelnr.: 24248828
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2003

Der Unfaßbare und Unausdenkliche, der zum Sieg entschlossene Rätselmensch
Der ganze Leonardo da Vinci in einem Buch: Er war als Künstler ein Ingenieur und als Naturwissenschaftler ein feinsinniger Ästhet, er schaute als Zeichner in die Zukunft und als Maler ins himmlische Licht

Leonardo da Vinci hat nicht nur viele muskulöse Männer gezeichnet, er soll selber einer gewesen sein. Leider trifft das auf die Liebhaber seiner Kunst nicht immer zu. Und deshalb haben die jetzt ein ernstes Problem. Sämtliche Gemälde und fast alle Zeichnungen - dieses Buchereignis ist nämlich zunächst mal eine physische Zumutung: zehn Kilogramm Leonardo.

Überwältigung durch Größe und Gewicht. Bodybilder für Bodybuilder. Der Taschen-Verlag hat die erste umfassende Darstellung des inkommensurablen Gesamtwerks dieses Künstlers auf ein ebensolches Format gebracht. Daß es in etwa dasjenige ist, in dem derselbe Verlag zuletzt auch Helmut Newton und Marilyn Monroe auf die Büchertische gewuchtet hat, ist vielleicht kein Zufall. Der Renaissancemeister kommt im glamourösen Bühnennebel eines Popstars daher, und der Umschlag zeigt natürlich den Finger Johannes des Täufers - Leonardos Apostel der Androgynität; ein Bild, das als schwule Ikone Karriere gemacht hat.

Es ist dieses grandiose Spätwerk, wo Leonardos sfumato vielleicht am stärksten ist, dieser Schleier aus Öl, der die Konturen so weich und plastisch, so lieblich und geheimnisvoll macht. Es ist allerdings auch der vom Licht Gottes erhellte Zeigefinger, der den Bibelfesteren unter den Lesern den Weg in dieses Buch weist. Und das wirkt im ersten Moment vielleicht ein bißchen maßlos, geht aber insofern in Ordnung, als dieses Buch zu einer Haltung zwingt, die man auch einem wertvollen Folianten entgegenbringen würde. Man kann es nicht im Lesesessel durchschmökern, man muß es auf einen festen Tisch legen, und dann kann man sich bis zur Erhebung darin versenken.

Der in Leipzig lehrende Kunsthistoriker Frank Zöllner hat seinen Text erfreulich unakademisch für ein breites Publikum geschrieben, ohne Fußnoten, sehr lesbar und unaufgeregt. Das heißt zwar auch, daß er kaum aufregende Neuigkeiten bietet, aber darum geht es auch gar nicht. Es geht um die herrlich großen Abbildungen, in denen man die Details studieren kann wie sonst nur über den Originalen, die oft so schwer zugänglich sind. Denn bei Leonardo verhält es sich genau andersherum als bei den meisten seiner Zeitgenossen: Es gibt von ihm viel mehr Zeichnungen als Gemälde. Das Malen war zwar der Beruf, den er bei Andrea del Verocchio gelernt hatte und in dem er es zu überragender Meisterschaft, zu einer bis dahin ungekannten Mischung aus Zartheit und Kraft gebracht hat - und damit auch dazu, daß eine so mitbestimmungsfreudige Auftraggeberin wie Isabella d'Este ihm Freiheiten ließ wie keinem anderen ihrer Hofkünstler: Er durfte malen, was er wollte; Hauptsache, er malte ihr überhaupt was.

Aber Leonardo malte immer weniger. Als Universalmensch hatte er viel zu viele andere Interessen, in denen er sich dann allerdings im Wortsinne und zu seinem eigenen Kummer so grandios verzettelte. Leonardo hatte als Naturwissenschaftler, Architekt, Bildhauer, Anatom, Kartograph, Militäringenieur (und was er sonst noch alles war) derart viele Dinge angefangen, daß es praktisch unmöglich war, sie auch zu Ende zu bringen. Es ist das allumfassendste Nonfinito der Kunstgeschichte, welches da jetzt in diesem Buch wie unter einem Vergrößerungsglas zu bewundern ist, ein genialer Kosmos aus Entwürfen, die ihrer Zeit in der Regel weit voraus waren und fast immer ins Herz der Dinge trafen. Von den Zentralbauentwürfen des Mannes, der nie etwas gebaut hat, bis zu seinen furiosen Reiterstandbildern, an die sich erst der Barock, Jahrhunderte später, heranwagen würde, kann man jetzt den Kosmos dieses unfaßbaren und unausdenklichen Rätselmenschen (wie Nietzsche ihn nannte) durchwandern und sich dabei über den durchgängig farbigen, sehr ordentlich gedruckten Abbildungen immer wieder wundern, was für ein bildtechnischer Ingenieur Leonardo in seinen Gemäldestudien war und was für ein empfindsamer Ästhet noch in den technischsten Zeichnungen.

PETER RICHTER

"Leonardo da Vinci - Sämtliche Gemälde und Zeichnungen". Text von Frank Zöllner. Taschen-Verlag. 696 Seiten. 150 Euro.

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