Produktdetails
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2006

Hässliche Schrift und dummes Ornament
Von der Kunst, Gedanken optisch zu verstärken: Hans Peter Willbergs und Friedrich Forssmans „Lesetypografie”
Zwar spielen Bücher im öffentlichen leben eine herausragende Rolle, es wird aber fast nie über die Gestalt des Buches gesprochen. Können sich unsere Bücher messen mit den typografischen Idealen der Vorzeiten? Für die Texte selbst ist das nicht unwichtig. Wer einen Gedanken erst flüchtig auf einem Zettel notiert und später auf dem Computer „schön” gesetzt hat, wird festgestellt haben, dass sich der Gedanke entweder lächerlich macht durch die einer Druckschrift innewohnende Bedeutsamkeit - oder dass er sich bewährt. Typografie kann Gedanken entlarven oder verstärken.
Das Buch ist ein Gebrauchsding, das sich von allen anderen durch seine traditionelle Gestalt unterscheidet. Haus, Kleidung, Uhr, Schale sind stets ihrer Form und ihrem Dekor nach einer Zeit zuzurechnen, aber das Buch hat sich seit etwa 500 Jahren weit weniger verändert. Ein mittelalterliches Stundenbuch liegt uns vertraut in der Hand, und noch viel weniger als die Buchgestalt haben sich die Formen der Buchstaben gewandelt. Wir lesen in Romanen die Typen der französischen und italienischen Renaissance, gelegentlich modernisierte Formen, die der Laie aber kaum als neu wahrnimmt. Wir haben keine Mühe, die Inschrift der Trajanssäule in Rom zu lesen, weil wir seit dem 2. Jahrhundert die Grundformen der Buchstaben nicht mehr korrigiert haben.
Wenn jemand ein Hand- und Lehrbuch für Lesetypografie schreibt, muss er sich diesem faktischen Anspruch des Gebrauchsdinges unterordnen, also in der Tradition bleiben. Hans Peter Willberg und Friedrich Forssman geben vor, ihr Werk „Lesetypografie” danach auszurichten, deren nach acht Jahren nun überarbeitete Neuauflage der 2003 verstorbene Mainzer Typografie-Professor Willberg nicht mehr erleben kann. Im Vorwort erklären die Autoren, die „Kontinuität der Erfahrung” aus der Weitergabe von Erkenntnissen von einer Generation von Fachleuten zur nächsten sei abgebrochen, weil durch den technischen Fortschritt ein jeder die Gerätschaften zum eigenen Buchentwurf an die Hand bekommen habe. Die Sache dialektisch betrachtend, weisen die Autoren darauf hin, dass zugleich das allgemeine Interesse an Typografie gewinne.
Willberg und Forssman unterscheiden selten zwischen falsch und richtig oder gut und schlecht, sie „wollen vor allem zur Analyse anregen” und „keinem das Vergnügen rauben, eine Schrift zu wählen, das Format zu bestimmen” und so fort; damenhaft das Vokabular: „Untugend”, „unseriös”, „unglücklich”. Das wirkt vielleicht unaufdringlich. Dann aber stößt der Leser auf diese Bemerkung: „Schränkt historisches Wissen die Kreativität ein, oder verleiht es Sicherheit und unterbaut die Entscheidungen? Die Antwort muss jeder Typograf für sich selbst geben.”
Das Vermächtnis eines Lehrers
Der Typograf ist mehr als andere Formgestalter an die Arbeiten seiner Vorgänger gebunden. Typografen müssen Lesegewohnheiten gerecht werden und ihre Arbeiten zugleich mit Zartgefühl zeitgemäß prägen, um Zeitgenossen anzusprechen. Weil wir uns ohne Kontinuität von den Texten unserer Vorfahren abschneiden würden, muss allein die Erwägung, ob historisches Wissen verzichtbar sein könnte, als skandalös gelten. Typografie ist ein nicht endendes Geschichtsstudium. Alles andere ist Bastelei.
Hans Peter Willberg wollte dieses Buch verstanden wissen als sein „Vermächtnis als Lehrer”. Er war ein ausgezeichneter Typograf mit einem Ruf, aber dieses Vermächtnis wäre besser nicht hinterlassen worden. Er hat als starke Persönlichkeit und Vorbild mehrere Generationen von Schülern mit seinen frisch gewagten und oft ungeprüften Thesen geprägt, denn er war lauter als andere. Dass er von Kontinuitätswahrung zumindest teilweise theatralisch sprach, belegen einige Kommentare zu den spärlichen historischen Arbeitsproben. Dazu ist zu bemerken, dass fast alle Bildbeispiele Arbeiten von den Autoren und Mainzer Absolventen zeigen, es sich bei diesem Buch also um die Denk- und Sehschule eines einzigen Lehrstuhles handelt, was Tristheit mit sich bringt. Nur die Kapitelanfänge zeigen fremde, weil historische Arbeiten, doch eben deren Erläuterungen verweisen auf den Geist der Mainzer Typografie.
So wird dem Kapitel „Typografie und Illustration” die Reproduktion einer Buchseite vorangestellt, welche Aldus Manutius 1499 in Venedig druckte. Darunter steht, dass dieses Buch in allen einschlägigen Werken abgebildet sei, dann: „Wie sehr die Holzschnitte und die Schrift als Einheit gesehen wurden, zeigt (. . .) der Abstand zwischen der Unterkante des Holzschnittes und der ersten Textzeile.” Das ist Blödsinn. Durchblättert man das zitierte Buch, wird man finden, wie wenig sich der berühmte Aldus um den Abstand zwischen Bild und Text in diesem Buch bekümmerte. Mal klebt die Überschrift am Bild, mal hat sie Luft, mal klebt der Text am Bild, mal ist dort ein Raum gelassen. Willberg und Forssman haben offenbar keine Originale in die Hand genommen. Dafür spricht auch, dass die Buchseite in falschen Proportionen gezeigt wird: hüftspeckig und nicht rank und schlank, wie die berühmten Aldinen als Originale Hand und Auge schmeicheln.
Es finden sich weitere Anzeichen dafür, dass Willberg und Forssman wenig interessiert zurückschauen. Einmal behaupten Willberg und Forssman, einer Schrift fehlten bestimmte Buchstabentypen, dabei sind diese nur nicht digitalisiert worden, das Blei-Original hatte die „fehlenden” Typen wohl. Oder es wird Setzern eines Buches von 1754 süffisant unterstellt, sie hätten „ihre Schwierigkeiten” mit der Arbeit am Detail, weil sie nach fremden Regeln gearbeitet haben. Bücher in Frakturschriften werden gar nicht behandelt, dabei lesen sich manche Schriftsteller, man nehme nur Adalbert Stifter, in einer Fraktur viel schöner.
Singuläre Marktstellung
Jan Tschichold, der bedeutendste deutsche Typograf des 20. Jahrhunderts und von Willberg und Forssman zu Recht als Autorität zitiert, hatte vor Fügungen wie „hässliche Schrift” und „dumme Ornamente” keine Scheu. In Tschicholds schönen Essays findet sich noch das kleinste Detail genauer in seiner historischen und gegenwärtigen Bedeutung dargetan als in dem Sammelsurium von Willberg und Forssman, das aber dank singulärer Marktstellung und ungeprüftem Ruf weiterhin als ein Standardwerk für Buchentwerfer gelten wird. Bleibt zu hoffen, dass sich neue Generationen den Meisterwerken in den Bibliotheken zuwenden und nicht nur auf ein besonders dickes Lehrbuch vertrauen.MARTIN Z. SCHRÖDER
HANS PETER WILLBERG/FRIEDRICH FORSSMAN: Lesetypografie. Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2005. 340 Seiten, 98 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Martin Z. Schröder erkennt Hans Peter Willberg und Friedrich Forssmann durchaus als Autoritäten auf dem Gebiet der Typografie an, doch dieses Buch, das als "Vermächtnis" des inzwischen verstorbenen Willberg gelte, wäre "besser nicht hinterlassen" worden, urteilt Schröder streng und zählt eine ganze Reihe von Ärgernissen auf. Gestört hat ihn zunächst einmal die "damenhafte" Unbestimmtheit im Vokabular, die sich bis dahin steigert, dass Lesern und Typografen selbst die Entscheidung anheim gegeben werde, ob historisches Wissen die Kreativität einschränkt. Hier ist Schröders Position eindeutig: "Typografie ist ein nicht endendes Geschichtsstudium. Alles andere ist Bastelei." Desweiteren moniert der Rezensent eine gewisse Eintönigkeit der Mainzer Schule, etliche Ungenauigkeiten, wenn nicht gar Fehler und schließlich das Nichtbehandeln der Fraktur: "Dabei lesen sich manche Schriftsteller, man nehme nur Adalbert Stifter, in einer Fraktur viel schöner."

© Perlentaucher Medien GmbH