'*A GUARDIAN BOOK OF THE YEAR 2021*
'Consistently illuminating... considered, compassionate and appreciative... This book is a wonderful tribute to a family and to an idea' Guardian
63 rue de Monceau, Paris
Dear friend,
As you may have guessed by now, I am not in your house by accident. I know your street rather well.
Count Moïse de Camondo lived a few doors away from Edmund de Waal's forebears, the Ephrussi, first encountered in his bestselling memoir The Hare with Amber Eyes. Like the Ephrussi, the Camondos were part of belle époque high society. They were also targets of anti-semitism.
Camondo created a spectacular house and filled it with the greatest private collection of French eighteenth-century art for his son to inherit. But when Nissim was killed in the First World War, it became a memorial and, on the Count's death, was bequeathed to France.
The Musée Nissim de Camondo has remained unchanged since 1936. Edmund de Waal explores the lavish rooms and detailed archives and uncovers new layers to the family story. In a haunting series of letters addressed to the Count, he tells us what happened next.
'Letters to Camondo immerses you in another age... de Waal creates a dazzling picture of what it means to live graciously' Financial Times
'Consistently illuminating... considered, compassionate and appreciative... This book is a wonderful tribute to a family and to an idea' Guardian
63 rue de Monceau, Paris
Dear friend,
As you may have guessed by now, I am not in your house by accident. I know your street rather well.
Count Moïse de Camondo lived a few doors away from Edmund de Waal's forebears, the Ephrussi, first encountered in his bestselling memoir The Hare with Amber Eyes. Like the Ephrussi, the Camondos were part of belle époque high society. They were also targets of anti-semitism.
Camondo created a spectacular house and filled it with the greatest private collection of French eighteenth-century art for his son to inherit. But when Nissim was killed in the First World War, it became a memorial and, on the Count's death, was bequeathed to France.
The Musée Nissim de Camondo has remained unchanged since 1936. Edmund de Waal explores the lavish rooms and detailed archives and uncovers new layers to the family story. In a haunting series of letters addressed to the Count, he tells us what happened next.
'Letters to Camondo immerses you in another age... de Waal creates a dazzling picture of what it means to live graciously' Financial Times
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2021Die Korrespondenz der Dinge
Echo eines Lebens: In seinem Briefroman "Camondo" widmet sich Edmund de Waal dem kostbaren Erbe eines Pariser Bankiers.
Von Ursula Scheer
Ein Fremder, ein Verwandter, ein Freund: Edmund de Waal schreibt ihm Briefe, als wäre Comte Moïse de Camondo noch zugegen in seinem Stadtpalais in der Rue de Monceau Nummer 63, der Pariser Heimstatt einer Familie, einer Bank, einer Dynastie. Und ist der 1935 gestorbene Camondo nicht tatsächlich präsent in der Abwesenheit?
Das dem Petit Trianon in Versailles nachempfundene Haus, in dem die vier Winde auf dem Barockteppich des Salons die Backen blähen; die runde Bibliothek, in der die "Histoire de la poésie des Hébreux" neben den Klassikern steht; das Porzellanzimmer mit seiner vogelkundlichen Kollektion Meißener Preziosen; schließlich der zum Schrein der Erinnerung veredelte Schlafraum des Sohnes: Das Arrangement der Gegenstände in den von Camondo kunstsinnig ausgestatteten Räumen, die De Waal mit Worten erschließt, bewahrt die Umrisse des Daseins, das sich in ihnen einst entfaltete. Es erzählt von der nach kultureller Perfektion strebenden Assimilation einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Konstantinopel, von Sammelleidenschaft, Patriotismus und Aufklärung, von der Sehnsucht nach Dauer und Zugehörigkeit im Land der Dreyfus-Affäre, die für die Spanne eines Lebens gestillt werden konnte.
Als Zwölfjähriger kam Moïse de Camondo 1869 mit seiner Familie vom Bosporus an die Seine. Kurz nach seinem Tod, als der von ihm errichtete prachtvolle Bau in der Rue de Monceau samt Interieur, wie er es verfügt hatte, im Namen des Gedenkens an seinen im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohn Nissim ein Teil des staatlichen Musée des Arts Décoratifs wurde, enthüllte ein Minister die Plakette. Zu Nissims Tod zwei Jahrzehnte zuvor hatte Proust seine Anteilnahme übermittelt. Die Mutter des Jungen, Irène Cahen d'Anvers, war als Mädchen von Renoir porträtiert worden. Kann man noch viel pariserischer werden? Alles sollte rein bewahrt werden: Auf penible Sauberkeit sei im Haus zu achten, lautete die Anweisung Camondos für sein Museum. Kein Staub dürfe sich sammeln. Doch ohne Staub keine Spuren, befindet der ihm nachschreibende De Waal, wohl wissend, das Staub einer anderen Substanz verwandt ist: der Asche. Auch von Paris fuhren Züge nach Auschwitz.
Moïse de Camondo konnte bei täglichen Gängen über den Vier-Winde-Teppich nicht ahnen, dass seine scheinbar so stabil in der Dritten Französischen Republik gründende Existenz als Bankier, Sammler und Citoyen gleichsam auf Luft gebaut war, dass sie schon über dem Abgrund schwebte, in den Europa vom Nazismus gestürzt werden würde. Das unvermeidliche Wissen darum, was Camondos Tochter Béatrice und deren Kinder erwartete, legt eine tiefe Melancholie über die im Musée Camondo wie in einer Zeitkapsel geborgenen Artefakte, vereint in einer Ära, die Stefan Zweig als das "goldene Zeitalter der Sicherheit" bezeichnete.
De Waal will sich der tödlichen Erstarrung, die in den Objekten lauert, ebenso wenig hingeben wie der bitter notwendigen Erinnerung entziehen. Wo von Menschen nur Gegenstände geblieben sind, ganz gleich, ob Kunstwerke oder bloße Utensilien, versteht es der britische Keramikkünstler und Autor wie kein anderer, die Dinge erzählend wieder mit der Wärme zu erfüllen, die sie in sich aufgenommen haben, als sie von anderen vor langer Zeit in Händen gehalten, auf Borden hin und her geschoben, benutzt, besessen wurden. Dinge vergegenwärtigen. Sie setzen Konversationen in Gang, über Raum und Zeit hinweg.
Eine Unterhaltung entspinnt sich auch in den 58 Briefen, die De Waal an Moïse de Camondo postum geschrieben hat, vereint mit Fotografien aus dessen Haus und übersetzt von Brigitte Hilzensauer in einem leinengebundenen Band mit Monogrammprägung. Auch das Buch ist ein Objekt. Sein Text verbindet in Betrachtungen, Annäherungen und Abschweifungen das Schicksal der Camondos mit der Familien- und Kulturgeschichte, der Edmund de Waal in seinem vielbeachteten Erstling "Der Hase mit den Bernsteinaugen" über die Ephrussis aus Odessa, seine jüdischen Vorfahren mütterlicherseits, nachspürte. Auf verwickelte Weise sind beide Familienkreise miteinander verbandelt. In der Rue de Monceau, auf jenem "goldenen Hügel" im achten Arrondissement, treffen sie schließlich Ende des neunzehnten Jahrhunderts aufeinander: an einem Ort der Begegnungen und Neuanfänge, der zur tödlichen Falle wurde. Meisterlich vereint De Waal in seinen essayistischen Briefen Archivalisches, Literarisches und im Musée Camondo Betrachtetes mit Imaginiertem und persönlichen Ansprachen. Er stellt zusammen, wie der Comte Dinge zusammengestellt hat: bis Bilder entstehen und die Echos der Vergangenheit so klar erklingen, dass sie ins Herz dringen.
Edmund de Waal: "Camondo".
Eine Familiengeschichte in Briefen.
Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay Verlag, Wien 2021. 191 S., 33 Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Echo eines Lebens: In seinem Briefroman "Camondo" widmet sich Edmund de Waal dem kostbaren Erbe eines Pariser Bankiers.
Von Ursula Scheer
Ein Fremder, ein Verwandter, ein Freund: Edmund de Waal schreibt ihm Briefe, als wäre Comte Moïse de Camondo noch zugegen in seinem Stadtpalais in der Rue de Monceau Nummer 63, der Pariser Heimstatt einer Familie, einer Bank, einer Dynastie. Und ist der 1935 gestorbene Camondo nicht tatsächlich präsent in der Abwesenheit?
Das dem Petit Trianon in Versailles nachempfundene Haus, in dem die vier Winde auf dem Barockteppich des Salons die Backen blähen; die runde Bibliothek, in der die "Histoire de la poésie des Hébreux" neben den Klassikern steht; das Porzellanzimmer mit seiner vogelkundlichen Kollektion Meißener Preziosen; schließlich der zum Schrein der Erinnerung veredelte Schlafraum des Sohnes: Das Arrangement der Gegenstände in den von Camondo kunstsinnig ausgestatteten Räumen, die De Waal mit Worten erschließt, bewahrt die Umrisse des Daseins, das sich in ihnen einst entfaltete. Es erzählt von der nach kultureller Perfektion strebenden Assimilation einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Konstantinopel, von Sammelleidenschaft, Patriotismus und Aufklärung, von der Sehnsucht nach Dauer und Zugehörigkeit im Land der Dreyfus-Affäre, die für die Spanne eines Lebens gestillt werden konnte.
Als Zwölfjähriger kam Moïse de Camondo 1869 mit seiner Familie vom Bosporus an die Seine. Kurz nach seinem Tod, als der von ihm errichtete prachtvolle Bau in der Rue de Monceau samt Interieur, wie er es verfügt hatte, im Namen des Gedenkens an seinen im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohn Nissim ein Teil des staatlichen Musée des Arts Décoratifs wurde, enthüllte ein Minister die Plakette. Zu Nissims Tod zwei Jahrzehnte zuvor hatte Proust seine Anteilnahme übermittelt. Die Mutter des Jungen, Irène Cahen d'Anvers, war als Mädchen von Renoir porträtiert worden. Kann man noch viel pariserischer werden? Alles sollte rein bewahrt werden: Auf penible Sauberkeit sei im Haus zu achten, lautete die Anweisung Camondos für sein Museum. Kein Staub dürfe sich sammeln. Doch ohne Staub keine Spuren, befindet der ihm nachschreibende De Waal, wohl wissend, das Staub einer anderen Substanz verwandt ist: der Asche. Auch von Paris fuhren Züge nach Auschwitz.
Moïse de Camondo konnte bei täglichen Gängen über den Vier-Winde-Teppich nicht ahnen, dass seine scheinbar so stabil in der Dritten Französischen Republik gründende Existenz als Bankier, Sammler und Citoyen gleichsam auf Luft gebaut war, dass sie schon über dem Abgrund schwebte, in den Europa vom Nazismus gestürzt werden würde. Das unvermeidliche Wissen darum, was Camondos Tochter Béatrice und deren Kinder erwartete, legt eine tiefe Melancholie über die im Musée Camondo wie in einer Zeitkapsel geborgenen Artefakte, vereint in einer Ära, die Stefan Zweig als das "goldene Zeitalter der Sicherheit" bezeichnete.
De Waal will sich der tödlichen Erstarrung, die in den Objekten lauert, ebenso wenig hingeben wie der bitter notwendigen Erinnerung entziehen. Wo von Menschen nur Gegenstände geblieben sind, ganz gleich, ob Kunstwerke oder bloße Utensilien, versteht es der britische Keramikkünstler und Autor wie kein anderer, die Dinge erzählend wieder mit der Wärme zu erfüllen, die sie in sich aufgenommen haben, als sie von anderen vor langer Zeit in Händen gehalten, auf Borden hin und her geschoben, benutzt, besessen wurden. Dinge vergegenwärtigen. Sie setzen Konversationen in Gang, über Raum und Zeit hinweg.
Eine Unterhaltung entspinnt sich auch in den 58 Briefen, die De Waal an Moïse de Camondo postum geschrieben hat, vereint mit Fotografien aus dessen Haus und übersetzt von Brigitte Hilzensauer in einem leinengebundenen Band mit Monogrammprägung. Auch das Buch ist ein Objekt. Sein Text verbindet in Betrachtungen, Annäherungen und Abschweifungen das Schicksal der Camondos mit der Familien- und Kulturgeschichte, der Edmund de Waal in seinem vielbeachteten Erstling "Der Hase mit den Bernsteinaugen" über die Ephrussis aus Odessa, seine jüdischen Vorfahren mütterlicherseits, nachspürte. Auf verwickelte Weise sind beide Familienkreise miteinander verbandelt. In der Rue de Monceau, auf jenem "goldenen Hügel" im achten Arrondissement, treffen sie schließlich Ende des neunzehnten Jahrhunderts aufeinander: an einem Ort der Begegnungen und Neuanfänge, der zur tödlichen Falle wurde. Meisterlich vereint De Waal in seinen essayistischen Briefen Archivalisches, Literarisches und im Musée Camondo Betrachtetes mit Imaginiertem und persönlichen Ansprachen. Er stellt zusammen, wie der Comte Dinge zusammengestellt hat: bis Bilder entstehen und die Echos der Vergangenheit so klar erklingen, dass sie ins Herz dringen.
Edmund de Waal: "Camondo".
Eine Familiengeschichte in Briefen.
Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay Verlag, Wien 2021. 191 S., 33 Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main