Michael Lermontow (1814-1841) starb wie sein Vorbild Puschkin jung im Duell. In nur 26 Lebensjahren hat Lermontow ein imposantes Werk geschaffen, neben Schauspielen und Verserzählungen auch den Roman "Ein Held unserer Zeit". Kern aber sind seine über 400 Gedichte. Menno Aden versammelt hier 95 dieser Gedichte im russischen Original, liefert eigene Versübersetzungen und stellt sie in einen geschichtlichen und literarischen Zusammenhang. Daüber hinaus wird der Lebensgang des Dichters und sein Umfeld ebenso wie sein Gesamtwerk beschrieben.Abschließend widmet Aden sich der Frage, ob Lermontow ein früh vollendeter oder ein unvollendete Dichter war. Dieses Buch folgt in Form und Inhalt dem in diesem Verlag 2019 erschienenen Werkes "Puschkin - Russland und sein erster Dichter", ebenfalls von Menno Aden verfasst. Beide Bücher werben für ein besseres Verständnis Russlands und seiner Kultur.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2021Lieben Sie Lermontow?
Sein Roman "Ein Held unserer Zeit" ist ein Eckpfeiler der russischen Literatur: Menno Aden jedoch porträtiert den russischen Dichter in dessen Poemen
Er war der James Dean der russischen Literatur: Michail Lermontow. Beide, der amerikanische Schauspieler wie der russische Schriftsteller, mussten früh den Tod ihrer Mütter verkraften und wuchsen, von den Vätern vernachlässigt, bei einer Großmutter auf. Bei Dean kam noch eine Tante hinzu, bei Lermontow war die Frau wohl recht tyrannisch. Beide starben auch jung, Lermontow 1841 mit 26 Jahren, Dean gar mit 24. Lermontow durch ein Duell, Dean durch einen Unfall, ein modernes Duell sozusagen. Für den Nachruhm sorgte einmal "Denn sie wissen nicht, was sie tun", das andere Mal "Ein Held unserer Zeit".
Noch 1998 hat der russische Schriftsteller Wladimir Makanin seinen Roman über den damaligen wilden Kapitalismus in seiner Heimat "Underground oder Ein Held unserer Zeit" genannt, in direkter Anlehnung an Lermontows Werk. Neben Alexander Puschkins Verserzählung "Eugen Onegin" und Iwan Gontscharows "Oblomow" ist Lermontows Buch ein Meilenstein in der Entwicklung des russischen Romans. Gleichzeitig wird vom Autor darin, in bester byronistischer Tradition, der "überflüssige Mensch" aus der Taufe gehoben, der intellektuelle, ebenso dandyhafte wie gelangweilte Zyniker.
Lermontow hat neben seinem "Helden" und der Verserzählung "Der Dämon" einige kleinere Schriften und rund vierhundert Gedichte verfasst. In diesen tritt der Typus des "überflüssigen Menschen" häufig als lyrisches Ich mit übergroßem Weltschmerz auf. Etwa ein Viertel dieser Gedichte hat Menno Aden nun übersetzt, ein guter Querschnitt, den er in einem Imprint der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft herausgebracht hat. Aden ist als Jurist und Politiker - CDU, AfD, nun parteilos - bekannt. Weniger bekannt ist seine Liebe zur Lyrik. Aus dem Russischen hat er bereits Gedichte Puschkins übersetzt, in die europäische Lyriktradition eingeordnet und ihnen kurze Anmerkungen beigegeben. Bei Lermontow verfährt Aden nun genauso. Die Ausgabe ist zweisprachig, ein kurzer biographischer Abriss, Gemälde und einige Gedichte Nikolai Stankewitschs runden sie ab - und katapultieren hinein ins Dilemma.
Denn was soll eine zweisprachige Ausgabe von Gedichten, bei der die beiden Sprachen einander nicht gegenüberstehen und deshalb nicht angemessen verglichen werden können? Ständig ist ein Zurückblättern nötig, das noch erschwert wird, weil aus einem Achtzeiler gern zwei Vierzeiler werden. Im Gedicht "Krieg" endet im Original eine Zeile völlig sinnfrei mit einem "e". Obwohl auf sie im Kommentar eingegangen wird, fällt Aden nicht auf, dass es dort "krowawoj mesti", "blutige Rache", heißen müsste. Etliche Tippfehler verstärken den Eindruck eines unlektorierten Werks.
Die Ausgabe zeigt auch, dass Lyrik Raum braucht. Teils sorgen die beigefügten Abbildungen dafür. Lermontow hat selbst gemalt, seine Bilder brauchen sich hinter denen Caspar David Friedrichs nicht zu verstecken. Bei dem - nach einem Friedrich-Bild benannten - Gedicht "Das Kreuz im Gebirge" will man sich vielleicht gern dem lyrischen Ich anschließen, das klagt: "Ach, könnte ich doch zu der Höhe gelangen, / um dort im Gebet mein Herz auszuweinen, / nichts hielte mich dann ans Leben gefangen, / ich würde als Bruder dem Sturm mich vereinen."
Doch Aden jagt allenthalben Kommentare und Verweise hinterher. "Etwas zu fühlen wie Marter oder Glück heißt, dass man lebendig ist." Oder zur Zensur: Sie "gilt gleichbedeutend mit Unterdrückung und Engstirnigkeit, was gewiss oft stimmt" (wann denn nicht?). Dann ein Verweis auf die katholische Kirche sowie das bundesdeutsche "Strafrecht (§ 130 StGB) und gesellschaftliche Kräfte, welche dessen Auslegung beeinflussen", womit "auch unter dem Grundgesetz gewisse Meinungsäußerungen" verboten sind. Doch wo der Finger auf den Straftatbestand der Volksverhetzung zeigt, fehlt der Blick ins Russland von heute.
Schön wird in Adens Buch Lermontows Kaukausus-Begeisterung herausgearbeitet, einmal übersetzerisch gut mit "Kaukasus, fernfremdes Land!", einmal eher fragwürdig mit "Heil Kaukasus" für: "Ich liebe den Kaukasus". Die Stelle ist schwierig zu transponieren, doch ist die cäsarische Anmutung wohl ebenso wenig der Dichtkunst letzter Schluss wie der Titel "Tschüss, du ungewaschnes Russland" eines anderen Lermontow-Werks.
Was Menno Aden in die Waagschale werfen kann, ist seine Kenntnis von Lyrik. Andere literarische Formen zitiert er weniger souverän. Der Liebe zur Lyrik gesellt Aden die Vorliebe zum Zitieren aus seinem eigenen Puschkin-Band hinzu, ansonsten verzichtet er weitgehend auf literaturwissenschaftliche Quellen. Ohne Kommentare hätte die Ausgabe also vermutlich gewonnen.
Und Lermontow, der Lyriker? "Für seinen Nachruhm, auf den Michail Lermontow so viele Gedanken verwendete, war sein frühes und romantisches Ende im Duell zweifellos dienlicher, als wenn er als General, Diplomat oder als reich verheirateter Gutsbesitzer seine Tage beschlossen hätte." Aber vielleicht war für Lermontows Nachruhm dienlicher noch sein Roman.
CHRISTIANE PÖHLMANN
Menno Aden: "Lermontow - Russlands unvollendeter Dichter". Gedichtübersetzungen.
Aus dem Russischen von Menno Aden. Wbg Academic, Darmstadt 2020. 268 S., Abb., geb., 40,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sein Roman "Ein Held unserer Zeit" ist ein Eckpfeiler der russischen Literatur: Menno Aden jedoch porträtiert den russischen Dichter in dessen Poemen
Er war der James Dean der russischen Literatur: Michail Lermontow. Beide, der amerikanische Schauspieler wie der russische Schriftsteller, mussten früh den Tod ihrer Mütter verkraften und wuchsen, von den Vätern vernachlässigt, bei einer Großmutter auf. Bei Dean kam noch eine Tante hinzu, bei Lermontow war die Frau wohl recht tyrannisch. Beide starben auch jung, Lermontow 1841 mit 26 Jahren, Dean gar mit 24. Lermontow durch ein Duell, Dean durch einen Unfall, ein modernes Duell sozusagen. Für den Nachruhm sorgte einmal "Denn sie wissen nicht, was sie tun", das andere Mal "Ein Held unserer Zeit".
Noch 1998 hat der russische Schriftsteller Wladimir Makanin seinen Roman über den damaligen wilden Kapitalismus in seiner Heimat "Underground oder Ein Held unserer Zeit" genannt, in direkter Anlehnung an Lermontows Werk. Neben Alexander Puschkins Verserzählung "Eugen Onegin" und Iwan Gontscharows "Oblomow" ist Lermontows Buch ein Meilenstein in der Entwicklung des russischen Romans. Gleichzeitig wird vom Autor darin, in bester byronistischer Tradition, der "überflüssige Mensch" aus der Taufe gehoben, der intellektuelle, ebenso dandyhafte wie gelangweilte Zyniker.
Lermontow hat neben seinem "Helden" und der Verserzählung "Der Dämon" einige kleinere Schriften und rund vierhundert Gedichte verfasst. In diesen tritt der Typus des "überflüssigen Menschen" häufig als lyrisches Ich mit übergroßem Weltschmerz auf. Etwa ein Viertel dieser Gedichte hat Menno Aden nun übersetzt, ein guter Querschnitt, den er in einem Imprint der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft herausgebracht hat. Aden ist als Jurist und Politiker - CDU, AfD, nun parteilos - bekannt. Weniger bekannt ist seine Liebe zur Lyrik. Aus dem Russischen hat er bereits Gedichte Puschkins übersetzt, in die europäische Lyriktradition eingeordnet und ihnen kurze Anmerkungen beigegeben. Bei Lermontow verfährt Aden nun genauso. Die Ausgabe ist zweisprachig, ein kurzer biographischer Abriss, Gemälde und einige Gedichte Nikolai Stankewitschs runden sie ab - und katapultieren hinein ins Dilemma.
Denn was soll eine zweisprachige Ausgabe von Gedichten, bei der die beiden Sprachen einander nicht gegenüberstehen und deshalb nicht angemessen verglichen werden können? Ständig ist ein Zurückblättern nötig, das noch erschwert wird, weil aus einem Achtzeiler gern zwei Vierzeiler werden. Im Gedicht "Krieg" endet im Original eine Zeile völlig sinnfrei mit einem "e". Obwohl auf sie im Kommentar eingegangen wird, fällt Aden nicht auf, dass es dort "krowawoj mesti", "blutige Rache", heißen müsste. Etliche Tippfehler verstärken den Eindruck eines unlektorierten Werks.
Die Ausgabe zeigt auch, dass Lyrik Raum braucht. Teils sorgen die beigefügten Abbildungen dafür. Lermontow hat selbst gemalt, seine Bilder brauchen sich hinter denen Caspar David Friedrichs nicht zu verstecken. Bei dem - nach einem Friedrich-Bild benannten - Gedicht "Das Kreuz im Gebirge" will man sich vielleicht gern dem lyrischen Ich anschließen, das klagt: "Ach, könnte ich doch zu der Höhe gelangen, / um dort im Gebet mein Herz auszuweinen, / nichts hielte mich dann ans Leben gefangen, / ich würde als Bruder dem Sturm mich vereinen."
Doch Aden jagt allenthalben Kommentare und Verweise hinterher. "Etwas zu fühlen wie Marter oder Glück heißt, dass man lebendig ist." Oder zur Zensur: Sie "gilt gleichbedeutend mit Unterdrückung und Engstirnigkeit, was gewiss oft stimmt" (wann denn nicht?). Dann ein Verweis auf die katholische Kirche sowie das bundesdeutsche "Strafrecht (§ 130 StGB) und gesellschaftliche Kräfte, welche dessen Auslegung beeinflussen", womit "auch unter dem Grundgesetz gewisse Meinungsäußerungen" verboten sind. Doch wo der Finger auf den Straftatbestand der Volksverhetzung zeigt, fehlt der Blick ins Russland von heute.
Schön wird in Adens Buch Lermontows Kaukausus-Begeisterung herausgearbeitet, einmal übersetzerisch gut mit "Kaukasus, fernfremdes Land!", einmal eher fragwürdig mit "Heil Kaukasus" für: "Ich liebe den Kaukasus". Die Stelle ist schwierig zu transponieren, doch ist die cäsarische Anmutung wohl ebenso wenig der Dichtkunst letzter Schluss wie der Titel "Tschüss, du ungewaschnes Russland" eines anderen Lermontow-Werks.
Was Menno Aden in die Waagschale werfen kann, ist seine Kenntnis von Lyrik. Andere literarische Formen zitiert er weniger souverän. Der Liebe zur Lyrik gesellt Aden die Vorliebe zum Zitieren aus seinem eigenen Puschkin-Band hinzu, ansonsten verzichtet er weitgehend auf literaturwissenschaftliche Quellen. Ohne Kommentare hätte die Ausgabe also vermutlich gewonnen.
Und Lermontow, der Lyriker? "Für seinen Nachruhm, auf den Michail Lermontow so viele Gedanken verwendete, war sein frühes und romantisches Ende im Duell zweifellos dienlicher, als wenn er als General, Diplomat oder als reich verheirateter Gutsbesitzer seine Tage beschlossen hätte." Aber vielleicht war für Lermontows Nachruhm dienlicher noch sein Roman.
CHRISTIANE PÖHLMANN
Menno Aden: "Lermontow - Russlands unvollendeter Dichter". Gedichtübersetzungen.
Aus dem Russischen von Menno Aden. Wbg Academic, Darmstadt 2020. 268 S., Abb., geb., 40,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Statt der zweisprachigen, von Menno Aden besorgten Ausgabe mit Übersetzungen der Gedichte Lermontows, liest Rezensentin Christiane Pöhlmann lieber dessen Roman "Ein Held unserer Zeit". Lermontows Nachruhm sieht sie darin stärker befestigt als im Weltschmerz des lyrischen Ichs. Vor allem aber geht ihr der Kommentar- und Verweis-Furor des Herausgebers und Übersetzers auf die Nerven, der den Texten zu wenig Raum lässt, wie sie findet. Hinzu kommen Tippfehler und fragwürdige Übersetzungsentscheidungen. Adens Kenntnisse in Ehren, meint Pöhlmann, aber ohne Kommentare stünde die Ausgabe besser dar, glaubt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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