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Die weitreichenden Veränderungen im Gefolge der Herausbildung eines globalen Marktes für Literatur bis in ihre sprechenden Details schildert Dubravka Ugresic in ihren neuen Essays. Ihr Befund lautet: Galten als zur Weltliteratur zugehörig bisher Bücher, die qualitativen Maßstäben genügten, wird der Begriff gegenwärtig quantitativ verstanden: Zur Weltliteratur zählt nur noch, was sich auf der ganzen Welt verkaufen lässt. Das hat zur Konsequenz: Autoren und Leser sprachlicher Kunstwerke werden an den Rand der Kultur gedrängt, wie den Rauchern sind ihnen die unvorteilhaftesten Reservate…mehr

Produktbeschreibung
Die weitreichenden Veränderungen im Gefolge der Herausbildung eines globalen Marktes für Literatur bis in ihre sprechenden Details schildert Dubravka Ugresic in ihren neuen Essays. Ihr Befund lautet: Galten als zur Weltliteratur zugehörig bisher Bücher, die qualitativen Maßstäben genügten, wird der Begriff gegenwärtig quantitativ verstanden: Zur Weltliteratur zählt nur noch, was sich auf der ganzen Welt verkaufen lässt. Das hat zur Konsequenz: Autoren und Leser sprachlicher Kunstwerke werden an den Rand der Kultur gedrängt, wie den Rauchern sind ihnen die unvorteilhaftesten Reservate vorbehalten.
Die Zunahme von imaginären und realen Lesen-Verboten-Hinweisen - amerikanische Verlage zahlen für die Erinnerungen eines US-Präsidenten, die seiner Gattin sowie seiner Praktikantin Millionen Dollar an Vorauszahlungen, ohne eine Zeile der Manuskripte zu kennen, Romane von Sitcom-Stars werden von Agenten aufgrund zweiseitiger Angaben über den Plot meistbietend verkauft, Lektoren in den angel sächsischen Ländern machen die Lektüre eines Manuskripts von einem "book proposal" abhängig - bildet für die Autorin jedoch keineswegs den Anlass zu einem kulturpessimistischen Lamento. Sie kennt nämlich das Heilmittel gegen die Vorherrschaft der Marktgesetze innerhalb der Literatur - und ihre Essays sind ein Beleg für deren Wirksamkeit: eine kosmopolitische, transnationale Literatur, die souverän aus allen Kulturen schöpft, dabei luzide ist und folglich ironisch sein muss.
Autorenporträt
Dubravka Ugresic, 1949 in Kutina geboren, ist eine kroatische Schriftstellerin. Sie studierte und lehrte an der Universität in Zagreb. Ihr Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Heinrich-Mann-Preis 2000. Ugresic lebt und arbeitet als freie Autorin in Amsterdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2002

Keine Chance gegen Skiläufer
Ulysses als Exposé? Neue Essays von Dubravka Ugresic

Der Zufall fügte es, daß in der "New York Times Book Review" am selben Tag eine Lobeshymne auf die Memoiren der Milliardärin Ivana Trump und ein Verriß des Venedig-Essays von Joseph Brodsky abgedruckt wurden. Ivana Trump stammt aus einem böhmischen Dorf, war Mitglied der tschechoslowakischen Skinationalmannschaft und so etwas wie das Pin-up-Girl des sozialistischen Sports. Sie flüchtete mit ihrem Freund, einem slowakischen Rennläufer, emigrierte nach Kanada, wo die beiden ein bescheidenes Geschäft für Sportartikel aufbauten. Dort traf sie Donald Trump, einen der reichsten Männer Amerikas, der sie heiratete und, als er sie nach fünfzehn Jahren wieder verließ, mit einem Milliardenvermögen abfand.

Über dieses zufällige Zusammentreffen einer Milliardärin und eines Nobelpreisträgers grübelt in ihrem neuen Essayband die kroatische Autorin Dubravka Ugresic, die ihrerseits als Osteuropäerin eine Zeitlang in den Vereinigten Staaten gelebt hatte und mittlerweile in Amsterdam bleibendes Exil gefunden hat. Sie tut das mit Ironie und Melancholie, mit einem scharfen Blick für die Widersprüche, die kuriosen Relationen, den Wahnwitz der Normalität - und im Wissen, daß sie verlorene Kämpfe ficht. In Sachen Trump und Brodsky muß sie eine krasse Benachteiligung konstatieren, die ihren ganzen Berufsstand trifft: "Und wirklich, nachdem er als Schriftsteller zu Weltruhm gelangt war, konnte Joseph Brodsky nicht plötzlich ein guter Skiläufer werden, während die Skiläuferin Ivana Trump mit Leichtigkeit Schriftstellerin werden konnte."

"Lesen verboten" ist ein zyklisch angelegter Essayband, der von den Erfahrungen erzählt, die eine durchaus renommierte osteuropäische Autorin macht, wenn sie am amerikanischen Literaturmarkt Fuß fassen möchte; es geht aber nicht nur um die Staaten, sondern um das, was man wohl als "Amerikanisierung" des Kulturbetriebs bezeichnen müßte, wenn dies nicht - als Folge von derselben - allenthalben verpönt wäre. Ugresic aber benennt noch die absonderlichen Entwicklungen, an die wir uns in den letzten Jahren gewöhnt haben. Etwa daß immer häufiger Bücher besprochen werden, von denen die Rezensenten zwar schadenfroh nachweisen, wie schlecht sie sind, über die aber dennoch jeder spricht.

So mußte Dubravka Ugresic in den Vereinigten Staaten lernen, daß der wichtigere Teil ihrer Arbeit nicht das Schreiben ist; der erfolgreichste Schriftsteller ist ein Schauspieler, der den erfolgreichen Schriftsteller spielt. Es habe keinen Sinn mehr, über ein paar Jahre an einem Roman zu arbeiten und ihn dann einem Verlag zu schicken; professioneller sei es, ein Exposé vorzulegen und für dieses so viel Vorschuß zu kassieren, daß der Verlag später für das fertige Produkt auch etwas unternimmt. Aber was ist das Exposé eines Romans? Genau besehen, "nichts anderes als die effektvolle Zusammenfassung eines geplanten Films". Hochmütig und traurig zugleich erzählt Ugresic von ihren vergeblichen Versuchen, mit solchen Zusammenfassungen die Buchbranche für "Ulysses", den "Mann ohne Eigenschaften" oder den "Tod des Vergil" zu interessieren. Erfolg hatte sie hingegen mit "Der alte Mann und das Meer", vor allem als sie in Absprache mit der Marketing-Abteilung das Konzept ein wenig veränderte: "Ich machte aus dem alten Mann einen jungen, gutaussehenden kubanischen Exilanten und Homosexuellen."

Hatte sich Dubravka Ugresic in ihren bisherigen Essaybänden vor allem mit dem Zerfall Jugoslawiens beschäftigt, analysiert sie diesmal, wohin die Kulturindustrie in Amerika und Europa geht. Geschockt erkennen Künstler, die aus dem realen Sozialismus kommen, daß im realen Kapitalismus keinerlei verbindliche Kriterien für die Kunst existieren. Ugresic attackiert diesen Sachverhalt erfrischend ungeschützt. So wagt sie über das Geschäft, das mit dem Markenartikel "Avantgarde" getrieben wird, noch gebührend zu höhnen. Mit innigem Grimm geht sie etwa der Frage nach, was es bedeutet, wenn bei Sotheby's eine kleine Konservendose des Italieners Piero Manzoni, die mit Scheiße gefüllt ist, für 17 250 Pfund versteigert wird: "Die Verwandlung von Scheiße in Gold ist nicht so einfach, denn sonst wären wir alle reich." Damit es in diesem einen Falle gelinge, ist ein komplexer Betrieb vonnöten: Es braucht Interpreten, die sich von solcher Konservierung philosophisch herausgefordert fühlen, Promotoren, die den Ehrgeiz haben, sich selbst im Gespräch zu halten, indem sie über die Dose sprechen, es braucht Galeristen, Kunstkritiker, Fernsehjournalisten, Institutionen und Instanzen, damit die Konserve als Kunst anerkannt werde und ein kostengünstiger fäkaler Grundstoff exorbitante Wertsteigerung erfährt.

Die Begegnung mit dem Kunstmarkt sei für die Künstler des Ostens ein "inneres Erdbeben höchster Stufe" gewesen. Denn sie mußten erkennen, daß handwerkliches Können oder die gediegene Beherrschung des Metiers hier nicht zählen. Daß ihnen ein Zensor Schwierigkeiten machen konnte, damit wußten sie umzugehen, aber daß ihnen eine Millionärin, bloß weil sie Millionärin ist, auch als Autorin vorgezogen wird und ein ganzes Heer von Exegeten antritt, um Scheiße zu adeln, das konnten sie nicht voraussehen. Dubravka Ugresic erinnert uns daran, daß derlei auch wirklich zum Wundern ist.

KARL-MARKUS GAUSS

Dubravka Ugresic: "Lesen verboten". Aus dem Kroatischen übersetzt von Barbara Antkowiak. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 236 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Weder reine Essays noch reine Prosa, dafür "verblüffend schlicht und intelligent", so urteilt Franz Haas über diese Sammlung von Aufsätzen (aus den Jahren 1998-2000) der exilierten Ex-Jugoslawin Dubravka Ugresic. Was die renommierte Autorin über die "verzweifelte Lage der schönen Literatur" und über die Zustände in ihrer Heimat zu sagen hat, zeugt laut Rezensent einerseits von "größter Kompetenz" und jeder Menge Witz, andererseits von "Wehmut und Wut" und gewährt dem Leser die Erkenntnis, dass der Unterschied zwischen "künstlerischer Planwirtschaft" (im Osten) und "verkaufsträchtiger Profitkunst" (im Westen) gar nicht so groß ist.

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