Nach den letzten drei Jahrzehnten der akademischen und außer-akademischen Diskussion ist es nahezu unmöglich geworden, sich einen schnellen, aber doch auch gediegenen Überblick über Theorien, Kategorien und Kontroversen auf dem Gebiet der Ethik zu verschaffen. Unübersichtlichkeit prägt das Aussehen der Ethik heute. Wer in seinem beruflichen Alltag, sei es als Wissenschaftler oder in der nicht-universitären Praxis, mit Fragen moralischer Natur zu tun hat, ist auf Informationen angewiesen, die weder kurzlebig noch modischer Art sind. Während die Anwendungsfragen der Ethik nahezu täglich durch die wissenschaftlich und technologisch erweiterten Handlungsmöglichkeiten mit geänderten Bedingungen konfrontiert werden, sind die Entwicklungen in den theoretischen Grundsatzfragen nicht ganz so dramatisch, obzwar auch diese Fragen in den letzten dreißig Jahren erheblich komplexer geworden sind. Das 'Lexikon der Ethik' konzentriert sich vor allem auf den Bereich der ethischen Basistheorien und der zu diesen gehörenden Grundkategorien und Kontroversen. Darüber hinaus informiert das Lexikon nicht nur aus Sicht der deutschsprachigen, sondern auch aus der Perspektive der niederländischen Diskussion, so daß auch Traditionen und Ansätze, die im deutschsprachigen Raum weniger zur Geltung kommen, vertreten sind.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2006Wo das Gesetz seine Lücken hat
Nachrichten aus einer putzmunteren Wissenschaft: ein neues Lexikon der Ethik
Ein Bonmot behauptet, die moderne Medizin habe die Ethik gerettet; es seien die neuartigen und höchst kritischen Grenzfälle am Ende und Anfang des menschlichen Lebens gewesen, die eine sieche Disziplin vor drei Jahrzehnten wieder reanimiert hätten. Diese Einschätzung mag übertrieben sein – putzmunter ist die Ethik zur Zeit jedenfalls.
Wenn Verrechtlichung und Politisierung der Lebenswelt lange Zeit keinen Platz für moralische Orientierungsfragen ließen, so wird die Ethik heute wieder gehegt und gepflegt und findet sich vom Nationalen Ethikrat bis zur Lehrerausbildung auf vielen Ebenen institutionalisiert.
Das bringt ein Aufbereitungsbedürfnis und die Kanonisierung des moralphilosophischen Wissens mit sich. In den letzten Jahren ist daher eine Reihe Lehrbücher, Einführungen und Lexika zur Ethik erschienen. Jean-Pierre Wils, Professor für Moraltheologie, und Christoph Hübenthal, Dozent für Moraltheologie, beide aus Nijmegen, haben ein „Lexikon der Ethik” bei Schöningh herausgegeben, als jüngsten Versuch, Überblick zu schaffen. Mit etwa neunzig Grundbegriffen wie „Autonomie”, „Naturalistischer Fehlschluss” und „Verantwortung” soll das Gebiet der Ethik kartiert werden. Zwei Kriterien interessieren dabei besonders: erstens, wie sind die Lemmata aufgebaut und geschrieben? Und zweitens, welche Begriffe wurden ausgewählt?
Egoistisch gegenüber Tieren
Den Aufbau der Einträge kann man nur loben, sie sind informativ, knapp und verständlich, im Rahmen des Buches genau im richtigen Maß. Hinsichtlich der Begriffsauswahl wird man wohl nie ganz befriedigt werden. Es wundert, dass Einträge wie „Zweck / Ziel”, „Interesse” oder „Anerkennung” fehlen und gleichzeitig wird man von aparten Einträgen überrascht: die so angenehm mediterran anmutende „Epikie” ist dabei, die „Berichtigung des Gesetzes da, wo es infolge seiner generellen Fassung lückenhaft ist”, wie Aristoteles schreibt.
Zudem ist der „informed consent”, die „informierte Zustimmung” des Patienten zur geplanten Therapie, eigens aufgeführt, ein Begriff, der in der Medizinethik seit ein paar Jahren eine wichtige Rolle spielt. Der „Speziesismus” wiederum repräsentiert weniger einen Grundbegriff, sondern eine Kontroverse: er bezeichnet das „art-egoistische” Verhalten des Menschen gegenüber Tieren und ist durch den utilitaristischen Haudegen Peter Singer bekannt geworden.
Das „Lexikon der Ethik” muss sich mit dem „Handbuch Ethik” aus dem Metzler-Verlag vergleichen lassen, das derselbe Christoph Hübenthal mit den Philosophen Marcus Düwell und Micha H. Werner gerade zur zweiten Auflage gebracht hat. Das „Handbuch Ethik” ist anspruchsvoller und insgesamt deutlich umfangreicher. Es hat einen vergleichbaren lexikalischen Teil, der allerdings kürzer ist (etwa fünfzig Einträge). Dafür beinhaltet der Band eine breite und kluge Einführung in die ethischen Theorien und einen Überblick über die verschiedenen „Bereichsethiken”. Er bietet also einiges mehr das „Lexikon der Ethik”, ist vielleicht etwas zugeknöpfter, schwieriger. Das „Lexikon der Ethik” ist dafür anfängergerechter, lockerer und übersichtlicher. Beide Bücher sind gute Bücher und bedienen verschiedene Anspruchs-, Gebrauchs- und Geschmacksnuancen unter Ethikern – und es ist nur die Untugend der Knausrigkeit, die einem das Gefühl gibt, dass sie trotzdem nicht gleich teuer sein dürften.
OLIVER MÜLLER
JEAN-PIERRE WILS/CHRISTOPH HÜBENTHAL (Hg.): Lexikon der Ethik. Ferdinand Schöningh. Paderborn 2006. 422 Seiten, 49,90 Euro.
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Nachrichten aus einer putzmunteren Wissenschaft: ein neues Lexikon der Ethik
Ein Bonmot behauptet, die moderne Medizin habe die Ethik gerettet; es seien die neuartigen und höchst kritischen Grenzfälle am Ende und Anfang des menschlichen Lebens gewesen, die eine sieche Disziplin vor drei Jahrzehnten wieder reanimiert hätten. Diese Einschätzung mag übertrieben sein – putzmunter ist die Ethik zur Zeit jedenfalls.
Wenn Verrechtlichung und Politisierung der Lebenswelt lange Zeit keinen Platz für moralische Orientierungsfragen ließen, so wird die Ethik heute wieder gehegt und gepflegt und findet sich vom Nationalen Ethikrat bis zur Lehrerausbildung auf vielen Ebenen institutionalisiert.
Das bringt ein Aufbereitungsbedürfnis und die Kanonisierung des moralphilosophischen Wissens mit sich. In den letzten Jahren ist daher eine Reihe Lehrbücher, Einführungen und Lexika zur Ethik erschienen. Jean-Pierre Wils, Professor für Moraltheologie, und Christoph Hübenthal, Dozent für Moraltheologie, beide aus Nijmegen, haben ein „Lexikon der Ethik” bei Schöningh herausgegeben, als jüngsten Versuch, Überblick zu schaffen. Mit etwa neunzig Grundbegriffen wie „Autonomie”, „Naturalistischer Fehlschluss” und „Verantwortung” soll das Gebiet der Ethik kartiert werden. Zwei Kriterien interessieren dabei besonders: erstens, wie sind die Lemmata aufgebaut und geschrieben? Und zweitens, welche Begriffe wurden ausgewählt?
Egoistisch gegenüber Tieren
Den Aufbau der Einträge kann man nur loben, sie sind informativ, knapp und verständlich, im Rahmen des Buches genau im richtigen Maß. Hinsichtlich der Begriffsauswahl wird man wohl nie ganz befriedigt werden. Es wundert, dass Einträge wie „Zweck / Ziel”, „Interesse” oder „Anerkennung” fehlen und gleichzeitig wird man von aparten Einträgen überrascht: die so angenehm mediterran anmutende „Epikie” ist dabei, die „Berichtigung des Gesetzes da, wo es infolge seiner generellen Fassung lückenhaft ist”, wie Aristoteles schreibt.
Zudem ist der „informed consent”, die „informierte Zustimmung” des Patienten zur geplanten Therapie, eigens aufgeführt, ein Begriff, der in der Medizinethik seit ein paar Jahren eine wichtige Rolle spielt. Der „Speziesismus” wiederum repräsentiert weniger einen Grundbegriff, sondern eine Kontroverse: er bezeichnet das „art-egoistische” Verhalten des Menschen gegenüber Tieren und ist durch den utilitaristischen Haudegen Peter Singer bekannt geworden.
Das „Lexikon der Ethik” muss sich mit dem „Handbuch Ethik” aus dem Metzler-Verlag vergleichen lassen, das derselbe Christoph Hübenthal mit den Philosophen Marcus Düwell und Micha H. Werner gerade zur zweiten Auflage gebracht hat. Das „Handbuch Ethik” ist anspruchsvoller und insgesamt deutlich umfangreicher. Es hat einen vergleichbaren lexikalischen Teil, der allerdings kürzer ist (etwa fünfzig Einträge). Dafür beinhaltet der Band eine breite und kluge Einführung in die ethischen Theorien und einen Überblick über die verschiedenen „Bereichsethiken”. Er bietet also einiges mehr das „Lexikon der Ethik”, ist vielleicht etwas zugeknöpfter, schwieriger. Das „Lexikon der Ethik” ist dafür anfängergerechter, lockerer und übersichtlicher. Beide Bücher sind gute Bücher und bedienen verschiedene Anspruchs-, Gebrauchs- und Geschmacksnuancen unter Ethikern – und es ist nur die Untugend der Knausrigkeit, die einem das Gefühl gibt, dass sie trotzdem nicht gleich teuer sein dürften.
OLIVER MÜLLER
JEAN-PIERRE WILS/CHRISTOPH HÜBENTHAL (Hg.): Lexikon der Ethik. Ferdinand Schöningh. Paderborn 2006. 422 Seiten, 49,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Recht solide findet Oliver Müller dieses von Jean-Pierre Wils und Christoph Hübenthal herausgegebene "Lexikon der Ethik", das einen Überblick über diese höchst lebendige philosophische Disziplin geben will. Den Aufbau der Einträge wertet Müller als "informativ, knapp und verständlich". Mit der Auswahl der erläuterten Begriffe ist er grundsätzlich einverstanden, auch wenn er zu verstehen gibt, dass man es in diesem Punkt wohl nie allen recht machen kann. Er wundert sich jedenfalls über das Fehlen von Einträgen wie "Zweck / Ziel", "Interesse" oder "Anerkennung", freut sich allerdings zugleich über einige unerwartete "aparte" Einträge wie "Epikie" oder "informed consent". Das vergleichbare "Handbuch Ethik" aus dem Metzler-Verlag bietet nach Ansicht Müllers zwar "einiges mehr", fällt aber zugleich etwas "zugeknöpfter, schwieriger" aus. Das vorliegende "Lexikon der Ethik" scheint demgegenüber besser für Anfänger geeignet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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