Immer nur Winter, aber niemals Weihnachten. Das geheimnisvolle Land Narnia, einst von Aslan, dem großen Herscher jenseits der Meere, als paradiesische Welt erschaffen, steht unter einem Bann. Eines Tages erhält Narnia Besuch von Kindern. Durch einen alten Wandschrank geraten sie von unserer Welt in das märchenhafte Land und erleben die Rückkehr des rechtmäßigen Herrschers, des Löwen Aslan.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2005Narnia - in zwei Versionen
Warum die neue Übersetzung kein kraftvolles Deutsch mehr kennt
"Narnia" braucht keine Empfehlung, keine Lobrede und keine Verteidigung mehr. Die sieben Bände von C. S. Lewis haben sich durchgesetzt, und selbst der unschöne Plan eines amerikanischen Verlags, "Narnia"-Fortsetzungen unter Aussparung der christlichen Atmosphäre neu schreiben zu lassen, wurde ad acta gelegt. Zwar haben in den vergangenen Wochen vereinzelte Rabbiner ihre Schäfchen in den Vereinigten Staaten vor dem Kinobesuch gewarnt, aber das verlief weitaus weniger dramatisch als bei Mel Gibsons "Passion Christi".
Das Christliche dieser Bücher ist kein Lehrgehalt, kein Fremdkörper, sondern ein Äther, der die Geschichte durchdringt - die böse Eis-Hexe, die Mensch, Tier und Zwerg versteinern kann, hat den ewigen Winter über die Anderswelt verhängt, einen Frost, in dem es nie weihnachtet - bis am Ende die Kinder mit dem Erlöser-Löwenkönig Aslan den Frühling in das aufblühende Land bringen. Und Lewis ging nicht von einer abstrakten Idee des Monotheismus aus, sondern hielt sich an den europäischen Kulturkompromiß: So, wie wir unsere Jahre nach Christi Geburt zählen, in unsern Wochentagen aber heidnisch-antik geblieben sind, so steht in Narnia das Christliche auf dem heidnischen Grund, und die Welt der Satyrn, Faunen, Nymphen und Kentauren eröffnet sich den jungen Lesern.
Lewis hat Märchen für eine Altersstufe geschrieben, auf der man an Märchen nicht mehr glaubt. Vier Kindern gelingt es, durch eine Schranktür Zugang zu einer phantastischen Welt zu finden, in der die Zeit anders verläuft als bei uns. Peter ist der Älteste, auf dem die ganze Würde dieses Amtes ruht; er plant, überlegt, entscheidet und führt das Schwert. Suse (Susan in der Übersetzung von Hohlbein und Rendel) ist die Praktische; Edmund, der Zweitjüngste, erweist sich als verführbar (die Eishexe hat echten türkischen Honig), und Lucy, die Jüngste, erscheint ein wenig verträumt - aber sie ist es, die den Zugang nach Narnia erst findet.
Die zart kolorierten Bilder von Pauline Bayne, in dem großen Band der Gesamtausgabe reproduziert, fehlen in der Neuausgabe des "Königs von Narnia". Dafür prangen auf dem Umschlag des von Wolfgang Hohlbein und Christian Rendel übersetzten Bandes Motive aus dem Narnia-Film. Wer zahlt, schafft an, wir wollen nach weiteren Gründen nicht fragen. Dafür aber nach der Übersetzung selbst. In der Gesamtausgabe zeichnete für "Der König von Narnia" und "Prinz Kaspian von Narnia" Lisa Tetzner, eine nie genug zu rühmende Bearbeiterin von Märchen aus aller Welt. Sie fand einen wunderbar lakonischen Ton - romantisch war das Buch sowieso schon, und die Sprache konnte durch Schlichtheit nur gewinnen.
Wer nun den neuen Band zur Hand nimmt, wird feststellen, daß er meist dem englischen Satzbau genauer folgt - aber um den Preis alles Charaktervollen der deutschen Sprache. Es ist ein ausgeleiertes, unidiomatisches Deutsch, das die Neuübersetzung leitet: bei Lisa Tetzner "gruselt" es den Kindern, bei Hohlbein/Rendel beschleicht sie ein "unheimliches Gefühl". Bei Tetzner "schneuzt", heute "putzt" man sich die Nase, bei Tetzner ist man "kreidebleich", heute "weiß wie eine getünchte Wand". "Fast sofort" mag man jemanden (Hohlbein/Rendel), bei Tetzner "auf den ersten Blick". Auf "Bestien" trafen die Kinder früher, nun auf "Monster". Das heutige Deutsch, von dem die neue Übersetzung eine gute Probe bietet, krankt an einer schwindenden Prägekraft. Erinnern wir uns, daß unsere Großmütter, so ungebildet sie auch sein mochten, manchmal redeten, als formulierten sie gerade ein Sprichwort, das die Jahrhunderte überdauern würde? Eine solche Großmutter war Lisa Tetzner, und mit Prinz Kaspian stimmen wir den Kampfruf "Für Alt-Narnia!" an.
LORENZ JÄGER
C. S. Lewis: "Die Chroniken von Narnia". Mit Illustrationen von Pauline Baynes. Aus dem Englischen übersetzt von Ulla Neckauer, Lisa Tetzner und Hans Eich. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2005. 523 S., geb., 34,95 [Euro]. Ab 8 J.
C.S. Lewis: "Der König von Narnia". Aus dem Englischen übersetzt von Christian Rendel und Wolfgang Hohlbein. Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2005. 162 S., geb., 12,95 [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum die neue Übersetzung kein kraftvolles Deutsch mehr kennt
"Narnia" braucht keine Empfehlung, keine Lobrede und keine Verteidigung mehr. Die sieben Bände von C. S. Lewis haben sich durchgesetzt, und selbst der unschöne Plan eines amerikanischen Verlags, "Narnia"-Fortsetzungen unter Aussparung der christlichen Atmosphäre neu schreiben zu lassen, wurde ad acta gelegt. Zwar haben in den vergangenen Wochen vereinzelte Rabbiner ihre Schäfchen in den Vereinigten Staaten vor dem Kinobesuch gewarnt, aber das verlief weitaus weniger dramatisch als bei Mel Gibsons "Passion Christi".
Das Christliche dieser Bücher ist kein Lehrgehalt, kein Fremdkörper, sondern ein Äther, der die Geschichte durchdringt - die böse Eis-Hexe, die Mensch, Tier und Zwerg versteinern kann, hat den ewigen Winter über die Anderswelt verhängt, einen Frost, in dem es nie weihnachtet - bis am Ende die Kinder mit dem Erlöser-Löwenkönig Aslan den Frühling in das aufblühende Land bringen. Und Lewis ging nicht von einer abstrakten Idee des Monotheismus aus, sondern hielt sich an den europäischen Kulturkompromiß: So, wie wir unsere Jahre nach Christi Geburt zählen, in unsern Wochentagen aber heidnisch-antik geblieben sind, so steht in Narnia das Christliche auf dem heidnischen Grund, und die Welt der Satyrn, Faunen, Nymphen und Kentauren eröffnet sich den jungen Lesern.
Lewis hat Märchen für eine Altersstufe geschrieben, auf der man an Märchen nicht mehr glaubt. Vier Kindern gelingt es, durch eine Schranktür Zugang zu einer phantastischen Welt zu finden, in der die Zeit anders verläuft als bei uns. Peter ist der Älteste, auf dem die ganze Würde dieses Amtes ruht; er plant, überlegt, entscheidet und führt das Schwert. Suse (Susan in der Übersetzung von Hohlbein und Rendel) ist die Praktische; Edmund, der Zweitjüngste, erweist sich als verführbar (die Eishexe hat echten türkischen Honig), und Lucy, die Jüngste, erscheint ein wenig verträumt - aber sie ist es, die den Zugang nach Narnia erst findet.
Die zart kolorierten Bilder von Pauline Bayne, in dem großen Band der Gesamtausgabe reproduziert, fehlen in der Neuausgabe des "Königs von Narnia". Dafür prangen auf dem Umschlag des von Wolfgang Hohlbein und Christian Rendel übersetzten Bandes Motive aus dem Narnia-Film. Wer zahlt, schafft an, wir wollen nach weiteren Gründen nicht fragen. Dafür aber nach der Übersetzung selbst. In der Gesamtausgabe zeichnete für "Der König von Narnia" und "Prinz Kaspian von Narnia" Lisa Tetzner, eine nie genug zu rühmende Bearbeiterin von Märchen aus aller Welt. Sie fand einen wunderbar lakonischen Ton - romantisch war das Buch sowieso schon, und die Sprache konnte durch Schlichtheit nur gewinnen.
Wer nun den neuen Band zur Hand nimmt, wird feststellen, daß er meist dem englischen Satzbau genauer folgt - aber um den Preis alles Charaktervollen der deutschen Sprache. Es ist ein ausgeleiertes, unidiomatisches Deutsch, das die Neuübersetzung leitet: bei Lisa Tetzner "gruselt" es den Kindern, bei Hohlbein/Rendel beschleicht sie ein "unheimliches Gefühl". Bei Tetzner "schneuzt", heute "putzt" man sich die Nase, bei Tetzner ist man "kreidebleich", heute "weiß wie eine getünchte Wand". "Fast sofort" mag man jemanden (Hohlbein/Rendel), bei Tetzner "auf den ersten Blick". Auf "Bestien" trafen die Kinder früher, nun auf "Monster". Das heutige Deutsch, von dem die neue Übersetzung eine gute Probe bietet, krankt an einer schwindenden Prägekraft. Erinnern wir uns, daß unsere Großmütter, so ungebildet sie auch sein mochten, manchmal redeten, als formulierten sie gerade ein Sprichwort, das die Jahrhunderte überdauern würde? Eine solche Großmutter war Lisa Tetzner, und mit Prinz Kaspian stimmen wir den Kampfruf "Für Alt-Narnia!" an.
LORENZ JÄGER
C. S. Lewis: "Die Chroniken von Narnia". Mit Illustrationen von Pauline Baynes. Aus dem Englischen übersetzt von Ulla Neckauer, Lisa Tetzner und Hans Eich. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2005. 523 S., geb., 34,95 [Euro]. Ab 8 J.
C.S. Lewis: "Der König von Narnia". Aus dem Englischen übersetzt von Christian Rendel und Wolfgang Hohlbein. Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2005. 162 S., geb., 12,95 [Euro]. Ab 8 J.
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