When Clarissa Iverton was fourteen years old, her mother disappeared leaving Clarissa to be raised by her father. Upon his death, Clarissa, now twenty-eight, discovers he wasn't her father at all. Abandoning her fiance, Clarissa travels to Lapland. There Clarissa not only unearths her family's secrets, but also the truth about herself.
'The hottest young writer in US fiction' -- Guardian
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
'The hottest young writer in US fiction' -- Guardian
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2008Richardsons Rückkehr
Vendela Vidas überzeugend eisiger Mutterroman
Spätestens seit "Fräulein Smilla" hat man zur Kenntnis genommen, dass es in den nordischen Sprachen viele Ausdrücke für Schnee gibt. Auch Vendela Vida schreibt von einer Fahrt in diesen kalten Norden, die auf betörende Weise ganz ohne sprachliche Üppigkeit auskommt. Sparsam formuliert und temporeich erzählt, spült sie mit geradezu unheimlicher Beiläufigkeit Gewaltszenen an die Oberfläche. Die ärgste Gewalt ist irritierenderweise nicht einmal körperlicher Art. Es handelt sich vielmehr um die stumme Gewalttat einer Mutter, die ihre vierzehnjährige Tochter und den jüngeren, behinderten Sohn verlässt. Ohne Nachricht. Ohne Abschiedsbrief. Beim Einkaufsbummel in der Stadt hatte sie im verabredeten Geschäft nicht auf die zu spät kommende Tochter warten wollen. Das war im Jahre 1990. Vierzehn weitere Jahre müssen vergehen, ehe sich die inzwischen achtundzwanzigjährige Clarissa auf die Suche begibt.
Hier beginnt der Roman "Weil ich zu spät kam", der im englischen Original viel schöner "Let the Northern Lights Erase Your Name" heißt. Die sechsunddreißigjährige Vendela Vida, Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "The Believer", hält in Kalifornien zusammen mit ihrem Mann und Autor Dave Eggers Schreibkurse für Kinder und Jugendliche ab, ohne dass sie an ihnen etwas verdienen würde. Sie ist davon überzeugt, dass Schreiben lebensbejahend ist, auch wenn man, wie sie selbst, eine Trilogie über Wut und Gewalt im Sinn hat. Im Jahre 2003 erschien bereits "And Now You Can Go" ("Und jetzt können Sie gehen", 2005), die Geschichte einer Frau, die in einem Park von einem Mann mit der Pistole bedroht wird. Nichts passiert, aber die Angst bestimmt fortan ihr Leben. Bis sie es schafft, die Opfer-Identität abzuschütteln.
Auch Clarissa ist Opfer. Man ahnt es, noch ehe man es weiß: "Der Anblick von Männerbrieftaschen machte mich traurig. Sie waren entweder zu dick oder zu dünn, zu alt oder zu neu. Irgendwie sahen sie immer verkehrt aus." Minimalausschnitte charakterisieren eine Ich-Erzählerin, die früh gelernt hat, schnell zu urteilen. Messerscharf, oft voreilig teilt sie die Menschen ein, die ihr auf der Reise nach Finnland, nach Lappland begegnen. Hier sucht sie nicht nur die Mutter, sondern auch ihren leiblichen Vater, nachdem sie erfahren hat, dass der, den sie jahrelang dafür hielt, nur als Ersatzvater eingesprungen war.
Clarissas Wut und Hilflosigkeit prägen ihre taktile Wahrnehmung. Wie ein Tier, das ums Überleben kämpft, prüft sie die oberen Schichten, riecht, schmeckt, fixiert sie Menschen: "Henrik roch wie ein Hamster, den ich früher einmal hatte." Wir erfahren über die Mutter, dass sie ihre Freundinnen häufig wechselte; dass sie sich erst spätabends nach der Tochter erkundigte, wenn diese längst im Bett lag, inständig hoffend, die Mutter würde nach oben kommen, um sie für versäumte Arbeiten wenigstens zu maßregeln; und dass diese zwischen Liebe und Abstoßung hilflos changierende Mutter ihr den Namen nach dem Roman "Clarissa" von Samuel Richardson gab. Im Jahre 1748 erschien dieser englische Roman, in dem eine Frau vergewaltigt wird.
Viel erfahren wir bei Vida über Menschen und deren Eigentümlichkeiten, erstaunlich wenig aber über die Räume und Landschaften, in denen Clarissa nach ihren Wurzeln sucht. "Hier bin ich geboren. Der Ort war öde, klein, aber um Wachstum bemüht." Umso überraschender stechen aus dieser wüstenartigen Textur einige wenige Sätze hervor, trockene Diagnosen, die, ohne Mitleid zu erheischen, ausdrücken, was der Fall ist: "Ich fühlte mich nicht suchenswert."
Vendela Vida verändert nur selten diesen berichtenden Erzählstrom ihrer Figur. Aber wenn, dann rüttelt es auf. Und alle Mosaiksteine, die uns die Autorin wie kleine, kostbare Fundstücke bis dahin in den Weg geworfen hat, alle Andeutungen und unvollständigen Informationen, fügen sich weniger durch den Inhalt als durch diesen abrupten, eigenmächtigen Stilwechsel zu einem Bild, das in seiner Grobheit verstört. Es enthält alle Kraft, die eine Familie auch nach Jahren noch zu Fall bringen kann.
"Wir setzten uns in die erste Reihe, und er erzählte mir eine Geschichte." Was wie ein Märchen beginnt, wird mehr und mehr zu einem Gruselmärchen. Clarissa hat es bis nach Finnland geschafft und in ihrem Geburtsort Inari den Mann aufgespürt, den sie für ihren Vater hält - bis Eero, dieser vermeintliche Vater, ein samischer Priester, sie in seine Kirche führt, um ihr die Wahrheit zu beichten. Clarissas Mutter, die damals für die Rechte der Samen, einer finnischen Minderheit, protestierte, wurde von einem Samen vergewaltigt. Nach dem Vorfall blieb sie bei ihrem Mann Eero, bis Clarissa sechs Monate alt war. Dann tat sie das, was sich viel später wiederholen sollte: Sie verschwand, grußlos, stumm, nur diesmal mit Kind.
Nur als Märchen, das die Figuren darin fremd erscheinen lässt, kann Clarissa diese Nachricht wiedergeben und verkraften. Und auch wir ertappen uns dabei, seltsam lange an der Vorstellung festzuhalten, diese Geschichte möge trotz allem märchenhaft enden; dass Mutter und Tochter einander finden und sich aus Gründen schlichter Menschenliebe verzeihend in die Arme fallen. Vendela Vida aber fährt ihre eisige Prosa noch einige Minusgrade herab und führt ihre tapfere Heldin, die es genau wissen will, bis in die Wände eines Eishotels, schließlich gar in die Einöde einer lappländischen Blockhütte.
Dort sterben diese Geschichte und unsere Wunschvorstellung einen letzten Erfrierungstod - metaphorisch, wohlgemerkt. Wie Raum und Stoff hier endlich doch ohne viel Worte zueinanderkommen, ist sehr raffiniert gemacht und deshalb hier verschwiegen. Clarissa jedenfalls möchte man nach dieser schnörkellosen Detektivarbeit einen Neuanfang gönnen. Vendela Vida aber soll so weitererzählen: frech, überraschend, griffig. Diese nie erklärungslastige Stimme passt zu ihren Prosa-Experimenten, mit denen sie Biographien von Personen untersucht, die nicht nur eine, sondern gleich mehrere Identitäten in einem Leib vereinen.
ANJA HIRSCH
Vendela Vida: "Weil ich zu spät kam". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Almuth Carstens. Btb-Verlag, München 2008. 256 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vendela Vidas überzeugend eisiger Mutterroman
Spätestens seit "Fräulein Smilla" hat man zur Kenntnis genommen, dass es in den nordischen Sprachen viele Ausdrücke für Schnee gibt. Auch Vendela Vida schreibt von einer Fahrt in diesen kalten Norden, die auf betörende Weise ganz ohne sprachliche Üppigkeit auskommt. Sparsam formuliert und temporeich erzählt, spült sie mit geradezu unheimlicher Beiläufigkeit Gewaltszenen an die Oberfläche. Die ärgste Gewalt ist irritierenderweise nicht einmal körperlicher Art. Es handelt sich vielmehr um die stumme Gewalttat einer Mutter, die ihre vierzehnjährige Tochter und den jüngeren, behinderten Sohn verlässt. Ohne Nachricht. Ohne Abschiedsbrief. Beim Einkaufsbummel in der Stadt hatte sie im verabredeten Geschäft nicht auf die zu spät kommende Tochter warten wollen. Das war im Jahre 1990. Vierzehn weitere Jahre müssen vergehen, ehe sich die inzwischen achtundzwanzigjährige Clarissa auf die Suche begibt.
Hier beginnt der Roman "Weil ich zu spät kam", der im englischen Original viel schöner "Let the Northern Lights Erase Your Name" heißt. Die sechsunddreißigjährige Vendela Vida, Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "The Believer", hält in Kalifornien zusammen mit ihrem Mann und Autor Dave Eggers Schreibkurse für Kinder und Jugendliche ab, ohne dass sie an ihnen etwas verdienen würde. Sie ist davon überzeugt, dass Schreiben lebensbejahend ist, auch wenn man, wie sie selbst, eine Trilogie über Wut und Gewalt im Sinn hat. Im Jahre 2003 erschien bereits "And Now You Can Go" ("Und jetzt können Sie gehen", 2005), die Geschichte einer Frau, die in einem Park von einem Mann mit der Pistole bedroht wird. Nichts passiert, aber die Angst bestimmt fortan ihr Leben. Bis sie es schafft, die Opfer-Identität abzuschütteln.
Auch Clarissa ist Opfer. Man ahnt es, noch ehe man es weiß: "Der Anblick von Männerbrieftaschen machte mich traurig. Sie waren entweder zu dick oder zu dünn, zu alt oder zu neu. Irgendwie sahen sie immer verkehrt aus." Minimalausschnitte charakterisieren eine Ich-Erzählerin, die früh gelernt hat, schnell zu urteilen. Messerscharf, oft voreilig teilt sie die Menschen ein, die ihr auf der Reise nach Finnland, nach Lappland begegnen. Hier sucht sie nicht nur die Mutter, sondern auch ihren leiblichen Vater, nachdem sie erfahren hat, dass der, den sie jahrelang dafür hielt, nur als Ersatzvater eingesprungen war.
Clarissas Wut und Hilflosigkeit prägen ihre taktile Wahrnehmung. Wie ein Tier, das ums Überleben kämpft, prüft sie die oberen Schichten, riecht, schmeckt, fixiert sie Menschen: "Henrik roch wie ein Hamster, den ich früher einmal hatte." Wir erfahren über die Mutter, dass sie ihre Freundinnen häufig wechselte; dass sie sich erst spätabends nach der Tochter erkundigte, wenn diese längst im Bett lag, inständig hoffend, die Mutter würde nach oben kommen, um sie für versäumte Arbeiten wenigstens zu maßregeln; und dass diese zwischen Liebe und Abstoßung hilflos changierende Mutter ihr den Namen nach dem Roman "Clarissa" von Samuel Richardson gab. Im Jahre 1748 erschien dieser englische Roman, in dem eine Frau vergewaltigt wird.
Viel erfahren wir bei Vida über Menschen und deren Eigentümlichkeiten, erstaunlich wenig aber über die Räume und Landschaften, in denen Clarissa nach ihren Wurzeln sucht. "Hier bin ich geboren. Der Ort war öde, klein, aber um Wachstum bemüht." Umso überraschender stechen aus dieser wüstenartigen Textur einige wenige Sätze hervor, trockene Diagnosen, die, ohne Mitleid zu erheischen, ausdrücken, was der Fall ist: "Ich fühlte mich nicht suchenswert."
Vendela Vida verändert nur selten diesen berichtenden Erzählstrom ihrer Figur. Aber wenn, dann rüttelt es auf. Und alle Mosaiksteine, die uns die Autorin wie kleine, kostbare Fundstücke bis dahin in den Weg geworfen hat, alle Andeutungen und unvollständigen Informationen, fügen sich weniger durch den Inhalt als durch diesen abrupten, eigenmächtigen Stilwechsel zu einem Bild, das in seiner Grobheit verstört. Es enthält alle Kraft, die eine Familie auch nach Jahren noch zu Fall bringen kann.
"Wir setzten uns in die erste Reihe, und er erzählte mir eine Geschichte." Was wie ein Märchen beginnt, wird mehr und mehr zu einem Gruselmärchen. Clarissa hat es bis nach Finnland geschafft und in ihrem Geburtsort Inari den Mann aufgespürt, den sie für ihren Vater hält - bis Eero, dieser vermeintliche Vater, ein samischer Priester, sie in seine Kirche führt, um ihr die Wahrheit zu beichten. Clarissas Mutter, die damals für die Rechte der Samen, einer finnischen Minderheit, protestierte, wurde von einem Samen vergewaltigt. Nach dem Vorfall blieb sie bei ihrem Mann Eero, bis Clarissa sechs Monate alt war. Dann tat sie das, was sich viel später wiederholen sollte: Sie verschwand, grußlos, stumm, nur diesmal mit Kind.
Nur als Märchen, das die Figuren darin fremd erscheinen lässt, kann Clarissa diese Nachricht wiedergeben und verkraften. Und auch wir ertappen uns dabei, seltsam lange an der Vorstellung festzuhalten, diese Geschichte möge trotz allem märchenhaft enden; dass Mutter und Tochter einander finden und sich aus Gründen schlichter Menschenliebe verzeihend in die Arme fallen. Vendela Vida aber fährt ihre eisige Prosa noch einige Minusgrade herab und führt ihre tapfere Heldin, die es genau wissen will, bis in die Wände eines Eishotels, schließlich gar in die Einöde einer lappländischen Blockhütte.
Dort sterben diese Geschichte und unsere Wunschvorstellung einen letzten Erfrierungstod - metaphorisch, wohlgemerkt. Wie Raum und Stoff hier endlich doch ohne viel Worte zueinanderkommen, ist sehr raffiniert gemacht und deshalb hier verschwiegen. Clarissa jedenfalls möchte man nach dieser schnörkellosen Detektivarbeit einen Neuanfang gönnen. Vendela Vida aber soll so weitererzählen: frech, überraschend, griffig. Diese nie erklärungslastige Stimme passt zu ihren Prosa-Experimenten, mit denen sie Biographien von Personen untersucht, die nicht nur eine, sondern gleich mehrere Identitäten in einem Leib vereinen.
ANJA HIRSCH
Vendela Vida: "Weil ich zu spät kam". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Almuth Carstens. Btb-Verlag, München 2008. 256 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vida's prose has the purity of the Lapland winter that it describes... the writing possesses the clarity of church bells or winter light. Neel Mukherjee The Times