Der Roman "Dreckskerl" verschaffte Wojciech Kuczok den Ruf, der stilsicherste, musikalischste und leidenschaftlichste Schriftsteller der polnischen Gegenwartsliteratur zu sein. Sein neues Buch handelt von drei Menschen und ihrem Beschluß, das eigene Leben zu verändern.
Adam, ein junger Arzt, flieht vor seinem dominanten Vater vom Dorf in die Stadt. In der Liebe zu einem jungen Mann, einem homophoben Kleinkriminellen, findet er sein Glück. Robert ist ein alternder Schriftsteller, den seine Schreibblockade, seine hysterische Ehefrau und seine Schwiegereltern in die Verzweiflung treiben. Eines Tages erfährt er von etwas, das sein Leben verändert. Róza, eine erfolgreiche Schauspielerin und Werbeikone, lebt in unglücklicher Ehe. Doch sie beschließt, aktiv zu werden und ihrer Lethargie ein Ende zu setzen.
Mit psychologischer Präzision und sprühendem Witz gelingt Kuczok die schonungslose Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen und nebenbei eine bitterböse Satire der zwischen Popkultur und erzkonservativen Positionen zerrissenen polnischen Gesellschaft.
Adam, ein junger Arzt, flieht vor seinem dominanten Vater vom Dorf in die Stadt. In der Liebe zu einem jungen Mann, einem homophoben Kleinkriminellen, findet er sein Glück. Robert ist ein alternder Schriftsteller, den seine Schreibblockade, seine hysterische Ehefrau und seine Schwiegereltern in die Verzweiflung treiben. Eines Tages erfährt er von etwas, das sein Leben verändert. Róza, eine erfolgreiche Schauspielerin und Werbeikone, lebt in unglücklicher Ehe. Doch sie beschließt, aktiv zu werden und ihrer Lethargie ein Ende zu setzen.
Mit psychologischer Präzision und sprühendem Witz gelingt Kuczok die schonungslose Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen und nebenbei eine bitterböse Satire der zwischen Popkultur und erzkonservativen Positionen zerrissenen polnischen Gesellschaft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2011Des Lebens träge Wege
Lob der Lethargie: Wojciech Kuczoks zweiter Roman
Acedia, die Trägheit, ist wohl diejenige unter den Todsünden, die den Mitmenschen am wenigsten Schaden zufügt. Dafür zerrt sie umso mehr an demjenigen, der von ihr befallen ist. Je eigene Varianten der Lethargie sind es, an denen die Protagonisten der drei Episoden des gleichnamigen Romans von Wojciech Kuczok kranken, und doch ist den dreien eines gemeinsam: eine tief sitzende Melancholie. "Adam war müde", lautet der erste Satz des Romans, "Robert sah ungesund aus", beginnt die zweite Episode, und zu Anfang der dritten läuft ein Hund aufgeregt um Rosa herum, die wieder einmal umgefallen ist in einer Mischung aus Schlaf und Bewusstlosigkeit.
Eine sonderbare Form der Narkolepsie ist es, an der Rosa, die junge Schauspielerin, leidet und die sie in Momenten großer emotionaler Aufgewühltheit in Schlaf fallen lässt. Nach dem Erwachen ist der Anlass ihrer Absence aus ihrem Gedächtnis getilgt. Eine für Rosas halbseidenen Ehemann nachgerade unfassbar ideale Fügung: Kann er sie doch betrügen, so oft er will. Immer, wenn sie nahe daran ist, ihm auf die Schliche zu kommen, verliert sie vor lauter Schreck und Aufregung das Bewusstsein und nach dem Aufwachen - nichts. Der Erzähler, könnte man schwören, hebt an dieser Stelle mit gespielter Unschuld Augenbrauen und Hände: Was soll er dazu sagen, geschweige denn da machen?
Dieser Erzähler, der vorgeblich gutherzig um seine Figuren herumscharwenzelt und sie dabei jämmerlich in ihrer Untätigkeit schmoren lässt, er ist ein elender Schuft. Etwas Mitleidloseres und Spöttischeres, das gleichsam so charmant ist, hat man selten getroffen. Vordergründig mag dieser zweite Roman Kuczoks deshalb spielerischer erscheinen als sein Vorgänger "Dreckskerl", in dem der 1972 Geborene, der zu den wichtigsten Stimmen der jungen polnischen Literatur zählt, die Verwerfungen polnischer Geschichte in ein gewaltdurchsetztes Familienszenario verlegt. Aber gerade in der Episode um den homosexuellen jungen Arzt Adam, der seine Neigungen vor den eigenen Eltern und der Umwelt verstecken muss, wird nur allzu deutlich, dass auch die polnische Gesellschaft, die Kuczok in "Lethargie" beschreibt, von unterschwelliger Brutalität und Ressentiment bestimmt ist. Dass der Erzählton von falscher Leutseligkeit durchsetzt ist, macht die Hilflosigkeit der Figuren nur umso schmerzhafter. Und so ist denn das Ende dieses Romans nicht mehr als eine vom Erzähler in reichlich Ironie geschwenkte bittere Farce. Adam mag mit seinem Liebhaber in ein Häuschen auf dem Grundstück seiner Eltern ziehen, dass sich aber hier je familiäre Harmonie einstellen wird, muss bezweifelt werden.
Kaum besser steht es um Rosa. Als die es tatsächlich schafft (ohne in Schlaf zu fallen), ihren Mann zu verlassen und mit Robert, dem einstmals gefeierten Autor, ein neues Leben zu beginnen, ist das Ende des Glücks bereits in Sicht. Robert ist unheilbar krank, Krebs im Endstadium. Wenige Wochen sind es, teilt sein Arzt Adam mit, die ihm noch bleiben. Erst dieses Wissen um den nahen Tod ist der Auslöser dafür, dass Robert aus seiner Lethargie erwacht. Geschlagen mit einer impertinenten Ehefrau, der er genauso beständig auszuweichen versucht wie den aufdringlichen Schwiegereltern, sitzt er Tag für Tag in einem Souterrainbüro, das ihm der Schwiegervater gönnerhaft überlassen hat, und studiert die Beine derjenigen, die vor dem Fenster vorübergehen. Das Romanschreiben hingegen will ihm, seit seine Frau mit ihrem Regiment aus Disziplin und Ordnung in sein Leben getreten ist, nicht mehr gelingen. Robert hat sich der Trägheit mit einer Art trotzigen Leidenschaft verschrieben: Abends passgenau in den Feierabendstau zu geraten zählt zu seinen größten Vergnügungen, weil er der Welt und seiner Frau noch für eine Weile entgeht.
Dass er auch dem eigenen Leben auf diese Weise entgeht, ist die Idee, die in Kuczoks Roman steckt. Sie ist grausam, weil die Figuren, wenn es ihnen endlich gelingt, sich aus ihrer Trägheit herauszulösen, sogleich in die nächste stolpern. Kuczok erzählt von diesem Fatalismus, als sei er ein Naturgesetz, das der Erzähler durch seine ungerührte Souveränität umso unverrückbarer zementiert. Am Ende weiß man nicht mehr: Ist Trägheit tatsächlich eine Todsünde oder nicht viel eher der einzig mögliche Daseinsmodus?
WIEBKE POROMBKA
Wojciech Kuczok: "Lethargie".
Roman.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 253 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lob der Lethargie: Wojciech Kuczoks zweiter Roman
Acedia, die Trägheit, ist wohl diejenige unter den Todsünden, die den Mitmenschen am wenigsten Schaden zufügt. Dafür zerrt sie umso mehr an demjenigen, der von ihr befallen ist. Je eigene Varianten der Lethargie sind es, an denen die Protagonisten der drei Episoden des gleichnamigen Romans von Wojciech Kuczok kranken, und doch ist den dreien eines gemeinsam: eine tief sitzende Melancholie. "Adam war müde", lautet der erste Satz des Romans, "Robert sah ungesund aus", beginnt die zweite Episode, und zu Anfang der dritten läuft ein Hund aufgeregt um Rosa herum, die wieder einmal umgefallen ist in einer Mischung aus Schlaf und Bewusstlosigkeit.
Eine sonderbare Form der Narkolepsie ist es, an der Rosa, die junge Schauspielerin, leidet und die sie in Momenten großer emotionaler Aufgewühltheit in Schlaf fallen lässt. Nach dem Erwachen ist der Anlass ihrer Absence aus ihrem Gedächtnis getilgt. Eine für Rosas halbseidenen Ehemann nachgerade unfassbar ideale Fügung: Kann er sie doch betrügen, so oft er will. Immer, wenn sie nahe daran ist, ihm auf die Schliche zu kommen, verliert sie vor lauter Schreck und Aufregung das Bewusstsein und nach dem Aufwachen - nichts. Der Erzähler, könnte man schwören, hebt an dieser Stelle mit gespielter Unschuld Augenbrauen und Hände: Was soll er dazu sagen, geschweige denn da machen?
Dieser Erzähler, der vorgeblich gutherzig um seine Figuren herumscharwenzelt und sie dabei jämmerlich in ihrer Untätigkeit schmoren lässt, er ist ein elender Schuft. Etwas Mitleidloseres und Spöttischeres, das gleichsam so charmant ist, hat man selten getroffen. Vordergründig mag dieser zweite Roman Kuczoks deshalb spielerischer erscheinen als sein Vorgänger "Dreckskerl", in dem der 1972 Geborene, der zu den wichtigsten Stimmen der jungen polnischen Literatur zählt, die Verwerfungen polnischer Geschichte in ein gewaltdurchsetztes Familienszenario verlegt. Aber gerade in der Episode um den homosexuellen jungen Arzt Adam, der seine Neigungen vor den eigenen Eltern und der Umwelt verstecken muss, wird nur allzu deutlich, dass auch die polnische Gesellschaft, die Kuczok in "Lethargie" beschreibt, von unterschwelliger Brutalität und Ressentiment bestimmt ist. Dass der Erzählton von falscher Leutseligkeit durchsetzt ist, macht die Hilflosigkeit der Figuren nur umso schmerzhafter. Und so ist denn das Ende dieses Romans nicht mehr als eine vom Erzähler in reichlich Ironie geschwenkte bittere Farce. Adam mag mit seinem Liebhaber in ein Häuschen auf dem Grundstück seiner Eltern ziehen, dass sich aber hier je familiäre Harmonie einstellen wird, muss bezweifelt werden.
Kaum besser steht es um Rosa. Als die es tatsächlich schafft (ohne in Schlaf zu fallen), ihren Mann zu verlassen und mit Robert, dem einstmals gefeierten Autor, ein neues Leben zu beginnen, ist das Ende des Glücks bereits in Sicht. Robert ist unheilbar krank, Krebs im Endstadium. Wenige Wochen sind es, teilt sein Arzt Adam mit, die ihm noch bleiben. Erst dieses Wissen um den nahen Tod ist der Auslöser dafür, dass Robert aus seiner Lethargie erwacht. Geschlagen mit einer impertinenten Ehefrau, der er genauso beständig auszuweichen versucht wie den aufdringlichen Schwiegereltern, sitzt er Tag für Tag in einem Souterrainbüro, das ihm der Schwiegervater gönnerhaft überlassen hat, und studiert die Beine derjenigen, die vor dem Fenster vorübergehen. Das Romanschreiben hingegen will ihm, seit seine Frau mit ihrem Regiment aus Disziplin und Ordnung in sein Leben getreten ist, nicht mehr gelingen. Robert hat sich der Trägheit mit einer Art trotzigen Leidenschaft verschrieben: Abends passgenau in den Feierabendstau zu geraten zählt zu seinen größten Vergnügungen, weil er der Welt und seiner Frau noch für eine Weile entgeht.
Dass er auch dem eigenen Leben auf diese Weise entgeht, ist die Idee, die in Kuczoks Roman steckt. Sie ist grausam, weil die Figuren, wenn es ihnen endlich gelingt, sich aus ihrer Trägheit herauszulösen, sogleich in die nächste stolpern. Kuczok erzählt von diesem Fatalismus, als sei er ein Naturgesetz, das der Erzähler durch seine ungerührte Souveränität umso unverrückbarer zementiert. Am Ende weiß man nicht mehr: Ist Trägheit tatsächlich eine Todsünde oder nicht viel eher der einzig mögliche Daseinsmodus?
WIEBKE POROMBKA
Wojciech Kuczok: "Lethargie".
Roman.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 253 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Als "polnische Zukunftsvision" und "wundersames Zeugnis erzählerischer Freiheit" lobt Rezensentin Katharina Döbler diesen offenbar wieder sehr cholerischen Roman von Wojciech Kuzok, den sie auch als versteckte Hommage an Witold Gombrowicz auffasst. Es gibt drei Handlungsstränge und drei Protagonisten, die am Ende sogar aufeinander treffen, erzählt Döbler: Eine vernachlässigte Ehefrau, ein romantischer Schwuler und ein wütender Rebell. Sie irren wie in "lebensfernem Dämmerzustand" durch eine ziemlich deprimierende polnische Gegenwart. Das Buch lebt für die Kritikerin vor allem von Kuczoks großer Erzählkunst. Mühelos wechsle der Autor von Zartheit zu Realismus, von Sprachspielen zu blanker Satire. Die Übersetzerin Renate Schmidgall scheint ihr Bestes getan zu haben, diese sprachliche Vielfalt ins Deutsche zu übertragen, aber ganz scheint es ihr nicht gelungen zu sein. Das liegt wohl vor allem an der "Drastik der polnischen Umgangssprache", so Döbler.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH