Ein als Katze reinkarnierter Ehemann, seine Witwe und ihr Sohn begeben sich auf eine sonderbare Reise nach Paris.
Der Überraschungserfolg aus den USA: ein verrückt-liebenswürdiger Roman über eine seltsame Mutter-Sohn-Beziehung und eine Reise, die es in sich hat.
Frances und Malcom Price sind wohl das unterhaltsamste Mutter-Sohn-Duo New Yorks. Ein Großteil von Frances' Bekanntheit beruht auf der Tatsache, dass sie, als sie den toten Körper ihres Mannes entdeckte, zu einem Skiwochenende aufbrach, anstatt die Behörden zu alarmieren. Gewöhnt an ein Leben voller Luxus, muss sie sich ad hoc etwas einfallen lassen, denn Frances hat das Erbe ihres Mannes jahrzehntelang verprasst und ist jetzt pleite. Zusammen mit ihrem Kater Kleiner Frank, den Frances für die Reinkarnation ihres Mannes hält, fliehen die Prices nach Paris. Als Kleiner Frank verschwindet, trommeln sie allerlei skurriles Personal zusammen, um den Kater, der ein Geheimnis mit sich trägt, wiederzufinden.
Der Überraschungserfolg aus den USA: ein verrückt-liebenswürdiger Roman über eine seltsame Mutter-Sohn-Beziehung und eine Reise, die es in sich hat.
Frances und Malcom Price sind wohl das unterhaltsamste Mutter-Sohn-Duo New Yorks. Ein Großteil von Frances' Bekanntheit beruht auf der Tatsache, dass sie, als sie den toten Körper ihres Mannes entdeckte, zu einem Skiwochenende aufbrach, anstatt die Behörden zu alarmieren. Gewöhnt an ein Leben voller Luxus, muss sie sich ad hoc etwas einfallen lassen, denn Frances hat das Erbe ihres Mannes jahrzehntelang verprasst und ist jetzt pleite. Zusammen mit ihrem Kater Kleiner Frank, den Frances für die Reinkarnation ihres Mannes hält, fliehen die Prices nach Paris. Als Kleiner Frank verschwindet, trommeln sie allerlei skurriles Personal zusammen, um den Kater, der ein Geheimnis mit sich trägt, wiederzufinden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2019Paris, ein Fest fürs Ableben
Patrick deWitt beschreibt traurige reiche Leute
Bei der Einreise in Calais hat der Zollbeamte nur eine Sorge. "Sie darf hier nicht sterben." Wird sie nicht, verspricht der Sohn. "Sie wird irgendwo anders sterben." Sie ist Frances Price, allseits berüchtigte New Yorker Privatiére, die vor knapp zwanzig Jahren die Leiche ihres Mannes im Schlafzimmer fand und erst einmal in den Skiurlaub fuhr, bevor sie die Behörden benachrichtigte. Die Boulevardpresse stürzte sich darauf, seitdem gilt Frances als kalte Millionärswitwe. Nun lebt sie mit ihrem Sohn Malcolm, einem "schwermütigen Baby von einem Mann", in einer großen Wohnung auf der Upper East Side. Bis ihnen das Geld ausgeht. Letzte Rettung: Paris.
Dort besitzt Frances' beste - und einzige - Freundin ein Apartment, in dem sich Frances und Malcolm einquartieren dürfen. Mit ihren letzten paar zehntausend Dollar Bargeld im Gepäck begeben Mutter und Sohn sich an Bord eines Atlantikkreuzers. Schließlich bezeugt nichts Armut so sehr wie eine Kreuzfahrt mit Unterhaltungsprogramm. Frances "wollte, musste mit einem herrlich stechenden Schmerz im Herzen auf den grenzenlosen Ozean hinausfahren", um dann in Paris (wohin man ja üblicherweise emigriert als niedergeschlagene Amerikanerin) "zu rauchen und Leitungswasser zu trinken, um ihre Einsamkeit zu spüren".
Zunächst aber andere Kost. Spirituosen. Auf den ersten hundertfünfzig Seiten wird vier Mal Martini verköstigt, was als soziale Einordnung genügen sollte. Dann Spiritismus. Auf dem Schiff steigt Malcolm mit einem Medium namens Madeleine ins Bett, das Menschen verlässlich ihren Tod weissagen kann, sofern dieser unmittelbar bevorsteht - was angesichts des Durchschnittsalters der kreuzfahrenden Klientel etwa einmal am Tag der Fall ist. Nur ob Frances nach ihrer Ankunft in Frankreich das Sterbeverbot des strengen Grenzbeamten missachten wird, behält Madeleine für sich.
Der 1975 in Kanada geborene Autor Patrick deWitt ist vor allem für seinen Wildwest-Schelmenroman "Die Sisters Brothers" (2012) bekannt, in dem zwei Auftragsmörder feststellen, dass es sich diesseits des Gesetzes doch besser lebt. Auch diesmal hat deWitt eine Komödie verfasst, in der sich Unsympathen schließlich durch latente Warmherzigkeit rehabilitieren dürfen. Frances ist irgendwo zwischen Susan Sontag und Frances McDormand zu verorten, scharfzüngig, schonungslos, ab und zu liebevoll. Malcolm ist zwischenmenschlich ein Trampel, dem es dennoch gelegentlich gelingt, innezuhalten und seine Mitmenschen zu verstehen. Und der verstorbene Ehemann respektive Vater? Der ist gar nicht tot. Der ist eine Katze. Von Frances in der Handtasche über die französische Grenze geschmuggelt, entflieht er nach einem Streit mit seiner menschlichen Gattin (Thema: Tod) der Häuslichkeit und streunt sich durch die Pariser Gosse.
Das ist irgendwie charmant und dank deWitts trockenem Humor auch manchmal lustig, und doch entwickelt man beim Lesen selten wirkliches Interesse daran, wie das Leben dieser traurigen reichen Leute nun weitergeht. Ob Malcolm seine Verlobte wiedergewinnen kann, die ihn zu Beginn von ihrer Absicht informiert hat, sich von ihm zu "entlieben". Ob sich mittels einer von Madeleines Séancen der kätzische Familienvater zur Rückkehr überreden lässt. Es wäre verkraftbar, es nicht zu erfahren.
Auch die Garnierung mit Pariser Straßennamen und der sich im Laufe des Buches gegenseitig tröstenden Bande amerikanisch-französischer Bourgeoisie (ein Weinhändler, ein Privatdetektiv, eine betrüblich-nette Madame) ist ebendas: mehr Gewürz als Gericht, couleur locale mit wenig Deckkraft. Besonders seltsam mutet eine Passage an, in der Frances und Malcolm vom Fenster ihres Apartments eine Schlägerei zwischen "Migranten" und der Polizei beäugen. Nur um sich gleich darauf wieder an aufwendig zubereiteten Cocktails gütlich zu tun. Gutherzig, wie sie am Ende auch sein mögen, für Leitungswasser sind die Prices schlicht zu vornehm. Da hilft auch kein leeres Portemonnaie.
CORNELIUS DIECKMANN
Patrick deWitt: "Letzte Rettung: Paris". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Reimann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 320 S., geb., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Patrick deWitt beschreibt traurige reiche Leute
Bei der Einreise in Calais hat der Zollbeamte nur eine Sorge. "Sie darf hier nicht sterben." Wird sie nicht, verspricht der Sohn. "Sie wird irgendwo anders sterben." Sie ist Frances Price, allseits berüchtigte New Yorker Privatiére, die vor knapp zwanzig Jahren die Leiche ihres Mannes im Schlafzimmer fand und erst einmal in den Skiurlaub fuhr, bevor sie die Behörden benachrichtigte. Die Boulevardpresse stürzte sich darauf, seitdem gilt Frances als kalte Millionärswitwe. Nun lebt sie mit ihrem Sohn Malcolm, einem "schwermütigen Baby von einem Mann", in einer großen Wohnung auf der Upper East Side. Bis ihnen das Geld ausgeht. Letzte Rettung: Paris.
Dort besitzt Frances' beste - und einzige - Freundin ein Apartment, in dem sich Frances und Malcolm einquartieren dürfen. Mit ihren letzten paar zehntausend Dollar Bargeld im Gepäck begeben Mutter und Sohn sich an Bord eines Atlantikkreuzers. Schließlich bezeugt nichts Armut so sehr wie eine Kreuzfahrt mit Unterhaltungsprogramm. Frances "wollte, musste mit einem herrlich stechenden Schmerz im Herzen auf den grenzenlosen Ozean hinausfahren", um dann in Paris (wohin man ja üblicherweise emigriert als niedergeschlagene Amerikanerin) "zu rauchen und Leitungswasser zu trinken, um ihre Einsamkeit zu spüren".
Zunächst aber andere Kost. Spirituosen. Auf den ersten hundertfünfzig Seiten wird vier Mal Martini verköstigt, was als soziale Einordnung genügen sollte. Dann Spiritismus. Auf dem Schiff steigt Malcolm mit einem Medium namens Madeleine ins Bett, das Menschen verlässlich ihren Tod weissagen kann, sofern dieser unmittelbar bevorsteht - was angesichts des Durchschnittsalters der kreuzfahrenden Klientel etwa einmal am Tag der Fall ist. Nur ob Frances nach ihrer Ankunft in Frankreich das Sterbeverbot des strengen Grenzbeamten missachten wird, behält Madeleine für sich.
Der 1975 in Kanada geborene Autor Patrick deWitt ist vor allem für seinen Wildwest-Schelmenroman "Die Sisters Brothers" (2012) bekannt, in dem zwei Auftragsmörder feststellen, dass es sich diesseits des Gesetzes doch besser lebt. Auch diesmal hat deWitt eine Komödie verfasst, in der sich Unsympathen schließlich durch latente Warmherzigkeit rehabilitieren dürfen. Frances ist irgendwo zwischen Susan Sontag und Frances McDormand zu verorten, scharfzüngig, schonungslos, ab und zu liebevoll. Malcolm ist zwischenmenschlich ein Trampel, dem es dennoch gelegentlich gelingt, innezuhalten und seine Mitmenschen zu verstehen. Und der verstorbene Ehemann respektive Vater? Der ist gar nicht tot. Der ist eine Katze. Von Frances in der Handtasche über die französische Grenze geschmuggelt, entflieht er nach einem Streit mit seiner menschlichen Gattin (Thema: Tod) der Häuslichkeit und streunt sich durch die Pariser Gosse.
Das ist irgendwie charmant und dank deWitts trockenem Humor auch manchmal lustig, und doch entwickelt man beim Lesen selten wirkliches Interesse daran, wie das Leben dieser traurigen reichen Leute nun weitergeht. Ob Malcolm seine Verlobte wiedergewinnen kann, die ihn zu Beginn von ihrer Absicht informiert hat, sich von ihm zu "entlieben". Ob sich mittels einer von Madeleines Séancen der kätzische Familienvater zur Rückkehr überreden lässt. Es wäre verkraftbar, es nicht zu erfahren.
Auch die Garnierung mit Pariser Straßennamen und der sich im Laufe des Buches gegenseitig tröstenden Bande amerikanisch-französischer Bourgeoisie (ein Weinhändler, ein Privatdetektiv, eine betrüblich-nette Madame) ist ebendas: mehr Gewürz als Gericht, couleur locale mit wenig Deckkraft. Besonders seltsam mutet eine Passage an, in der Frances und Malcolm vom Fenster ihres Apartments eine Schlägerei zwischen "Migranten" und der Polizei beäugen. Nur um sich gleich darauf wieder an aufwendig zubereiteten Cocktails gütlich zu tun. Gutherzig, wie sie am Ende auch sein mögen, für Leitungswasser sind die Prices schlicht zu vornehm. Da hilft auch kein leeres Portemonnaie.
CORNELIUS DIECKMANN
Patrick deWitt: "Letzte Rettung: Paris". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Reimann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 320 S., geb., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Herrlichst schräge Unterhaltung. Letzte Rettung: Paris ist definitiv ein Juwel!« literaturmarkt.info 20191007