Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2011Sie wurde nicht die Frau des Lebens, sondern zur Gefährtin für die Ewigkeit
Gerücht und Schicksal: In Frankreich sorgte Laurent Seksiks Roman "Vorgefühl der nahen Nacht" für Aufsehen. Er beschwört die letzten Monate im Leben von Stefan Zweig und seiner Frau Lotte.
Am allgemeinen Interesse für den dokumentarischen Mehrwert eines Romans lässt sich die Fiktionsmüdigkeit einer Epoche ablesen. Derzeit ist sie hoch, Romane über Schriftsteller haben Konjunktur. Ein Buch über "die letzten Tage von Stefan Zweig" - so der französische Originaltitel - verspricht besonders viel: brasilianische Exotik, nationalsozialistische Hölle in Europa, Verzweiflung und Selbstmord eines literarischen Weltstars zusammen mit seiner Frau.
Der 1962 geborene Autor Laurent Seksik, der mit diesem Roman, seinem vierten, in Frankreich vor einem Jahr Aufsehen erregte, versteht diese Effekte geschickt zu nutzen - vielleicht zu geschickt. Insofern stellt er sich in die Nachfolge seines Helden Stefan Zweig. Die zierlichen Schnürfäden erzählen mit, wie das Buch aus Angelesenem und Hineinphantasiertem verwoben ist, und scheinen bei jedem Szenenwechsel zu suggerieren: War das nicht elegant? Überzeugend ist das Buch in der Einfühlung in die Figur Stefan Zweigs und dessen Frau Lotte, viel weniger hingegen in dem, worauf es hinaus will. Der französische Titel wäre ehrlicher gewesen. Eher als einen Roman haben wir ein Feature vor uns.
Lederkoffer, Bücherauspacken: was sonst? Der Autor weiß, wie man eine Emigrantengeschichte anfängt. Nach jahrelangem Irren in England und New York hat das Paar Zweig in Petrópolis bei Rio de Janeiro 1941 endlich eine Bleibe gefunden. Dem geöffneten Bücherkoffer kann der letzte Hauch von der Aura des1934 verlassenen Anwesens auf dem Kapuzinerberg in Salzburg und der Wiener Jahrhundertwende entsteigen - auch wenn die mitgenommenen Bücher dann nur zwei Regalreihen füllen. Ermüdet und wohl auch entmutigt zieht der Schriftsteller sich nach dem Auspacken ins Schlafzimmer zurück, wo Lotte ihn aufs Bett sinken hört. Dann ist Stille. Gegen die schlimmen Visionen von den über Europa herfallenden Nationalsozialisten bauen die Bücher im Wachtraum des Schriftstellers sich als Bollwerk auf. Im Wechsel zwischen Realsituation und Phantasmagorien des schlaflos gewordenen Zweig, die ein Gespräch mit Joseph Roth, eine postume Begegnung mit der eigenen Mutter, den Einmarsch der Nationalsozialisten in Rio einschließen, und im Wechsel auch zwischen Stefans und Lottes Erfahrungsperspektive nimmt der Roman dann seinen Fortgang.
Die dreißig Jahre jüngere Lotte leidet unter ihren Asthmaanfällen und unter ihrer Eifersucht auf Stefan Zweigs erster Frau Friderike. Dem an der Autobiographie arbeitenden Schriftsteller geht diese Letztere nicht aus dem Sinn. Lottes Profil ist mit szenischen Realitätstupfern reizvoll skizziert - wäre sie bloß nicht so eine Heulsuse. Einmal nur lehnt sie sich innerlich gegen ihren Mann auf: "Verflucht sei er, und verflucht sei sein Name", entfährt es ihr, nachdem Stefan Zweig auf die Nachricht vom Eintritt Amerikas in den Krieg nicht aufjauchzt wie sie, sondern in seinem Trübsinn verharrt - weil er auch Nachricht hat, was mit den Juden in Europa geschieht. Zur Darstellung des Schriftstellers Stefan Zweig schöpft der Autor Seksik aus dem Vollen: Schaffenskrise bei der "Balzac"-Biographie, Gespräche über Literatur mit dem Berliner Journalisten Ernst Feder, ein Besuch bei Georges Bernanos in der brasilianischen Pampa.
Was zu Beginn anregend wirkt, nutzt sich im Fortgang der Kapitel aber schnell ab in impressionistischer Beliebigkeit. Die inneren wie die gesprochenen Monologe sind zu lang, die Anspielungen auf Zweigs Werke und auf die einschlägigen Stellen der deutschen Literatur zu vordergründig, die Klischees zu üppig. "Die Copacabana ist der schönste Ort der Welt", kann der Taxifahrer sich nicht verkneifen zu sagen. Die klugen Bemerkungen Ernst Feders über Zweigs Erzählstil als psychoanalytische Vollendung der Form der Rahmenerzählung fallen natürlich beim Schachspiel und enden mit dem Ausruf: "Schachmatt!" Folgerichtig klingt der Roman im Echo auf Zweigs Kleist-Essay mit einem anderen Doppelselbstmord aus. Lotte wird zur Widergängerin Henriette Vogels: Ist sie nicht die Frau des Lebens, so doch die Gefährtin für die Ewigkeit. Und schon wieder quillt es ihr beim Lesen des Kleist-Essays wie Sturzbäche aus den Augen.
Trotz Feingefühl der Übersetzerin sträubt die deutsche Sprache sich stärker als die französische gegen die Wortgirlanden aus Fakten und Einfühlung. Die Wiederholungen wirken spröde, Zweigs Selbstkommentare zwischen Nietzsche und Montaigne etwas bemüht, die französische Wien- und Mitteleuropa-Faszination, die hinter diesem Buch steht, verkrustet. Er habe nie ein ganzes Leben erzählen können, immer nur Abschnitte am Rand des Abgrunds, hält Stefan Zweig bei Seksik sich selbst vor. In den sechs Kapiteln dieses Buchs kreist die Figur in den sechs letzten Lebensmonaten trübsinnig-elegant um sich selbst und versinkt statt in einem Schicksal in ihrem eigenen Gerücht.
JOSEPH HANIMANN
Laurent Seksik: "Vorgefühl der nahen Nacht". Roman.
Aus dem Französischen von Hanna van Laak. Karl Blessing Verlag, München 2011. 240 S., geb.,18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerücht und Schicksal: In Frankreich sorgte Laurent Seksiks Roman "Vorgefühl der nahen Nacht" für Aufsehen. Er beschwört die letzten Monate im Leben von Stefan Zweig und seiner Frau Lotte.
Am allgemeinen Interesse für den dokumentarischen Mehrwert eines Romans lässt sich die Fiktionsmüdigkeit einer Epoche ablesen. Derzeit ist sie hoch, Romane über Schriftsteller haben Konjunktur. Ein Buch über "die letzten Tage von Stefan Zweig" - so der französische Originaltitel - verspricht besonders viel: brasilianische Exotik, nationalsozialistische Hölle in Europa, Verzweiflung und Selbstmord eines literarischen Weltstars zusammen mit seiner Frau.
Der 1962 geborene Autor Laurent Seksik, der mit diesem Roman, seinem vierten, in Frankreich vor einem Jahr Aufsehen erregte, versteht diese Effekte geschickt zu nutzen - vielleicht zu geschickt. Insofern stellt er sich in die Nachfolge seines Helden Stefan Zweig. Die zierlichen Schnürfäden erzählen mit, wie das Buch aus Angelesenem und Hineinphantasiertem verwoben ist, und scheinen bei jedem Szenenwechsel zu suggerieren: War das nicht elegant? Überzeugend ist das Buch in der Einfühlung in die Figur Stefan Zweigs und dessen Frau Lotte, viel weniger hingegen in dem, worauf es hinaus will. Der französische Titel wäre ehrlicher gewesen. Eher als einen Roman haben wir ein Feature vor uns.
Lederkoffer, Bücherauspacken: was sonst? Der Autor weiß, wie man eine Emigrantengeschichte anfängt. Nach jahrelangem Irren in England und New York hat das Paar Zweig in Petrópolis bei Rio de Janeiro 1941 endlich eine Bleibe gefunden. Dem geöffneten Bücherkoffer kann der letzte Hauch von der Aura des1934 verlassenen Anwesens auf dem Kapuzinerberg in Salzburg und der Wiener Jahrhundertwende entsteigen - auch wenn die mitgenommenen Bücher dann nur zwei Regalreihen füllen. Ermüdet und wohl auch entmutigt zieht der Schriftsteller sich nach dem Auspacken ins Schlafzimmer zurück, wo Lotte ihn aufs Bett sinken hört. Dann ist Stille. Gegen die schlimmen Visionen von den über Europa herfallenden Nationalsozialisten bauen die Bücher im Wachtraum des Schriftstellers sich als Bollwerk auf. Im Wechsel zwischen Realsituation und Phantasmagorien des schlaflos gewordenen Zweig, die ein Gespräch mit Joseph Roth, eine postume Begegnung mit der eigenen Mutter, den Einmarsch der Nationalsozialisten in Rio einschließen, und im Wechsel auch zwischen Stefans und Lottes Erfahrungsperspektive nimmt der Roman dann seinen Fortgang.
Die dreißig Jahre jüngere Lotte leidet unter ihren Asthmaanfällen und unter ihrer Eifersucht auf Stefan Zweigs erster Frau Friderike. Dem an der Autobiographie arbeitenden Schriftsteller geht diese Letztere nicht aus dem Sinn. Lottes Profil ist mit szenischen Realitätstupfern reizvoll skizziert - wäre sie bloß nicht so eine Heulsuse. Einmal nur lehnt sie sich innerlich gegen ihren Mann auf: "Verflucht sei er, und verflucht sei sein Name", entfährt es ihr, nachdem Stefan Zweig auf die Nachricht vom Eintritt Amerikas in den Krieg nicht aufjauchzt wie sie, sondern in seinem Trübsinn verharrt - weil er auch Nachricht hat, was mit den Juden in Europa geschieht. Zur Darstellung des Schriftstellers Stefan Zweig schöpft der Autor Seksik aus dem Vollen: Schaffenskrise bei der "Balzac"-Biographie, Gespräche über Literatur mit dem Berliner Journalisten Ernst Feder, ein Besuch bei Georges Bernanos in der brasilianischen Pampa.
Was zu Beginn anregend wirkt, nutzt sich im Fortgang der Kapitel aber schnell ab in impressionistischer Beliebigkeit. Die inneren wie die gesprochenen Monologe sind zu lang, die Anspielungen auf Zweigs Werke und auf die einschlägigen Stellen der deutschen Literatur zu vordergründig, die Klischees zu üppig. "Die Copacabana ist der schönste Ort der Welt", kann der Taxifahrer sich nicht verkneifen zu sagen. Die klugen Bemerkungen Ernst Feders über Zweigs Erzählstil als psychoanalytische Vollendung der Form der Rahmenerzählung fallen natürlich beim Schachspiel und enden mit dem Ausruf: "Schachmatt!" Folgerichtig klingt der Roman im Echo auf Zweigs Kleist-Essay mit einem anderen Doppelselbstmord aus. Lotte wird zur Widergängerin Henriette Vogels: Ist sie nicht die Frau des Lebens, so doch die Gefährtin für die Ewigkeit. Und schon wieder quillt es ihr beim Lesen des Kleist-Essays wie Sturzbäche aus den Augen.
Trotz Feingefühl der Übersetzerin sträubt die deutsche Sprache sich stärker als die französische gegen die Wortgirlanden aus Fakten und Einfühlung. Die Wiederholungen wirken spröde, Zweigs Selbstkommentare zwischen Nietzsche und Montaigne etwas bemüht, die französische Wien- und Mitteleuropa-Faszination, die hinter diesem Buch steht, verkrustet. Er habe nie ein ganzes Leben erzählen können, immer nur Abschnitte am Rand des Abgrunds, hält Stefan Zweig bei Seksik sich selbst vor. In den sechs Kapiteln dieses Buchs kreist die Figur in den sechs letzten Lebensmonaten trübsinnig-elegant um sich selbst und versinkt statt in einem Schicksal in ihrem eigenen Gerücht.
JOSEPH HANIMANN
Laurent Seksik: "Vorgefühl der nahen Nacht". Roman.
Aus dem Französischen von Hanna van Laak. Karl Blessing Verlag, München 2011. 240 S., geb.,18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main