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Welche Rolle spielt die Literatur im Fernsehen und in den neuen Medien? Welche Rolle spielen das Fernsehen und die neuen Medien in der Literatur? Eine Untersuchung von einem der renommiertesten deutschsprachigen Literaturkritiker der Gegenwart.

Produktbeschreibung
Welche Rolle spielt die Literatur im Fernsehen und in den neuen Medien? Welche Rolle spielen das Fernsehen und die neuen Medien in der Literatur? Eine Untersuchung von einem der renommiertesten deutschsprachigen Literaturkritiker der Gegenwart.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.1997

Schönes Abseits
Ratschläge von Hubert Winkels

Ein deutscher Dichter war, Heinrich Heine zufolge, "ehemals ein Mensch, der einen abgeschabten zerrissenen Rock trug, Kindtauf- und Hochzeitsgedichte für einen Taler das Stück verfertigte, statt der guten Gesellschaft, die ihn abwies, desto bessere Getränke genoß, auch wohl des Abends betrunken in der Gosse lag, zärtlich geküßt von Lunas gefühlvollen Strahlen".

Viel scheint sich daran nicht geändert zu haben, und schuld daran, so meint der Kritiker Hubert Winkels, ist die herrschende Ideologie von Information und Aktualität und besonders das Fernsehen. Wer heute noch schöne Literatur schreibt, "wird mit Seriositätsverlust und Abseitigkeitsverdacht nicht unter zwei Jahren bestraft". In der guten Gesellschaft wird über Bücher nicht gesprochen, im Fernsehen kommt die Literatur als solche schon gar nicht vor, und der stotternde Schriftsteller gibt dort in der Regel ein klägliches Bild ab.

Aber auch der seriöse Kritiker hat es nicht leicht in dieser Medienwelt. Davon zeugen die in der Er-Form eingestreuten Aufzeichnungen ("Um 14 Uhr nimmt der Kritiker ein Taxi . . ."), in denen sich Winkels verdächtig macht, selbst Literatur zu produzieren. Das sind nur die äußerlichen Symptome "einer prekären Lage der schönen Literatur", die durch die Medienkonkurrenz und durch zunehmenden Rechtfertigungsdruck in ihrer Substanz bedroht ist.

Gegen diese Bedrohung, so Winkels, hilft weder die eilfertige Anpassung der "Autorendarsteller" noch die heroische Verdammung der "Kloake" des TV-Kanals und die herrische Trennung von der populären Kultur, wie sie Botho Strauß vollzogen hat. Die könne sich die Literatur nicht leisten, denn "das Fernsehen hat es längst nicht mehr mit einer durchliterarisierten Welt zu tun, die Literatur aber sehr wohl mit einer durch und durch fernsehförmigen". An Peter Handkes Serbienbuch läßt sich ablesen, "welche panikartige Energie die kühle Weltformatierung durch technische Medien im Raum der literarischen Kultur freisetzt". Was also tun? Hubert Winkels weiß Rat, und den erteilt er als Kanzelwort. Die Literatur muß sich dem Behauptungskampf stellen. Sie muß die andere Technik in ihre Arbeit einbeziehen, sie muß ihre Randständigkeit in einen Vorteil verwandeln, sie muß sich "den Techniken und Effekten der neuen Medien in Form, Material und Reflexion" zuwenden.

Das klingt nach einem neuen poetischen Trichter, der die Literatur für die Mediengesellschaft fit machen soll. Allerdings versteht sich Winkels nicht, wie Norbert Bolz und Konsorten, als Propagandist einer "industrietauglichen Denkungsart", sondern möchte Differenz, Abweichung und Individuation gesellschaftlich akzeptabel machen. Das war freilich schon zu Heines Zeiten ein Kunststück. Nachdem Winkels im ersten Teil des Buchs die schweren Zukunftsaufgaben, die auf den Schriftsteller und natürlich auch den Kritiker zukommen, gehörig vor Augen geführt hat, erfährt der Leser im weiteren zu seiner Überraschung, daß es alles, was der Poetiker gerade gefordert hat, bei Thomas Kling, Gert Heidenreich, Nicholson Baker, Bret Easton Ellis oder Michael Crichton schon gibt. Längst setzt sich offenbar die Literatur prophetisch, entwerfend oder warnend mit einer sich durch Mediatisierung entleerenden Welt auseinander. Auch Winkels scheint über das Wunder zu erstaunen, das er selbst veranstaltet hat.

Sein etwas zusammengezimmert wirkendes Buch zeugt von rasanter Intelligenz. Der Autor ist, trotz gelegentlicher Melancholie, seinen eigenen Forderungen längst voraus und dazu ein versierter Dialektiker, der jeden möglichen Einwand schon im vorhinein verarbeitet hat. Am Ende aber fühlt sich der Leser von so viel sich selbst überholender Programmatik eigenartig ermüdet und hat nur noch Lust, meditierend auf den roten Punkt der Stand-by-Schaltung des Fernsehgeräts zu schauen. Ob er dort, wie Winkels, "die punktförmige Repräsentanz" der Welt wahrnehmen wird? FRIEDMAR APEL

Hubert Winkels: "Leselust und Bildermacht". Über Literatur, Fernsehen und Neue Medien. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1997. 282 S., br., 36,- DM.

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