In Frankreich ist den Köchen vergönnt, was in anderen Nationen Generälen vorbehalten bleibt: Sie werden mit Sternen ausgezeichnet, zu ihren Ehren werden Museen eingerichtet, und sie schreiben Geschichte. Die bedeutendsten dieser Helden der Grande Nation sind in Karl Heinz Götzes kulinarischem Kompendium kennenzulernen: eigenwillige, geniale und exzentrische Patriarchen die einen, feinsinnige Künstler von höchsten Gnaden die anderen. Ein Koch kocht so, wie er ist, sagt Karl Heinz Götze, und deshalb sind es in der Regel nur die profiliertesten Persönlichkeiten, die sich die glanzvollen drei Michelin-Sterne erkochen. Wie diese Meister ihres Fachs mit Unbeirrbarkeit, kompromißlosem Qualitätsanspruch und dem unbedingten Willen, etwas Neues, Anderes zu schaffen, zum Erfolg gekommen sind und was das ganz Besondere und Individuelle ihrer Kunst ausmacht, wird in Karl Heinz Götzes geschliffenen Porträts buchstäblich sinnfällig. Hier schreibt kein beckmesserischer Restaurantkritiker, sondern ein er, der mit Leidenschaft und Vergnügen bei der Sache ist, weil er liebt, worüber er schreibt. Les Chefs ist eine Kulturgeschichte Frankreichs der anderen Art, eine "Gastrohistoire", deren Ströme und Strömungen sich zuweilen mit denen der Zeitgeschichte kreuzen. Der Weg vom Credo des legendären Fernand Point - "Butter! Gebt mir Butter und nochmals Butter!" - über den Stil der Brüder Troisgros, "derentwegen zehn Jahre lang der Lachs nur mit Sauerampfer gegessen werden durfte", über Paul Bocuse, Alain Ducasse, Michel Guerard und ihresgleichen bis hin zur eigenwilligen Kräuterküche eines ökonomischen Hasardeurs und Autodidakten wie Marc Veyrat spiegelt auf anregende Weise den Wandel von Geschmack und Gesellschaft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.1999Küche
"Les Chefs - die großen französischen Köche des zwanzigsten Jahrhunderts" von Karl Heinz Götze. Fischer Verlag, Frankfurt 1999. 367 Seiten. Gebunden, 48 Mark. ISBN 3-10-026522-X.
Das Heil der Menschheit war für Nietzsche eine Frage der Ernährung, und den deutschen Geist sah der Denker, der sich zeit seines Lebens über die miserable Eßkultur in seiner Heimat beklagte, "aus betrübten Eingeweiden" emporsteigen. Man weiß, wie Nietzsche endete. In Frankreich wäre ihm das nicht passiert. Dort gibt es an den Schulen Geschmacksunterricht, dort wird die Verleihung eines dritten Michelin-Sterns in den Abendnachrichten verkündet, und dort meint man es ernst mit Auguste Escoffiers Apodiktum, daß "die Kochkunst unsere Nationalkunst" sei. Die wahren Volkshelden in diesem wunderbaren Land sind denn auch nicht etwa Fußballspieler oder Aktricen aus Vorabendserien, sondern die Stars der Küche. Warum das so ist, wie die "chefs" zu Fixsternen für jede Hausfrau geworden sind und was sich hinter den schillernden Namen wie Ducasse, Troisgros, Guérard oder Haeberlin verbirgt, zeigt Karl Heinz Götze in seinen präzisen, subtilen Porträts, die nichts mit der plappernden Belanglosigkeit der üblichen Küchenliteratur gemein haben. Dabei zeigt sich, daß diese Männer, die sich am Herd um Wohl und Wehe der Menschheit kümmern, interessanter sind als viele der Persönlichkeiten, über die man in Deutschland sonst so gerne Bücher schreibt. Der kolossale Fernand Point ist darunter, das Fleisch gewordene, täglich sechs Flaschen Champagner trinkende Monument des "savoir vivre", der stille Revolutionär Alain Chapel, der große Kommunikator Paul Bocuse, der kalte Analytiker Alain Senderens oder der perfektionistische Tyrann Joël Robuchon. Derart brillant ist der Olymp der französischen Küche selten beschrieben worden. So verschlingt man dieses Buch mit einem unbändigen Appetit, den die "chefs" in ihren Häusern wohl für unangebracht hielten. (str.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Les Chefs - die großen französischen Köche des zwanzigsten Jahrhunderts" von Karl Heinz Götze. Fischer Verlag, Frankfurt 1999. 367 Seiten. Gebunden, 48 Mark. ISBN 3-10-026522-X.
Das Heil der Menschheit war für Nietzsche eine Frage der Ernährung, und den deutschen Geist sah der Denker, der sich zeit seines Lebens über die miserable Eßkultur in seiner Heimat beklagte, "aus betrübten Eingeweiden" emporsteigen. Man weiß, wie Nietzsche endete. In Frankreich wäre ihm das nicht passiert. Dort gibt es an den Schulen Geschmacksunterricht, dort wird die Verleihung eines dritten Michelin-Sterns in den Abendnachrichten verkündet, und dort meint man es ernst mit Auguste Escoffiers Apodiktum, daß "die Kochkunst unsere Nationalkunst" sei. Die wahren Volkshelden in diesem wunderbaren Land sind denn auch nicht etwa Fußballspieler oder Aktricen aus Vorabendserien, sondern die Stars der Küche. Warum das so ist, wie die "chefs" zu Fixsternen für jede Hausfrau geworden sind und was sich hinter den schillernden Namen wie Ducasse, Troisgros, Guérard oder Haeberlin verbirgt, zeigt Karl Heinz Götze in seinen präzisen, subtilen Porträts, die nichts mit der plappernden Belanglosigkeit der üblichen Küchenliteratur gemein haben. Dabei zeigt sich, daß diese Männer, die sich am Herd um Wohl und Wehe der Menschheit kümmern, interessanter sind als viele der Persönlichkeiten, über die man in Deutschland sonst so gerne Bücher schreibt. Der kolossale Fernand Point ist darunter, das Fleisch gewordene, täglich sechs Flaschen Champagner trinkende Monument des "savoir vivre", der stille Revolutionär Alain Chapel, der große Kommunikator Paul Bocuse, der kalte Analytiker Alain Senderens oder der perfektionistische Tyrann Joël Robuchon. Derart brillant ist der Olymp der französischen Küche selten beschrieben worden. So verschlingt man dieses Buch mit einem unbändigen Appetit, den die "chefs" in ihren Häusern wohl für unangebracht hielten. (str.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main