Lerche, eines der populärsten Bücher der mitteleuropäischen Moderne, spielt in wenigen Septembertagen des Jahres 1899 in einem ungarischen Provinznest namens Sárszeg. >>Lerche<<, eine junge Frau, die Vater und Mutter den Haushalt führt, wird zur Erholung aufs Land geschickt. Kaum ist sie fort, brechen die Eltern aus ihrem zurückgezogenen Leben aus: Sie essen im Restaurant, lassen sich zum Opernbesuch überreden. Der Vater, Archivar und Heraldiker, nimmt seine alte Leidenschaft, das Tarockspiel, wieder auf und kommt spätnachts betrunken nach Hause. Auch die Mutter leistet sich ihre kleinen Exzesse. Als der Zug, der Lerche zurückbringen soll, sich verspätet, werden die Eltern von maßloser Angst ergriffen. In einem kurzen Moment, dessen Ambivalenz der Freud-Leser Kosztolányi mit unvergleichlicher Subtilität gestaltet, überwältigt sie eine Ahnung, die zu schmerzhaft ist, um sich in Erkenntnis zu verwandeln.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2007Die doppelte Lerche
Ja, natürlich haben sie einander lieb, die Eltern und ihre unverheiratete Tochter, die sie zärtlich "Lerche" nennen. Und natürlich hält man zusammen in der ungarischen Kleinstadt Sárszeg, wo die drei sich eingerichtet haben, wo nichts Bemerkenswertes geschieht und wohin kein Lärm aus den aufgeregten Metropolen der vorletzten Jahrhundertwende dringt. Dann aber reist Lerche im Frühherbst 1899 für eine Woche zu Verwandten, und die trauernden Eltern hören irgendwann auf, sich um die Tochter zu sorgen, sie schütteln nach und nach die Erinnerung an das eiserne Regiment dieser ebenso reizlosen wie schwierigen Person ab. Und eines Abends, der Vater hat unerhörterweise einiges über den Durst getrunken, bricht es aus ihm heraus: "Wir lieben sie nicht. Wir hassen sie. Verabscheuen sie." Dezso Kosztolányis brillanten Roman "Lerche", erstmals 1924 erschienen und schon bald ins Deutsche übertragen, kann man seit diesem Herbst in gleich zwei neuen, wunderlicherweise beide von der "Hungarian Book Foundation" geförderten Übersetzungen lesen. Weil beide ihre Qualitäten haben und von großen Könnern herrühren, kann man nicht einmal dadurch eine Entscheidung für das eine oder andere Buch treffen. Lieber hielte man endlich im Zuge der Kosztolányi-Renaissance der letzten Jahre neben "Lerche" auch eine neuübersetzte Sammlung seiner Erzählungen jenseits von "Kornél Esti" oder auch seiner Gedichte und Kritiken in Händen. Und was ist mit den Feuilletons? (Dezso Kosztolányi, "Lerche". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Christina Viragh. Mit einem Nachwort von Péter Esterházy. Manesse Verlag, Zürich 2007. 304 S., geb., 17,90 [Euro]; "Lerche". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Heinrich Eisterer. Mit einem Nachwort von Ilma Rakusa. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 217 S., geb., 14,80 [Euro].) spre
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ja, natürlich haben sie einander lieb, die Eltern und ihre unverheiratete Tochter, die sie zärtlich "Lerche" nennen. Und natürlich hält man zusammen in der ungarischen Kleinstadt Sárszeg, wo die drei sich eingerichtet haben, wo nichts Bemerkenswertes geschieht und wohin kein Lärm aus den aufgeregten Metropolen der vorletzten Jahrhundertwende dringt. Dann aber reist Lerche im Frühherbst 1899 für eine Woche zu Verwandten, und die trauernden Eltern hören irgendwann auf, sich um die Tochter zu sorgen, sie schütteln nach und nach die Erinnerung an das eiserne Regiment dieser ebenso reizlosen wie schwierigen Person ab. Und eines Abends, der Vater hat unerhörterweise einiges über den Durst getrunken, bricht es aus ihm heraus: "Wir lieben sie nicht. Wir hassen sie. Verabscheuen sie." Dezso Kosztolányis brillanten Roman "Lerche", erstmals 1924 erschienen und schon bald ins Deutsche übertragen, kann man seit diesem Herbst in gleich zwei neuen, wunderlicherweise beide von der "Hungarian Book Foundation" geförderten Übersetzungen lesen. Weil beide ihre Qualitäten haben und von großen Könnern herrühren, kann man nicht einmal dadurch eine Entscheidung für das eine oder andere Buch treffen. Lieber hielte man endlich im Zuge der Kosztolányi-Renaissance der letzten Jahre neben "Lerche" auch eine neuübersetzte Sammlung seiner Erzählungen jenseits von "Kornél Esti" oder auch seiner Gedichte und Kritiken in Händen. Und was ist mit den Feuilletons? (Dezso Kosztolányi, "Lerche". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Christina Viragh. Mit einem Nachwort von Péter Esterházy. Manesse Verlag, Zürich 2007. 304 S., geb., 17,90 [Euro]; "Lerche". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Heinrich Eisterer. Mit einem Nachwort von Ilma Rakusa. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 217 S., geb., 14,80 [Euro].) spre
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Freudig begrüßt Christoph Bartmann den Roman "Lerche" des ungarischen Schriftstellers Dezsö Kosztolanyi, der nun in gleich zwei Neuausgaben, der von Manesse und der von Suhrkamp, vorliegt. Keine leichte Wahl findet Bartmann, hat man sich doch zu entscheiden zwischen der Übersetzung von Christina Viragh und der von Heinrich Eisterer sowie dem Nachwort von Peter Esterhazy und dem von Ilma Rakusa. Nach sorgfältiger Überprüfung kommt er zu dem Urteil, beide Ausgaben seien gleich gut, auch wenn er ausführlicher über Esterhazys erhellendes Nachwort berichtet. Wichtiger als die Wahl der Ausgabe scheint ihm allerdings, das Buch einfach zu lesen. Schließlich kann der Roman über das langweilige Leben in der ungarischen Kleinstadt Sarszeg in seinen Augen mühelos mit den "Klassikern der europäischen Moderne" konkurrieren. Sein Fazit: ein "herrliches Buch, ein subtiles, satirisches Gesellschaftsporträt aus einer Zeit, in der es noch eine Gesellschaft gab und die Literatur das privilegierte Medium war, sie zu erfassen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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