Les Fleurs du Mal - Die Blumen des Bösen von Charles Baudelaire, dem bedeutendsten Dichter Frankreichs, ist ein Werk, das die europäische Lyrik nachhaltig geprägt hat.
Bei seinem Erscheinen 1857 in Frankreich sorgte der Gedichtzyklus für einen riesigen Skandal, wurde mehrfach verboten und verbrannt. Doch gerade dadurch wurde er zu einem zentralen Text der Moderne. Baudelaire analysiert in den "Blumen des Bösen" schonungslos das Dämonische, das an der Wurzel jeder existentiellen Erfahrung lauert. Mit ihrer Sprachmagie, ihren Exorzismen der Verzweiflung, ihrer Ästhetisierung des Makabren, Bizarren und Morbiden sowie ihrer gewagten Erotik markieren die Gedichte einen Höhe- und Wendepunkt der französischen Dichtung. Formal noch der Verskunst des Klassizismus und der Romantik verpflichtet, sprengen und überschreiten sie inhaltlich deren Modelle und erschließen völlig neue psychologische und soziologische Dimensionen.
Diese zweisprachige Neuübersetzung anlässlich des150. Todestages von Charles Baudelaire macht das bahnbrechende Werk einem breiten deutschsprachigen Publikum zugänglich.
Bei seinem Erscheinen 1857 in Frankreich sorgte der Gedichtzyklus für einen riesigen Skandal, wurde mehrfach verboten und verbrannt. Doch gerade dadurch wurde er zu einem zentralen Text der Moderne. Baudelaire analysiert in den "Blumen des Bösen" schonungslos das Dämonische, das an der Wurzel jeder existentiellen Erfahrung lauert. Mit ihrer Sprachmagie, ihren Exorzismen der Verzweiflung, ihrer Ästhetisierung des Makabren, Bizarren und Morbiden sowie ihrer gewagten Erotik markieren die Gedichte einen Höhe- und Wendepunkt der französischen Dichtung. Formal noch der Verskunst des Klassizismus und der Romantik verpflichtet, sprengen und überschreiten sie inhaltlich deren Modelle und erschließen völlig neue psychologische und soziologische Dimensionen.
Diese zweisprachige Neuübersetzung anlässlich des150. Todestages von Charles Baudelaire macht das bahnbrechende Werk einem breiten deutschsprachigen Publikum zugänglich.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.08.2017Ruhm, Satan, dir und Preis
Charles Baudelaire hielt die einstige Schönheit im Augenblick ihres Untergangs fest. Simon Werle hat nun den Zyklus „Les Fleurs du Mal“ neu übersetzt
Gedichte sprechen, wie man im Umgang mit Menschen nicht sprechen kann, in Versen. Sie sprechen von Leidenschaften, die sonst der Diskretion unterliegen, von der Liebe, der Verzweiflung. Einen Schritt weiter gehen die Gedichte Baudelaires, sie sprechen, wie schon der Titel „Les Fleurs du Mal“ ankündigt, von ästhetisch und moralisch verwerflichen Dingen, vom Anblick des Widerlichen oder von den Ekstasen der Wollust, selbst der zwischen Frauen. Als der Band 1857 erschien, kam sein Autor sogleich vor Gericht, das ihn zu einer Geldstrafe verurteilte und sechs der Texte verbot. Zwar gewinnt, wer das Journal der Brüder Goncourt aus diesen Jahren liest, den Eindruck, dass sämtliche Spielarten der Sexualität zur Unterhaltung der Pariser Gesellschaft dienten. Doch wenigstens die Poesie sollte das Gute, Schöne, Wahre feiern, das in der Welt nicht zu finden war.
Dieser gutbürgerlichen Erwartung genügten „Die Blumen des Bösen“ nicht. Ihr Dichter scheut sich nicht, Satan inniger noch als Gott anzubeten: „Ruhm, Satan, dir und Preis dort in dem hohen Rund/ Des Himmels, wo du herrschtest, und im tiefen Schlund/ Der Hölle, wo du überwunden träumst in Schweigen!“ In Satan sieht der gläubige Katholik Baudelaire das vergrößerte Spiegelbild des verfluchten Dichters, des „poète maudit“, der vor der hässlichen Gegenwart die Augen nicht verschließt und die verlorene Schönheit allein in der rhetorischen Sprache und dem klassischen Metrum seiner Gedichte wiederherzustellen versucht. Was die Lyrik aus ihrem Reservoir von Themen ausgeschlossen hatte – die Alten, Kranken, Bettler, Kadaver, das Rauschgift, den Lärm der Großstadt –, fasst Baudelaire in zu seiner Zeit längst abgetane Formen, das Sonett mit Vorliebe und den Alexandrinervers. Am Fortschrittsprogramm des 19. Jahrhunderts nimmt er nur die Verluste wahr, die Zerstörung des alten Paris, das Verschwinden des träumerischen Müßiggangs, der Schönheit, die der Dichter im Augenblick ihres Untergangs festhalten möchte.
Baudelaire ist Nachfahr der deutschen Romantik und Vorfahr der deutschen Moderne, Richard Wagner eines seiner Leitbilder. Stefan George, Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler, Georg Trakl, fast alle, die um 1900 eine neue Sprache für die deutsche Dichtung suchten, haben aus den „Fleurs du Mal“ gelernt. Die Übersetzungen von Stefan George, Wolf von Kalckreuth, Walter Benjamin und Wilhelm Hausenstein bis zu Carlo Schmid und Friedhelm Kemp gehören zur Geschichte der deutschen Lyrik. Eine neue Übersetzung des Zyklus lädt sich nicht nur die schwere Aufgabe auf, seine Bilderflut aus Mythos, Religion, Erotik, Traum und Fantasie wiederzugeben. Sie muss auch den Vergleich mit jenen Nachdichtungen aushalten, die seit Langem gerühmt und getadelt werden. Die Vielzahl der Versuche zeigt, dass jede das Bedürfnis geweckt hat, es besser zu treffen.
Soll eine Übersetzung der „Fleurs du Mal“ ihre poetische Form, Metrum also und Reim, bewahren oder sich, wie heute üblich, zumal in zweisprachigen Ausgaben, mit der bequemeren Prosa begnügen? Simon Werle hat sich für das ältere, schwierigere Vorgehen entschieden, obwohl die aktuelle Lyrik den Vers fast verlernt hat. Jüngere Autoren allerdings, wie Jan Wagner oder Marion Poschmann, wagen es, ihn, hinter Assonanzen halb verdeckt, wieder einzuschmuggeln.
Die Kosten der Entscheidung, die vorgegebene Form zu retten und dafür manche Genauigkeit der Bedeutung zu opfern, machen sich bereits an den ersten Zeilen von Werles Übertragung bemerkbar. „Au lecteur“ lautet die Überschrift des Eingangsgedichts. Werle bildet sie mit gleicher Silbenzahl nach: „Dem Leser“, als sollte dieser ein Geschenk erhalten. Die korrekte Übersetzung hätte eine Silbe mehr benötigt, „An den Leser“, Anrede, wie sie viele Gedichte verwenden. Der Schluss des Gedichts nimmt sie ausdrücklich wieder auf: „Du heuchlerischer Leser, du mein Bruder, mir so gleichend!“ Der erste Vers des Gedichts an den Leser, „La sottise, l’erreur, le péché, la lésine“ ließe sich in schlichter, gehorsamer Prosa wiedergeben: „Die Dummheit, der Irrtum, die Sünde, der Geiz“. Der Alexandriner, den Werle bildet, „Der Sünde, Blindheit, Dummheit, Knauserei Gebresten“ bringt die Ordnung der wie apokalyptische Reiter daherkommenden Begriffe durcheinander. Baudelaire folgt hier der katholischen Theologie: Was mit den Einbußen der Erkenntnis beginnt, mit Dummheit und Irrtum, endet bei den Vorstufen der Verdammnis, bei Sünde und Todsünde. „Gebresten“, dem Reim auf „mästen“ entgegenstrebend, ist für diese unerbittliche Logik der Höllenstrafe ein allzu schonungsvoller Ausdruck.
Werles kluges Nachwort unterrichtet den Leser über die unterschiedliche Bedeutung des Reims in der französischen und in der deutschen Verskunst. Im Französischen bietet er sich leicht, zu leicht, an. Er gibt sich mit Nachsilben wie in „tapage“ und „carnage“ oder in „guerrière“ und „meutrière“ zufrieden. Im Deutschen ist er schwerer zu finden, da betonte Stammsilben übereinstimmen müssen. Deshalb berührt der Reim ein französisches Ohr nur schwach, ein deutsches lässt er aufhorchen. Gerade die genaue Beachtung der formalen Regeln führt bei der Übertragung unvermeidlich zu einer ästhetischen Diskrepanz. Unter den früheren Übersetzungen der „Blumen des Bösen“ rühmt Werle zu Recht besonders die Wolf von Kalckreuths, die 1907 im Todesjahr des Neunzehnjährigen, erschien. Kalckreuth schwächte das Problem der aufdringlichen Reime ab, indem er viel gebrauchte, blasse den exquisiten vorzog. So reimt er in der letzten Strophe der „Reise“ die Wörter „trinken – Geist – sinken – beweist“, damit sich die Aufmerksamkeit nicht auf das Ende der Verszeile konzentriert. Werle streut Assonanzen und unreine Reime ein – in derselben Strophe: „Zügen – versengt – liegen – schenkt“ –, um der Monotonie des Gleichklangs zu entgehen. Zugleich verschafft ihm der Verzicht auf den exakten Reim größere Freiheit bei der Suche nach dem passenden Wort.
Könnte es nicht eine Ausgabe der „Blumen des Bösen“ geben, die zu jedem Gedicht die jeweils beste Übersetzung auswählte? Viele Beiträge würden von Simon Werle stammen. Seine Übertragung schreckt nicht vor den grellen, Himmel und Hölle bewegenden Bildern der „Fleurs du Mal“ zurück. Lieber übertreibt er das Befremdliche an Baudelaires Lyrik, als es abzuschwächen: Der Abgrund, „où mon cœur est tombé“, wird so zum „Schlund, in den mein Herz fiel tiefen Fall.“ Den wilden, romantischen, manchmal kitschigen Vorstellungen, die Baudelaire sich gestatten durfte, weil er sie der Herrschaft strenger Form unterwarf, hat keine andere Übersetzung so nachgegeben wie die neueste.
Oft gelingt es ihr, alle Hindernisse, die bei einer Übersetzung zwischen Form und Sinn des Gedichts liegen, aus dem Weg zu räumen. Dann klingt die Übersetzung so, als wäre sie das Original. Hätte Baudelaire deutsch gedichtet, so würde das erste Quartett des „Parfum exotique“ vielleicht wie bei Simon Werle lauten: „Wenn mich in heißem Herbst, die Augen fest geschlossen,/ Des Abends deiner warmen Brüste Duft durchströmt,/ Seh ich ein glückliches Gestade, das sich weithin dehnt,/ Von eintöniger Sonnen überhellem Strahl durchflossen“.
HEINZ SCHLAFFER
Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal. Die Blumen des Bösen. Aus dem Französischen von Simon Werle. Rowohlt Verlag, Reinbek. 525 Seiten, 38 Euro. E-Book 29,99 Euro.
Eine Bilderflut aus Mythos,
Erotik, Traum, unterworfen der
Herrschaft strenger Form
Und dann klingt diese
Übersetzung so,
als wäre sie das Original
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Charles Baudelaire hielt die einstige Schönheit im Augenblick ihres Untergangs fest. Simon Werle hat nun den Zyklus „Les Fleurs du Mal“ neu übersetzt
Gedichte sprechen, wie man im Umgang mit Menschen nicht sprechen kann, in Versen. Sie sprechen von Leidenschaften, die sonst der Diskretion unterliegen, von der Liebe, der Verzweiflung. Einen Schritt weiter gehen die Gedichte Baudelaires, sie sprechen, wie schon der Titel „Les Fleurs du Mal“ ankündigt, von ästhetisch und moralisch verwerflichen Dingen, vom Anblick des Widerlichen oder von den Ekstasen der Wollust, selbst der zwischen Frauen. Als der Band 1857 erschien, kam sein Autor sogleich vor Gericht, das ihn zu einer Geldstrafe verurteilte und sechs der Texte verbot. Zwar gewinnt, wer das Journal der Brüder Goncourt aus diesen Jahren liest, den Eindruck, dass sämtliche Spielarten der Sexualität zur Unterhaltung der Pariser Gesellschaft dienten. Doch wenigstens die Poesie sollte das Gute, Schöne, Wahre feiern, das in der Welt nicht zu finden war.
Dieser gutbürgerlichen Erwartung genügten „Die Blumen des Bösen“ nicht. Ihr Dichter scheut sich nicht, Satan inniger noch als Gott anzubeten: „Ruhm, Satan, dir und Preis dort in dem hohen Rund/ Des Himmels, wo du herrschtest, und im tiefen Schlund/ Der Hölle, wo du überwunden träumst in Schweigen!“ In Satan sieht der gläubige Katholik Baudelaire das vergrößerte Spiegelbild des verfluchten Dichters, des „poète maudit“, der vor der hässlichen Gegenwart die Augen nicht verschließt und die verlorene Schönheit allein in der rhetorischen Sprache und dem klassischen Metrum seiner Gedichte wiederherzustellen versucht. Was die Lyrik aus ihrem Reservoir von Themen ausgeschlossen hatte – die Alten, Kranken, Bettler, Kadaver, das Rauschgift, den Lärm der Großstadt –, fasst Baudelaire in zu seiner Zeit längst abgetane Formen, das Sonett mit Vorliebe und den Alexandrinervers. Am Fortschrittsprogramm des 19. Jahrhunderts nimmt er nur die Verluste wahr, die Zerstörung des alten Paris, das Verschwinden des träumerischen Müßiggangs, der Schönheit, die der Dichter im Augenblick ihres Untergangs festhalten möchte.
Baudelaire ist Nachfahr der deutschen Romantik und Vorfahr der deutschen Moderne, Richard Wagner eines seiner Leitbilder. Stefan George, Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler, Georg Trakl, fast alle, die um 1900 eine neue Sprache für die deutsche Dichtung suchten, haben aus den „Fleurs du Mal“ gelernt. Die Übersetzungen von Stefan George, Wolf von Kalckreuth, Walter Benjamin und Wilhelm Hausenstein bis zu Carlo Schmid und Friedhelm Kemp gehören zur Geschichte der deutschen Lyrik. Eine neue Übersetzung des Zyklus lädt sich nicht nur die schwere Aufgabe auf, seine Bilderflut aus Mythos, Religion, Erotik, Traum und Fantasie wiederzugeben. Sie muss auch den Vergleich mit jenen Nachdichtungen aushalten, die seit Langem gerühmt und getadelt werden. Die Vielzahl der Versuche zeigt, dass jede das Bedürfnis geweckt hat, es besser zu treffen.
Soll eine Übersetzung der „Fleurs du Mal“ ihre poetische Form, Metrum also und Reim, bewahren oder sich, wie heute üblich, zumal in zweisprachigen Ausgaben, mit der bequemeren Prosa begnügen? Simon Werle hat sich für das ältere, schwierigere Vorgehen entschieden, obwohl die aktuelle Lyrik den Vers fast verlernt hat. Jüngere Autoren allerdings, wie Jan Wagner oder Marion Poschmann, wagen es, ihn, hinter Assonanzen halb verdeckt, wieder einzuschmuggeln.
Die Kosten der Entscheidung, die vorgegebene Form zu retten und dafür manche Genauigkeit der Bedeutung zu opfern, machen sich bereits an den ersten Zeilen von Werles Übertragung bemerkbar. „Au lecteur“ lautet die Überschrift des Eingangsgedichts. Werle bildet sie mit gleicher Silbenzahl nach: „Dem Leser“, als sollte dieser ein Geschenk erhalten. Die korrekte Übersetzung hätte eine Silbe mehr benötigt, „An den Leser“, Anrede, wie sie viele Gedichte verwenden. Der Schluss des Gedichts nimmt sie ausdrücklich wieder auf: „Du heuchlerischer Leser, du mein Bruder, mir so gleichend!“ Der erste Vers des Gedichts an den Leser, „La sottise, l’erreur, le péché, la lésine“ ließe sich in schlichter, gehorsamer Prosa wiedergeben: „Die Dummheit, der Irrtum, die Sünde, der Geiz“. Der Alexandriner, den Werle bildet, „Der Sünde, Blindheit, Dummheit, Knauserei Gebresten“ bringt die Ordnung der wie apokalyptische Reiter daherkommenden Begriffe durcheinander. Baudelaire folgt hier der katholischen Theologie: Was mit den Einbußen der Erkenntnis beginnt, mit Dummheit und Irrtum, endet bei den Vorstufen der Verdammnis, bei Sünde und Todsünde. „Gebresten“, dem Reim auf „mästen“ entgegenstrebend, ist für diese unerbittliche Logik der Höllenstrafe ein allzu schonungsvoller Ausdruck.
Werles kluges Nachwort unterrichtet den Leser über die unterschiedliche Bedeutung des Reims in der französischen und in der deutschen Verskunst. Im Französischen bietet er sich leicht, zu leicht, an. Er gibt sich mit Nachsilben wie in „tapage“ und „carnage“ oder in „guerrière“ und „meutrière“ zufrieden. Im Deutschen ist er schwerer zu finden, da betonte Stammsilben übereinstimmen müssen. Deshalb berührt der Reim ein französisches Ohr nur schwach, ein deutsches lässt er aufhorchen. Gerade die genaue Beachtung der formalen Regeln führt bei der Übertragung unvermeidlich zu einer ästhetischen Diskrepanz. Unter den früheren Übersetzungen der „Blumen des Bösen“ rühmt Werle zu Recht besonders die Wolf von Kalckreuths, die 1907 im Todesjahr des Neunzehnjährigen, erschien. Kalckreuth schwächte das Problem der aufdringlichen Reime ab, indem er viel gebrauchte, blasse den exquisiten vorzog. So reimt er in der letzten Strophe der „Reise“ die Wörter „trinken – Geist – sinken – beweist“, damit sich die Aufmerksamkeit nicht auf das Ende der Verszeile konzentriert. Werle streut Assonanzen und unreine Reime ein – in derselben Strophe: „Zügen – versengt – liegen – schenkt“ –, um der Monotonie des Gleichklangs zu entgehen. Zugleich verschafft ihm der Verzicht auf den exakten Reim größere Freiheit bei der Suche nach dem passenden Wort.
Könnte es nicht eine Ausgabe der „Blumen des Bösen“ geben, die zu jedem Gedicht die jeweils beste Übersetzung auswählte? Viele Beiträge würden von Simon Werle stammen. Seine Übertragung schreckt nicht vor den grellen, Himmel und Hölle bewegenden Bildern der „Fleurs du Mal“ zurück. Lieber übertreibt er das Befremdliche an Baudelaires Lyrik, als es abzuschwächen: Der Abgrund, „où mon cœur est tombé“, wird so zum „Schlund, in den mein Herz fiel tiefen Fall.“ Den wilden, romantischen, manchmal kitschigen Vorstellungen, die Baudelaire sich gestatten durfte, weil er sie der Herrschaft strenger Form unterwarf, hat keine andere Übersetzung so nachgegeben wie die neueste.
Oft gelingt es ihr, alle Hindernisse, die bei einer Übersetzung zwischen Form und Sinn des Gedichts liegen, aus dem Weg zu räumen. Dann klingt die Übersetzung so, als wäre sie das Original. Hätte Baudelaire deutsch gedichtet, so würde das erste Quartett des „Parfum exotique“ vielleicht wie bei Simon Werle lauten: „Wenn mich in heißem Herbst, die Augen fest geschlossen,/ Des Abends deiner warmen Brüste Duft durchströmt,/ Seh ich ein glückliches Gestade, das sich weithin dehnt,/ Von eintöniger Sonnen überhellem Strahl durchflossen“.
HEINZ SCHLAFFER
Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal. Die Blumen des Bösen. Aus dem Französischen von Simon Werle. Rowohlt Verlag, Reinbek. 525 Seiten, 38 Euro. E-Book 29,99 Euro.
Eine Bilderflut aus Mythos,
Erotik, Traum, unterworfen der
Herrschaft strenger Form
Und dann klingt diese
Übersetzung so,
als wäre sie das Original
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
"Äußerst verdienstvoll", wenn auch mit Schwächen, so das Resümee des Rezensenten Eberhard Geisler zur jüngsten Übersetzung von Charles Baudelaires monumentalem Gedichtband "Die Blumen des Bösen" durch den Romanisten Simon Werle. Die Schwächen schreibt Geisler der Tatsache zu, dass Werle eben nicht selbst ein Dichter ist wie etwa sein Vorgänger Stefan George es war, der sich, so Geisler, um eine in ihrer Eigensinnigkeit und Interpretationsfreiheit besonders poetisch präzise Übersetzung verdient gemacht hatte. Werle hingegen will, wie er im Nachwort erklärt, so nah wie möglich am Text bleiben, ihn treibt nicht der eigene literarische Formwille, die Lust an der Aneignung des Fremden, sondern der Wunsch, den französischen Dichter der Moderne einem deutschsprachigen Publikum nahezubringen und das, findet der Rezensent, ist ein durchaus ehrenvoller Anspruch, dem Werle in großen Teilen auch gerecht werde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2017Der kränkelnde Schwan
Baudelaires Gedichtzyklus "Les Fleurs du Mal" ist ein Schlüsselwerk der Moderne, das vielfach übertragen wurde. Simon Werle legt in seiner Übersetzung den Akzent auf lebendige Klanggestalt.
Die Gedichte von Charles Baudelaire sind oft ins Deutsche übersetzt, doch natürlich nie erreicht worden. Abschreckend hat beides aber nicht gewirkt. Die Übertragungen von den erstmals 1857 erschienen "Blumen des Bösen" zählen locker mehrere Dutzend, wenn man all jene mitrechnet, die nur ausgewählte Gedichte von Baudelaires Werk umfassen. Unvergessen sind die von Stefan George selbst sogenannten "Umdichtungen", die 1891 zunächst in der verschwindend geringen Auflage von fünfundzwanzig Exemplaren, dafür als faksimilierte Handschrift in des erlauchten Übersetzers Kreis verteilt wurden und nur vierzig der insgesamt 162 Gedichte enthielten. Wer immer sich die "Blumen des Bösen" heute vornimmt, kommt aber auch an den stattlichen sieben deutschen Übersetzungen nicht vorbei, die diesem Hauptwerk der französischen Dichtung als Ganzem gewidmet sind. Wobei die Herausforderung, die stets darin besteht, sich von der Wortwahl der anderen vielleicht anregen zu lassen, aber auch abzusetzen, mit jeder neuen Übersetzung schwieriger wird.
Diesen Balanceakt ist nun Simon Werle eingegangen, dessen Übertragung des Baudelaireschen Werks zum heutigen 150. Todestag des Dichters bei Rowohlt im Rahmen einer zweisprachigen Ausgabe erscheint. Im Aufbau folgt sie den Gepflogenheiten, die sich im Laufe der Jahre entwickelt und als sinnvoll herausgestellt haben. Ihr Ziel ist es, möglichst alle Gedichte Baudelaires in einem Band zu versammeln, weshalb die "Blumen des Bösen", wie sie im Deutschen seit Jahrzehnten vorliegen, stets so etwas wie Stückwerk sind. So ist es auch mit Simon Werles Übersetzung.
Sie basiert auf der französischen Ausgabe, die 1861 erschien, also vier Jahre nach dem Prozess, der Baudelaire nach dem Erscheinen seiner ersten Ausgabe gemacht worden war. Angeklagt wegen Blasphemie und Beleidigung der öffentlichen Moral, war der Dichter dazu verurteilt worden, sechs seiner Gedichte aus dieser ursprünglichen Ausgabe zu tilgen. Diese von ihm als heftige Schmach empfundene Strafe wetzte er aus, indem er seiner zweiten Ausgabe mehr als dreißig neue Gedichte hinzufügte und die sechs verbotenen ein paar Jahre später in einem neuen Band mit dem Titel "Les Epaves" abermals veröffentlichte. "Les Epaves" bilden somit stets den zweiten Teil der deutschen "Blumen des Bösen". Der dritte versammelt schließlich all das, was nach Baudelaires Tod an weiteren Gedichten von ihm erscheinen ist.
Nicht aufgenommen wurden in die Übersetzung von Simon Werle hingegen Baudelaires Entwürfe für ein Vorwort (und einen Epilog), was schade ist, weil sie die Verbitterung des Dichters über den Ausgang des Prozesses sowie die allgemein sehr verhaltene Rezeption seines Werks durch die Presse sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Das Ansinnen seines Verlegers etwa, der Dichter möge doch für die zweite Ausgabe seine Absichten etwas erläutern, um seine Kunst verständlicher zu machen, wies Baudelaire in einer Vorwortskizze mit dem im Grunde die Leser beleidigenden Einwand zurück, "dass dies ein für die einen wie für die anderen gänzlich überflüssiges Geschäft wäre, weil die einen Bescheid wissen oder ahnen, worum es geht, und weil die anderen nie etwas begreifen werden". Auch auf Anmerkungen zu einzelnen Gedichten, zu ihrer Genese oder einzelnen verwendeten Formulierungen etwa, wie sie in anderen Gesamtübersetzungen durchaus zu finden sind, verzichtet Simon Werle.
Er konzentriert sich formal also auf das, was ihm auch inhaltlich wichtig ist. Bei allem Bemühen um Ausgewogenheit wolle er, so erläutert Werle in seinem Nachwort, wo es denn nötig sei, der "lebendigen Klanggestalt des Textes" den Vorrang vor inhaltlicher Präzision geben - eine legitime Entscheidung, die vor ihm schon andere getroffen haben. Nicht zuletzt Stefan George, dessen Übersetzung allerdings recht schwülstig ausgefallen ist und oft weit weg führt vom Original, viel weiter als Werle es sich je erlaubt. Mit dieser Entscheidung entzieht sich Werle zumindest teilweise einer besonderen Schwierigkeit beim Übersetzen dieser Dichtung. Sie liegt in der Aufgabe begründet, die eigentlich disparaten Motive und Metaphern, die zu Baudelaires Schaffenszeit ungekannte, auch unerhörte Verbindungen miteinander eingingen und auf diese Weise etwas evozierten, worin man erst später Baudelaires Modernität erkannt hat, in eine Sprache zu bringen, welche diese Widersprüchlichkeit ebenso wie die Anknüpfungspunkte ihrerseits zum Ausdruck bringt. Gut nachvollziehen lässt sich dies an einem Gedicht wie "Der Schwan", das als beliebtes Anthologiegedicht zwar unzähligen Deutungen und Übersetzungen unterzogen wurde, aber keinen Schaden davongetragen hat. Geschrieben 1859, erzählt es von einem Stadtviertel nahe dem Louvre, das im Zuge der von Napoleon III. angeschobenen Umbauarbeiten in Paris abgerissen wurde. Das lyrische Ich, das über die neu geschaffene Place du Carrousel geht, erinnert sich mit Bedauern an das alte Durcheinander und mischt in seine schweifenden Gedanken ein Motiv der antiken Mythologie ("Andromaque, je pense à vous!") sowie das Bild eines kränkelnden Schwans, der in abgewandelter Gestalt schon in einem anderen Gedicht Baudelaires auftauchte.
Diese inhaltliche Diskordanz wirkt umso stärker, als Baudelaire sie in die hier schon altertümlich anmutende Form des Alexandriners gegossen hat - ein Geniestreich, der als zusätzliche, sinnstiftende Ebene in eine deutsche Übersetzung mit einfließen sollte. Werle, der sich mit seinen Übertragungen der Tragödien Racines einen Namen gemacht hat, löst dieses Problem, indem er besonders darauf achtet, möglichst eine Zäsur um die sechste Silbe herum zu setzen und die Reimstruktur einzuhalten. Beides gelingt nicht immer, aber erstaunlich häufig, was das von ihm erklärte Ziel, die Gedichte Baudelaires so zu übersetzen, dass sie mündlich gut vorzutragen sind (eben so wie die Tragödien Racines) in greifbare Nähe rücken lässt: "Im Geiste nur kann ich das Lager aus Baracken sehen, / Der Säulenschäfte Stapel und die Kapitelle, roh bossiert, / Das Unkraut, Blöcke, grün, weil sie in Pfützen stehen, / Und all den Wirrwarr, grell in Fensterscheiben reflektiert."
Um der Metrik willen greift Werle allerdings zuweilen auf einen Wortschatz und Formulierungen zurück, die deutlich schwerfälliger klingen als die französischen Originale - der deutsche Vers von "der Säulenschäfte Stapel und die Kapitelle, roh bossiert" wirkt beispielsweise kompakter als das französische "Ces tas de chapiteaux ébauchés et de fûts". Auch die in der Gedichtmitte erhobene Klage "Paris change! mais rien dans ma mélancolie / n'a bougé!" hat Werle mit der Zeile "Paris mutiert! Nichts aber in meiner Melancholie / hat sich bewegt!" zwar getreu übersetzt. Eine kürzere, schön schlackenlose Version liefert aber beispielsweise Monika Fahrenbach-Wachendorff in ihrer Gesamtübersetzung: "Paris verändert sich! Mir bleibt Melancholie!". Auch an anderer Stelle zu findende Begriffe wie Schwimmerfuß (für "pieds palmés"), Nachtmare (für "visions nocturnes") und alte Klausnereien (für "cloîtres anciens") strahlen eine Behäbigkeit aus, die Baudelaires Gedichten eigentlich nicht innewohnt.
Gleichwohl liegt oft ein eigener Reiz in der auf das Klangbild sich fokussierenden Übertragung von Simon Werle. Immer wieder gelingen ihm Gedichte (wie "Tout entière" oder "L'ennemi"), die förmlich danach rufen, laut gelesen zu werden, so fein aufeinander abgestimmt sind Prosodie und Metrik. Mag sein, dass ihnen die heitere Distanz der Originale manchmal fehlt. Vielleicht ist auch der Ton einen Hauch erhabener als er sein müsste. Aber Baudelaire wird nicht umsonst so häufig übersetzt. Da darf sich glücklich schätzen, wem, wie Werle, so manche Perle hier gelingt.
LENA BOPP
Charles Baudelaire: "Les Fleurs du Mal / Die Blumen des Bösen". Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem Französischen von Simon Werle. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 525 S., geb., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Baudelaires Gedichtzyklus "Les Fleurs du Mal" ist ein Schlüsselwerk der Moderne, das vielfach übertragen wurde. Simon Werle legt in seiner Übersetzung den Akzent auf lebendige Klanggestalt.
Die Gedichte von Charles Baudelaire sind oft ins Deutsche übersetzt, doch natürlich nie erreicht worden. Abschreckend hat beides aber nicht gewirkt. Die Übertragungen von den erstmals 1857 erschienen "Blumen des Bösen" zählen locker mehrere Dutzend, wenn man all jene mitrechnet, die nur ausgewählte Gedichte von Baudelaires Werk umfassen. Unvergessen sind die von Stefan George selbst sogenannten "Umdichtungen", die 1891 zunächst in der verschwindend geringen Auflage von fünfundzwanzig Exemplaren, dafür als faksimilierte Handschrift in des erlauchten Übersetzers Kreis verteilt wurden und nur vierzig der insgesamt 162 Gedichte enthielten. Wer immer sich die "Blumen des Bösen" heute vornimmt, kommt aber auch an den stattlichen sieben deutschen Übersetzungen nicht vorbei, die diesem Hauptwerk der französischen Dichtung als Ganzem gewidmet sind. Wobei die Herausforderung, die stets darin besteht, sich von der Wortwahl der anderen vielleicht anregen zu lassen, aber auch abzusetzen, mit jeder neuen Übersetzung schwieriger wird.
Diesen Balanceakt ist nun Simon Werle eingegangen, dessen Übertragung des Baudelaireschen Werks zum heutigen 150. Todestag des Dichters bei Rowohlt im Rahmen einer zweisprachigen Ausgabe erscheint. Im Aufbau folgt sie den Gepflogenheiten, die sich im Laufe der Jahre entwickelt und als sinnvoll herausgestellt haben. Ihr Ziel ist es, möglichst alle Gedichte Baudelaires in einem Band zu versammeln, weshalb die "Blumen des Bösen", wie sie im Deutschen seit Jahrzehnten vorliegen, stets so etwas wie Stückwerk sind. So ist es auch mit Simon Werles Übersetzung.
Sie basiert auf der französischen Ausgabe, die 1861 erschien, also vier Jahre nach dem Prozess, der Baudelaire nach dem Erscheinen seiner ersten Ausgabe gemacht worden war. Angeklagt wegen Blasphemie und Beleidigung der öffentlichen Moral, war der Dichter dazu verurteilt worden, sechs seiner Gedichte aus dieser ursprünglichen Ausgabe zu tilgen. Diese von ihm als heftige Schmach empfundene Strafe wetzte er aus, indem er seiner zweiten Ausgabe mehr als dreißig neue Gedichte hinzufügte und die sechs verbotenen ein paar Jahre später in einem neuen Band mit dem Titel "Les Epaves" abermals veröffentlichte. "Les Epaves" bilden somit stets den zweiten Teil der deutschen "Blumen des Bösen". Der dritte versammelt schließlich all das, was nach Baudelaires Tod an weiteren Gedichten von ihm erscheinen ist.
Nicht aufgenommen wurden in die Übersetzung von Simon Werle hingegen Baudelaires Entwürfe für ein Vorwort (und einen Epilog), was schade ist, weil sie die Verbitterung des Dichters über den Ausgang des Prozesses sowie die allgemein sehr verhaltene Rezeption seines Werks durch die Presse sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Das Ansinnen seines Verlegers etwa, der Dichter möge doch für die zweite Ausgabe seine Absichten etwas erläutern, um seine Kunst verständlicher zu machen, wies Baudelaire in einer Vorwortskizze mit dem im Grunde die Leser beleidigenden Einwand zurück, "dass dies ein für die einen wie für die anderen gänzlich überflüssiges Geschäft wäre, weil die einen Bescheid wissen oder ahnen, worum es geht, und weil die anderen nie etwas begreifen werden". Auch auf Anmerkungen zu einzelnen Gedichten, zu ihrer Genese oder einzelnen verwendeten Formulierungen etwa, wie sie in anderen Gesamtübersetzungen durchaus zu finden sind, verzichtet Simon Werle.
Er konzentriert sich formal also auf das, was ihm auch inhaltlich wichtig ist. Bei allem Bemühen um Ausgewogenheit wolle er, so erläutert Werle in seinem Nachwort, wo es denn nötig sei, der "lebendigen Klanggestalt des Textes" den Vorrang vor inhaltlicher Präzision geben - eine legitime Entscheidung, die vor ihm schon andere getroffen haben. Nicht zuletzt Stefan George, dessen Übersetzung allerdings recht schwülstig ausgefallen ist und oft weit weg führt vom Original, viel weiter als Werle es sich je erlaubt. Mit dieser Entscheidung entzieht sich Werle zumindest teilweise einer besonderen Schwierigkeit beim Übersetzen dieser Dichtung. Sie liegt in der Aufgabe begründet, die eigentlich disparaten Motive und Metaphern, die zu Baudelaires Schaffenszeit ungekannte, auch unerhörte Verbindungen miteinander eingingen und auf diese Weise etwas evozierten, worin man erst später Baudelaires Modernität erkannt hat, in eine Sprache zu bringen, welche diese Widersprüchlichkeit ebenso wie die Anknüpfungspunkte ihrerseits zum Ausdruck bringt. Gut nachvollziehen lässt sich dies an einem Gedicht wie "Der Schwan", das als beliebtes Anthologiegedicht zwar unzähligen Deutungen und Übersetzungen unterzogen wurde, aber keinen Schaden davongetragen hat. Geschrieben 1859, erzählt es von einem Stadtviertel nahe dem Louvre, das im Zuge der von Napoleon III. angeschobenen Umbauarbeiten in Paris abgerissen wurde. Das lyrische Ich, das über die neu geschaffene Place du Carrousel geht, erinnert sich mit Bedauern an das alte Durcheinander und mischt in seine schweifenden Gedanken ein Motiv der antiken Mythologie ("Andromaque, je pense à vous!") sowie das Bild eines kränkelnden Schwans, der in abgewandelter Gestalt schon in einem anderen Gedicht Baudelaires auftauchte.
Diese inhaltliche Diskordanz wirkt umso stärker, als Baudelaire sie in die hier schon altertümlich anmutende Form des Alexandriners gegossen hat - ein Geniestreich, der als zusätzliche, sinnstiftende Ebene in eine deutsche Übersetzung mit einfließen sollte. Werle, der sich mit seinen Übertragungen der Tragödien Racines einen Namen gemacht hat, löst dieses Problem, indem er besonders darauf achtet, möglichst eine Zäsur um die sechste Silbe herum zu setzen und die Reimstruktur einzuhalten. Beides gelingt nicht immer, aber erstaunlich häufig, was das von ihm erklärte Ziel, die Gedichte Baudelaires so zu übersetzen, dass sie mündlich gut vorzutragen sind (eben so wie die Tragödien Racines) in greifbare Nähe rücken lässt: "Im Geiste nur kann ich das Lager aus Baracken sehen, / Der Säulenschäfte Stapel und die Kapitelle, roh bossiert, / Das Unkraut, Blöcke, grün, weil sie in Pfützen stehen, / Und all den Wirrwarr, grell in Fensterscheiben reflektiert."
Um der Metrik willen greift Werle allerdings zuweilen auf einen Wortschatz und Formulierungen zurück, die deutlich schwerfälliger klingen als die französischen Originale - der deutsche Vers von "der Säulenschäfte Stapel und die Kapitelle, roh bossiert" wirkt beispielsweise kompakter als das französische "Ces tas de chapiteaux ébauchés et de fûts". Auch die in der Gedichtmitte erhobene Klage "Paris change! mais rien dans ma mélancolie / n'a bougé!" hat Werle mit der Zeile "Paris mutiert! Nichts aber in meiner Melancholie / hat sich bewegt!" zwar getreu übersetzt. Eine kürzere, schön schlackenlose Version liefert aber beispielsweise Monika Fahrenbach-Wachendorff in ihrer Gesamtübersetzung: "Paris verändert sich! Mir bleibt Melancholie!". Auch an anderer Stelle zu findende Begriffe wie Schwimmerfuß (für "pieds palmés"), Nachtmare (für "visions nocturnes") und alte Klausnereien (für "cloîtres anciens") strahlen eine Behäbigkeit aus, die Baudelaires Gedichten eigentlich nicht innewohnt.
Gleichwohl liegt oft ein eigener Reiz in der auf das Klangbild sich fokussierenden Übertragung von Simon Werle. Immer wieder gelingen ihm Gedichte (wie "Tout entière" oder "L'ennemi"), die förmlich danach rufen, laut gelesen zu werden, so fein aufeinander abgestimmt sind Prosodie und Metrik. Mag sein, dass ihnen die heitere Distanz der Originale manchmal fehlt. Vielleicht ist auch der Ton einen Hauch erhabener als er sein müsste. Aber Baudelaire wird nicht umsonst so häufig übersetzt. Da darf sich glücklich schätzen, wem, wie Werle, so manche Perle hier gelingt.
LENA BOPP
Charles Baudelaire: "Les Fleurs du Mal / Die Blumen des Bösen". Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem Französischen von Simon Werle. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 525 S., geb., 38,- [Euro].
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Es darf sich glücklich schätzen, wem, wie Werle, manche Perle hier gelingt. FAZ.NET