Im Januar 2007 erschien Michael Hamburgers letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Werk: Circling the Square. Poems 2004-2006 (Die Rundung des Quadrats). Letzte Gedichte enthält sämtliche Gedichte dieses Bandes sowie alle weiteren, die Hamburger bis zu seinem Tod im Juni 2007 schrieb. Stets präsent in Hamburgers später Lyrik, werden Tod, Vergessen und altersbedingte Wahrnehmungsveränderung keineswegs als Feinde seiner Kunst beklagt; in Gedichten von spitzfindiger Klarheit und großer synthetischer Kraft integriert und zelebriert er diese alltäglichen Begleiter des Alterns vielmehr als untergründige Parameter einer unvermindert vitalen Ästhetik. In präzisen deutschen Übertragungen lassen sich Jan Wagner, Franz Wurm, Uwe Kolbe und Klaus Anders auf das ganze emotionale, existenzielle und bisweilen bitter ironische Spektrum dieser Dichtung ein. Ein kenntnisreiches Nachwort und hilfreiche Anmerkungen des Herausgebers schließen den Band ab.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2009Hymne auf das Licht
Singulärer Ton aus dem Besten zweier Kulturen: Letzte Gedichte des britischen Lyrikers deutscher Herkunft Michael Hamburger.
Von Thomas Poiss
Nicht auszudenken, welch ein deutscher Dichter Michael Hamburger geworden wäre, hätte die Geschichte einen humanen Verlauf genommen. So aber floh der 1924 als Sohn eines Berliner Arztes Geborene mit der Familie schon 1933 vor dem Rassenwahn nach Edinburgh und begann bald auf Englisch zu schreiben. Zunächst übersetzte er Hölderlin, später andere deutsche Dichter von Celan bis Jandl und W. G. Sebald, und schuf einen singulären Ton aus dem Besten zweier Kulturen. Hamburgers letzte Gedichtbände, die kurz vor seinem Tod 2007 erschienen sind, liegen nun zusammen mit einigen Gedichten aus dem Nachlass in einer zweisprachigen Ausgabe vor.
Die drängende Zeit hat so in einem Band Genres zusammengeführt, die Hamburger sonst trennte: Baumgedichte, Traumgedichte, Todesgedichte, Satiren und auch eines seiner Langgedichte, das viele Themen kompositorisch vereint: "Domestic / Häusliches". Es geht darin um Hamburgers altes Haus in Suffolk, das auch in Sebalds "Ringen des Saturn" aufscheint, um den Kampf gegen feuchte Wände und die Verwilderung des Gartens, um politische Geschichte und Privates. Ein Wellblechschuppen, der im Krieg als Lazarett diente, erinnert an Hamburgers Militärzeit; eine Wasserpumpe von 1770 reicht in die tiefere Vergangenheit - ein Sturm zerstört den seltenen Maulbeerbaum, der einst Hamburger und seine Frau, die Lyrikerin Anne Beresford, zum Pachten des Anwesens veranlasst hatte.
Der Kampf gegen Verfall und Natur geht allmählich verloren, es bleibt "Das unhörbare Pulsen im Gebäude / Ein Pochen, ungeschützt und unbehaust". Naturgemäß nehmen viele Gedichte Abschied: "Terminal Turn / Letzte Abfertigung" etwa gilt einer späten Reise nach Österreich, wo Hamburger nach 1945 stationiert war: Wien und Kärnten sind ihm auch ohne Landkarte vertraut, aber die Beschwerden der Flugreise überdecken diese Erfahrung. Der Dichter schreibt leise Hymnen auf das Licht, Morgenlicht, Winterlicht über der Landschaft, doch wird es entpersönlicht: "Irgendwo scheint ein Licht, nicht für sie, nicht für uns." Hamburgers Übersetzer sind oft seinem Ton nahegekommen, doch manches wirkt greller oder unbestimmter, während Hamburger unprätentiös Wort an Wort fügt. Nur eines bringt ihn in Wut: der "Homo Rapiens" der Thatcher- und Bush-Ära, der "Tod durch Elektronik": "Zeit? Eine Währung / Von Mikrochips gemünzt."
Sein Garten ist für Hamburger jedoch nicht die heile Gegenwelt. Er kennt die Härte der Natur und bewundert Mut und Kunst der Schwalben, die ohne Zögern durch den Spalt einer Glasscheibe fliegen, um in einer Scheune zu nisten. Je länger man in diesem Buch liest, umso mehr verschmelzen die Einzelgedichte zum Sprachbild, auch der Traum, in dem nach sechundsechzig Jahren der sterbende Vater dem Sohn "Als Psychopompos, nicht als Kinderarzt" erscheint und den Weg weist aus dem "Todesland" in den wirklichen Tod. Der, der diesen Weg nun gelassen geht, sieht freudig "Die geschwungene Unterseite dieser Blaumeise, die kleine Welle gelben Gefieders" und verschwindet selbst im Bild: "So langsam ist am Ende unser Kreisen - / Man kann das Auf vom Ab nicht unterscheiden, / Das Dauernde nicht von der Veränderung." Was bleibt, ist der Puls dieser Gedichte.
Michael Hamburger: "Letzte Gedichte". Aus dem Englischen von Jan Wagner, Uwe Kolbe, Klaus Anders und Franz Wurm. Hrsg. und mit einem Nachwort von Iain Galbraith. Folio Verlag, Wien und Bozen 2009. 176 S., br., 22,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Singulärer Ton aus dem Besten zweier Kulturen: Letzte Gedichte des britischen Lyrikers deutscher Herkunft Michael Hamburger.
Von Thomas Poiss
Nicht auszudenken, welch ein deutscher Dichter Michael Hamburger geworden wäre, hätte die Geschichte einen humanen Verlauf genommen. So aber floh der 1924 als Sohn eines Berliner Arztes Geborene mit der Familie schon 1933 vor dem Rassenwahn nach Edinburgh und begann bald auf Englisch zu schreiben. Zunächst übersetzte er Hölderlin, später andere deutsche Dichter von Celan bis Jandl und W. G. Sebald, und schuf einen singulären Ton aus dem Besten zweier Kulturen. Hamburgers letzte Gedichtbände, die kurz vor seinem Tod 2007 erschienen sind, liegen nun zusammen mit einigen Gedichten aus dem Nachlass in einer zweisprachigen Ausgabe vor.
Die drängende Zeit hat so in einem Band Genres zusammengeführt, die Hamburger sonst trennte: Baumgedichte, Traumgedichte, Todesgedichte, Satiren und auch eines seiner Langgedichte, das viele Themen kompositorisch vereint: "Domestic / Häusliches". Es geht darin um Hamburgers altes Haus in Suffolk, das auch in Sebalds "Ringen des Saturn" aufscheint, um den Kampf gegen feuchte Wände und die Verwilderung des Gartens, um politische Geschichte und Privates. Ein Wellblechschuppen, der im Krieg als Lazarett diente, erinnert an Hamburgers Militärzeit; eine Wasserpumpe von 1770 reicht in die tiefere Vergangenheit - ein Sturm zerstört den seltenen Maulbeerbaum, der einst Hamburger und seine Frau, die Lyrikerin Anne Beresford, zum Pachten des Anwesens veranlasst hatte.
Der Kampf gegen Verfall und Natur geht allmählich verloren, es bleibt "Das unhörbare Pulsen im Gebäude / Ein Pochen, ungeschützt und unbehaust". Naturgemäß nehmen viele Gedichte Abschied: "Terminal Turn / Letzte Abfertigung" etwa gilt einer späten Reise nach Österreich, wo Hamburger nach 1945 stationiert war: Wien und Kärnten sind ihm auch ohne Landkarte vertraut, aber die Beschwerden der Flugreise überdecken diese Erfahrung. Der Dichter schreibt leise Hymnen auf das Licht, Morgenlicht, Winterlicht über der Landschaft, doch wird es entpersönlicht: "Irgendwo scheint ein Licht, nicht für sie, nicht für uns." Hamburgers Übersetzer sind oft seinem Ton nahegekommen, doch manches wirkt greller oder unbestimmter, während Hamburger unprätentiös Wort an Wort fügt. Nur eines bringt ihn in Wut: der "Homo Rapiens" der Thatcher- und Bush-Ära, der "Tod durch Elektronik": "Zeit? Eine Währung / Von Mikrochips gemünzt."
Sein Garten ist für Hamburger jedoch nicht die heile Gegenwelt. Er kennt die Härte der Natur und bewundert Mut und Kunst der Schwalben, die ohne Zögern durch den Spalt einer Glasscheibe fliegen, um in einer Scheune zu nisten. Je länger man in diesem Buch liest, umso mehr verschmelzen die Einzelgedichte zum Sprachbild, auch der Traum, in dem nach sechundsechzig Jahren der sterbende Vater dem Sohn "Als Psychopompos, nicht als Kinderarzt" erscheint und den Weg weist aus dem "Todesland" in den wirklichen Tod. Der, der diesen Weg nun gelassen geht, sieht freudig "Die geschwungene Unterseite dieser Blaumeise, die kleine Welle gelben Gefieders" und verschwindet selbst im Bild: "So langsam ist am Ende unser Kreisen - / Man kann das Auf vom Ab nicht unterscheiden, / Das Dauernde nicht von der Veränderung." Was bleibt, ist der Puls dieser Gedichte.
Michael Hamburger: "Letzte Gedichte". Aus dem Englischen von Jan Wagner, Uwe Kolbe, Klaus Anders und Franz Wurm. Hrsg. und mit einem Nachwort von Iain Galbraith. Folio Verlag, Wien und Bozen 2009. 176 S., br., 22,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Im Angesicht seines Todes hat der in Deutschland geborene, 1933 ins Exil nach England gegangene Michael Hamburger diese hier versammelten "letzten Gedichte" geschrieben. Zwar tauchen in diesem Band, so der Rezensent Thomas Poiss, vertraute Motive und Genres des Dichters wieder auf. Ungewöhnlich aber ist, dass, was Hamburger sonst in Büchern getrennt hielt, in einem Buch "kompositorisch vereint" wird. Es geht um das Erinnern, auch um das Zugehen auf den Tod. Hamburgers Liebe gilt der Natur, seinem Garten, ausdrücklich formuliert er seinen Widerstand gegen den "Homo Rapiens", den er in Bush verkörpert sah und gegen das Zeitalter der "Elektronik".
© Perlentaucher Medien GmbH
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