LEONCE. Mein Herr, was wollen Sie von mir? Mich auf meinen Beruf vorbereiten? Ich habe alle Hände voll zu tun, ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. ¿ Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein hier dreihundertfünfundsechzigmal hintereinander zu spucken. Haben Sie das noch nicht probiert? Tun Sie es, es gewährt eine ganz eigne Unterhaltung. Dann ¿ sehen Sie diese Handvoll Sand? Er nimmt Sand auf, wirft ihn in die Höhe und fängt ihn mit dem Rücken der Hand wieder auf. ¿ Jetzt werf ich sie in die Höhe. Wollen wir wetten? Wieviel Körnchen hab ich jetzt auf dem Handrücken? Grad oder ungrad? ¿ Wie? Sie wollen nicht wetten? Sind Sie ein Heide? Glauben Sie an Gott? Ich wette gewöhnlich mit mir selbst und kann es tagelang so treiben. Wenn Sie einen Menschen aufzutreiben wissen, der Lust hätte, manchmal mit mir zu wetten, so werden Sie mich sehr verbinden. Dann ¿ habe ich nachzudenken, wie es wohl angehn mag, daß ich mir auf den Kopf sehe. O, wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte! Das ist eins von meinen Idealen. Mir wäre geholfen. Und dann ¿ und dann noch unendlich viel der Art. ¿ Bin ich ein Müßiggänger? Habe ich jetzt keine Beschäftigung? ¿ Ja, es ist traurig ...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013Keuscher Kuss im Mondschein
Ist "Leonce und Lena" etwas für Kinder? Mit Lisbeth Zwerger und Jürg Amann schon.
Von Hubert Spiegel
Kinder wissen, was Langeweile ist: ein unbehaglicher Zustand, in dem man nichts mit sich anzufangen weiß. Minuten dehnen sich zu Stunden, und die Stunden fühlen sich an, als wären es ganze Tage. Man spürt die Leere als ein bleiernes Gewicht. Wie kann das sein? Was wiegt die Leere? Müsste sie sich nicht eigentlich ganz leicht anfühlen?
Das sind Leonce-Gedanken, die man haben kann, ohne Georg Büchners Stück "Leonce und Lena" zu kennen. Langeweile kann zu Melancholie führen und diese zu Überdruss und dieser wiederum zu Spott, Bitterkeit und Verzweiflung. Erst ist es nur Langeweile, dann ist es Weltschmerz. Erst nagt er nur, dann glaubt man, dass man daran sterben könnte. Erst ist es nur ein vages Interesse, dann die erste, die große, die einzige Liebe. Kinder kennen das, nur sind sie dann schon keine Kinder mehr. Aber erwachsen sind sie auch noch nicht.
Seitdem Georg Büchner 1836 sein Bühnenstück "Leonce und Lena" zu einem Preisausschreiben geschickt hat - allerdings zu spät, die Frist war abgelaufen, und Büchner erhielt sein Schreiben ungeöffnet zurück -, hat es viele Deutungen erfahren: ein Lustspiel in der Tradition der romantischen Komödie mit "bühnenwidrigem Mondscheinflimmern", eine Satire auf die Kleinstaaterei der Duodezfürstentümer, eine gesellschaftskritische Todeskomödie aus Anlass einer Fürstenhochzeit zwischen einem hessischen Thronfolger und einer bayerischen Prinzessin, die 1833 geschlossen wurde. Bei Büchner handelt es sich um die Märchenkönigreiche Popo und Pipi.
Prinz Leonce vom Reiche Popo und Prinzessin Lena vom Reiche Pipi sollen heiraten, haben einander aber noch nie gesehen. Beide flüchten, Leonce in Begleitung des Hofnarren Valerio, Lena zusammen mit ihrer Gouvernante. Es kommt zu einer zufälligen Begegnung, sie verlieben sich ineinander, ohne zu wissen, mit wem sie es zu tun haben. Ein keuscher Kuss im Mondschein auf Lenas geschlossene Augen erscheint Leonce als höchste Erfüllung: "Zu viel!, zu viel! Mein ganzes Sein ist in dem einen Augenblick. Mehr ist unmöglich." Er will sich umbringen, wird aber von Valerio daran gehindert, der das Paar an den Hof bringt, wo es unerkannt und stellvertretend für die als vermisst geltenden Brautleute verheiratet wird. Das Märchen nimmt ein gutes Ende.
Jetzt haben der in diesem Jahr verstorbene Schweizer Schriftsteller Jürg Amann und die Illustratorin Lisbeth Zwerger ein Kinderbuch daraus gemacht. Amann hat Büchners Stück einfühlsam gekürzt und bearbeitet, und Lisbeth Zwerger hat mit Marmorpapier und Buntpapieren aus dem neunzehnten Jahrhundert bezaubernde Collagen geschaffen. "Leonce und Lena", wie alle Stücke Büchners nicht leicht zu inszenieren, ist auf dem Theater häufig eine Enttäuschung. Lisbeth Zwergers Collagen wirken wie Bühnenbilder einer Inszenierung, die man gern gesehen hätte. Wie alt muss man sein, um all die Anspielungen und Wortspiele in diesem Stück zu verstehen? Und wie viel bleibt, wenn man sie nicht versteht? Eines sicherlich: die Leonce-und-Lena-Gedanken. Und das ist mehr als genug.
Georg Büchner: "Leonce und Lena."
Illustriert von Lisbeth Zwerger, bearbeitet von Jürg Amann. NordSüd Verlag, Zürich 2013. 64 S., geb., 19,95 [Euro]. Ab 7 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ist "Leonce und Lena" etwas für Kinder? Mit Lisbeth Zwerger und Jürg Amann schon.
Von Hubert Spiegel
Kinder wissen, was Langeweile ist: ein unbehaglicher Zustand, in dem man nichts mit sich anzufangen weiß. Minuten dehnen sich zu Stunden, und die Stunden fühlen sich an, als wären es ganze Tage. Man spürt die Leere als ein bleiernes Gewicht. Wie kann das sein? Was wiegt die Leere? Müsste sie sich nicht eigentlich ganz leicht anfühlen?
Das sind Leonce-Gedanken, die man haben kann, ohne Georg Büchners Stück "Leonce und Lena" zu kennen. Langeweile kann zu Melancholie führen und diese zu Überdruss und dieser wiederum zu Spott, Bitterkeit und Verzweiflung. Erst ist es nur Langeweile, dann ist es Weltschmerz. Erst nagt er nur, dann glaubt man, dass man daran sterben könnte. Erst ist es nur ein vages Interesse, dann die erste, die große, die einzige Liebe. Kinder kennen das, nur sind sie dann schon keine Kinder mehr. Aber erwachsen sind sie auch noch nicht.
Seitdem Georg Büchner 1836 sein Bühnenstück "Leonce und Lena" zu einem Preisausschreiben geschickt hat - allerdings zu spät, die Frist war abgelaufen, und Büchner erhielt sein Schreiben ungeöffnet zurück -, hat es viele Deutungen erfahren: ein Lustspiel in der Tradition der romantischen Komödie mit "bühnenwidrigem Mondscheinflimmern", eine Satire auf die Kleinstaaterei der Duodezfürstentümer, eine gesellschaftskritische Todeskomödie aus Anlass einer Fürstenhochzeit zwischen einem hessischen Thronfolger und einer bayerischen Prinzessin, die 1833 geschlossen wurde. Bei Büchner handelt es sich um die Märchenkönigreiche Popo und Pipi.
Prinz Leonce vom Reiche Popo und Prinzessin Lena vom Reiche Pipi sollen heiraten, haben einander aber noch nie gesehen. Beide flüchten, Leonce in Begleitung des Hofnarren Valerio, Lena zusammen mit ihrer Gouvernante. Es kommt zu einer zufälligen Begegnung, sie verlieben sich ineinander, ohne zu wissen, mit wem sie es zu tun haben. Ein keuscher Kuss im Mondschein auf Lenas geschlossene Augen erscheint Leonce als höchste Erfüllung: "Zu viel!, zu viel! Mein ganzes Sein ist in dem einen Augenblick. Mehr ist unmöglich." Er will sich umbringen, wird aber von Valerio daran gehindert, der das Paar an den Hof bringt, wo es unerkannt und stellvertretend für die als vermisst geltenden Brautleute verheiratet wird. Das Märchen nimmt ein gutes Ende.
Jetzt haben der in diesem Jahr verstorbene Schweizer Schriftsteller Jürg Amann und die Illustratorin Lisbeth Zwerger ein Kinderbuch daraus gemacht. Amann hat Büchners Stück einfühlsam gekürzt und bearbeitet, und Lisbeth Zwerger hat mit Marmorpapier und Buntpapieren aus dem neunzehnten Jahrhundert bezaubernde Collagen geschaffen. "Leonce und Lena", wie alle Stücke Büchners nicht leicht zu inszenieren, ist auf dem Theater häufig eine Enttäuschung. Lisbeth Zwergers Collagen wirken wie Bühnenbilder einer Inszenierung, die man gern gesehen hätte. Wie alt muss man sein, um all die Anspielungen und Wortspiele in diesem Stück zu verstehen? Und wie viel bleibt, wenn man sie nicht versteht? Eines sicherlich: die Leonce-und-Lena-Gedanken. Und das ist mehr als genug.
Georg Büchner: "Leonce und Lena."
Illustriert von Lisbeth Zwerger, bearbeitet von Jürg Amann. NordSüd Verlag, Zürich 2013. 64 S., geb., 19,95 [Euro]. Ab 7 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main